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Sex I: „Klamotten runterreißen“ ist nicht in jedem Fall eine „sexuelle Handlung“

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Heute werde ich drei BGH-Entscheidungen vorstellen, die sich mit Fragen der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung u.a. befassen. Zunächst verweise ich auf den BGH, Beschl. v. 06.06.2017 –  2 StR 452/16 – Das LG hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 177 Abs. 1 Nr. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ) verurteilt.

Es ist dabei von folgenden Feststellungen ausgegangen: Der Angeklagte hatte in einer Gaststätte die spätere Geschädigte kennen gelernt. Zwischen beiden kam es zum Austausch von Zärtlichkeiten. Die Geschädigte wurde schließlich ihres „anzüglichen Verhaltens“ wegen der Gaststätte verwiesen und verließ diese gemeinsam mit dem Angeklagten. Am frühen Morgen des folgenden Tages bat die ortsunkundige Geschädigte, die nicht mehr über die für ein Taxi erforderlichen Geldmittel verfügte und den rund vier Kilometer langen Weg zu ihrer Wohnung zu Fuß zurücklegen wollte, den Angeklagten, sie durch die Innenstadt von B. zu begleiten. Sie bereute inzwischen ihr früheres anzügliches Verhalten und wies die wiederholten Versuche des Angeklagten, sie erneut zu küssen, zurück. Der Angeklagte führte die Angeklagte schließlich mit der wahrheitswidrigen Behauptung, seinen Hausschlüssel verloren zu haben und deshalb Verwandte aufsuchen zu müssen, in den Innenhof des Frauenmuseums und stieg eine metallene Außentreppe an dem Gebäude hoch. Die Geschädigte folgte ihm zunächst, wurde jedoch misstrauisch, kehrte schließlich um und erklärte dem Angeklagten erneut, dass sie nach Hause wolle. Auf seine weiteren Ver-suche, sie zu küssen, reagierte sie abweisend.

Der über diese Zurückweisung erboste Angeklagte folgte der Geschädigten und schlug ihr mehrfach mit der Hand ins Gesicht, um „das nachfolgende Herunterreißen ihrer Kleidungsstücke gegen ihren Willen zu ermöglichen“. Die Geschädigte stürzte infolge dieser Schläge zu Boden und blieb auf dem Rücken liegen. Der Angeklagte schlug weiter auf die am Boden liegende Geschädigte ein und „zerrte ihr gegen ihren Willen die Schuhe, die Jeans sowie den Slip vom Körper, um sich hieran sexuell zu erregen“. Die verängstigte Geschädigte gab jegliche Gegenwehr auf. Nunmehr entblößte der Angeklagte seinen Penis, „hockte sich in unmittelbarer Nähe zu der Zeugin auf den Boden und begann an seinem Glied zu manipulieren, um sich selbst zu befriedigen“. Dass der Angeklagte „in sie eindrang oder dies auch nur vorhatte“, vermochte die Kammer nicht festzustellen. Anschließend trat der Angeklagte mit dem beschuhten Fuß mehrfach heftig und in Verletzungsabsicht in das Gesicht und gegen den Oberkörper der Geschädigten, die zahlreiche blutende Verletzungen und großflächig über den gesamten Körper verteilte Hämatome erlitt, und ging davon.“

Das LG hat in dem „Herunterreißen der Kleidungsstücke von dem Körper der Zeugin“ eine sexuelle Handlung an der Geschädigten gesehen. Der BGH sieht das – hier – anders. Nach seiner  Auffassung belegen die Feststellungen und die sie tragenden Beweiserwägungen nicht, dass der Angeklagte durch das gewaltsame Entkleiden eine sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit im Sinne des § 184h StGB „an“ der Geschädigten vorgenommen hat. Zwar kann – so der BGH – „das gewaltsame Entkleiden eines Tatopfers als eine „sexuelle Handlung“ von einiger Erheblichkeit in diesem Sinne angesehen werde“.

Aber:

„b) Das gewaltsame Entkleiden des Tatopfers ist jedoch nur dann als eine sexuelle Handlung anzusehen, wenn der Täter „sich schon durch diese Handlung geschlechtliche Erregung oder Befriedigung verschaffen“ will (Senat, Urteile vom 31. Oktober 1984 – 2 StR 392/84 und vom 17. August 1988 – 2 StR 346/88, BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 2; BGH, Beschluss vom 17. September 1992 – 2 StR 416/92, NStZ 1993, 78, 79). Die Feststellung des Landgerichts, dass der Angeklagte sich schon durch das gewaltsame Entkleiden der Geschädigten sexuell habe erregen wollen, ist nicht tragfähig belegt.

aa) Zwar muss das Revisionsgericht die Überzeugung des Tatgerichts vom Vorliegen eines Sachverhalts grundsätzlich hinnehmen. Ebenso ist es ihm verwehrt, seine eigene Überzeugung an die Stelle derjenigen des Tatrichters zu setzen. Zu prüfen ist aber, ob die tatrichterliche Überzeugung in den Feststel-lungen und den sie tragenden Beweiserwägungen eine ausreichende Grundlage findet. Feststellungen und Beweiserwägungen müssen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Tatrichter gezogenen Schlussfolgerungen nicht nur eine Vermutung darstellen (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 16. Juni 2015 – 2 StR 29/15, StV 2015, 740; BGH, Beschluss vom 22. August 2013 – 1 StR 378/13, StV 2014, 610).

bb) Gemessen hieran sind die Wertungen des Landgerichts nicht tragfähig begründet.

(1) Das Landgericht hat seine Überzeugung, dass der Angeklagte die Geschädigte gewaltsam entkleidete, um sich „hieran sexuell zu erregen“, nicht näher begründet. Eine solche Motivation versteht sich – ungeachtet der spezifi-schen Tatvorgeschichte und des Umstands, dass der Angeklagte sich ausweis-lich der Feststellungen „in unmittelbarer Nähe der Zeugin auf den Boden hockte“ und damit begann, an seinem Glied zu manipulieren – nicht von selbst. Näherer Erörterung hätte dies schon deshalb bedurft, weil das Landgericht sich nicht davon zu überzeugen vermochte, dass das Handeln des Angeklagten nicht auf die Erzwingung des vaginalen Geschlechtsverkehrs abzielte. Auch diese Überzeugung ist nicht näher begründet.

(2) Darüber hinaus hätte auch das weitere Verhalten des Angeklagten in die Beweiswürdigung einbezogen werden müssen. Nach den Feststellungen sprang der Angeklagte nach der Tat plötzlich auf und trat mehrfach auf die am Boden liegende Geschädigte ein. Dieses Nachtatverhalten deutet auf eine Verärgerung des Angeklagten hin, die sich jedenfalls ohne eine nähere Erläuterung nicht mit der Annahme des Landgerichts vereinbaren lässt, dass die Durchführung der Tat den Plänen und Zielen des Angeklagten entsprach.“