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StPO II: Wenn der SV die Exploration einer „Hilfsperson“ überlässt, oder: Wiederholung in „kompakter Form“?

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 22.06.2021 – 5 Ks 102 Js 2876/20. Das LG nimmt zur Entbindung eines Sachverständigen von seinem Auftrag nach § 76 StPO Stellung.

Der Sachverständige war von der Staatsanwaltschaft mit der Erstellung eines forensisch-psychiatrischen Gutachtens zu Fragen der medizinischen Voraussetzungen der Schuldfähigkeit und Gefährlichkeit des Angeschuldigten gem. §§ 20, 21, 64 StGB beauftragt worden. In seinem schriftlichen Gutachten führte er dann aus, dass der Angeschuldigte in Anwesenheit von Frau B., B.Sc. Psychologie und des Sachverständigen an zwei Tagen, am 10.03.2021 und 19.03.2021, über insgesamt 2 Stunden und 45 Minuten untersucht wurde. Auf Nachfrage des LG, ob beide Sachverständige die ganze Zeit anwesend waren und wenn nicht, wer bei welchem Teil, insbesondere der Exploration, anwesend war, teilte der Sachverständige mit, dass die Angaben des Angeschuldigten am 10.03.2021 gegenüber Frau B. in „detaillierter Art und Weise“ gemacht und am 19.03.2021 ihm gegenüber in „kompakter Form“ wiederholt worden seien.

Das führt dann zur Entbindung:

„Zwar kann ein beauftragter Sachverständiger, der grundsätzlich zur persönlichen Erstellung und Erstattung des Gutachtens verpflichtet ist, Hilfskräfte in Anspruch nehmen, solange er sich von den Untersuchungsergebnissen selbst überzeugt und das Gutachten selbst verantwortet. Die Staatsanwaltschaft hat die Zuziehung einer Hilfskraft genehmigt.

Aufgrund der Pflicht zur persönlichen Gutachtenerstattung besteht jedoch ein Delegationsverbot, soweit durch Heranziehung anderer Personen die Verantwortung des Sachverständigen für das Gutachten in Frage gestellt wird (BGH, Beschluss vom 25.05.2011 – 2 StR 585/10; Löwe-Rosenberg, 27. Auflage 2017, StPO, § 73 Rn. 6). Das Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen muss eine Exploration des Probanden durch den Sachverständigen einschließen. Dabei handelt es sich um die zentrale Untersuchungsmethode. Deren Ergebnisse kann der gerichtliche Sachverständige nur dann eigenverantwortlich bewerten, wenn er sie selbst durchgeführt oder zumindest insgesamt daran teilgenommen hat. Dies gilt erst recht, wenn bei der Exploration auch Mimik und Gestik des Probanden aufgefasst werden. Die Durchführung dieser Untersuchung darf daher nicht an eine Hilfsperson delegiert werden (MüKoStGB, 4. Auflage 2020, § 20 StGB Rn. 171; Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Auflage 2012, S. 407; BSG, Beschluss vom 18.09.2003 – B 9 VU 2/03 B; OLG Köln, Beschluss vom 20.07.2011 – 17 W 129/11).

Laut Auskunft des Sachverständigen Dr. T. erfolgte eine detaillierte Exploration durch Frau B., durch ihn lediglich eine kompakte Abfrage. Eine kompakte Abfrage reicht aber nicht aus, um sich – bei der Exploration als zentrale Untersuchungsmethode – ein eigenes Bild von der Richtigkeit der Befunderhebung zu machen. Die Kammer hat daher erhebliche Zweifel, dass der Sachverständige die Verantwortung für das Gutachten übernehmen kann. Daran vermag auch eine hypothetisch ergänzende Exploration durch den Sachverständigen Dr. T. nichts zu ändern, da hierdurch verbleibende Zweifel an der notwendigen Objektivität des Sachverständigen bestehen blieben. Dies gilt umso mehr, als der Angeschuldigte in dem beschlagnahmten Brief an seine Lebensgefährtin vom 10.05.2021 (Bl. 372 d.A.) seine Verärgerung über der Sachverständigen Dr. T. zum Ausdruck gebracht hat. In dem Brief äußerte der Angeschuldigte unter anderem, dass er „richtig sauer auf den Sachverständigen“ sei, da das „Gutachten Frau B. und kein T. gemacht habe“, und er „mit ihm nur fünf Minuten über den § 64 und nicht über meine Gedanken gesprochen habe“. Eine unbefangene Mitwirkung des Angeschuldigten an einer weiteren Exploration durch Dr. T. ist daher zweifelhaft.“

OWi III: Entbindung von der Anwesenheitspflicht zwingend, oder: Wie oft eigentlich noch?

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Und als dritte Entscheidung dann mal wieder etwas zur Verwerfung des Einspruchs wegen Ausbleiben des Betroffenen bzw. zur Problematik: Entbindungsantrag. Der OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 29.06.2020 – 3 Ss-OWi 422/20 – bringt dazu nichts Neues. Er lässt einen aber – jedenfalls mich – mit der Frage zurück: Wie oft müssen die OLG die vom OLG Frankfurt entschiedene Frage eigentlich noch entscheiden bzw. warum richten sich nicht alle Amtsrichter nach der insoweit eindeutigen ständigen Rechtsprechung der OLG?

Das OLG führt aus:

„Das Amtsgericht verwarf mit dem angefochtenen Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG den Einspruch des nicht zur Hauptverhandlung erschienenen und nicht von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbundenen Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums Kassel vom 23. Oktober 2019, mit dem gegen den Betroffenen als Führer des Pkws mit dem amtlichen Kennzeichen pp., der am 12.8.2019 die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 45 km/h überschritten haben soll, eine Geldbuße in Höhe von 160,00 € sowie ein Fahrverbot von einem Monat verhängt worden war.

Gegen das Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

Die fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat mit der ordnungsgemäß ausgeführten Verfahrensrüge der Verletzung von §§ 73 Abs. 2, 74 Abs. 2 OWiG — zumindest vorläufig — Erfolg.

Das Unterlassen der rechtzeitig und begründet beantragten Entbindung des Betroffenen von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung am 13. Januar 2020 durch das Amtsgericht Bensheim war rechtsfehlerhaft und verletzte den Anspruch des Betroffenen auf das rechtliche Gehör, weil statt einer Sachentscheidung eine reine Prozessentscheidung erlassen wurde, in der das (ggf. nur schriftliche) Vorbringen des Betroffenen gerichtlich nicht gewürdigt wurde (OLG Frankfurt, Beschluss vom 22. Juni 2017 — 2 Ss OWi 614/17; OLG Bamberg, Beschluss vom 20.10.2007 – 2 Ss OWi 1409/08).

Nach § 73 Abs. 2 OWiG hat das Gericht den Betroffenen von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wenn dieser seine Fahrereigenschaft eingeräumt und im Übrigen angekündigt hat, sich in der Hauptverhandlung nicht weiter zur Sache zu äußern. Denn dann ist seine Anwesenheit zur Auf-klärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich (ständige Rechtsprechung des 2. Senats des OLG Frankfurt am Main, vgl. u. a. den Beschluss vom 13. März 2012, 2 Ss-Owi 62/12 m. N.). Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – über ein Fahrverbot zu entscheiden ist, da der Betroffene zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet ist, an einer weiteren Aufklärung der persönlichen Verhältnisse mitzuwirken (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 10. August 2005 – 2 Ss-OWi 152/05 – ).

Unter Berücksichtigung dieser Umstände hätte der Antrag des Betroffenen auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung vom Amtsgericht im Sinne des Antragsbegehrens entschieden werden müssen. Der Betroffene hatte mit Schreiben seines Verteidigers vom 10. Januar 2020 seine Fahrereigenschaft eingeräumt und mitgeteilt, weitere Angaben zur Sache in der Hauptverhandlung nicht zu machen. Unter diesen Umständen gab es keinen sachlichen Grund für die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung. Konkrete Anhaltspunkte für eine bei Erscheinen des Betroffenen noch zu erwartende Sachaufklärung waren vorliegend nicht gegeben. Das Amtsgericht hätte daher dem Entbindungsbegehren des Betroffenen entsprechen müssen und stand insoweit nicht in seinem freien Ermessen (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 10. August 2005 – 2 Ss-OWi 152/05 -).

Da das Amtsgericht den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen hätte entbinden müssen, war die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid wegen unentschuldigten Ausbleibens in der Hauptverhandlung rechtsfehlerhaft und das angefochtene Urteil daher aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Bensheim zurückzuverweisen. Für die Zurückverweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts besteht kein Anlass.“

Anwaltliche Verschwiegenheitspflicht, oder: Konkludente Entbindung gegenüber der RSV

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Heute dann im Kessel Buntes zwei Entscheidungen, in denen Fragen in Zusammenhang mit der Rechtsschutzversicherung eine Rolle spielen.

Ich starte mit dem BGH, Urt. v. 13.02.2020 – IV ZR 90/19. In dem Urteil geht es um die Auskunftspflicht des Rechtsanwalts gegenüber der RSV seines Mandanten.

Gestritten haben die RSV als Klägerin und der Prozessbevollmächtige ihres Versicherungsnehmers. Der hatte den in einer Verkehrsunfallsache mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen beauftragt. Die Klägerin erteilte die  Deckungszusagen für die außergerichtliche und gerichtliche Tätigkeit der Beklagten. Insgesamt zahlte die Klägerin bis Juli 2016 Kostenvorschüsse in Höhe von 2.862,26 EUR gezahlt. Davon hat der Beklagte dann September 2016 ohne nähere Informationen 1.309,41 EUR zurückerstattet. Auf schriftliche Anfragen der Klägerin hinsichtlich des Sachstands des Verfahrens antwortete der Beklagte nicht. Die Klägerin beauftragte nun selbst Rechtsanwälte, die den Beklagten zur Auskunft aufforderten. Letztere lehnten eine Auskunftserteilung ab.

Die Klägerin hat dann Klage erhoben. Im ersten Verhandlungstermin hat der Beklagte dann Angaben zum Stand des Verfahrens gemacht. Die Klägerin hat ihre Klage insoweit für erledigt erklärt, hat aber weiterhin beantragt, den Beklagten zur Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen zu verurteilen. Das AG hat verurteilt und im Übrigen festgestellt, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat. Die dagegen eingelegte Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg. Und auch die Revision gegen das LG-Urteil hat der BGH zurückgewiesen.

Der BGH stellt seiner Entscheidung folgende Leitsätze voran:

  1. Dem Rechtsschutzversicherer, der einen Prozess vorfinanziert hat, steht zur Ermittlung eines möglichen Herausgabeanspruchs ein Auskunftsanspruch gegen den durch seinen Versicherungsnehmer beauftragten Rechtsanwalt zu.
  2. Finanziert der Rechtsschutzversicherer mit Einverständnis seines Versicherungsnehmers einen Prozess und überlässt der Mandant dem beauftragten Rechtsanwalt den Verkehr mit dem Rechtsschutzversicherer, ist von einer konkludenten Entbindung des Rechtsanwalts von der Verschwiegenheitsverpflichtung durch den rechtsschutzversicherten Mandanten auszugehen, soweit es die Abrechnung des Mandats betrifft.

Und zur Verschwiegenheitspflicht führt er aus:

„b) Dem Anspruchsübergang stand vorliegend auch nicht die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht aus § 43a Abs. 2 BRAO entgegen. Eine Entbindung von der Schweigepflicht kann durch den Mandanten ausdrücklich erklärt werden, aber grundsätzlich auch durch schlüssiges Handeln erfolgen (vgl. Weyland/Träger, BRAO, 10. Aufl., § 43a Rn. 25). Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der rechtsschutzversicherte Mandant, wenn der Rechtsschutzversicherer mit Einverständnis des Mandanten einen Prozess vorfinanziert und der Mandant dem Rechtsanwalt auch den Verkehr mit dem Rechtsschutzversicherer überlässt, den Anwalt konkludent von der Verschwiegenheitsverpflichtung entbunden hat, soweit es die Abrechnung des Mandats betrifft (vgl. LG Heidelberg, ZfSch 2017, 160,161; LG Bochum, JurBüro 2012, 536, 537; LG Düsseldorf, r+s 2000, 157, 158; OLG Düsseldorf, VersR 1980, 231; Henssler/Prütting-Henssler, BRAO, 4. Aufl., § 43a Rn. 70; Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., Rn. 890; Hambloch, JurBüro 2013, 623; Schons, AGS 2012, 323, 324; van Bühren, NJW 2007, 3606, 3609; a. A. Weyland/Träger, BRAO, 10. Aufl., § 43a Rn. 25 a). Denn nur auf diese Weise kann der Rechtsanwalt den Auftrag des Mandanten und dessen Auskunftspflicht seinem Rechtsschutzversicherer gegenüber sachgerecht erfüllen (vgl. Henssler/Prütting-Henssler, aaO; van Bühren, aaO).“

Hatten wir so bisher vom BGH noch nicht gehört/gelesen.

Verwerfung II: Verwerfung des Einspruchs trotz Entbindung, oder: Man fasst es nicht

Die zweite Entscheidung kommt heute vom OLG Stuttgart. Es ist der OLG Stuttgart, Beschl. v. 24.09.2018 – 2 Rb 24 Ss 835/18. Das ist eine dieser Entscheidunge, bei denen man – wenn man den zugrunde liegenden Sachverhalt – liest, meint: Das gibt es doch eigentlich nicht. was? Nun, ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG, obwohl der Betroffene von seiner Anwesenheitspflicht entbunden war. Doch gibt es: Hier wurde der Betroffene am 12.12.2017 vom Erscheinen entbunden und am 13.12.2017 wurde dann verworfen.

Zu Recht rügt der Betroffene die Verletzung rechtlichen Gehörs.

„Bei Verwerfung des Einspruchs kann gerügt werden, dass das Amtsgericht zu Unrecht den Einspruch wegen unentschuldigten Ausbleibens verworfen hat, weil die Voraussetzun­gen hierfür nicht gegeben waren (Göhler, 17. Auflage, OWiG § 74 Rn. 48a). Eine Verwer­fung des Einspruchs ist nur bei unerlaubter Abwesenheit des Betroffenen – nicht bei Abwe­senheit des vertretungsberechtigten Verteidigers – möglich (Göhler a.a.O. § 74 Rn. 19). Für die Gehörsrüge muss bei Verwerfung des Einspruchs der vom persönlichen Erschei­nen entbundene Betroffene darlegen, welcher Sachvortrag infolge der fehlerhaften Ein­spruchsbegründung unberücksichtigt geblieben ist (Göhler a.a.O. § 80 Rn. 16c). Die erho­bene Verfahrensrüge entspricht diesen Erfordernissen. Der Betroffene hat insbesondere die schon im Rahmen des Antrags auf Entbindung vom persönlichen Erscheinens ange­brachten Einwendungen vorgetragen und dargelegt, dass diese unberücksichtigt blieben. Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 OWiG ist die Verhandlung in Abwesenheit des Betroffenen durch­zuführen, wenn er nicht erschienen ist und vom persönlichen Erscheinen entbunden war. Nach § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG sind u. a. schriftliche Erklärungen des Betroffenen durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzufüh­ren. Hierunter fallen auch die in einem Schriftsatz eines Verteidigers vorgetragenen Anga­ben des Betroffenen, wenn beide nicht anwesend sind und der Verteidiger bei den schriftsätzlich vorgetragenen Angaben Verteidigungsvollmacht hatte (Göhler a.a.O. § 74 Rn. 11a). Auch diese Voraussetzungen wurden ausreichend mit der Verfahrensrüge vorgetra­gen.

Der Betroffene ist daher in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, da das Amtsgericht seine Einwendungen nicht berücksichtigt hat und trotz aus­reichender Entschuldigung aufgrund des Entbindens vom persönlichen Erscheinen den Ein­spruch verworfen hat.W

Entbindung eines Schöffen, oder: Auch Schöffen dürfen Urlaub machen

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Und als dritte Entscheidung dann noch der BGH, Beschl. v. 08.05.2018 -5 StR 108/18. Betrifft (noch einmal) die Entbindung eines Schöffen vom Schöffenamt wegen Erholungsurlaubs eines Schöffen. Passt also ganz gut, da morgen in NRW die Sommerferien beginnen, die in anderen Bundesländern schon laufen. Dazu der BGH:

„1. Die erhobenen Besetzungsrügen (§ 338 Nr. 1 StPO) sind jedenfalls unbegründet. Die Entbindungen des Hauptschöffen Kl. und des Ergänzungsschöffen Ku. wegen Urlaubs sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Der Bundesgerichtshof überprüft die Entbindung von Schöffen lediglich am Maßstab der Willkür (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 5 StR 276/15, NStZ 2015, 714; näher Arnoldi, NStZ 2015, 714; 2017, 492). Eine über den Willkürmaßstab hinausgehende Richtigkeitsprüfung kommt angesichts der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 336 Abs. 1 Satz 2 StPO i.V.m. § 54 Abs. 3 Satz 1 GVG nicht in Betracht und ist auch verfassungsrechtlich nicht erforderlich (eingehend BGH, Urteil vom 22. November 2013 – 3 StR 162/13, BGHSt 59, 75, 79 f. mwN).

Während berufliche Gründe nur ausnahmsweise die Verhinderung eines Schöffen rechtfertigen können (vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. Juni 1978 – 3 StR 81/78, BGHSt 28, 61, 66; Urteil vom 4. Februar 2015 – 2 StR 76/14, NStZ 2015, 350), ist der auf anberaumte Sitzungstage fallende und mit Ortsabwesenheit einhergehende Erholungsurlaub eines Schöffen ein Umstand, der regelmäßig zur Unzumutbarkeit der Dienstleistung führt (vgl. LR/Gittermann, 26. Aufl., § 54 GVG Rn. 6). Sinn und Zweck des Erholungsurlaubs ist es, dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen (vgl. BAG NJW 2012, 3529). Um dies gewährleisten zu können, ist der Urlaub grundsätzlich zusammenhängend zu gewähren (vgl. § 7 Abs. 2 BUrlG). Auch nicht (mehr) im Arbeitsprozess stehende Schöffen haben – insbesondere unter Gesundheitsaspekten – ein berechtigtes Interesse daran, längere Zeit urlaubsbedingt ortsabwesend zu sein. Die Unterbrechung eines auf längere Dauer angelegten Erholungsurlaubs zum Zweck der Teilnahme an einer Hauptverhandlung kann vor diesem Hintergrund Schöffen in aller Regel nicht zugemutet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 5 StR 276/15 aaO).

Bei der antragsgemäßen Entbindung eines Schöffen aufgrund eines von diesem angezeigten Urlaubs liegt deshalb Willkür in aller Regel fern (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 5 StR 276/15, NStZ 2015, 714; Urteil vom 5. Januar 1982 – 5 StR 426/81). Macht der Schöffe einen derartigen Verhinderungsgrund geltend, darf der Vorsitzende sich mit seiner Erklärung begnügen, wenn er sie für glaubhaft und weitere Nachforschungen für überflüssig hält (vgl. BGH, Urteile vom 8. Dezember 1976 – 3 StR 363/76, NJW 1977, 443; vom 22. Juni 1982 – 1 StR 249/81, NStZ 1982, 476; vom 14. Dezember 2016 – 2 StR 342/15, NStZ 2017, 491, 492). Nur ausnahmsweise können Rückfragen und Nachforschungen geboten sein, etwa wenn der Schöffe wegen längeren Urlaubs im Geschäftsjahr bereits von der Dienstleistung befreit worden war oder wenn ein Anhaltspunkt dafür besteht, dass der Schöffe sich der Teilnahme an der Hauptverhandlung zu entziehen versucht (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 1976 – 3 StR 363/76, NJW 1977, 443). Die Verschiebung eines länger geplanten Erholungsurlaubs ist für den Schöffen in aller Regel unzumutbar (vgl. LR/Gittermann, 26. Aufl., § 54 GVG Rn. 6; vgl. auch BGH, Urteil vom 8. Dezember 1976 – 3 StR 363/76 aaO), dahingehende Fragen des Vorsitzenden sind mithin regelmäßig entbehrlich. Wie der Schöffe seinen Erholungsurlaub verbringt, ist seine Sache und unterliegt deshalb nicht der Erforschung und Bewertung durch den Vorsitzenden. Zur Erfüllung der Anforderungen aus § 54 Abs. 3 Satz 2 GVG genügt es bei einer Befreiung wegen Erholungsurlaubs, die Gründe für die Entbindung stichwortartig zu dokumentieren (BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 5 StR 276/15, NStZ 2015, 714).

b) Nach diesen Maßstäben liegt eine willkürliche Verletzung von § 54 Abs. 1 GVG aufgrund der Schöffenentbindungen hier fern. Beim Schöffen Kl. stand eine länger geplante Urlaubsreise außerhalb Berlins seinem Einsatz an terminierten Sitzungstagen entgegen. Dass der von diesem Schöffen gestellte Entbindungsantrag aktenmäßig in Verlust geraten war und deshalb die Sache unter Einbindung seiner Ehefrau telefonisch geklärt wurde, ist rechtlich irrelevant. Die antragsgemäße Entbindung des Hilfsschöffen Ku. beruhte ebenfalls auf dessen Angabe, an terminierten Hauptverhandlungstagen aufgrund Urlaubs nicht zur Verfügung zu stehen. Die Entbindung ist durch den geschäftsplanmäßigen Vertreter und damit von dem zuständigen Richter getroffen worden. Angesichts des in Haftsachen besonders gewichtigen Gebots schleuniger Erledigung war die Strafkammer auch nicht gehalten, der Verhinderung eines Schöffen durch verzögernde Unterbrechung der Hauptverhandlung (§ 229 Abs. 1 StPO) Rechnung zu tragen.

c) Das von der Revision ins Feld geführte Urteil des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 14. Dezember 2016 (2 StR 342/15, NStZ 2017, 491) steht der Entscheidung des Senats nicht im Sinne von § 132 Abs. 2 GVG entgegen. Der 2. Strafsenat teilt in dieser Entscheidung die von der bisherigen Rechtsprechung aufgestellten Maßstäbe – andernfalls er nach § 132 Abs. 2 GVG hätte verfahren müssen – und wendet sie nur in besonderer Weise auf einen Einzelfall an.“

Und was bietet sich das als „Beitragsbild“ besser an als ein Borkumer Badekarren 🙂