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Entziehung der Fahrerlaubnis I: Entziehungsgründe, oder: Kranker älterer Kraftfahrer und Cannabis/ADHS

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Heute ist „Kessel Buntes-Tag“. Ich stelle an ihm mal wieder einige Entscheidungen zur verwaltungsrechtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis vor. Dazu habe ich lange nichts mehr gebracht.

Hier dann zunächst zwei Entscheidungen, und zwar nur mit den Leitsätzen, nämlich:

Zur Entziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines ärztlichen Gutachtens bei einem älteren Kraftfahrer nach Abkommen von der Fahrbahn aus ungeklärter Ursache und attestierten Herzkrankheiten (Herzinsuffizienz, Vorhofflimmern) und einer chronische Niereninsuffizienz.

    1. Einmaliger Cannabiskonsum ist fahrerlaubnisrechtlich ohne Bedeutung, selbst wenn im Konsumzeitpunkt Zusatztatsachen i.S.d. Nr. 9.2.2. der Anlage 4 zur FeV vorlagen.
    2. Bei Vorliegen einer einfachen Aufmerksamkeitsstörung ist die Aufforderung, ein ärztliches Gutachten zur Fahreignung vorzulegen, grundsätzlich nur zulässig, wenn Verstöße gegen Verkehrsvorschriften bekannt geworden oder fahreignungsrelevante Ausfallerscheinungen aufgetreten sind. Diese zusätzlichen Tatsachen sind im Rahmen der Ermessensausübung zu würdigen.

 

Verkehr II: Absehen von der Fahrerlaubnisentziehung, oder: Die Feststellungen müssen stimmen

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Die zweite Entscheidung kommt dann auch vom KG.

Das hat im KG, Urt. v. 10.12.2021 – 3 Ss 56/21 – zu einigen Fragen in Zusammenhang mit der Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung Stellung genommen. Insoweit müssen hier die Leitsätze reichen, und zwar:

  1. Im Zweifel ist eine von der Staatsanwaltschaft eingelegte (Sprung-)Revision (auch) zuungunsten eines Angeklagten eingelegt. Bei Erhebung der allgemeinen Sachrüge wird die uneingeschränkte Überprüfung des tatrichterlichen Urteils begehrt.
  2. Eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Frage des Maßregelausspruchs nach §§ 69 ff. StGB ist dann nicht möglich, wenn im Einzelfall eine untrennbare Wechselwirkung zum Strafausspruch besteht. In einer solchen untrennbaren Wechselwirkung stehen regelmäßig Fahrverbot und Fahrerlaubnisentziehung.

Außerdem hat das KG sich zum Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) geäußert. Vom LG war abgesehen worden. Das hat dem KG nicht gefallen:

„b) Auch das Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB ist durchgreifenden rechtlichen Bedenken ausgesetzt.

aa) Entgegen den Ausführungen des Amtsgerichts greift vorliegend die Regelvermutung für die Fahrerlaubnisentziehung nach § 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB.

Danach liegt ein Regelfall der Fahrerlaubnisentziehung wegen charakterlicher Ungeeignetheit vor, wenn der Täter eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort im Sinne von § 142 StGB weiß oder wissen kann, dass an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist.

Ob ein bedeutender Schaden vorliegt, bemisst sich allein nach wirtschaftlichen Kriterien und beurteilt sich nach der Höhe des Betrages, um den das Vermögen des Geschädigten als direkte Folge des Unfalls vermindert wird (vgl. OLG Hamm NZV 2011, 356 m.w.N.). Entscheidend ist der Geldbetrag, der erforderlich ist, den Geschädigten so zu stellen, als wäre das schädigende Ereignis nicht eingetreten (BGH NStZ 2011, 215). Die Frage, welche Schadenspositionen dabei außer den Reparaturkosten zu berücksichtigen sind, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt, kann aber dahinstehen, da allein die – rechtskräftig festgestellten – Reparaturkosten von 3.096,34 Euro (netto) schon einen bedeutenden Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB darstellen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 17. Dezember 2019 – 204 StRR 1940/19 -, BeckRS 2019, 38522). Auf weitere vom Tatgericht vermisste „genaue Feststellungen zur Schadenshöhe“, die es wegen des unentschuldigten Ausbleibens eines Zeugen nicht aufklären zu können glaubte, kommt es diesbezüglich nicht an.

bb) Die Annahme einer Ausnahme von diesem Regelprinzip durch das Amtsgericht ist rechtsfehlerhaft; die dazu getroffenen Feststellungen erweisen sich ebenfalls als lückenhaft.

Entgegen der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB kann von der Entziehung der Fahrerlaubnis nur dann abgesehen werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die den seiner allgemeinen Natur nach schweren und gefährlichen Verstoß in einem anderen Licht erscheinen lassen als den Regelfall oder die nach der Tat die Eignung günstig beeinflusst haben (vgl. BT-Drs. IV/651, 17).

Solche Umstände lassen sich den Urteilsausführungen nicht entnehmen. Diese beschränken sich darauf mitzuteilen, dass – selbst wenn entgegen der Einschätzung des Amtsgerichts die Regelvermutung des § 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB greifen sollte, „[u]nter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Fahrerlaubnis bereits seit dem 24. November 2020 vorläufig entzogen war, […] eine Entziehung der Fahrerlaubnis nicht mehr angemessen und erforderlich“ (UA S. 2) erscheine. Der bloße Zeitablauf rechtfertigt ein Absehen von der Maßregel indes nicht (vgl. Senat, Urteil vom 1. November 2010 a.a.O.). Da der Eignungsprüfung der Verwaltungsbehörde grundsätzlich nicht vorgegriffen werden soll (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. März 1999 – 1 Ws 191/99 -, juris), bedarf es in aller Regel der Feststellung von zusätzlichen Tatsachen, die über den bloßen Zeitablauf hinaus belegen, dass die Angeklagte zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist (vgl. Senat, Urteil vom 1. November 2010 a.a.O.). Diese zusätzlichen Tatsachen fehlen hier.

Dies gilt gleichermaßen, sollte das Amtsgericht eine Gesamtwürdigung im Rahmen von § 69 Abs. 1 StGB vorgenommen haben wollen.“

Fahrerlaubnisentziehung wegen harter Drogen, oder: „Aufnahme durch Natursekt“ unglaubhaft

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Die zweite Entscheidung kommt vom VG Schwerin. Das äußert sich im VG Schwerin, Beschl. v. 23.12.2021 – 6 B 1698/21 – noch einmal zur Entziehung der Fahrerlaubnis wegen des Konsums sog. harter Drogen.

Gestriiten wird um die Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis. Der Antragsteller war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen A, B, C, CE, T sowie einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung. Am 05.03.2021 um 10:40 Uhr kontrollierten Beamte des Hauptzollamtes Kiel den PKW des bereits mehrfach fahrerlaubnisrechtlich in Erscheinung getretenen Antragstellers. Dabei fanden sie eine Druckverschlusstüte mit 2,7 g weißem Pulver in der Mittelkonsole, wobei ein durchgeführter Drug-Wipetest positiv auf Kokain verlief. Die kontrollierenden Beamten hatten den Eindruck, dass der Antragsteller unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stünde und baten eine vorbeifahrende Streife um Unterstützung. Auf Nachfrage der Polizeibeamten äußerte der Antragsteller, dass ihm die Drogen nicht gehörten und er keine Drogen konsumiert habe. Jemand müsse ihm diese in sein Fahrzeug gelegt haben. Es gehöre seiner Freundin und außerdem ginge es nicht abzuschließen, da die Elektronik kaputt sei. Eine in diesem Zusammenhang um 11:34 Uhr am gleichen Tag entnommene Blutprobe wies ausweislich des forensisch-toxikologischen Befundberichts der Universitätsmedizin Schleswig-Holstein vom 6. Juli 2021 eine Konzentration von Benzoylecgonin (Kokain-Abbauprodukt)  ca. 1 ng/ml auf. Ergänzend heißt es im Bericht: ca.= unterhalb des kalibrierten Bereiches.

Mit Bescheid vom 16.09. entzog der Antragsgegner dem Antragsteller die Fahrerlaubnis, forderte ihn zur Herausgabe seines Führerscheins binnen sieben Tagen auf und ordnete die sofortige Vollziehung der Entziehung an. Hiergegen legte der Antragsteller Widerspruch ein. Er habe nicht aktiv Kokain konsumiert und könne sich nicht erklären, wie das Kokainabbauprodukt Benzoylecgonin in sein Blutserum gelangt sei. Geringe Spuren von Drogen könnten auch über dritte Träger wie Geldscheine etc. auf den Körper und alsdann durch entsprechende Bewegung auch in den Blutkreislauf der Person gelangen. Es könne nicht von einem unmittelbar vorher begangenen Konsum ausgegangen werden, da lediglich das Abbauprodukt Benzoylecgonin im Wert von 1 ng/ml nachgewiesen werden konnte. Die von der Polizei festgestellten Reaktionen deuteten nicht auf eine Kokaineinnahme hin, er – der Antragsteller – habe sich in Auswertung des Blutserums nicht in einer Kokainrauschphase befunden. Es liege zudem ein Abweichen vom Regelfall vor, vor einer etwaigen Entscheidung sei ein ärztliches Gutachten oder eine medizinisch-psychologische Untersuchung anzuordnen gewesen.

Der Antragsteller hat dann verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz beantragt und das wie folgt begründet: Er habe zu keinem Zeitpunkt aktiv Kokain konsumiert, räume aber ein des Öfteren auch im Zeitraum Februar/März 2021 über Internetportale („markt.de/poppen.de“ sowie „mydirtyhobby.de“) sich mit Prostituierten bzw. „Hobby-Prostituierten“ getroffen und dort die Sexualpraktik „Natursekt‘“ praktiziert zu haben. Er habe den Urin der Prostituierten getrunken. Ob diese selbst Kokain konsumiert hätten, entziehe sich seiner Kenntnis. Er habe, sofern es seine finanziellen Mittel ihm erlaubten, möglichst einmal in der Woche eine Prostituierte bezüglich der vorgenannten Sexualpraktik aufgesucht, ansonsten alle 14 Tage. Dabei sei er mit dieser unter die Dusche gegangen und habe sodann den kompletten von der Prostituierten ausgeschiedenen Urin direkt von der Vagina in den Mund gespritzt bekommen und getrunken. Um welche Menge es sich dabei immer im Einzelnen gehandelt habe, könne er nicht näher beschreiben. Der Urin sei vorher nicht in einen Messbecher umgefüllt worden. Er erinnere sich, dass er jeweils mehrere Schlucke getrunken habe.

Das VG hat den Antrag zurückgewiesen. Hier die Leitsätze der Entscheidung:

  1. Bereits die einmalige – bewusste – Einnahme von sogenannten „harten Drogen“ rechtfertigt die Annahme der Nichteignung, ohne dass es eines Zusammenhangs zwischen dem Drogenkonsum und der Teilnahme am Straßenverkehr bedarf.

  2. Nur das untersuchende Labor kann beantworten, ob es den festgestellten Wert für sicher hält, da die Grenzwerte sich durch den Fortschritt der Laboranalytik ständig verbessern und es insoweit keine niedrigste Bestimmungs- oder Nachweisgrenze gibt, die die Verwertbarkeit einschränken könnte.

  3. Macht ein Fahrerlaubnisinhaber, bei dem ein positiver Befund in Bezug auf ein Betäubungsmittel vorliegt, geltend, er habe die Droge unwissentlich zu sich genommen, muss er einen detaillierten, in sich schlüssigen und auch im Übrigen glaubhaften Sachverhalt, der einen solchen Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen lässt, vortragen.

Zur „Natursektbehauptung“ führt das VG aus:

„Die Tatsache, dass durch eine Prostituierte verstoffwechseltes und über deren Urin ausgeschiedenes Kokain nach nochmaliger Verstoffwechselung zu einem Nachweis von Kokain-Metaboliten in seinem Blut geführt hat, hat er – der Antragsteller – nicht glaubhaft gemacht. Zwar hat er den oralen Konsum von Urin als Grund für den Drogenbefund angegeben. Zu Zeit, Ort und Menge des Uringenusses hat er jedoch lediglich pauschale Angaben gemacht. Es hätte ihm jedenfalls anhand der nach seinen Schilderungen über die Internetportale „markt.de/poppen“ und „mydirtyhobby.de“ mit den jeweiligen Prostituierten geführten Konversationen möglich sein müssen, Zeit und Ort näher einzugrenzen und dem Gericht zumindest Name und Wohnort der jeweiligen Prostituierten bzw. deren E-Mail-Adresse zu benennen. Er hat darüber hinaus auch nicht dazu vorgetragen, ob und wann eine der Prostituierten, deren Urin er getrunken hat, Kokain überhaupt konsumiert hat. Vielmehr hat er selbst eingeräumt, dass es sich seiner Kenntnis entzieht, ob diese Prostituierten Kokain zu sich genommen haben. Damit hat er selbst offengelassen, ob der von ihm geschilderte Geschehensablauf überhaupt zutreffen kann.“

Punktegrenze voll => Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: Maßgeblicher Kenntnisstand der Behörde

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Heute im „Kessel Buntes“ mal wieder Verkehrsverwaltungsrecht.

Die erste Entscheidung kommt vom OVG Münster. Das hat im OVG MÜnster, Beschl. v. 28.10.2021 – 16 B 1115/21 – in Zusammenhang mit der Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Erreichen der Punktegrenze zum maßgebliche Kenntnisstand der Behörde im Fahreignungs- und Bewertungssystem Stellung genommen.

Dem Antragsteller wird mit der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 26.01.2021 die  Fahrerlaubnis entzogen. Grundlage sind/waren die Eintragungen im FAER. Dabei führte eine vom Antragsteller am 30.05.2019 vom Antragsteller begangene, mit seit 14.09.2019 rechtskräftigem Bußgeldbescheid geahndete Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 35 km/h, die (erst) am 20.11.2020 im FAER gespeichert und vom Kraftfahrt-Bundesamt dem Antragsgegner mit Schreiben vom 27.11.2020 mitgeteilt wurde, im Fahreignungs-Bewertungssystem ausweislich der in der Anlage zur Ordnungsverfügung tabellarisch aufgelisteten Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamts zu einem Punktestand des Antragstellers von acht Punkten. Gestritten wird um die „Verwertbarkeit“.

Dazu das OVG:

„Der Punkt für diese am 30. Mai 2019 begangene Zuwiderhandlung, die vor der mit der am 17. November 2020 ausgestellten Verwarnung eingetretenen Punktereduzierung (§ 4 Abs. 6 Satz 3 StVG) erfolgte, erhöhte gemäß § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG den Punktestand von sieben auf acht, weil der nach Landesrecht zuständige Antragsgegner hiervon erst mit Schreiben des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 27. November 2020 Kenntnis erlangte.

Nach § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 StVG werden bei der Berechnung des Punktestandes Zuwiderhandlungen unabhängig davon berücksichtigt, ob nach deren Begehung bereits Maßnahmen ergriffen worden sind. Diese Vorschrift ermöglicht die Berücksichtigung von im Fahreignungsregister eingetragenen Punkten für einen Verkehrsverstoß auch dann, wenn dieser vor dem Ergreifen einer Maßnahme begangen wurde, bei der Maßnahme aber noch nicht verwertet werden konnte, etwa weil deren Ahndung erst später Rechtskraft erlangt hat oder sie – wie vorliegend – erst später im Fahreignungsregister eingetragen oder der Behörde zur Kenntnis gelangt ist. Zudem stellt § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG ausdrücklich auf den Kenntnisstand der Fahrerlaubnisbehörde ab. Nach dieser Bestimmung erhöhen Punkte für Zuwiderhandlungen, die vor der Verringerung nach Satz 3 begangen worden sind und von denen die nach Landesrecht zuständige Behörde erst nach der Verringerung Kenntnis erhält, den sich nach Satz 3 ergebenden Punktestand.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 – 3 C 21.15 -, juris, Rn. 24; OVG NRW, Urteil vom 28. September 2017 – 16 A 980/16 -, juris, Rn. 38, 41 f.; BT-Drs. 18/2775, S. 10; Dauer, in: Hentschel/ König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 4 StVG Rn. 88a f.

Dass diese Kenntnisnahme (und die diese bewirkende Mittteilung des Kraftfahrt-Bundesamts) hier erst mehr als ein Jahr nach der am 14. September 2019 eingetretenen Rechtskraft des Bußgeldbescheids und damit nach Entstehen des Punktes für den zugrunde liegenden Verkehrsverstoß (§ 4 Abs. 2 Satz 3 StVG) erfolgte, führt zu keinem anderen Ergebnis. Insbesondere musste sich entgegen der Auffassung des Antragstellers die Fahrerlaubnisbehörde des Antragsgegners nicht die – zum Zeitpunkt des Erlasses der Verwarnung vom 17. November 2020 gegebene – Kenntnis anderer, der Punkteeintragung „vorgelagerter“ Stellen, hier also der Bußgeldbehörde, zurechnen lassen.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung muss die Fahrerlaubnisbehörde sich weder das Wissen, über das eine im Maßnahmensystem „vorgelagerte“ Stelle hinsichtlich weiterer Verkehrsverstöße des betroffenen Fahrerlaubnisinhabers verfügt, noch ein Verschulden dieser Stellen bei der Datenübermittlung zurechnen lassen. Eine Zurechnung von Wissen oder von Verschulden bei der Datenübermittlung liefe der Konzeption des Gesetzgebers zuwider, nach der gerade auf den Kenntnisstand der Fahrerlaubnisbehörde abgestellt werden soll. Abgesehen davon fehlt es an der erforderlichen Rechtsgrundlage für eine solche Zurechnung. Der Vollzug des Maßnahmensystems ist, wie § 4 Abs. 8 und § 28 Abs. 4 StVG sowie die Gesetzesbegründung zeigen, auf die Übermittlung der entsprechenden Daten und auf deren Kenntnisnahme beim Empfänger angelegt. Im Fahreignungs-Bewertungssystem entscheidet die Fahrerlaubnisbehörde auf der Grundlage der ihr gemäß § 4 Abs. 8 StVG vom Kraftfahrt-Bundesamt übermittelten Eintragungen im Fahreignungsregister. Dieser Kenntnisstand ist maßgebend für die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 StVG. Für die Frage, ob die Maßnahme der davor liegenden Stufe noch nicht ergriffen worden ist und sich, wenn zunächst diese Maßnahme zu ergreifen ist, der Punktestand verringert (§ 4 Abs. 6 Satz 2 und 3 StVG), kann nichts anderes gelten. Eine andere Betrachtung liefe dem Ziel der Gesetzesänderung zuwider, bei einer Anhäufung von Verkehrsverstößen die Entziehung der Fahrerlaubnis auch dann zu ermöglichen, wenn der Betroffene nach der Verwarnung die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht mehr durch eine Änderung seines Verkehrsverhaltens verhindern kann.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 – 3 C 21.15 -, juris, Rn. 25 f.

Dass das Bundesverwaltungsgericht in Rn. 26 dieses Urteils unter Bezugnahme auf den – auch vom Antragsteller zitierten – Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. April 2016 – 11 CS 16.537 – (in dem u. a. der Beschluss des Senats vom 7. Oktober 2015 – 16 B 554/15 – erwähnt ist) offen gelassen hat, ob etwas anderes gilt, wenn ein „Berufen“ der Fahrerlaubnisbehörde auf die Unkenntnis als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre, führt nicht zum Erfolg der Beschwerde.

Denn in dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt, dass keine Anhaltspunkte für einen Rechtsmissbrauch ersichtlich sind und dass nicht zu erkennen ist, dass die Verzögerung der Mitteilung nicht nur auf einem bloßen Versehen beruht.
Vgl. auch BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 – 3 C 21.15 -, juris, Rn. 26.

Allein der Zeitablauf von ca. 14 Monaten zwischen der am 14. September 2019 eingetretenen Rechtskraft des Bußgeldbescheids und der Kenntniserlangung der Fahrerlaubnisbehörde am 27. November 2020 begründet keinen Anhalt für einen (ggf. relevanten) Rechtsmissbrauch oder für den vom Antragsteller geltend gemachten Verstoß gegen das Willkürverbot.

Eine Übertragung der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG kommt insoweit nicht in Betracht. Unabhängig davon, dass der Gesetzgeber diese Frist des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts im speziellen, das Fahreignungsregister betreffenden (Verfahrens-)Recht des § 4 StVG nicht entsprechend verankert hat,
vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 25. November 2020 – 16 B 854/20 -, juris, Rn. 30,

handelt es sich bei der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG um eine Entscheidungsfrist, die erst mit der Kenntnis aller relevanten Tatsachen beginnt.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers genügt es für die Annahme von Rechtsmissbrauch bzw. des geltend gemachten Verstoßes gegen das Willkürverbot nicht, dass die Gründe für einen längeren Zeitablauf zwischen der rechtskräftigen Ahndung eines Verkehrsverstoßes und der diesbezüglichen Kenntniserlangung der Fahrerlaubnisbehörde nicht erkennbar sind. Dem Urteil des Bundesverwaltungs-gerichts vom 26. Januar 2017, das nach dem Beschluss des Senats vom 7. Oktober 2015 – 16 B 554/15 -, auf den der Antragsteller verweist, erging und dem der beschließende Senat folgt, lässt sich nicht entnehmen, dass für die Annahme eines

– im Rahmen des § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG etwaig relevanten – Rechtsmissbrauchs allein die Verzögerung an sich ausreichend ist, auch wenn deren Grund nicht abschließend geklärt ist.
vgl. die Bezugnahme in BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 – 3 C 21.15 -, juris, Rn. 26 a. E., auf Bay. VGH, Beschluss vom 28. April 2016 – 11 CS 16.537 -, juris, Rn. 13, wonach dies erfordert, dass die Verzögerung nicht nur auf einem Versehen beruht, sondern willkürlich, insbesondere mit dem Ziel, eine Punktereduzierung zu verhindern, hervorgerufen wurde.

Soweit der Senat in seinem Beschluss vom 27. April 2015 – 16 B 226/15 – noch ausgeführt hat, „Allerdings muss die Kenntnisnahme der Fahrerlaubnisbehörde von Punkten für Zuwiderhandlungen, auf die § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG n.F. abhebt, den oben bezeichneten Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Willkürfreiheit genügen“, und im folgenden Satz zur Konkretisierung u. a. allein auf den Zeitablauf zwischen der Entstehung eines Punktes und der Kenntniserlangung der Fahrerlaubnisbehörde abgestellt hat („Damit wäre es etwa nicht zu vereinbaren, wenn der zeitlich vor der Ermahnung oder Verwarnung liegende rechtskräftig geahndete Verstoß schon länger zurückliegt …“, juris, Rn. 13), worauf der Antragsteller in der Beschwerdebegründung ebenfalls hinweist, hält der Senat an dieser Auffassung nicht mehr fest.

……“

Verkehrsrecht III: Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: bedeutender Fremdschaden und Prozessverhalten

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Und die dritte Entscheidung kommt mit dem KG, Beschl. v. 03.08.2021 – – (3) 121 Ss 60/21 (32/21) – aus Berlin. Denn stelle ich wegen der Ausführungen des KG zur Entziehung der Fahrerlaubnis in den Fällen des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB – unerlaubtes Entfernen und bedeutender Fremdschaden – vor. Die Ausführungen des KG zu verschiedenen Verfahrensrügen mag jeder selbst lesen.

Das KG führt zum Fremdschaden u.a. aus:

„5. Auch die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Einziehung des Führerscheins mit Anordnung einer Sperrfrist halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand; die dazu getroffenen Feststellungen erweisen sich als lückenhaft.

Gemäß § 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB liegt ein Regelfall der Fahrerlaubnisentziehung wegen charakterlicher Ungeeignetheit vor, wenn der Täter eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort im Sinne von § 142 StGB weiß oder wissen kann, dass durch den Unfall an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist.

a) Ob ein bedeutender Schaden vorliegt, beurteilt sich nach der Höhe des Betrages, um den das Vermögen des Geschädigten als direkte Folge des Unfalls vermindert wird (vgl. OLG Hamm NZV 2011, 356 m.w.N.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Juli 2013 – III-3 Ws 225/13 -, juris; OLG Dresden, Beschluss vom 12.05.2005 – 2 Ss 278/05BeckRS 2005, 06462 – m.w.N.; OLG Naumburg NZV 1996, 204; OLG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20.12.1995 – 2 Ss 366/95 -, juris). Da bei der Bemessung dieser Schadensgrenze nur diejenigen Schadenspositionen berücksichtigungsfähig sind, die zivilrechtlich erstattungsfähig sind (vgl. OLG Hamm und OLG Düsseldorf a.a.O.; Weiland in juris-PK Straßenverkehrsrecht, § 69 Rdn. 53; Valerius in LK-StGB 13. Aufl., § 69 Rdn. 127 m.w.N.; von Heintschel-Heinegg/Huber in MüKo-StGB 4. Aufl., § 69 Rdn. 71 m.w.N.), muss das Tatgericht jedenfalls bei Unfallgeschehen, bei denen – wie hier – nicht bereits von vornherein ersichtlich ist, dass ein bedeutender Schaden entstanden ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 9. Juni 1998 – 1St RR 115/98 -, juris), nicht nur mitteilen, welche unfallbedingten Fremdschäden entstanden sind, sondern auch, wie diese wertmäßig zu beziffern sind. Dies kann regelmäßig etwa durch (gedrängte) Wiedergabe eines entsprechenden schriftlichen Kfz-Sachverständigengutachtens geschehen.

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht teilt lediglich mit, dass der Angeklagte mit seinem Pkw gegen die rechte Seite des vom Zeugen D. geführten Pkw fuhr, wodurch an beiden Fahrzeugen Lackschäden, hingegen keine Dellen in den jeweiligen Karosserieteilen entstanden. Bei einem derartigen Unfallgeschehen drängt sich ein bedeutender Fremdschaden, namentlich der vom Zeugen D. klageweise geltend gemachte Schadensbetrag nicht ohne weiteres auf, so dass es näherer Ausführungen zur Fremdschadenshöhe bedurft hätte, woran es im angefochtenen Urteil jedoch fehlt. Die bloße Wiedergabe des vom Zeugen D. klageweise geltend gemachten – angesichts der mitgeteilten Schäden an den Kfz ohnehin vergleichsweise hoch angesetzten – Schadensersatzbetrages genügt den Darlegungsanforderungen nicht. Denn der Senat vermag anhand dessen nicht zu überprüfen, welche Schadenspositionen der Zeuge überhaupt geltend macht, sowie ob und ggf. in welcher Höhe sie zivilrechtlich erstattungsfähig sind. Er kann deshalb auch nicht prüfen, ob ein bedeutender Fremdschaden nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB entstanden ist.

b) Hinzu tritt, dass das Landgericht in seine diesbezügliche Entscheidung trotz des angenommenen Regelfalls von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB die seit der Tat vom 4. Februar 2017 verstrichene Zeit (zum Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts bereits über vier Jahre) hätte einfließen lassen müssen (vgl. BVerfG ZfSch 2018, 47; BGH StV 1992, 30; OLG Oldenburg, Beschluss vom 17. Januar 2005 – Ss 428/04 (I 2) -, juris). Die von der Kammer herangezogene Begründung, die Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen eines Kraftfahrzeugs bestehe wegen seiner fehlenden Einsicht in das von ihm begangene Unrecht fort, ist nicht tragfähig. Allein der Umstand, dass ein Angeklagter von seiner Unschuld überzeugt ist und sich entsprechend in – jedenfalls insoweit – prozessordungskonformer Weise verteidigt, lässt noch nicht den Schluss auf eine charakterliche Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeugs zu (zur Strafzumessung bei zulässigem Verteidigungsverhalten vgl. Senat, Beschluss vom 27. Mai 1997 – (3) 1 Ss 88/97 (38/97) -; KG StV 2021, 48). Hierbei ist in den Blick zu nehmen, dass der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen seit Begehung der verfahrensgegenständlichen Verkehrsstraftat weder strafrechtlich noch sonst straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist und das festgestellte Unfallgeschehen keine Besonderheiten aufweist, das auf langfristige, noch zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung fortbestehende charakterliche Defizite des Angeklagten hindeutet, die verkehrsrechtlich von Relevanz sind. Wenngleich die verstrichene Zeit nicht zwingend einer Entziehung der Fahrerlaubnis entgegensteht (vgl. Senat, Beschluss vom 1. November 2010 – (3) 1 Ss 317/10 (108/10) -, juris; OLG Koblenz DAR 2008, 47), legen die dargelegten Umstände nach Einschätzung des Senats nahe, dass die charakterliche Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen eines Kraftfahrzeugs nicht mehr gegeben ist (vgl. dazu auch OLG Hamm DAR 2013, 160 und Beschluss vom 11. September 2014 – III-4 RVs 111/14 -, juris). Dass sich das Landgericht damit nicht auseinandergesetzt hat, macht die angefochtene Entscheidung lückenhaft.“