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30 Monate Nichtstun im Ermittlungsverfahren, oder: Für die unangemessene Verzögerung 3.000 EUR Cash

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Als zweite Entscheidung dann das OLG Bremen, Urt. v. 20.10.2021 – 1 EK 2/19 – zur Entschädigung für unangemessene Verfahrensdauer. Die Verfahren zu der Problematik nehmen zu. Die §§ 198, 199 GVG sind also in der Praxis angekommen.

Auch hier hat die Klägerin das beklagte Land auf Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer nach § 198 GVG in Anspruch genommen. Gegen die Klägerin und ihren Lebensgefährten wurde mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 23.02.2015, der Klägerin zugestellt am 25.03.2015, Anklage wegen Anbaus von Betäubungsmitteln und wegen Waffenbesitzes erhoben. Der Bevollmächtigte der Klägerin erhob sodann mehrfach, zuerst am 08.04.2016 und zuletzt am 09.04.2019 Verzögerungsrügen. Am 04.02.2019 übersandte das LG die Akten an die Staatsanwaltschaft zurück mit dem Hinweis, dass sich eine Mitwirkung der Klägerin an der vorgeworfenen Tat aus der Akte nicht ergebe. Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 20.05.2019, gebilligt vom Abteilungsleiter am 22.05.2019, wurde das Verfahren gegen die Klägerin nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, die Nachricht von der Einstellung wurde ihrem Verfahrensbevollmächtigten mit Schreiben vom 27.05.2019 übersandt.

Mit Klagschrift vom 21.11.2019, bei Gericht eingegangen am 22.11.2019, hat die Klägerin Klage auf Entschädigung nach § 198 GVG erhoben. Die Klägerin meint, mit der Dauer von vier Jahren habe das Verfahren unangemessen lange gedauert. Sie macht geltend, sich aufgrund der Verzögerungen psychisch erheblich beeinträchtigt gefühlt zu haben. Die Klägerin hat eine Entschädigung von 4.800,- EUR verlangt. Das beklagte Land meint, bei einer Gesamtdauer des Verfahrens von vier Jahren und drei Monate sei schon deswegen keine vierjährige Dauer einer unangemessenen Verzögerung anzunehmen, da zum einen die verbleibende Dauer von drei Monaten unrealistisch kurz sei und zum anderen nicht jede Überschreitung dieser Dauer bereits zu einer unangemessenen Verfahrensdauer führen könne. Zudem seien auch richterliche Gestaltungsspielräume in der weiteren Bearbeitung zu berücksichtigen ebenso wie Zeiten, in denen die Akte aus anderen Gründen nicht zur Verfügung gestanden habe. Der Zeitraum zwischen der ersten Verzögerungsrüge und der Bearbeitung der Akte ab Januar 2019 sei mit gut 30 Monaten noch nicht so lang, als dass von einer deutlichen Überschreitung der äußersten Grenzen des Angemessenen ausgegangen werden könne. Zudem hat sich die Beklagte darauf berufen, dass die Sechsmonatsfrist für die Klageerhebung nach § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG nicht eingehalten worden sei, da die Einstellung durch Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 20.5.2019 erfolgt sei und die Mitteilung an den Verteidiger der Klägerin lediglich deklaratorischen Charakter gehabt habe. Das OLG hat das beklagte Land zur Zahlung einer Entschädigung von 3.000 EUR verurteilt.

Hier die Leitsätze des OLG:

  1. Die Sechsmonatsfrist für die Klageerhebung nach § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG wegen unangemessener Verfahrensdauer beginnt im Fall der Erledigung eines Strafverfahrens durch Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO mit dem Zeitpunkt der Verfügung der Staatsanwaltschaft nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO und es kommt nicht auf das Datum der späteren Bekanntgabe an den Beschuldigten nach § 170 Abs. 2 Satz 2 StPO an. Wird eine Einstellungsverfügung dem zuständigen Abteilungsleiter der Staatsanwaltschaft zur Billigung vorgelegt, erlangt sie Wirkung erst mit dem Datum der Billigung.
  2. Im Regelfall kann bei Einstellung eines Strafverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO nach erfolgter Anklageerhebung ein Zeitraum von 1 Jahr und 9 Monaten vom Eingang der Anklage bei Gericht bis zur Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft aufgrund einer Anregung des Gerichts noch nicht als unangemessen angesehen werden.

M.E. zutreffend. Die Auffassung des beklagten Landes, dass die rund 30 Monate Untätigkeit noch hinnehmbar sei, ist nicht nach zu vollziehen. Es ist einem Beschuldigten eben nicht zuzumuten, dass Verfahrensakten 2 ½ Jahre auf der Fensterbank oder auf der Geschäftsstelle liegen, ohne dass irgendeine Verfahrensförderung erfolgt.Wenn man als Verteidiger Verfahren überhaupt beschleunigen kann, dann sicherlich mit einer Verzögerungsrüge, die nicht vergessen werden sollte. Führt auch sie nicht zu einem schnelleren Verfahrensabschluss ist damit aber zumindest der Grundstein für eine Entschädigung zugunsten des Mandanten gelegt.

Corona II: Schließung eines Imbiss wegen Corona, oder: Entschädigung?

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Bei der zweiten Corona-Entscheidung, dem OLG Köln, Beschl. v. 20.09.2021 – 7 U 1/21 – handelt es sich um eine zivilrechtliche Entscheidung. Zivilrecht bringe ich zwar sonst nur im samstäglichen „Kessel Buntes“, ich stelle diese Entscheidung jedoch an einem Montag vor, weil es sich um die Thematik: Corona (und seine Folgen) handelt.

Das OLG hat in dem Beschluss über einen von der Klägerin wegen der Schließung eines Gewerbebetriebes, und zwar eines Imbisses, auf Grundlage des § 9 CoronaSchVO NRW in der Fassung vom 22.03.2020 geltend gemachten Entschädigungsanspruch über rund 20.000 EUR entschieden. Das LG hatte die Klage abgewiesen. Die Berufung dagegen hatte beim OLG keinen Erfolg:

„Die Berufung der Kläger ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Zur Begründung wird auf den Beschluss vom 04.08.2021 Bezug genommen, in dem der Senat wie folgt ausgeführt hat:

„Die zulässige Berufung hat offensichtlich keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Die Entscheidung des Landgerichts Bonn beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrundezulegenden Tatsachen eine andere Entscheidung.

Der Kläger hat gegen das beklagte Land keinen Anspruch auf Entschädigung wegen der in § 9 Absatz 1 Satz 1 CoronaSchVO NRW in der Fassung vom 22.03.2020 angeordneten Betriebsuntersagung von Imbissen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen. Die Berufungsbegründung gibt lediglich Anlass zu den folgenden Erwägungen:

Das Landgericht hat einen Anspruch auf Entschädigung gemäß § 56 Abs. 1 IfSG mit zutreffenden Erwägungen, denen auch die Berufung zustimmt, verneint. Nach § 56 Abs. 1 IfSG erhält lediglich eine Entschädigung in Geld, „wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet“. § 56 Abs. 1 IfSG setzt eine gezielt personenbezogene Untersagung der Erwerbstätigkeit oder Absonderung gerade wegen der Ansteckungs- bzw. Krankheitsverdächtigkeit (usw.) voraus (vgl. nur Kümper, DÖV, 2020, 904 (908)), die im vorliegenden Fall unzweifelhaft nicht gegeben ist.

2. Eine Entschädigung in analoger Anwendung von § 56 Abs. 1 IfSG kommt – wie das Landgericht zutreffend entschieden hat – ebenfalls nicht in Betracht. Eine planwidrige Regelungslücke liegt nicht vor.

Ungeachtet der Frage, ob Eingriffe im Sinne von § 9 CoronaSchVO NRW in der Fassung vom 22.03.2020 aus grundrechtlicher Sicht entschädigungspflichtig sein müssten (ablehnend BGHZ 55, 366; ebenfalls ablehnend mit weiteren Nachweisen Kümper, DÖV, 2020, 904 (906), Fn. 18) sah sich der Gesetzgeber des IfSG nicht dahingehend verpflichtet. Er wollte mit der früher in § 48 BSeuchG enthaltenen Entschädigungsregelung ausweislich der Gesetzesbegründung lediglich eine Billigkeitsregelung treffen und nicht aus grundrechtlicher Gebundenheit die Betroffenen entschädigen, wie sich aus der folgenden Formulierung ergibt: „Die Vorschrift stellt eine Billigkeitsregelung dar. Sie bezweckt keinen vollen Schadensausgleich, sondern eine gewisse Sicherung der von einem Berufsverbot Betroffenen vor materieller Not.“ (BT-Drs. III/1888, S. 27). Dementsprechend gab es aus seiner Perspektive auch keinen Anlass, die an die Landesregierungen erteilte Verordnungsermächtigung in § 32 IfSG mit einer Entschädigungspflicht zu verknüpfen bzw. weitere Entschädigungsregelungen unmittelbar im IfSG vorzunehmen. Eine durch entsprechende Anwendung des § 56 IfSG zu schließende unbeabsichtigte Regelungslücke lag demnach nicht vor.

Gegen die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke spricht zudem, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung zu der früher in § 48 BSeuchG enthaltenen Regelung (BT-Drs. III/1888, S. 27) eine Ausdehnung des Kreises entschädigungsberechtigten Personen (z.B. für Krankheitsverdächtige, Tuberkulosekranke, Nichtversicherte) zwar erwogen, aber als „nicht sachgerecht“ erachtet hat.

Ebenso hatte der Gesetzgeber im Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes (BT-Drs. 6/1568) zwar den Kreis der Entschädigungsberechtigten in § 51 BSeuchG erweitert. Er hatte aber auch hier nur punktuelle Entschädigungen vorgesehen.

In diese Linie fügt sich, dass der Gesetzgeber selbst bei Hinzufügung der weiteren Entschädigungsregelung in § 56 Abs. 1 a IfSG im November 2020 die nur punktuellen Entschädigungsregelungen aufrechterhalten hat. Vor diesem Hintergrund kann von einer dem gesetzgeberischen Plan nicht entsprechenden Unvollständigkeit der Entschädigungsregelungen keine Rede sein (siehe auch Landgericht Stuttgart, Urteil vom 05.11.2020 – 7 O 109/20, Rn. 34 ff., juris; Landgericht Hannover, Urteil vom 20.11.2020 – 8 O 4/20, Rn. 49 ff.; juris).

Nicht zuletzt spricht gegen eine planwidrige Regelungslücke der Umstand, dass der Gesetzgeber zwischenzeitlich aus Anlass der Corona-Pandemie mit § 28a IfSG eine spezialisierte Eingriffsermächtigung geschaffen hat, die ebenfalls zahlreiche Beschränkungen für Nichtstörer näher regelt, ohne für diesen Personenkreis zugleich Entschädigungsansprüche zu normieren. Dies verdeutlicht, dass das staatliche Regelungskonzept dahin geht, etwaige Belastungen durch die Inanspruchnahme von Nichtstörern durch generalisierte staatliche Unterstützungsmaßnahmen – und nicht durch individuelle Entschädigungsansprüche – sozial abzufedern. Für die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke ist angesichts dieses bewussten Festhaltens des Gesetzgebers an dem Konzept, in den §§ 56, 65 IfSG lediglich punktuelle Entschädigungsansprüche zu normieren, kein Raum.

3. Auch einen Anspruch des Klägers nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht, § 67 PolG NRW, § 39 Abs. 1 a) und b) OBG NRW, hat das Landgericht zutreffend verneint. Der Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften des Polizei- und Ordnungsrechts ist wegen der Spezialität des besonderen Gefahrenabwehrrechts im IfSG ausgeschlossen. Ihrer Konzeption nach zielen diese Vorschriften auf die Entschädigung wegen Maßnahmen ab, die auf der Grundlage des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts des Landes Nordrhein-Westfalen getroffen wurden. Sie enthalten keine vorweggenommene Regelung für noch gar nicht absehbar gewesene Maßnahmen aufgrund bundesrechtlich eingeräumter Verordnungskompetenz, insbesondere dann nicht, wenn das Bundesrecht selbst die Frage der Entschädigung abschließend regelt. Sähe man dies anders, könnte die Frage der Entschädigung eines Betroffenen bei inhaltsgleicher Maßnahmen auf derselben gesetzlichen Grundlage in Abhängigkeit vom Bundesland, dessen Gesundheitsministerium handelt, unterschiedlich zu beurteilen sein (vgl. so im Ansatz auch LG Hannover, NJW-RR 2020, 1226, Rn. 53 ff.). Es liegt fern, dass der Bundesgesetzgeber mit seiner Regelung in §§ 56, 65 IfSG eine solche Folge beabsichtigt hat.

4. Mit zutreffenden Erwägungen, die auch die Berufung nicht in Frage stellt, hat das Landgericht zudem einen Anspruch auf Entschädigung aus dem Rechtsinstitut des enteignenden Eingriffs verneint.

5. Ansprüche auf Entschädigung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 Abs. 1 GG oder aus der Rechtsfigur des enteignungsgleichen Eingriffs bestehen ebenfalls nicht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen. Hinzu kommt, dass der Kläger nicht gegen die Verordnung vorgegangen ist. Dies hätte ihm oblegen, wollte er sich darauf berufen, die CoronaSchVO NRW in der Fassung vom 22.03.2020 sei rechtswidrig gewesen (§ 839 Abs. 3 BGB). Einen Schaden zu liquidieren ohne den schadensverursachenden Eingriff abzuwehren, kommt nicht in Betracht (Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Auflage 2013, S. 93 f.). Der Kläger hätte gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 109a JustG NRW im Eilrechtsschutz gegen die Verordnung vorgehen können.

6. Mit den nicht angegriffenen Ausführungen des Landgerichts zum allgemeinen Aufopferungsanspruch besteht auch insofern kein Anspruch des Klägers auf Entschädigung.“

Die hierzu erfolgte Stellungnahme des Klägers vom 06.08.2021 rechtfertigt nach der einstimmigen Auffassung des Senats keine andere Entscheidung, sondern gibt lediglich zu folgenden ergänzenden Ausführungen Anlass:

Die vom Kläger angestellten Billigkeitserwägungen ändern nichts daran, dass eine analoge Anwendung des § 56 Abs. 1 IfSG mangels planwidriger Regelungslücke ausscheidet. Die im Zuge der Corona-Pandemie gezahlten Unterstützungsleistungen für Gewerbetreibende sind nicht auf eine gesetzliche Verpflichtung, sondern auf eine Entscheidung der Exekutive zurückzuführen. Dementsprechend können daraus keine Rückschlüsse auf den gesetzgeberischen Willen in Bezug auf die Entschädigungsregelungen im IfSG getroffen werden. Vielmehr hat der Gesetzgeber nach Beginn der Corona-Pandemie durch das Einfügen von § 28a IfSG, ohne dabei die Entschädigungsregelungen im IfSG zu ergänzen, zum Ausdruck gebracht, an der nur punktuellen Billigkeitsentschädigung (BT-Drs. III 1888, S. 27) festzuhalten.“

Verzögerte Festsetzung der Pflichtverteidigergebühren, oder: Warten auf Aktenrückkehr „rechtswidrige Praxis“

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Am Gebührenfreitag starte ich mit einer Entscheidung des OLG Hamm. Das hat in einem Verfahren, in dem eine Entschädigung nach §§ 198 f- GVG geltend gemacht worden ist, sehr deutlich zu einer verzögerten Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung Stellung genommen. Ich kann nur sagen: Endlich gibt es mit dem OLG Hamm, Urt. v. 08.09.2021 – 11 EK 11/20 – eine Entscheidung, die die vielfach anzutreffende Praxis von Kostenbeamten, einen Festsetzungsantrag zunächst mal damit zu bescheiden, dass über den Antrag erst nach Rückkehr der Akten aus der Rechtsmittelinstanz entschieden werden kann, als das bezeichnet, was sie ist: Nämlich eine „rechtswidrige Praxis“.

Der Entscheidung liegt etwa folgender Sachverhalt zugrunde:

Die klagende Rechtsanwältin, verlangt wegen einer überlangen Verfahrensdauer für die Festsetzung von erstinstanzlich angefallenen Pflichtverteidigergebühren die Zahlung einer Geldentschädigung. Das AG hatte am 18.6.2018 das Hauptverfahren gegen den Angeklagten eröffnet und die Klägerin zur Pflichtverteidigerin bestellt. Der Angeklagte wurde am 30.04.2019 verurteilt. Am gleichen Tage beantragte die Klägerin die Festsetzung ihrer Pflichtverteidigergebühren. Am 07.05.2019 legte sie für den Angeklagten Rechtsmittel ein. Nachdem zunächst am 04.06.2019 der zuständige Richter die Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft verfügt hatte, lag die Akte am 05.06.2019 der für die Festsetzung zuständigen Rechtspflegerin vor. Mit Verfügung von diesem Tage bat sie die Klägerin um Überprüfung ihrer Kostenrechnung und um Einreichung einer berichtigten Rechnung. Soweit in der Rechnung Kopierkosten geltend gemacht waren, bat sie um Einreichung der gefertigten Kopien. Ferner bat sie um Erläuterung von Abwesenheitszeiten und der für Fahrten angesetzten Kilometerzahl. Abschließend erteilte sie den Hinweis: „Ich weise Sie allerdings bereits jetzt darauf hin, dass die Bearbeitung des Antrags erst nach Aktenrückkehr aus der Berufungsinstanz erfolgen kann.“

Mit Schriftsatz vom 05.07.2019 erklärte die Klägerin, dass das eingelegte Rechtsmittel als Berufung geführt werden soll. Daraufhin übersandte die Staatsanwaltschaft am 11.07.2019 die Strafakten an das LG. Mit Verfügung vom 26.08.2019 regte die Berufungsrichterin nach bereits erfolgter Zustimmung der Staatsanwaltschaft gegenüber der Klägerin die Einstellung des Verfahrens gegen den Angeklagten an.

Mit Schriftsatz vom 20.09.2019 erläuterte die Klägerin gegenüber dem AG ihre Kostenrechnung und kündigte angesichts der voraussehbaren Bearbeitungszeit die Erhebung einer Verzögerungsrüge an. Am 23.09.2019 teilte die Rechtspflegerin der Klägerin mit, dass die Bearbeitung des Vergütungsantrages erst nach Aktenrückkehr erfolgen könne. Mit Schriftsatz vom 21.10.2019 erklärte die Klägerin für den Angeklagten das Einverständnis mit dem Vorgehen gemäß § 153 a StPO. Das LG beschloss daraufhin die vorläufige Einstellung des Verfahrens und legte gegenüber dem Angeklagten die Auflagen fest. Mit Schriftsatz vom 19.11.2019 erhob die Klägerin gegenüber dem AG bezüglich der Gebührenfestsetzung Verzögerungsrüge. Mit Verfügung vom 29.11.2019, ausgeführt am 13.01.2020, teilte die Rechtspflegerin ihr daraufhin mit, sie müsse noch die von ihr berechneten Kopien im Original vorlegen, zudem bleibe es dabei, dass die weitere Bearbeitung des Kostenantrags erst nach Rückkehr der Akten erfolgen könne. Am 29.04.2020 stellte das LG das Strafverfahren nach Erfüllung der Auflagen durch den Angeklagten ein. Unter dem 20.05.2020 erhob die Klägerin beim AG erneut Verzögerungsrüge. Am 03.06.2020 wurden der Klägerin die Verteidigergebühren für ihre Tätigkeit in II. Instanz aufgrund ihres Antrages vom 11.05.2020 angewiesen. Mit Schreiben vom 8.6.2020 mahnte die Klägerin die Bescheidung ihres Kostenantrages für die I. Instanz an. Am 17.06.2020 setzte das AG die Vergütung der Klägerin entsprechend ihrem Antrag vom 30.04.2019 auf 1.135,14 EUR fest.

Die Klägerin hat die Zahlung einer angemessene Entschädigung, deren Höhe sie in das Ermessen des Gerichts gestellt hat, jedoch mindestens 850,– EUR betragen soll, verlangt. Das beklagte Land beantragte, die Klage abzuweisen. Das OLG hat 200 EUR zugesprochen.

Ich kann nur empfehlen, die Urteilsgründe zu lesen. Die stelle ich hier wegen ihres Umfangs nicht ein, sondern beschränke mich auf den Leitsatz der Entscheidung, der lautet:

Ein beim Amtsgericht zu führende Verfahren zur Festsetzung erstinstanzlicher Pflichtverteidigerkosten kann eine im Sinne von § 198 GVG unangemessen lange Verfahrensdauer haben, wenn es vom zuständigen Rechtspfleger grundsätzlich so betrieben wird, dass die Vergütungsfestsetzung bis zur Rücksendung der Akten aus der Rechtsmittelinstanz nicht abschließend bearbeitet wird, und während der Dauer der Aktenversendung auch eine Anfrage beim Rechtsmittelgericht unterbleibt, um die Akten für den kurzen Bearbeitungszeitraum einer Vergütungsfestsetzung zurück zu erlangen.

Anzumerken ist: Die Entscheidung gilt natürlich nicht nur für Festsetzungsverfahren beim AG, sondern auch für solche bei einem LG. Die Entscheidung ist „gute Munition“ für den Pflichtverteidiger, die Festsetzungsverfahren dann vielleicht endlich beschleunigen zu können. Denn das OLG hat der immer wieder anzutreffenden Praxis von Kostenbeamten, bis zur Rückkehr der Akten aus der Rechtsmittelinstanz die Hände in den Schoß zu legen, einen Riegel vorgeschoben und verlangt – m.E. zu Recht – ein Tätigwerden in Form des Zurückforderns der Akte, um das Festsetzungsverfahren weiter zu betreiben. In der Pflicht sind an der Stelle dann aber auch die Rechtsmittelgerichte und ggf. die Staatsanwaltschaften, die sich um die möglichst schnelle Rücksendung der Akten kümmern müssen, wenn sie bei ihnen nicht mehr benötigt werden. Und das ist nach einer Terminierung der Fall. Dann gehören die Akten nicht in einen Aktenschrank, wo sie bis zum Termin vor sich hinschlummern, sondern müssen zurückgeschickt werden. Ebenso ist ggf. nach Zustellung des Urteils zu verfahren, wenn der Eingang der Revisionsbegründung abgewartet wird. Eine davon abweichende Praxis sieht das OLG ausdrücklich als „rechtswidrige Praxis“ an.

Und man darf nicht übersehen: Das OLG verlangt nicht nur die einmalige Aufforderung zur Rücksendung der Akten, sondern auch die Erinnerung bzw. die Wiederholung der Rücksendungsaufforderung. Damit korrespondiert m.E. die Verpflichtung des Rechtsmittelgerichts dem Ausgangsgericht mitzuteilen, warum nicht und wann mit der Rücksendung der Akten gerechnet werden kann.

Man kann m.E. im Übrigen trefflich darum streiten, ob nicht sogar die Anlegung eines Aktendoppels verlangt werden muss, was das OLG wegen des „damit verbundenen Zeit- und Materialaufwandes“ verneint. Dem mag man in einem Verfahren, wie es hier offenbar vorgelegen hat, noch folgen. M.E. kann man das aber nicht in umfangreichen Verfahren mit mehreren Verteidigern. Dann wird man, wenn nicht so oder so schon ein Kostenband existiert, dessen Anlegung fordern müssen, damit die eingehenden Festsetzungsanträge zeitnah beschieden werden können.

So groß die Freude über die Entscheidung ggf. sein wird – zumindest teilweise 🙂 : Verteidiger sind natürlich auch selbst in der Pflicht. Nicht nur, dass der Festsetzungsantrag so gestellt werden sollte, dass verzögernde Rückfragen des Kostenbeamten nicht erforderlich sind, sondern es muss dann auch alles getan werden, um ggf. einen Entschädigungsbetrag geltend machen zu können. Also Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG unter Beachtung der Frist des § 198 Abs. 3 Satz 3 und der Klagefristen des § 198 Abs. 5 GVG (wegen der Einzelheiten <<Werbemodus an>> Burhoff in: Burhoff in. Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl., 2022, Rn 3323 m.w.N.) <<Werbemodus aus>>.

Haft II: Unrechtmäßige Strafhaft, oder: Wie hoch ist die Entschädigung/das Schmerzensgeld/Tag?

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Die zweite Entscheidung des Tages behandelt die Frage der Entschädigung für unrechtmäßig erlittene Haft.

Ergangen ist der OLG Hamm, Beschl. v. 16.12.2020 – 11 W 67/20 – in einem PKH-Verfahren.

Der Antragsteller ist syrischer Staatsangehöriger. Er begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage auf Zahlung eines Schmerzensgeldes nach § 839 BGB, Art.34 GG für eine zu Unrecht erlittene Strafvollstreckungshaft in dem Zeitraum vom 13.11.2018 bis zum 27.11.2018.

Der Antragsteller wurde durch Urteil der 1. großen Strafkammer des LG Hagen vom 21.03.2018 wegen versuchter schwerer Körperverletzung und Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt. Eine Strafaussetzung zur Bewährung erfolgte nicht. Das Urteil wurde am Tag der Verkündung rechtskräftig. Vor Erlass des Strafurteils war der Antragsteller per Unterbringungsbefehl in der Zeit vom 12.10.2017 bis zum 21.03.2018 in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses untergebracht. Der Unterbringungsbefehl wurde am letzten Tag der Hauptverhandlung aufgehoben.

Am 25.10.2018 erließ die Staatsanwaltschaft Hagen einen Strafvollstreckungshaftbefehl aufgrund des Urteils vom 21.03.2018. Dabei blieb unberücksichtigt, dass die Zeit der Unterbringung auf die Strafhaft anzurechnen war, daher erging der Haftbefehl zu Unrecht. Am 13.11.2018 wurde der Antragsteller auf Grund des Haftbefehls festgenommen und in die JVA Hagen zur Verbüßung der Strafhaft überstellt. Am 27.11.2018 fiel die unrechtmäßige Inhaftierung des Antragstellers auf, er wurde am gleichen Tag entlassen.

Der Antragsteller macht wegen der rechtswidrigen Inhaftierung einen Schmerzensgeldanspruch gegen das Land NRW geltend. Vorgerichtlich zahlte das Land ein Schmerzensgeld von 600,00 € (= 40,00 €/Tag) und erstattete dem Antragsteller Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 €.

Der Antragsteller beantragt jetzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine u.a. auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes nebst Zinsen gerichtete Klage.

Das LG hat hat den Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiese. Das OLG hat teilweise bewilligt,

„Die gem. §§ 127 Abs.2, 567 ff ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die beabsichtigte Klage des Antragstellers hat Aussicht auf Erfolg, soweit er wegen der unrechtmäßig erlittenen Strafhaft über das vorgerichtlich gezahlte Schmerzensgeld von 600,00 € weitere 900,00 € nebst Rechtshängigkeitszinsen sowie weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 54,15 € verlangt.

1. Dass dem Antragsteller wegen der unrechtmäßig erlittenen Strafhaft in dem Zeitraum vom 13.11.2018 bis zum 27.11.2018 gegen das antragsgegnerische Land dem Grunde nach ein Anspruch auf Schmerzensgeld gem. §§ 839, 253 Abs.2 BGB, Art.34 GG zusteht, steht zwischen den Parteien des Beschwerdeverfahrens außer Streit. Streitig ist allein die Höhe des dem Antragstellers zuzuerkennenden angemessenen Schmerzensgeldes.

Der Senat bemisst das angemessene Schmerzensgeld nach den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Umständen für die 15 Tage unrechtmäßig erlittener Haft auf einen Betrag von insgesamt 1.500,00 €. Dieser Betrag erscheint erforderlich aber auch ausreichend, um das erlittene Unrecht auszugleichen und dem Antragsteller Genugtuung zu verschaffen.

Für die Höhe des Schmerzensgeldes sind die Dauer der erlittenen Haft, die Beeinträchtigung der Lebensqualität des Antragstellers während der Haft sowie das Maß der Pflichtwidrigkeit und des Verschuldens ausschlaggebend.

Im Ausgangspunkt sind die Ausführungen des Landgerichts in dem angefochtenen Beschluss zur Bemessung des Schmerzensgeldes nicht zu beanstanden. Sowohl das Landgericht als auch das antragsgegnerische Land folgen der ständigen Rechtsprechung des Senats, der zur Bemessung des Schmerzensgeldes wegen einer unrechtmäßig erlittenen Haft – wie eine Reihe weiterer Oberlandesgerichte – regelmäßig auf die Vorschrift des § 7 Abs.3 StrEG abstellt (vgl. OLG Schleswig, Beschl. v. 26.11.2001, Az.: 11 W 23/01, Tz.10; OLG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 27.12.2011, 10 W 14/11, Tz. 29; OLG München, Urt. v. 22.03.2013, Az.: 1 U 1488/13, Tz.62, alle zitiert nach juris; Senat, Urt. v. 15.08.2018, Az.: 11 U 138/17). Des Weiteren nimmt der Senat – wie auch das Landgericht – die Rechtsprechung des EGMR in den Blick, wonach durchgängig rund 500,00 € pro Monat für Fälle konventionswidriger Sicherungsverwahrung in Deutschland als angemessen gesehen werden (vgl. Urt. v. 19.04.2012, 61272/09; Urt. v. 19.01.2012, 21906/09; Urt. v. 24.11.2011, 48038/06; Urteile v. 13.01.2011, 17792/07; 20008/07; 27360/04; 42225/07; Urt. v. 17.12.2009, 19359/04). Die von anderen Oberlandesgerichten angenommenen Schmerzensgeldbeträge für eine rechtswidrig erlittene Haft haben sich bisher in einem Bereich zwischen 20,00 € u. 40,00 €/Tag bewegt. Der Senat hat bisher regelmäßig bei der Bemessung des Schmerzensgeldes für eine rechtswidrige Freiheitsentziehung einen Betrag von 40,00 €/Tag zu Grunde gelegt, da er es für erforderlich hält, die sich nach dem StrEG und der Rechtsprechung des EGMR ergebenden Beträge angemessen zu erhöhen, um den Umständen Rechnung zu tragen, dass die Haft, anders als die nach dem StrEG zu entschädigenden Fälle, unrechtmäßig angeordnet worden ist, und, anders als die wegen eines Verstoßes gegen Art.5 Abs.1 EMRK zugesprochenen Entschädigungen, auf einer schuldhaften Amtspflichtverletzung beruht.

Der Senat berücksichtigt bei der Bemessung des in Betracht kommenden angemessenen Schmerzensgeldes außerdem die zum 08.10.2020 in Kraft getretene Änderung des § 7 Abs.3 StrEG, wonach die Entschädigung für jeden angefangenen Tag einer (rechtmäßig) angeordneten Freiheitsentziehung nunmehr 75,00 € beträgt. Da die geänderte Vorschrift des § 7 Abs.3 StrEG nach dem Willen des Gesetzgebers ab dem Tag ihres Inkrafttretens maßgeblich ist (BT Drs 19/17035, S.7), orientiert sich der Senat bei der hier vorzunehmenden Bemessung des Schmerzensgeldbetrages an der nunmehr gültigen Fassung des StrEG. Entsprechend seiner bisherigen Rechtsprechung geht der Senat davon aus, dass der Betrag nach dem StrEG bei rechtswidriger und schuldhafter Anordnung der Haft angemessen zu erhöhen ist. Nach Abwägung der im vorliegenden Fall vorgetragenen Umstände des Einzelfalls bemisst der Senat das Schmerzensgeld für die in dem Zeitraum vom 13.11.2018 bis zum 27.11.2018 erlittene Haft mit einem Betrag von insgesamt 1.500,00 €, worauf das antragsgegnerische Land vorgerichtlich bereits 600,00 € gezahlt hat.

Konkrete Umstände, die abweichend von der Praxis des Senats die Zahlung eines deutlich von den Eckbeträgen des StrEG und der EMRK abweichenden Schmerzensgeldes erforderlich machen, hat der Antragsteller im vorliegenden Verfahren nicht dargetan. Von daher besteht keine Veranlassung dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zur Geltendmachung eines höheren Schmerzensgeldes zu bewilligen, allein damit über sein Begehren im Hauptsacheverfahren entschieden werden kann. Da die der Bemessung des Schmerzensgeldes zu Grunde liegenden Umstände unstreitig sind, bedarf es keiner weiteren Klärung durch ein Hauptsacheverfahren. Die Bestimmung der angemessenen Höhe des Schmerzensgeldes betrifft außerdem lediglich den vorliegenden Einzelfall, so dass im Hauptsacheverfahren keine grundsätzlichen Fragen zu klären sind. Auch die von dem Antragsteller angeführten Entscheidungen der Oberlandesgerichte Koblenz, München und Karlsruhe rechtfertigen keinen anderen Ansatzpunkt für die Schmerzensgeldbemessung. Das Oberlandesgericht Koblenz hat mit dem Beschluss vom 07.03.2018, 1 U 1025/17, die gegen das erstinstanzliche Urteil gerichtete Berufung des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen, dass das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld von 400,00 € zum Ausgleich für eine unrechtmäßige Ingewahrsamnahme von 13 Stunden angemessen und ausreichend sei. Keineswegs ergibt sich aus der Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz, dass eine unrechtmäßige Freiheitsentziehung mindestens ein Schmerzensgeld von 400,00 €/Tag erforderlich erscheinen lässt. Soweit der Antragsteller zutreffend darauf hinweist, dass das Oberlandesgericht München wegen zu Unrecht verhängter Beugehaft mit Urteil vom 27.05.1993, Az.: 1 U 6228/92, ohne Rücksicht auf die Entschädigungsbeträge nach dem StrEG ein Schmerzensgeld von 1.500,00 DM wegen 4 Tage unrechtmäßig angeordneter Haft für angemessen gehalten hat, ist die Entscheidung durch die nachfolgende Rechtsprechung des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München überholt (vgl. Urt. v. 22.03.2013, Az.: 1 U 1488/13, veröffentlicht bei juris). Dem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 12.11.2015, Az.: 9 U 78/11, lag schließlich ein anderer Sachverhalt zugrunde. In dem dortigen Verfahren ist dem Kläger für eine zweimonatige rechtswidrige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ein Schmerzensgeld von 25.000,00 € zugesprochen worden, wobei bei der Bemessung des Schmerzensgeldes maßgeblich zu berücksichtigen war, dass die Unterbringung mit einer Zwangsmedikation einhergegangen ist (OLG Karlsruhe, a.a.O., Tz.56 – juris).“

Ermittlungsverfahren von 3 Jahren 8 Monaten zu lang, oder: Rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung

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Heute wird es im „Kessel Buntes“ ganz bunt.

Zunächst berichte ich nämlich über ein Urteil des OLG Schleswig. Es behandelt die mit der Entschädigung nach einem überlange Verfahren (§§ 198, 199 GVG) zusammenhängenden Fragen. Auf das OLG Schleswig, Urt. v. 26.06.2020 – 17 EK 2/19 – bin ich vor einiger Zeit von der Klägerin, der Landesbeauftragten für Datenschutz Schleswig-Holstein, Marit Hansen, hingewiesen worden. Gegen die wurde 2015 bis 2019 ein Ermittlungsverfahren geführt, nachdem ein gekündigter Mitarbeiter Strafanzeige erhoben hatte. Mit dem Verfahrensgang war die Landesbeauftragte nicht zufrieden und sie hat nach Einstellung des Verfahrens Entschädigungsklage eingereicht.

Da das Urteil mit rund 15 Seiten recht lang ist, eignet es sich nicht so gut dafür, hier Teile einzustellen. Ich muss also beschränken und wegen der Einzelheiten auf den Volltext verweisen. Hier will ich mich im Wesentlichen mit der PM des OLG Schleswig v. 26.06.2020 begnügen, die auch das Verfahren gegen den Mitarbeiter der ULD betrifft. In der heißt es:

„Dauer des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Kiel gegen die Leiterin des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz

Die Dauer des gegen die Leiterin des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz (ULD) Marit Hansen und einen Mitarbeiter des ULD geführten Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Kiel ist unangemessen lang gewesen. Dies hat der 17. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts heute entschieden.

Zum Sachverhalt: Die Leiterin und ein Mitarbeiter des ULD begehren gegenüber dem Land Schleswig-Holstein die Feststellung einer unangemessen langen Verfahrensdauer und eine geldwerte Entschädigung. Hintergrund der Klagen auf Wiedergutmachung ist ein gegen beide gerichtetes Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Kiel, das den Verdacht des Betruges bei der Abrechnung von Förderprojekten zum Gegenstand hatte. Das Ermittlungsverfahren wurde nach drei Jahren und acht Monaten im Juni 2019 eingestellt. Zu einer Rückforderung von Fördergeldern kam es nicht. Der 17. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts hat festgestellt, dass dieses gegen beide Kläger geführte staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren unangemessen lange gedauert hat.

Aus den Gründen: Das Ermittlungsverfahren ist sowohl zeitlich als auch nach seiner inhaltlichen Ausgestaltung in mehrfacher Hinsicht unangemessen lang. Dies verletzt die Kläger in ihrem Anspruch auf eine effektive und der Unschuldsvermutung gerecht werdende Verfahrensgestaltung. Schon die Dauer des Verfahrens von drei Jahren und acht Monaten ist nach Art und Umfang der Vorwürfe eine deutliche Überschreitung dessen, was zeitlich noch eine als rechtsstaatlich anzusehende Verfahrensdauer darstellt. Zudem fehlte es an einer frühzeitigen und zielgerichteten Planung des Verfahrens, die sich am Nachweis strafbaren Verhaltens orientierte. Dadurch ist es zu absehbaren Verzögerungen gekommen, obwohl das Verfahren aufgrund der frühzeitig erfolgten Durchsuchung zu beschleunigen war. Gerade eine „prioritäre“ Behandlung hatte die Behördenleitung nach der ersten Verzögerungsrüge auch
zugesagt. Auch haben organisatorische Mängel in Form wiederholter Wechsel der zuständigen Staatsanwälte jedenfalls ab dem Jahr 2018 zu weiteren vermeidbaren zeitlichen Verzögerungen geführt. Es ist davon auszugehen, dass das Ermittlungsverfahren bei planvoller und effektiver Ausgestaltung und mit dem erforderlichen Personaleinsatz bis Ende 2017 hätte abgeschlossen werden können. Mit der gerichtlichen Feststellung der überlangen Verfahrensdauer und dem Verfahren vor dem Senat hat die Leiterin des ULD hinreichende Genugtuung erfahren. Sie konnte dort sowie im Vor- und Nachgang ihr Anliegen angemessen und medial beachtet darstellen. Anders liegt es im Fall des Mitarbeiters des ULD, dem aufgrund erlittener und noch andauernder beruflicher Nachteile zusätzlich eine Entschädigung von 1.800,00 € zu gewähren war.

(Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteile vom 26. Juni 2020, Az. 17 EK 2/19 und 17 EK 3/19)“

Darüber hinaus will ich aus dem Urteil vom 26.06.2020 hier nur die allgemeinen Erwägungen des OLG zitieren, und zwar wie folgt:

1. Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung ist die Dauer eines justiziellen Verfahrens dann als unangemessen lang anzusehen, wenn nach den Umständen des Einzelfalls die Verfahrensgestaltung und die hierdurch bewirkte Verfahrensdauer das Ausmaß eines den Gerichten zuzubilligenden Gestaltungsspielraumes derart überschreiten, dass die Verfahrensgestaltung auch bei voller Würdigung der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege nicht mehr verständlich ist (BGH, Urteil vom 13. März 2014 – III ZR 91/13 -, NJW 2014, 1816 ff., bei juris, Rn. 32, 34; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 – III ZR 37/13 -, WM 2014, 528 ff., bei juris, Rn. 36 ff.; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 -, NJW 2014, 789 ff., bei juris, Rn. 41 ff.).

Daher verbietet sich die Ausrichtung der Betrachtung an statistischen Durchschnittswerten (BGH a.a.O., ferner SchlHOLG, Urteil vom 8. April 2013 – 18 SchH 3/13 – SchlHA 2013, 248 ff., bei juris, Rn. 14). Vielmehr sind – mögen auch Auffälligkeiten im Verhältnis zum Durchschnitt vergleichbarer Verfahren erste Anhaltspunkte liefern – stets die einzelnen Verfahren gesondert zu untersuchen (OLG Frankfurt, Urteil vom 28. März 2013 – 16 EntV 5/12, bei Juris), wobei allerdings wiederum in Rechnung zu stellen ist, dass im Gesamtverfahren Phasen von Verzögerung durch Phasen beschleunigter Verfahrensgestaltung kompensiert werden können (BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 -, NJW 2014, 220 ff., bei juris, Rn. 30; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 – III ZR 37/13 -, WM 2014, 528 ff., bei juris, Rn. 37 f.). Auch kommt es bei der inhaltlichen Beurteilung einzelner Verfahrensschritte ähnlich der Situation im Amtshaftungsprozess nach Maßgabe des § 839 Abs. 2 BGB nicht auf die Richtigkeit, sondern auf die bloße Vertretbarkeit des Handelns an (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 -, NJW 2014, 789 ff., bei juris Rn. 45 f. an).

Zudem hat das Entschädigungsgericht bei der Bewertung eine ex-ante-Betrachtung vorzunehmen, die sich nicht an der inhaltlichen Ausgestaltung des Verfahrens, sondern allein an dessen objektivem Verlauf orientiert, denn es kommt nicht darauf an, ob die Verzögerung auf ein pflichtwidriges Verhalten zurückzuführen oder ob der verfahrensführenden Behörde ein anderweitiger Vorwurf zu machen ist. Der Entschädigungsanspruch aus § 198 GVG ist ein staatshaftungsrechtlicher, verschuldensunabhängiger Anspruch, der es dem Anspruchsgegner auch verwehrt, sich auf systembedingte Umstände – wie zum Beispiel Personalknappheit und Arbeitsdichte – zu berufen (Graf in BeckOK § 198 GVG Rn.16, Rn.16; Krauß in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl.; Rn. 32 Nachtr § 198 GVG).

2. Bei Anlage dieses Maßstabes erweist sich das Ermittlungsverfahren 590 Js 55233/15 StA Kiel sowohl zeitlich als auch in seiner inhaltlichen Ausgestaltung in mehrfacher Hinsicht als unangemessen lang. Dies verletzt die Klägerin in ihrem Anspruch auf eine effektive und der Unschuldsvermutung gerecht werdende Verfahrensgestaltung….“

 

Zunächst stellt schon die Dauer des Verfahrens von drei Jahren und acht Monaten im Hinblick auf Inhalt und Umfang der Tatvorwürfe eine deutliche Überschreitung der zeitlich noch als rechtsstaatlich anzusehenden Verfahrensdauer dar (hierzu unter a.). Aber auch organisatorische Mängel auf Seiten des Beklagten haben jedenfalls ab dem Jahr 2018 zu vermeidbaren zeitlichen Verzögerungen geführt (hierzu unter b.). Zudem hat der Beklagte – auch unter Berücksichtigung des der Staatsanwaltschaft Kiel als Herrin des Ermittlungsverfahrens zustehenden Gestaltungsspielraums – durch die anfängliche Ausgestaltung des Verfahrens erheblich dazu beigetragen, dass dieses schon in seiner Anlage wesentliche Ursachen für später eingetretene Verzögerungen aufwies, obwohl es aufgrund der frühzeitig erfolgten Durchsuchung bestmöglich zu beschleunigen war (hierzu unter c.). Schließlich zeigen sich – insbesondere im späteren Verlauf der Ermittlungen ab Ende 2016 / Anfang 2017 – wiederholt Phasen, in denen nur wenige bis keine zielführenden Ermittlungen mehr erfolgten, die auf einen Abschluss des Verfahrens gerichtet waren (hierzu unter d.).