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Pflicht II: Entpflichtung und Verteidigerwechsel, oder: Terminschwierigkeiten, Rechtsmittel und Ermessen

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Im zweiten Posting stelle ich dann drei Entscheidungen zur Entpflichtung bzw. zum Verteidigerwechsel und auch zu den damit zusammenhängenden Rechtsmittelfragen vor.

Zunächst hier der Leitsatz zum OLG Zweibrücken, Beschl. v. 31.05.2021 – 1 Ws 132/21:

Die Verhinderung des Pflichtverteidigers an fast allen bei dem hinzugezogenen forensisch-psychiatrischen Sachverständigen für die Durchführung der Hauptverhandlung zur Verfügung stehenden Terminen kann in einer Haftsache auch gegen den Willen des Angeklagten die Entpflichtung des Rechtsanwaltes gem. § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO rechtfertigen, wenn die Terminskollision nicht aufgelöst werden kann und eine Verlegung der Hauptverhandlung zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung führen würde.

Nun ja, kann man so sehen, muss man aber nicht so sehen.

Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Hamburg, und zwar ist es der OLG Hamburg, Beschl. v. 04.05.2021 – 2 Ws 37/21 – mit folgenden Leitsätzen:

1. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist gemäß § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar, die nach § 142 Abs. 7 Satz 2 StPO jedoch ausgeschlossen (unstatthaft) ist, wenn der Beschuldigte einen Antrag nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO stellen kann.

2. Ob die teils durch unbestimmte Rechtsbegriffe („kurze Frist“; „wichtiger Grund“) formulierten tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Verteidigerwechsel nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO gegeben sind, hat das zunächst nach § 142 Abs. 3 StPO zuständige Gericht bzw. – nach Anklageerhebung – dessen Vorsitzender (§ 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO) zu beurteilen.

3. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, zur Beurteilung der Statthaftigkeit (§ 142 Abs. 7 Satz 2 StPO) einer auf Auswechslung eines beigeordneten Verteidigers gerichteten sofortigen Beschwerde sämtliche Voraussetzungen des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO vollständig und abschließend zu prüfen und damit erstmalig über das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen der Norm zu befinden.

Und dann noch der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 09.06.2021 – 12 Qs 37/21 – ebenfalls zur Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung, und zwar einer rückwirkenden Bestellung. Hier der Leitsatz:

  1. Wird ein Pflichtverteidiger zur Sicherung der praktischen Wirksamkeit der unionsrechtlichen Mindeststandards der Richtlinie (EU) 2016/1919 vom 26. Oktober 2016 nachträglich bestellt, steht das einer anschließenden oder späteren Aufhebung der Bestellung gem. § 143 Abs. 2 StPO nicht entgegen (Ergänzung zu Kammer, Beschluss vom 4. Mai 2021 – 12 Qs 22/21, juris).

  2. Das Beschwerdegericht hat im Rahmen der Beschwerde gegen die Aufhebung einer Pflichtverteidigerbestellung eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen.

Nun ja, auch eine Möglichkeit für das AG zu zeigen, was man von der landgerichtlichen Bestellung hält.

 

Pflichti I: Vor der Bestellung zur Auswahl nicht belehrt, oder: Keine Fristen bei der Umbeiordnung

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Und heute dann mal/schon wieder Pflichtverteidigungsentscheidungen.

Der erste Beschluss stammt vom LG Mainz. Den hat mir die Kollegin Hierstetter aus Mannheim geschickt. Die Entscheidung hat folgenden – etwas längeren – Sachverhalt:

Gegen den Beschuldigten ist ein Ermittlungsverfahren u.a. wegen versuchten Totschlags anhängig. Am 15.7.2020 erließ der Ermittlungsrichter beim AG Mainz einen Haftbefehl und einen Europäischen Haftbefehl gegen den Beschuldigten. Dieser wurde am 4.8.2020 in Frankreich festgenommen. Die französischen Behörden teilten mit, der Beschuldigte habe auf Nachfrage um Verteidigung durch einen Pflichtverteidiger gebeten, und baten um Bestellung eines französischsprachigen Pflichtverteidigers. Durch Beschluss des AG Mainz vom 7.8.2020 wurde Rechtsanwalt R als Pflichtverteidiger bestellt. Am 11.8.2020 bestimmte der Ermittlungsrichter des AG Offenbach Termin für die Vorführung und zur Eröffnung des Haftbefehls auf 13.8.2020, 15:00 Uhr, die Ladung wurde dem Pflichtverteidiger am Nachmittag des 12.8.2020 per Fax zugesandt. Telefonisch kündigte dieser am Morgen des 13.8.2020 gegenüber dem AG Offenbach an, dass er an dem Termin nicht teilnehmen werde. Im Rahmen der Vorführung wurde dem Beschuldigten bekannt gegeben, dass das AG Mainz ihm einen Pflichtverteidiger, Herrn Rechtsanwalt R, bestellt habe und dieser am Termin nicht teilnehmen könne. Der Beschuldigte wurde zudem u.a. dahingehend belehrt, dass er jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger befragen könne; die bereits erfolgte Aushändigung einer schriftlichen Belehrung nach § 114b Abs. 2 StPO in türkischer Sprache wurde festgestellt. Eine Belehrung über sein Recht, selbst einen Pflichtverteidiger zu benennen (§ 142 Abs. 5 StPO) erfolgte nicht.

Am 14.8.2020 beantragte die Kollegin (erstmals) eine Einzelbesuchserlaubnis für den Beschuldigten zur Führung eines Anbahnungsgesprächs, die ihr Anfang September 2020 erteilt wurde. Mit Schreiben vom 27.8.2020 beantragte der Beschuldigte „die Zulassung meiner Rechtsanwältin H. zur Hauptverhandlung mit Az: pp.“. Mit Schreiben vom 3.9.2020 teilte der Beschuldigte mit, dass er von der Kollegin vertreten werden wolle. Diese teilte am 9.9.2020 ihre ordnungsgemäße Bevollmächtigung durch den Beschuldigte mit sowie, dass dieser nach eigenen Angaben bereits am 20.8.2020 und am 3.9.2020 mitgeteilt habe, dass er von ihr – nicht von Rechtsanwalt R – verteidigt werden wolle, weshalb sie anrege, gegenüber dem Ermittlungsrichter zu beantragen, die Beiordnung von Rechtsanwalt R aufzuheben und sie selbst als Pflichtverteidigerin beizuordnen. Mit Schriftsatz vom 30.9.2020 erklärte Rechtsanwalt R er sei mit der Beiordnung der Rechtsanwältin H. mit der Maßgabe einverstanden, dass für ihn die Grund- und Verfahrensgebühr durch die Staatskasse übernommen werde. Durch Schreiben vom 17.9.2020 teilte der Beschuldigte (erneut) mit, dass er von Rechtsanwältin Hierstetter vertreten werden wolle. Am 13.10.2020 beantragte diese (nochmals) unmittelbar gegenüber dem Ermittlungsrichter ihre Beiordnung als Pflichtverteidigerin. Rechtsanwalt R. wurde hierzu rechtliches Gehör gewährt; er nahm Bezug auf seine früheren Äußerungen.

Das AG Mainz hat die Entpflichtung von Rechtsanwalt R und die Beiordnung der Kollegin abgelehnt und das u.a. damit begründet, dass kein gestörtes Vertrauensverhältnis zu RA R festgestellt werden könne. Der Beschuldigte hat sofortige Beschwerde eingelegt. Die hatte beim LG Erfolg. Das LG Mainz führt im LG Mainz, Beschl. v. 05.11.2020 – 3 Qs 62/20 jug – aus:

„2. Die Beschwerde ist auch begründet

Die Ablehnung der Aufhebung der Bestellung von Rechtsanwalt pp. zum Pflichtverteidiger und der Bestellung der Rechtsanwältin Pp. als Pflichtverteidigerin — somit des Pflichtverteidigerwechsels erfolgten nicht rechtmäßig.

a) Die §§ 140 ff. StPO regeln die notwendige Verteidigung, insbesondere §§ 142 Abs. 5, 143a StPO das Wahlrecht des Beschuldigten im Rahmen der Beiordnung eines Pflichtverteidigers.

Zwar wird der zu bestellende Verteidiger im Ermittlungsverfahren von dem Ermittlungsrichter ausgewählt (vgl. § 142 Abs. 3 StPO); dem Beschuldigten muss aber Gelegenheit gegeben werden, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Rechtsanwalt zu bezeichnen, § 142 Abs. 5 StPO. Da gemäß § 142 Abs. 5 Satz 3 StPO der vom Beschuldigten bezeichnete Verteidiger zu bestellen ist, wenn dem nicht ein wichtiger Grund entgegensteht, begründet Satz 1 der Regelung eine Anhörungspflicht, von der nur in seltenen Ausnahmefällen abgewichen werden kann (vgl. KG, Beschl. vom 03.12.2008 — 4 Ws 119/08 — m.w.N.). Dem Beschuldigten ist dabei eine angemessene Überlegungsfrist zur Stellungnahme und Auswahl eines Verteidigers zu gewähren. Dies gilt auch in Haftsachen (vgl. OLG Koblenz, StV 2011, 349). Die Anhörungspflicht besteht überdies auch in Fällen, in denen ein Pflichtverteidiger unverzüglich zu bestellen ist (§ 141 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 und 3 StPO); dies war bereits nach alter Rechtlage für die unverzügliche Bestellung bei Vollstreckung von Untersuchungshaft anerkannt (vgl. BeckOK StPO/ Krawczyk, 37. Ed. 1.7.2020, StPO § 142 Rn. 18). Die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers kommt nur ausnahmsweise in Betracht (Krawczyk, a.a.O., § 144 Rn. 1 m.w.N.).

b) Gemessen an diesen Grundsätzen hätte auf Grund des Schreibens des Beschwerdeführers vom 27.8.2020, die Frage, ob ein Pflichtverteidigerwechsel vom Beschwerdeführer gewünscht war, zumindest geprüft und aufgrund des weiteren Schreibens des Beschwerdeführers vom 3.9.2020 ein solcher eingeleitet werden müssen. Jedenfalls aber aufgrund des Schriftsatzes der Rechtsanwältin Pp. vom 9.9.2020 war die Beiordnung von Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger aufzuheben und ihre Beiordnung vorzunehmen.

Auf die Frage, ob das Vertrauensverhältnis zum (bisherigen) Pflichtverteidiger gestört ist, kommt es hierbei nicht an, maßgeblich ist insoweit allein der grundsätzliche Vorrang der Wahlverteidigung (vgl. Krawczyk, a.a.O., § 143a  2, § 142 Rn. 25).

Es ist dabei insbesondere von der rechtszeitigen Bezeichnung der Rechtsanwältin Pp. durch den Beschwerdeführer als gewünschte Pflichtverteidigerin auszugehen.

Zwar gelangte sein Schreiben vom 27.8.2020, dass aus Sicht der Kammer bei verständiger Auslegung bereits klar den Wunsch, von Rechtsanwältin Pp. verteidigt zu werden, erkennen lässt, erst am 8.9.2020 zur Handakte der Staatsanwaltschaft, somit nicht innerhalb der Drei-Wochen-Frist aus § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO, die mit Bekanntgabe der Beiordnung des Pflichtverteidigers am 13.8.2020 zu laufen begann, somit am 3.9.2020 endete. Und auch sein weiteres Schreiben vom 3.9.2020 ging erst am 3.9.2020 bei der Staatsanwaltschaft Mainz — nicht dem zuständigen Amtsgericht Mainz — ein. Wird dem Beschuldigten indes eine zu kurze Überlegungsfrist oder — wie im vorliegenden Fall dem Beschwerdeführer mangels jeglicher Belehrung über sein Wahlrecht — gar keine diesbezügliche Frist gesetzt, ist eine Auswechslung des Pflichtverteidigers auch danach noch möglich (vgl. Krawczyk, a.a.O., § 143a Rn. 10, ferner auch § 142 Rn. 25; vgl. auch FKK-StPO/ Willnow, 8. Aufl.,  § 142 Rn. 8 m.w.N.: keine Ausschlussfrist). Es kann daher auch dahinstehen, wann das Antragsschreiben des Beschwerdeführers vom 27.8.2020 abgesandt wurde, wann es bei der Staatsanwaltschaft Mainz einging, warum es erst am 8.9.2020 dort zur Handakte gelangte und ob der Beschwerdeführer zulässigerweise davon ausgehen durfte, dass dieses — ebenso wie das am 3.9.2020 dort eingegangene Schreiben — noch rechtzeitig an den zuständigen Ermittlungsrichter weitergelangen würde.

Dem Recht und Wunsch des Beschwerdeführers, als Pflichtverteidigerin die von ihm gewählte Rechtsanwältin Pp. beigeordnet zu bekommen, war allem nach angemessen Rechnung zu tragen, da auch ein wichtiger, dem Verteidigerwechsel entgegenstehender Grund nicht vorlag.

Insbesondere hat der Beschwerdeführer nach dem Ausgeführten auch nicht über einen wesentlichen Zeitraum die Verteidigung durch Rechtsanwalt pp. widerspruchslos hingenommen (vgl. BGH, StV 2001, 3 f.), mit der Folge, dass er hieran dauerhaft festgehalten werden könnte.“

Was lange währt, wird endlich gut. Wenn man den o.a. Sachverhalt liest, fragt man sich, warum Beschuldigter und seine Wahlverteidigerin insgesamt fünfmal beantragen müssen, dass diese als Pflichtverteidigerin bestellt und der ohne Anhörung des Beschuldigten bestellte Rechtsanwalt R entpflichtet wird. Die Voraussetzungen für die angestrebte einvernehmliche Umbeiordnung lagen vor, so dass das AG erheblich schneller hätte umbeiordnen können/müssen. Um so mehr erstaunt es dann, dass das AG ablehnt und das dann auch noch mit „kein gestörtes Vertrauensverhältnis“ begründet. Das war schon nach altem Recht in den Fällen der „einvernehmlichen Umbeiordnung“ falsch und ist es jetzt unter Geltung des § 143a StPO erst recht.

Pflichti I: Entpflichtung des Pflichtverteidigers, oder: Kein eigenes Rechtsmittel

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Schon wieder Pflichtverteidigungsentscheidungen wird der ein oder andere sich fragen. Ja, ich habe derzeit aus dem bwereich immer eine ganze Menge Material. Zudem dürften dir Fragen nach den Änderungen in den §§ 140 ff. StPO besonders interessant sein.

Ich beginne heute mit dem BGH, Beschl. v. 18.08.2020 – StB 25/20. Ergangen ist der Beschluss im Lübcke-Verfahren. Der BGH beendet mit der Entscheidung das „Theater“ um die Entpflichtung der zweiten Pflichtverteidigers, den der eine Angeklagte nicht mehr wollte. Das ist ja ein paar Tage durch die Berichterstattzung gegangen. Dann war ein wenig Ruhe, bevor es dann gestern mit der Vernehmung des verbliebenen Pflichtverteidigers als Zeugen weiter gegangen ist. In meinen Augen ist vieles nicht nachvollziehbar, aber man muss ja auch nicht alles verstehen.

Der BGH hat jedenfals, was m.E. zu erwarten war, die Beschwerde des Pflichtverteidigers als unzulässig verworfen:

„Die sofortige Beschwerde ist unzulässig. Sie ist zwar nach § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO statthaft, jedoch ist der Beschwerdeführer durch die angefochtene Entscheidung nicht im rechtlichen Sinne beschwert.

Einem Pflichtverteidiger steht gegen die Aufhebung seiner Bestellung kein eigenes Beschwerderecht zu (vgl. HansOLG Hamburg, Beschluss vom 17. November 1997 – 2 Ws 255/97, NJW 1998, 621; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 6. März 1996 – 3 Ws 191/96, NStZ-RR 1996, 272; OLG Hamm, Beschluss vom 1. Juni 1993 – 3 Ws 286/93, MDR 1993, 1226; KK-StPO/Willnow, 8. Aufl., § 143 Rn. 6; MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, § 143 Rn. 18; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 143a Rn. 36; für ein Beschwerderecht im Falle einer willkürlichen Entscheidung vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Dezember 1985 – 2 Ws 652/85, NStZ 1986, 138; OLG Köln, Beschluss vom 24. Juli 1981 – 2 Ws 378/81, NStZ 1982, 129; Dölling/Duttge/König/Rössner/Weiler, Gesamtes Strafrecht, 4. Aufl., § 143 StPO Rn. 7; LR/Lüderssen/Jahn, StPO, 26. Aufl., § 143 Rn. 16; SK-StPO/Wohlers, 5. Aufl., § 143 Rn. 26; für ein generelles Beschwerderecht hingegen Hilgendorf, NStZ 1996, 1, 6 f.; HK-StPO/Julius/Schiemann, 6. Aufl., § 143 Rn. 10; SSW-StPO/Beulke, 4. Aufl., § 143 Rn. 29 jeweils mwN). Nach der Regelung des § 304 Abs. 2 StPO können zwar andere Personen, zu denen auch Verteidiger zählen können (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2020 – StB 6/20, NJW 2020, 1534 Rn. 3 mwN), (sofortige) Beschwerde einlegen, wenn sie in ihren Rechten betroffen sind. Anders als durch die Ablehnung der von einem Pflichtverteidiger beantragten Rücknahme seiner Beiordnung (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2020 – StB 6/20, NJW 2020, 1534) ist eine die Beschwerdebefugnis begründende Rechtsbeeinträchtigung durch die gegen seinen Willen vorgenommene Entpflichtung jedoch nicht gegeben.

1. Der Zweck der Pflichtverteidigung, die ein Rechtsanwalt grundsätzlich übernehmen muss (§ 49 Abs. 1 BRAO), besteht – ausschließlich – darin, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen (§ 140 StPO) rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. April 1975 – 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, 238, 242; OLG Hamm, Beschluss vom 1. Juni 1993 – 3 Ws 286/93, MDR 1993, 1226; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Dezember 1985 – 2 Ws 652/85, NStZ 1986, 138). Die Beiordnung eines Verteidigers erfolgt demzufolge nicht in dessen, sondern allein im öffentlichen Interesse zum Schutz des Beschuldigten. Ein Rechtsanwalt hat deshalb keinen aus eigenem Recht ableitbaren Anspruch darauf, in einer bestimmten Strafsache zum Verteidiger bestellt zu werden, eine ihm übertragene Pflichtverteidigung weiterzuführen und seiner – drohenden oder vollzogenen – Abberufung entgegenzutreten (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Dezember 1985 – 2 Ws 652/85, NStZ 1986, 138). Anders als die Ablehnung der von ihm nach § 49 Abs. 2 i.V.m. § 48 Abs. 2 BRAO beantragten Aufhebung seiner Beiordnung, die ihn mit Blick auf die ihm aus § 49 Abs. 1 BRAO erwachsende Berufspflicht in seinem Recht auf Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG beeinträchtigen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2020 – StB 6/20, NJW 2020, 1534 Rn. 3 ff.; s. auch BVerfG, Beschluss vom 8. April 1975 – 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, 238, 241 f.), ist die Rücknahme der Bestellung kein ihn beschwerender Eingriff in sein Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. April 1975 – 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, 238, 241 f.; so auch BVerfG, Beschlüsse vom 14. Oktober 1997 – 2 BvQ 32/97, NJW 1998, 444; vom 11. März 1997 – 2 BvR 325/97, NStZ-RR 1997, 202, 203).

Aus der ihm durch die staatliche Indienstnahme zukommenden öffentlichen Funktion folgt nichts anderes (so aber Hilgendorf, NStZ 1996, 1, 7; SSW-StPO/Beulke, 4. Aufl., § 143 Rn. 29), denn die Aufgabenerfüllung im öffentlichen Interesse endet mit der Aufhebung der Bestellung. Mit Blick auf seine öffentliche Funktion liegt auch keine vergleichbare Interessenlage zu einem Wahlverteidiger und dessen Beschwerderecht aus § 138d Abs. 6 Satz 1 StPO vor (anders Hilgendorf, NStZ 1996, 1, 6 f.). Zudem darf der ausgeschlossene Wahlverteidiger in dem betreffenden Verfahren für den Angeklagten in keiner Form mehr auftreten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 138a Rn. 22), während der Pflichtverteidiger nach seiner Abberufung grundsätzlich weiterhin als Wahlverteidiger tätig werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. April 1975 – 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, 238, 245 f.). Da dem Verteidiger kein Anspruch auf Fortführung des Pflichtverteidigermandats zusteht, vermögen – anders als der Beschwerdeführer meint – damit ggf. verbundene wirtschaftliche Interessen oder ein Rehabilitationsinteresse eine Rechtsbetroffenheit ebenfalls nicht auszulösen.

2. Diese Grundsätze entsprechen auch dem Willen des Gesetzgebers nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I, S. 2128 ff.). Insbesondere hat der Gesetzgeber in Kenntnis der bisherigen Rechtspraxis für die sofortige Beschwerde in § 143a Abs. 4 StPO nF an dem Erfordernis einer Beschwer festgehalten.

Das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung dient der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls (ABl. EU L 297 S. 1 ff.). In Beibehaltung des „bewährten Systems der notwendigen Verteidigung“ (BT-Drucks. 19/13829, S. 2) regeln §§ 143, 143a StPO nF nunmehr die nach bisheriger Rechtslage nur ansatzweise und fragmentarisch normierten Fragen der Dauer, Aufhebung und Zurücknahme der Pflichtverteidigerbestellung (vgl. BT-Drucks. 19/13829, S. 20). Soweit Entscheidungen über einen Verteidigerwechsel, die nach bisheriger Gesetzeslage der (einfachen) Beschwerde unterlagen, nunmehr mit dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde angegriffen werden können (§ 143a Abs. 4 StPO), ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, dass für die Zulässigkeit des Rechtsmittels an dem Erfordernis einer Beschwer festgehalten wird. Denn der Gesetzgeber hat ausdrücklich Bezug auf die bisherige Rechtsschutzmöglichkeit genommen und dargelegt, die Einführung einer sofortigen Beschwerde diene ausschließlich dazu, rasch Klarheit über die Frage zu schaffen, wer die Verteidigung übernimmt (vgl. BT-Drucks. 19/13829, S. 49 [„soweit eine Beschwer besteht“]).

Auch das EU-Recht begründet keine Beschwerdebefugnis des Pflichtverteidigers in der hiesigen Konstellation. Art. 8 RL 2016/1919/EU verpflichtet die Mitgliedstaaten, verdächtigen, beschuldigten und gesuchten Personen einen wirksamen Rechtsbehelf für den Fall der Verletzung ihrer Rechte aus der Richtlinie zur Verfügung zu stellen; die Schaffung besonderer Rechtsschutzmöglichkeiten für Verteidiger intendiert die Richtlinie indes nicht.

3. Schließlich kann dahinstehen, ob ein Verstoß gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende objektive Willkürverbot (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 2020 – 2 BvR 2054/19, juris Rn. 34 f.; Hömig/Wolff, GG, 12. Aufl., Art. 3 Rn. 5) ein Beschwerderecht zu begründen vermag (so OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Dezember 1985 – 2 Ws 652/85, NStZ 1986, 138; OLG Köln, Beschluss vom 24. Juli 1981 – 2 Ws 378/81, NStZ 1982, 129; Dölling/Duttge/König/Rössner/Weiler, Gesamtes Strafrecht, 4. Aufl., § 143 StPO Rn. 7; LR/Lüderssen/Jahn, StPO, 26. Aufl., § 143 Rn. 16; SK-StPO/Wohlers, 5. Aufl., § 143 Rn. 26), denn die angefochtene Entscheidung ist auch mit Blick auf die von dem Vorsitzenden abgegebenen Erklärungen in der Hauptverhandlung jedenfalls in der Sache nicht offensichtlich unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich unvertretbar (zu den Voraussetzungen eines Verstoßes s. BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 2020 – 2 BvR 2054/19, juris Rn. 35; BeckOK GG/Kischel, 43. Ed., Art. 3 Rn. 84, jeweils mwN).“

Nun ja, immerhin hat es der (ehemalige) zweite Pflichtverteidiger in BGHSt geschafft.

Pflichtverteidigergebühren fallen nicht mit Entpflichtung weg, oder: Aber „kleiner“ Fehler

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Heute dann kein OWi, sondern – es ist Freitag – gebührenrechtliche Entscheidungen. Und da bringe ich zunächst den LG Kaiserslautern, Beschl. v. 11.01.2019 – 4 Ks 6034 Js 10590/16. Der ist insofern interessant, weil ich über das Verfahren und die gebührenrechtliche Problematik, die das LG entschieden hat, schon berichtet habe, und zwar hier in: Ich habe da mal eine Frage: Sind die Pflichtverteidigergebühren “nachträglich weggefallen”? ,also in einem RVG-Rätsel. In dem „Lösungsposting“ (vgl. hier: Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Sind die Pflichtverteidigergebühren “nachträglich weggefallen”?) hatte ich die Hoffnung geäußert, dass die Strafkammer die falsche Entscheidung der Rechtspflegerin korrigieren wird.

Und: Glück gehabt :-). Die Strafkammer hat im LG Kaiserslautern, Beschl. v. 11.01.2019 – 4 Ks 6034 Js 10590/16 korrigiert, sie hat nämlich die vom Pflichtverteidiger geltend gemachten Gebühren festgesetzt:

„Der Erinnerungsführer hat einen Anspruch auf Vergütung nach §§ 45 ff. RVG.

Nach § 48 RVG bestimmt sich der Vergütungsanspruch nach den Beschlüssen, durch die Prozesskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt worden ist.

Mit Beschluss des Landgerichts Kaiserslautern vom 16.01.2017 wurde dem Verurteilten Rechtsanwalt pp. zunächst als Pflichtverteidiger zur Vorbereitung eines Wiederaufnahmeverfahrens bestellt. Mit Beschluss vom 23.01.2017 wurde die Bestellung auf die dagegen gerichtete Beschwerde wieder aufgehoben.

Vergütungsansprüche des Rechtsanwaltes gegen die Staatskasse entstehen für Tätigkeiten ab dem Zeitpunkt der Bestellung (OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996, 171).

§ 45 ff. RVG setzen demnach eine wirksame Bestellung voraus.

Wirksam wird eine Beiordnung in dem Zeitpunkt, in dem sie dem Antragsteller, dem beigeordneten Rechtsanwalt oder einer sonstigen Partei bzw. einem beliebigen am Verfahren Beteiligten mitgeteilt wird. Meist geschieht dies durch Verkündung oder Zusendung des Beschlusses. Jedoch genügt auch eine formlose Mitteilung (Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 7. Auflage 2018, § 48, Rn. 46). Erfolgt die Bestellung oder Beiordnung eines Rechtsanwalts in sonstiger Weise, gelten die obigen Darstellungen entsprechend (Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 7. Auflage 2018, § 48, Rn. 118).

Für die Höhe und den Umfang des Vergütungsanspruchs ist in sämtlichen Verfahrensordnungen nach § 48 Abs. 1 RVG also in erster Linie der Bestellungsakt selbst maßgeblich. Sein Umfang bestimmt die nähere Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen Staatskasse und bestelltem Rechtsanwalt. Die Regelung limitiert den Vergütungsanspruch grundsätzlich auch in zeitlicher Hinsicht. Dieser entsteht demnach regelmäßig nur für solche Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt nach erfolgter Bestellung sowie vor dem Ende der Wirkungsdauer des Bestellungsakts erbracht hat (OLG Hamburg NStZ-RR 2012, 390).

Voraussetzung für die Entstehung des Vergütungsanspruchs ist also zunächst die wirksame Bestellung des Pflichtverteidigers. Dies geschah mit der formlosen Mitteilung des Beschlusses vom 16.01.2017 an den Erinnerungsführer. Die Aufhebung dieses Beschlusses bewirkte das Ende der Bestellung, allerdings nur für die Zukunft und nicht rückwirkend. Weder aus dem Aufhebungsbeschluss vom 18.01.2017 noch aus dem weiteren Ablehnungsbeschluss vom 25.01.2017 ergibt sich eine rückwirkende Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung.

Darüber hinaus genießt der Erinnerungsführer Gutglaubensschutz,

Die Beiordnung muss wirksam sein, um einen Zahlungsanspruch gegen die Staatskasse zu begründen. Sie ist es nicht. wenn sie nichtig oder namentlich für jedermann erkennbar grob gesetzeswidrig ist. Die bloße Fehlerhaftigkeit der Beiordnung berührt dagegen den öffentlich-rechtlichen Vergütungsanspruch nicht. Unklarheiten sind im Festsetzungsverfahren zugunsten des Anwalts auszulegen; das Erklärungsrisiko liegt insoweit bei den Gerichten (Mayer, Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 7. Auflage 2018, § 45 Rn. 19). Durch die Beiordnung bzw. Bestellung wird zwischen dem Hoheitsträger, der die Beiordnung vorgenommen hat, und dem Anwalt ein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis begründet. Wird der Rechtsanwalt im Rahmen der Bestellung bzw. Beiordnung tätig, erwächst ihm ein Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse (§ 45) (Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 7. Auflage 2018, § 55 Rn. 5).

Wird der Rechtsanwalt vom Gericht versehentlich über seine Bestellung informiert, obgleich eine solche nicht erfolgt ist, so ist der gutgläubige Rechtsanwalt so zu stellen, als ob er bestellt worden wäre (Gerold/Schmidt. RVG Kommentar 23. Auflage 2017. § 45, Rn. 126). Dies muss also erst recht gelten, wenn der Rechtsanwalt, wie auch geschehen, tatsächlich einmal bestellt wurde.

Da der Erinnerungsführer folglich bis zur Aufhebung am 23.01.2017 als Pflichtverteidiger bestellt gewesen ist, steht ihm für diesen Zeitraum ein Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse nach § 45 Abs. 3 Satz 1 RVG zu. Er hat Anspruch auf Gebühren nach § 17 Nr. 12 RVG mit 4136 VV RVG und Ersatz der durch Nachforschungen entstandenen Auslagen nach § 46 Abs. 3 Satz 1 RVG. Sie sind deshalb mit einer Geschäftsgebühr nach 4136 VV RVG i. H. v. 316,00 Euro, einer Pauschale Post/Telekom nach 7002 VVRVG mit 20.00 Euro, einer Pauschale für Ablichtungen 187 Seiten nach 7000 VVRVG mit 45,55 Euro, anteilige (1/2) Reisekosten Besprechung JVA Diez 1014 km nach 7003 VV RVG mit 152,10 Euro, einem halben Abwesenheitsgeld nach 7005 VV RVG mit 35,00 Euro und einer Umsatzsteuer nach 7008 VVRVG mit 108, 04 Euro festzusetzen.“

So weit, so gut. Allerdings: Einen kleinen (?) Wermutstropfen hat die Entscheidung, denn: Alles, was der Vorsitzende der Strafkammer nach den o.a. Ausführungen schreibt, ist überflüssig (und falsch, sorry). Da heißt es nämlich:

„Für die Geschäftsgebühr nach 4136 VVRVG ist die Verfahrensgebühr im ersten Rechtszug vor der Strafkammer nach 4112 VVRVG mit 50, 00 Euro bis 320, 00 Euro maßgebend. Wegen der Schwierigkeit zu bestimmen, wann eine Rahmengebühr unbillig ist, und weil mit der Aufzählung der Umstände, die einerseits für die Erhöhung, andererseits für eine Ermäßigung der Gebühr sprechen, der Praxis nicht viel geholfen ist, weil ihr ein Ansatzpunkt fehlt, hat die Praxis sich diesen Ansatzpunkt mit der sog. Mittelgebühr geschaffen. Die Mittelgebühr soll gelten und damit zur konkreten billigen Gebühr in den „Normalfällen“ werden, d.h. in den Fällen, in denen sämtliche, vor allem die nach § 14 Abs. 1 S. 1 zu berücksichtigenden Umstände durchschnittlicher Art sind, also übliche Bedeutung der Angelegenheit, durchschnittlicher Umfang und durchschnittliche Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, wirtschaftliche Verhältnisse des Auftraggebers, die dem Durchschnitt der Bevölkerung entsprechen (Gerold/Schmidt, Kommentar RVG, § 14, Rn. 10). Für die konkrete Bemessung der Gebühren sind beim Wahlanwalt neben dem allgemeinen Umfang der vom RA erbrachten Tätigkeiten und der Schwierigkeit der Sache bei der Geschäftsgebühr VV 4136 insbesondere der Umfang der Akten, in die sich der Rechtsanwalt einarbeiten musste, von Belang (Gerold/Schmidt, Kommentar RVG, VV 4136-4140 Rn. 32). Unter diesen Gesichtspunkten erscheint die Gebühr von 316,00 Euro angemessen.“

Falsch deshalb, weil es auf § 14 RVG gar nicht ankommt. Denn der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger (!!), er erhält also die gesetzlich festgelegte Festbetragsgebühr und das sind die beantragten 316 €. Da muss man nicht mit § 14 RVG argumentieren.

Nun ja, kann einem Vorsitzenden des Schwurgerichts schon mal passen. Die haben ja an sich mit wichtigeren Dingen zu tun.

Pflichti II: Wenn der Angeklagte im Strafbefehlsverfahren zur Pflichtverteidigerbestellung nicht angehört wird, oder: Umbeiordnung?

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Die zweite Entscheidung am heutigen „Pflichtverteidigertag“ kommt vom LG Mannheim. Es ist der LG Mannheim, Beschl. v. 15.11.2018 – 5 Qs 58/18, den mir der Kollege G. Urbanczyk aus Mannheim geschickt hat. Er behandelt die Pflichtverteidigerbestellung im Strafbefehlsverfahren in den Fällen des § 408b StPO.

Die Staatsanwaltschaft hatte Angeklage erhoben. Im Hauptverhandlungstermin ist der Angeklagte dann nicht erschienen. Das AG beschloss auf Antrag der Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten gemäß § 408a StPO einen Strafbefehl, in dem eine Freiheitsstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, festgesetzt wurde, zu erlassen. Gleichzeitig wurde dem Angeklagten gemäß § 408b StPO ein anderer Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger bestellt. Dem wurde der Strafbefehl zugestellt. Dieser legte Einspruch gegen den Strafbefehl ein. Später beantragte der Kollege Urbanczyk für den Angeklagten, die Beiordnung des anderen Rechtsanwalts aufzuheben und stattdessen ihn als Pflichtverteidiger beizuordnen. Die Bestellung sei unter Verletzung der Vorschrift des § 142 Abs. 1 StPO erfolgt, der auch für die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Strafbefehlsverfahren gelte.

Die Staatsanwaltschaft und später auch das AG haben das anders gesehen und die Entpflichtung des anderen Rechtsanwalts und die Beiordnung des Kollegen Urbanczyk als Pflichtverteidiger beizuordnen abgelehnt.Das LG hat da anders gesehen:

„Vorliegend wurde Rechtsanwalt pp. für das gesamte gegenständliche Verfahren — ohne vorherige Anhörung – zum Pflichtverteidiger bestellt. Zwar wurde er ausweislich des schriftlich niedergelegten Beschlusses vom 26.03.2018 ausdrücklich nur „für das Strafbefehlsverfahren“ (BI. 54) – anders allerdings als nach dem Protokoll der Sitzung vom 26.03.2018 (BI. 52) – gemäß § 408b StPO bestellt. Jedoch wurde Rechtsanwalt pp. auch nach dem Einspruch durch das Gericht weiter als Verteidiger geführt und mit Verfügung vom 17.07.2018 zur Stellungnahme über die Aufrechterhaltung des Einspruchs unter Ankündigung einer erneuten Terminierung zur Hauptverhandlung aufgefordert. Auch aus der Begründung des angegriffenen Beschlusses ist nichts dafür ersichtlich, dass eine zeitliche Beschränkung der Verteidigung beabsichtigt war. Dies zeigt, dass das Gericht zumindest konkludent davon ausging, dass Rechtsanwalt der Verteidiger des Angeklagten für das gesamte Verfahren sein sollte.

Von daher kann die umstrittene Frage, ob die Bestellung nach § 408b StPO für das auf den Einspruch folgende weitere Verfahren, namentlich die Hauptverhandlung, gilt (so OLG Köln, Beschluss v. 11.09.2009 – 2 Ws 386/09, NStZ-RR 2010, 30; OLG Celle, Beschluss v. 22.02.2011 – 2 Ws 415/10, StraFo 2011, 291; OLG Oldenburg, Beschluss vom 15.06.2017 – 1 Ss 96/17, LSK 2017, 119219) oder diese nur für das Strafbefehlsverfahren bis zur Einlegung des Einspruchs wirksam ist (so KG, Beschluss vom 29.05.2012 – 1 Ws 30/12, JurBüro 2013, 381; OLG Saarbrücken Beschluss vom 17.09.2014 – 1 Ws 126/14, BeckRS 2014, 18593; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 408b StPO, Rn 6), offen bleiben (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.7.2014, 1 Ws 106/13).

Für das weitere Verfahren ist entsprechend dem Wunsch des Angeklagten jedoch Rechtsanwalt Urbanczyk als Pflichtverteidiger — unter Aufhebung der Bestellung von Rechtsanwalt pp. beizuordnen, zumal ein Fall des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO vorliegt, da sich der Angeklagte in anderer Sache in Untersuchungshaft befindet.

Es braucht insoweit nicht entschieden zu werden, ob in Fällen des § 408b StPO der Angeklagte vor einer Pflichtverteidigerbestellung anzuhören ist, denn dem Angeklagten ist jedenfalls dann der von ihm gewünschte Verteidiger — ggfs. unter Aufhebung der Beiordnung des bisherigen Verteidigers — als Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn die Beiordnung des Pflichtverteidigers wie vorliegend – zumindest konkludent – nicht nur für das Strafbefehlsverfahren erfolgt ist und der Angeklagte zur Verteidigerbestellung nicht angehört worden war.

Ein Beschuldigter hat grundsätzlich das Recht, sich im Strafverfahren von einem Rechtsanwalt als gewähltem Verteidiger seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Die freie Verteidigerwahl stärkt die Stellung des Beschuldigten als Prozesssubjekt. Durch die Beiordnung eines Verteidigers soll der Beschuldigte nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich gleichen Rechtsschutz erhalten wie ein Beschuldigter, der sich auf eigene Kosten einen Verteidiger gewählt hat; dies gebietet bereits das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) und folgt auch aus Art. 6 Abs. 3 lit.c EMRK. Dem entspricht es, dass dem Beschuldigten der Anwalt seines Vertrauens als Pflichtverteidiger beizuordnen ist, wenn nicht wichtige Gründe entgegenstehen (vgl. BVerfG, NJW 2001, 3695).

Von daher ist einem Beschuldigten, der — etwa aus Gründen der Eilbedürftigkeit zur Verteidigerbestellung zunächst nicht angehört wurde, im weiteren Verlauf der Verteidiger seiner Wahl zu bestellen, um dem verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch, sich grundsätzlich auch bei einer Pflichtverteidigung vom Verteidiger seiner Wahl zu verteidigen zu lassen, gerecht zu werden.

Die Kammer hat vorliegend keinen Anlass, an der Richtigkeit der anwaltlichen Versicherung von Rechtsanwalt Urbanczyk zu zweifeln, dass der Angeklagte dessen Beiordnung ausdrücklich wünscht. Seiner Bestellung steht auch kein wichtiger Grund im Sinne des § 142 Abs. 1 S. 2 StPO entgegen.“

Schade, dass das LG die Frage, ob in den Fällen des § 408b StPO der Angeklagte vor einer Pflichtverteidigerbestellung anzuhören ist,“elegant“ umschifft hat. Denn zu der Problematik gibt es wenig.

Viel gibt es hingegen zu Pflichtverteidigerfragen in <<Werbemodus an>> „Burhoff, Handbuch für das strafechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl., 2019“. Die Neuauflage ist gerade am 08.11.2018 erschienen und kann hier bestellt werden. Die Neuauflage der Hauptverhandlung erscheint übrigens Mitte Dezember 2018.

Und: Ich weise dann auch noch einmal auf die Preiskracher hin (vgl. hier bei Sale/Preiskracher/Sonderverkauf, oder: Weihnachten steht vor der Tür). <<Werbemodus aus>>