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Kein Ermessen beim Entbindungsantrag, oder: zig-mal durchgekaut

entnommen openclipart.org

Ich eröffne die 6. KW. mit zwei Entbindungsentscheidungen. Zunächst zum Warmwerden der OLG Brandenburg, Beschl. v.08.1.2017 – (1) Z 53 SS-OWi 723/17 (374/17), den mir der Kollege U. Schleyer aus Berlin zur Verfügung gestellt hat. Der Beschluss behandelt eine in der Rechtsprechung der OLg schon zig-mal durchgekaute Frage, und zwar so oft, dass man sich schon die Frage stellt, warum die „richtige Lösung“ eigentlich nicht bei den Amtsgerichten ankommt. Und zwar die Frage: Hat der Amtsrichter bei der Entscheidung über den Entbindungsantrag (§ 73 Abs. 2 OWiG) eigentlich Ermessen? Nein, hat er nicht, und das sollte er wissen:

„b) Das Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge der Verletzung rechtlichen Gehörs — vorläufigen — Erfolg. Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde aus vorgenanntem Grund zu (§ 80 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Denn das Amtsgericht hat gemäß 73 Abs. 2 OWiG dem Antrag eines Betroffenen auf Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entsprechen, wenn sich der Betroffene zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Insoweit besteht für das Amtsgericht kein Ermessensspielraum (vgl. OLG Köln VRS 105, 207 ff. m.w.N.). So lag der Fall hier, denn der Verteidiger hatte in seinem schriftlichen Antrag vom 11. Juli 2017 ausgeführt, dass der Betroffene Fahrer des festgestellten, mit überhöher Geschwindigkeit fahrenden Personenkraftwagens gewesen war und er darüber hinaus in einer Hauptverhandlung keine An gaben zur Sache machen werde. Das Bußgeldgericht hätte daher dem Antrag entsprechen müssen; der Amtsrichter hat jedoch den Antrag — rechtsfehlerhaft — nicht beschieden.

Darin, dass das Amtsgericht als Folge unterlassener Entscheidung über den Antrag auf Entbindung von der Pflicht zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung und der Einspruchsverwerfung wegen vermeintlicher Säumnis des Betroffenen dessen Vorbringen zur Sache, nämlich das bloße Einräumen der Fahrereigenschaft und das fehlende Geständnis zur Geschwindigkeitsüberschreitung, nicht zur Kenntnis genommen, überprüft und bei der Entscheidung berücksichtigt hat, liegt eine Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 27. April 2011 2 Ss (OWi) 50/11 1 63/11 m.w.N.). Zwar muss der Verstoß gegen das rechtliche Gehör erheblich sein (vgl. KK-Bohnert, OWiG, 3. Auflage, Einleitung, Rdnr. 130 m. w. N.), da nicht bei jeder Verletzung einer dem rechtlichen Gehörs dienenden einfachgesetzlichen Verfahrensvorschrift rechtliches Gehörs tatsächlich verletzt ist (vgl. BVerfG NJW 1993, 2229 ff.). Eine solche erhebliche Verletzung rechtlichen Gehörs liegt jedenfalls dann vor, wenn die Rechtsanwendung offenkundig unrichtig war (vgl. BVerfG NJW 1985, 1150 f., 1151; BVerfG NJW 1987, 2733, 2734). Ein solcher Fall liegt hier vor.“

Als Verteidiger muss man natürlich den Hinweis des OLG im Hinterkopf haben:

„c) Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass das Tatgericht auch bei einer etwaigen Verhandlung in Abwesenheit des Betroffenen dessen schriftliche Erklärungen durch Mitteilung ihres wesentlichen Urteils oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung wird einführen (vgl. § 74 Abs. 1 S 2 OWiG) und sich ggf. in den Urteilsgründen damit auseinandersetzen müssen (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Mai 2016, (1 Z) 53 Ss-OWi 221/16 (120/16) m.w.N.).“

Entbindungsantrag, oder: Will der Amtsrichter die Sache schnell/einfach los werden?

© Corgarashu – Fotolia.com

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Und als dritte OLG-Entscheidung dann der KG, Beschl. v. 03.01.2017 – 3 Ws (B) 692/16 – 162 Ss 186/16. Er stammt aus dem reichlich gefüllten Fundus der sog. „Entbindungsentscheidungen“ – §§ 73, 74 OWiG.  Ergangen ist er in einem Bußgeldverfahren. Der Betroffene hatte Entbindung von der Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung beantragt, das AG hatte den Antrag abgelehnt. Als der Betroffene dann in der Hauptverhandlung nicht erschienen ist, hat das AG seinen Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Das KG sagt – kurz und knapp, aber zutreffend: So nicht. Denn:

„Die Rüge ist auch begründet. Der Betroffene war nach § 73 Abs. 2 OWiG von seiner Anwesenheitspflicht zu entbinden. Denn der Betroffene hatte erklärt, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht äußern werde, und seine Anwesenheit war zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich. Die Entscheidung über den Entbindungsantrag steht nicht im Ermessen des Gerichts; dieses ist vielmehr verpflichtet, dem Antrag zu entsprechen, wenn die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (Senat in std. Rspr., vgl. u. a. VRS 111, 146 und Beschlüsse vom 8. Juni 2011 — 3 Ws (B) 283/11 — und 5. Juni 2014 — 3 Ws (B) 288/14 —). Die pauschale Begründung des Amtsgerichts, der Betroffene solle mit dem Tatvorwurf konfrontiert werden, lässt nicht erkennen, welche Erkenntnisse durch die Anwesenheit eines schweigenden Betroffenen hätten gewonnen werden können.

Der Entbindungsantrag konnte auch noch zu Beginn der Hauptverhandlung durch den zur Vertretung bevollmächtigten Verteidiger angebracht werden. Dies ist nach überwiegender Ansicht in der obergerichtlichen Rechtsprechung, welcher der Senat folgt, zulässig (vgl. Senat VRR 2014, 155 [Volltext bei juris]; ausführlich OLG Celle VRS 116, 451 mwN; OLG Zweibrücken zfs 2011, 708 mwN).“

Als ich es gelesen habe, habe ich nur gedacht: Das ist doch alles nichts Neues. Dass „die pauschale Begründung….., der Betroffene solle mit dem Tatvorwurf konfrontiert werden“ nicht reicht, um einen Entbindungsantrag abzulehnen, ist „ausgepaukt“, zumal nun auch wirklich nicht erkennbar ist, „welche Erkenntnisse durch die Anwesenheit eines schweigenden Betroffenen hätten gewonnen werden können.“ Warum brauche ich dafür ein OLG? Und warum setzen die Amtsrichter die Rechtsprechung der Obergerichte zur „Entbindungsproblematik“, die dioe OLG quasi gebetsmühlenartig wiederholen, nicht einfach um, auch wenn sie ihnen ggf. nicht gefällt. Man hat den Eindruck, dass es heißt: Erst mal verwerfen, dann muss der Verteidiger ja die Verfahrensrüge erheben und das schafft er ggf. nicht und man ist die Sache einfach und schnell los…….

Vertretungsvollmacht, oder: Gehts noch?

FragezeichenDas AG muss den Betroffenen auf dessen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Zu dieser in der Rechtsprechung der OLG einhelligen Auffassung haben sich mal wieder das OLG Düsseldorf im OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.07.2016 – 2 RBs 91/16 – und das OLG Karlsruhe im OLG Karlsruhe, Beschl. v. 02.08.2016 – 3 (4) SsRs 350/16 – äußern müssen.

Beide Beschlüsse bringen nichts grundsätzlich Neues, sind aber dennoch einen Hinweis wert. Das gilt vor allem für den Beschluss des OLG Karlsruhe. Denn in dem Verfahren hatte der Verteidiger – der Kollege Anger aus Bergisch-Gladbach – eine Vollmacht vorgelegt, die ihn ausdrücklich legitimierte, einen Entpflichtungsantrag für den Betroffenen zu stellen. Das hatte dem AG nicht gereicht. Es hatte den Antrag auf Entpflichtung vom persönlichen Erscheinen dennoch abgelehnt und das damit begründet – so berichtet der Kollege, was sich aber leider nicht aus dem OLG, Beschl. ergibt, dass die Vollmachturkunde keine explizite Ermächtigung enthielt, „die Fahrereigenschaft des Betroffenen einzugestehen“. Das OLG hat demgegenüber zutreffend darauf hingewiesen, dass die vorgelegte Vertretungsvollmacht einer weitergehenden Konkretisierung nicht bedurfte (vgl. auch OLG Köln NJW 1969, 705).

Fazit: Als Verteidiger sollte man – aus reiner Vorsicht – aber in das Vollmachtsformular dann vielleicht doch noch einen Zusatz aufnehmen. Dann wäre die „Kuh endgültig vom Eis“.

Zu Recht meinte im Übrigen der Kollege Anger, dass es schon abenteuerlich sei, auf was für Ideen manche Gerichte kommen, um in der Sache nicht verhandeln, insbesondere keine Abwesenheitsverhandlung durchführen zu müssen. Manchmal möchte man schon rufen: Gehts noch? Und irgendwie passt das zum KG, Beschl. v. 21.07.2016 – 3 Ws (B) 382/16 (dazu: Verteidigeranruf: „Kommen später“ – AG verwirft Einspruch trotzdem, oder: Kurzer Prozess) und der Frage, was Verteidiger eigentlich noch alles machen müssen/sollen.

Wer zu früh kommt, den bestraft das OLG…

Uhr„Wer zu früh kommt, den bestraft das OLG“ – so kann man den OLG Bamberg, v. 10.03.2016 – 3 Ss OWi 88/16 – in „Abwandlung/Umkehr“ des Gorbatschow zugeschriebenen Ausspruchs „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ überschreiben. Im Beschluss ging es um einen Entbindungsantrag, der nach Auffassung des OLG zu früh gestellt war.

Der Verteidiger hatte im Rahmen der Anhörung durch die Zentrale Bußgeldstelle dieser gegenüber eine Stellungnahme für den Betroffenen abgegeben. Gleichzeitig hatte er eine Erklärung des Betroffenen weitergegeben, in welcher dieser seine Fahrereigenschaft einräumte und die Richtigkeit der Messung bezweifelte. Die Erklärung des Betroffenen endete mit folgenden Worten: „Weitere Äußerungen gebe ich nicht ab. Ich würde auch in einer Hauptverhandlung nichts sagen, wenn es zum Erlass eines Bußgeldbescheids käme, gegen den mein Verteidiger Einspruch einlegen wird. Dass ich einen Hauptverhandlungstermin bei einem Gericht nicht wahrnehmen möchte, bei dem es sich wahrscheinlich um das für den Tatort zuständige AG handelt, dürfte selbstverständlich sein. Die Kosten für eine Fahrt dorthin einschließlich Rückfahrt sind viel zu hoch.“ Später erging dann ein Bußgeldbescheid, gegen den Einspruch eingelegt wurde. In der Hauptverhandlung waren weder der Verteidiger noch der Betroffene anwesend. Das AG hat den Einspruch dann anch § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde macht der Betroffene dann geltend, dass sein „Entbindungsantrag“ nicht beschieden worden sei.

Das OLG verwirft und meint: Ein Antrag auf Entbindung des Betroffenen von der Erscheinenspflicht in der Hauptverhandlung nach § 73 Abs. 2 OWiG kann frühestens zusammen mit der Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid wirksam gestellt werden. Für die Zentrale Bußgeldstelle, an die der Entbindungsantrag noch im Vorverfahren adressiert war, habe keine Zuständigkeit zur Verbescheidung des Antrags bestanden. Eine Weiterleitung des Antrags kam ebenfalls nicht in Betracht, da es auch anderen öffentlichen Stellen an einer Zuständigkeit zur Verbescheidung des Antrags fehlte und – anders als bei Antragstellung zeitgleich mit Einspruchseinlegung – nicht absehbar war, ob eine Hauptverhandlung überhaupt stattfinden und eine solche Zuständigkeit jemals eintreten würde.

Die Argumentation ist für mich nicht zwingend. Denn es ist kein Grund ersichtlich, warum man die Erklärung des Betroffenen nicht als einen durch die Anberaumung eines Hauptverhandlungstermins bedingten Entbindungsantrag ansehen können sollte, über den das dann zuständige AG zu entscheiden hat. Eine andere Frage ist allerdings, ob es sich überhaupt um einen „Entbindungsantrag“ handelt.

Im Übrigen: Das OLG bezieht sich u.a. auf Göhler/Seitz OWiG, 16. Aufl. 2012, § 73 Rn. 4. Ausführungen zu der Frage finde ich da allerdings nicht.

Wenn nicht „unfassbar“, dann aber „unverständlich“, oder: Der fehlerhaft abgelehnte Entbindungsantrag

© Alex White - Fotolia.com

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Manche Fragen sind in der Rechtsprechung so „ausgepauckt“, dass es dazu an sich keine obergerichtlichen Entscheidungen mehr geben dürfte. Und man fragt sich dann, warum gibt es sie doch? Fahrlässige Unwissenheit der Tatrichter oder bewusste Negierung der obwergerichtlichen Rechtsprechung. Hoffen wir, dass es der ersten Grund, der ist schon schlimm genug.Und auf dem Feld bewegt man sich, wenn es um die Frage der Entbindung des Betroffenen von seiner Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung des Bußgeldverfahrens geht. Da ist es einhellige Meinung, dass dann, wenn der Betroffene seine Fahrereigenschaft zum Tatzeitpunkt ausdrücklich einräumt und erklärt, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht weitergehend zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen oder zur Sache einlassen werde, er auf seinen Antrag von der Pflicht zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung des Bußgeldverfahrens zu entbinden ist.

Das hatte ein Amtsrichter beim AG Potsdam dann anders gesehen. Sein Verwerfungsurteil ist dann psotwendend auf die Rechtsbeschwerde des Verteidigers hin durch den OLG Brandenburg, Beschl. v. 22.02.2016 – 1 53 Ss-OWi 617/15 304/15 aufgehoben worden:

„b) Die Verfahrensrüge ist auch begründet. Mit ihr trägt die Verteidigung zutreffend vor, dass die Vorgehensweise des Tatgerichts, den Betroffenen nicht von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, gegen § 73 Abs. 2 OWiG verstößt. Das Bußgeldgericht hatte dem Antrag vom 02. Juli 2015 zu entsprechen, weil die Voraussetzungen für eine Entbindung erfüllt waren. Der Verteidiger hatte in der Antragsschrift ausgeführt, dass der Betroffene seine Fahrereigenschaft zum Tatzeitpunkt ausdrücklich einräume, sich in der Hauptverhandlung aber nicht weitergehend zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen oder zur Sache einlassen werde. Eine wirksame Vertretungsvollmacht befand sich bereits bei den Gerichtsakten.

In der Nichtberücksichtigung der Einlassung des in der Hauptverhandlung abwesenden Betroffenen aufgrund fehlerhafter Ablehnung des Entbindungsantrags und in der Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid ohne Verhandlung zur Sache liegt eine Verletzung des Grundrechts des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs, Art 103 Abs. 1 GG. Der Betroffene hat ein Recht darauf, dass das Gericht seine Ausführungen zur Kenntnis nimmt und in seiner Abwesenheit zur Sache verhandelt und entscheidet, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen eines Abwesenheitsverfahrens vorliegen (Senatsbeschluss vom 18. Februar 2015 — 1 Ss-OWi 351 Z/15 m. w. N.).“

Kann man m.E. nicht mehr viel zu sagen, außer: Wenn nicht „unfassbar“, dann aber zumindest „unverständlich“.