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Entziehung der Fahrerlaubnis – nicht mehr über 2 Jahre nach der Tat

Vor kurzem haben wir erst über den Beschl. des LG Kleve v. 21.04.2011 – 120 Qs 40/11 berichtet, mit dem das LG Kleve einen § 111a-Beschluss, der sieben Monate nach der Tat ergangen war, „gehalten“ hat. Jetzt übersendet mir ein Kollege vom KG den Beschl. des KG v. 01.04.2011 -3 Ws 153/11, in dem das KG eine grundsätzlich ähnliche Konstellation zu entscheiden hatte, allerdings mit einem gravierenden Unterschied. Hier lag die Tat nämlich bereits über zwei Jahre zurück. Zu der beantragten Entziehung sagt das KG.

„Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111 a StPO unterliegt als prozessuale Zwangsmaßnahme den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Beachtung des Beschleunigungsgebots. Sie ist daher nicht mehr rechtlich vertretbar, wenn die Tat über zwei Jahre zurückliegt, der diesbezügliche Antrag erst mit Anklageerhebung von der Staatsanwaltschaft gestellt wird und das Gericht bis zu seiner Entscheidung weitere fünf Monate vergehen lässt.“

Der „Schlafapnoiker“ im Straßenverkehr

Gegenstand des Strafverfahrens ist ein Verkehrsunfall, bei dem der Beschuldigte und die Staatsanwaltschaft/das AG darüber streiten, aus welchen Gründen es „gekracht“ hat. War der Beschuldigte übermüdet, ja oder nein. Die Antwort hat für das Verfahren entscheidende Bedeutung, denn, wenn man sie bejaht, liegt die Anwendung des § 315c Abs. 1 Nr. 1 b StGB nahe. Davon waren die StA und das AG aufgrund des Unfallgeschehens, „nämlich ein langsames Abkommen des Angeschuldigten von der Fahrbahn nach links über die Gegenfahrbahn“ ausgegangen.

Der Beschuldigte hatte sich gegen die auf der Grundlage erfolgte vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gewendet. Das LG hat ihm in der Beschwerde Recht gegeben. Nicht jede Ermüdung eines Kraftfahrer führe zu  Bejahung der Tatbestandsvoraussetzung des § 315c Abs. 1 Nr. 1 b StGB. Zu verlangen sei vielmehr ein solcher Übermüdungszustand, der für den Beschuldigten die erkennbare Erwartung eines nahenden Sekundenschlafes mit sich bringe.

Zudem hat sich das LG auch noch mit dem Umstand auseinander gesetzt, dass der Beschuldigte ggf. Schlafapnoiker ist – jedenfalls war das geltend gemacht. Das führt das LG aus, dass auch allein mit dem Umstand, dass der Kraftfahrer „Schlafapnoiker“ sei, nicht die Annahme der Ungeeignetheit i.S. von §§ 111a, 69 StGB begründen werden könne.

Nachzulesen in LG Traunstein, Beschl. v. 08.07.2011 -1 Qs 226/11.

Zivilrecht im Strafrecht – die 130%-Rechtsprechung des BGH

Ich habe ja schon einige Male über die Berührungspunkte von Zivil- und Strafrecht berichtet (vgl. u.a. hier). Ein sehr schönes Bespiel für das „Aufeinandertreffen“ ist OLG Hamm, Beschl. v. 30.09.20101 – III 3 RVs 72/10, der leider erst jetzt (warum eigentlich?) bekannt geworden ist.

In der Sache ging es um unerlaubtes Entfernen vom Unfallort und die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB. In dem Zusammenhang spielt der Begriff des „bedeutenden Fremdschadens“ eine Rolle. Das OLG bestätigt in seinem Beschluss zunächst die h.M., wonach die Grenze für den bedeutenden Fremdschaden derzeit bei (mindestens) 1.300 € liegt und:

Hinsichtlich des Begriffs des bedeutenden Fremdschadens i.S. des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB sei von einem wirtschaftlichen Schadensbegriff auszugehen. Deshalb  könnten bei der Prüfung der Frage, ob die Höhe des eingetretenen Fremdschadens i. S. des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB als bedeutend anzusehen sei, nur solche Schadenspositionen herangezogen werden, die zivilrechtlich erstattungsfähig seien. Und in dem Zusammenhnag spielt dann die 130 %-Rechtsprechung des BGH eine Rolle. Das OLG kommt nämlich in seinem Fall unter Anwendung der Grundsätze dieser Rechtsprechung zu dem Ergebnis, dass es wirtschaftlich unvernünftig sei, den vom Angeklagten beschädigten Pkw zu reparieren und errechnet nur einen (wirtschaftlichen) Schaden von 1.100 €. Damit: Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB liegen nicht vor, Aufhebung der Entziehungsentscheidung und ggf. Entschädigung nach dem StrEG.

Also: Auch der Strafrechtler sollte den zivilrechtlichen Teil der Fachzeitschriften nicht überblättern.

Entweder oder, oder: Vorverlegung der Tilgungsfrist möglich?

Entweder oder, hatte ich mir gedacht, als ich auf VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 10.o5.2011 – 10 S 137/11 gestoßen bin, in dem es um die Entziehung der Fahrerlaubnis ging.

Die Verwaltungsbehörde hatte dem Betroffenen gem. § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 StVG die Fahrerlaubnis entzogen. Der Betroffene hat dagegen u.a. geltend gemacht, sein Punktestand sei fiktiv aus Gründen der Verhältnismäßigkeit bzw. des Übermaßverbots auf unter 18 Punkte zu reduzieren, weil die Ahndung einer am 20.10.2005 begangenen Zuwiderhandlung infolge verzögerter amtsgerichtlicher Entscheidung erst mit der Beschwerdeentscheidung des OLG vom 25.03.2008 rechtskräftig wurde und dadurch eine frühere Tilgung von Punkten – mit der Folge einer Verhinderung nachfolgender Überschreitung von 18 Punkten – vereitelt worden wäre.

Der VGH hat das nicht geltend lassen. Eine fiktive Vorverlegung der Tilgungsfrist komme bei einer zwei Jahre nicht überschreitenden Dauer eines über zwei Instanzen führenden Bußgeldverfahrens noch nicht in Betracht. Er hat in dem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Ergreifung von Rechtsbehelfen gegen die Ahndung von punkteträchtigen Verkehrsordnungswidrigkeiten, ein dadurch verzögerter Rechtskrafteintritt und ein gemäß § 29 Abs. 4 Nr. 3 StVG entsprechend späterer Anlauf der jeweiligen Tilgungsfrist grds. in die Risikosphäre des betroffenen Fahrerlaubnisinhabers fällt. Die vom Betroffenen sinngemäß aufgeworfene Frage, ob ausnahmsweise anderes gelten könne, wenn die Hinausschiebung der Tilgungsreife aus nicht vom Betroffenen zu vertretenden Gründen, insbesondere wegen objektiv unangemessen langer Dauer eines Rechtsbehelfsverfahrens, das erwartbare normale Maß deutlich übersteige, bedürfe aus Anlass des vorliegenden Falles keiner abschließenden Beantwortung. Denn die geltend gemachte Verzögerung des amtsgerichtlichen Verfahrens sei bei wertender Betrachtung noch nicht als so gravierend anzusehen, dass sie als im Rechtssinne wesentliche Ursache einer Überschreitung von 18 Punkten gelten müsste und der Betroffene deshalb so zu stellen wäre, als ob die Tilgungsreife des Verkehrsverstoßes vom 20.05.2005 (und damit auch der früheren Verstöße aus den Jahren 2003 bis 2005) bereits vor den nachfolgenden Geschwindigkeitsüberschreitungen eingetreten wäre. Offen gelassen hat der VGH die Frage, wann ggf. eine fiktive Vorverlegung in Betracht kommen kann.

Also: Grundsätzlich: Entweder oder.

Vorläufige Fahrerlaubnisentziehung noch nach 7 Monaten?

Das LG Kleve hat in LG Kleve, Beschl.v. 21.04.2011 – 120 Qs 40/11 keine Bedenken, auch noch sieben Monate nach einer Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB) dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen. Der Umstand, dass der vorgeworfene Verkehrsverstoß bereits längere Zeit, hier über 7 Monate, zurückliegt, rechtfertige – so das LG – in der Regel kein Absehen von der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO.

Na, ob das so im Grundsatz in allen Fällen zutrifft, kann man m.E. mit Fug und Recht bezweifeln, auch wenn die h.M. in der Rechtsprechung das wohl so sieht. Aber letztlich wird man dem Beschluss des LG KLeve beitreten können. Der Beschuldigte war – wie es eine frühere Kollegin gg. formulieren würde – ein „viel beschossener Hase“; na ja, immerhin aber zwei Voreintragungen und davon eine verkehrsrechtliche.