Schlagwort-Archive: Einsicht

Einsicht in Rohmessdaten, oder: Welcher Mitarbeiter hat die Einsichtsanfrage abschlägig beschieden?

© Alex White – Fotolia.com

Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den KG, Beschl. v. 06.08.2018 – 3 Ws (B) 168/18. Beantragt war im Bußgeldverfahren die Einsicht in die Rohmessdaten nach einer Messung mit einem standardisierten Messverfahren. Die wird nicht gewährt. Das wird dann in der Rechtsbeschwerde gerügt.

Das KG sieht die (Verfahrens)Rüge des Verteidigers als unzulässig an:

„2. Soweit der Rechtsbeschwerdebegründung die Rüge der Beschränkung der Verteidigung in einem wesentlichen Punkt (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 338 Nr. 8 StPO) zu entnehmen ist, versäumt sie es, substantiiert vorzutragen, welche Tatsachen sich aus welchen (genau zu bezeichnenden Stellen der beizuziehenden bzw. anzufordernden) Unterlagen ergeben hätten und welche Konsequenzen für die Verteidigung daraus folgten. Sollte dem Verteidiger, was hier nicht nur naheliegt, sondern auch vorgetragen wird, eine solche konkrete Bezeichnung vorenthaltenen Materials (hier: die sog. Lebensakte und die – über die aktenkundigen Rohmessdaten zur in Rede stehenden Messung hinausgehenden – digitalen Falldaten der gesamten Messserie) nicht möglich sein, weil ihm dieses noch immer nicht vorliegt, so muss er sich bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge weiter um die Einsicht bemüht haben und die entsprechenden Anstrengungen gegenüber dem Rechtsbeschwerdegericht auch dartun (vgl. BGH NStZ 2010, 530; Senat DAR 2017, 593 und 2013, 211; OLG Bamberg DAR 2016, 337; OLG Celle NZV 2013, 307; OLG Hamm NStZ-RR 2013, 53).

An entsprechendem Vortrag fehlt es hier. Die Verfahrensrüge ist daher bereits unzulässig.

Zwar trägt der Verteidiger vor, telefonisch bei der Bußgeldstelle angefragt zu haben, ob sie ihm die Lebensakte zum Zwecke der Rechtsbeschwerdebegründung übersenden würde, was die Behörde abgelehnt habe. Jedoch genügt dieser Vortrag nicht den Erfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG. Darzulegen wäre gewesen, wann diese Anfrage erfolgt war und insbesondere, welcher Mitarbeiter der Bußgeldstelle sie abschlägig beschied. Dieses Darlegungserfordernis stellt – anders als der Verteidiger meint – keine Überspannung der Anforderungen an das notwendige Vorbringen dar. Abgesehen davon, dass sich bereits aus den genannten Vorschriften ergibt, dass die den gerügten Mangel begründenden Tatsachen vollständig, klar und umfassend vorzutragen sind, ist es dem Senat hier in Ermangelung entsprechenden Vortrags nicht möglich, eine dienstliche Stellungnahme des betreffenden Mitarbeiters der Bußgeldstelle einzuholen.“

Also: Die Hürden für die Begründung der Rüge mal wieder noch höher gelegt. Jetzt muss auch noch der Name des Beamten angegeben werden, der die Anfrage abschlägig beschieden hat, um es dem Senat zu ermöglichen „eine dienstliche Stellungnahme des betreffenden Mitarbeiters der Bußgeldstelle einzuholen.“ Warum eigentlich eine dienstliche Stellungnahme? Glaubt man dem Verteidiger den entsprechenden Vortrag nicht? Und warum misstraut man ihm? Und was ist, wenn der „betreffende Mitarbeiter der Bußgeldstelle“ sich nicht mehr erinnert und er keinen Vermerk pp. gemacht hat? Hat der Verteidiger dann gelogen?

Die Frage, ob Einsicht in „die digitalen Falldaten der gesamten Messserie“ zu gewähren gewesen wäre, hat das KG dann offen gelassen. Die dazu gegebene Begründung ist nicht neu, kann man sich hier also sparen. Zum VerfG Saarland übrigens kein Wort. Man hätte sich ja gefreut, wenn man erfahren hätte, was das KG dazu denkt.

OWi II: Einsicht in Messunterlagen, oder: So umschifft auch das OLG Oldenburg das VerfG Saarland

© fotomek – Fotolia.com

Ich komme dann noch einmal auf den OLG Oldenburg, Beschl. v. 23.07.2018 – 2 Ss (OWi) 197/18 – zurück (vgl. dazu das „morgendliche“ Posting unter OWi I: OLG Oldenburg, der VerfG Saarland und das “unfaire standardisierte Messverfahren“, oder: “Absurd”.)

Der Kollege Ritter, der den Beschluss erstritten – besser „erlitten“ – hat, hatte übrigens Anhörungsrüge erhoben. Auch die natürlich ohne Erfolg. Da macht es das OLG im OLG Oldenburg, Beschl. v. 09.08.2018 – 2 Ss(OWi) 197/18 – übrigens wie das OLG Düsseldorf im OLG Düsseldorf, Beschl. v. 06.07.2018 – IV-2 RBs 133/18 (dazu: OWi II: Stoßseufzer aus Düsseldorf?, oder: Gott sei Dank, VerfG Saarland umschifft):

„Soweit der Betroffene darauf abstellt, bereits die Verwaltungsbehörde hätte ihm die Daten zur Verfügung stellen müssen, hätte der Betroffene sein Begehren im Wege des § 62 OWiG weiterverfolgen müssen. Der Betroffene hatte jedoch lediglich in dem Schreiben, mit dem er die Akteneinsicht beantragt hatte, hilfsweise die gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 OWiG beantragt. Eine wirksame Anfechtung der ablehnenden Entscheidung der Verwaltungsbehörde ist damit jedoch nicht erfolgt, weil Entscheidungen nicht vor deren Erlass angefochten werden können (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6.7.2018, IV-2RBs 133/18, bei www.burhoff.de). Der Betroffene hat deshalb bereits nicht alles getan, um gegenüber der Verwaltungsbehörde den von ihm geltend gemachten Anspruch durchzusetzen.“

Also auch da: Man marschiert vereint. Abweichen ist nicht erlaubt…..

Das einzige Positive: Der Hinweis auf meine Homepage 🙂 .

OWi II: Stoßseufzer aus Düsseldorf?, oder: Gott sei Dank, VerfG Saarland umschifft

© Orlando Florin Rosu – Fotolia.com

Nach OWi I: Rechtsprechungsmarathon zur Einsicht in Messunterlagen, oder: Der Kampf geht weiter, dann eine „schöne“ – na ja, das kann man bezweifeln – Entscheidung des OLG Düsseldorf aus dem Bereich.

Das AG hatte den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von unter 100 € verurteilt. Der Betroffene hat u.a. die Versagung rechtlichen Gehörs geltend gemacht und die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG gegen die Verurteilung beantragt. Der Antrag hatte natürlich keinen Erfolg. Das OLG hat im OLG Düsseldorf, Beschl. v. 06.07.2018 – IV-2 RBs 133/18 – den Zulassungsantrag zurückgewiesen und führt dazu u.a. aus:

„b) Auch die Erwägungen des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes in dem vom Betroffenen angeführten Beschluss vom 27. April 2018 (Lv 1/18) verhelfen dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg.

Der Verfassungsgerichtshof (a. a. O., Rn. 37 nach juris m. w. N.) stellt nicht in Zweifel, dass Einsichtsgesuche der hier gegenständlichen Art gegenüber der Verwaltungsbehörde zu verfolgen sind und nicht erst in der Hauptverhandlung erstmalig verbunden mit dem Antrag auf Aussetzung derselben gestellt werden dürfen (Senat, Beschluss vom 22. Juli 2015, Az. IV-2 RBs 63/15, juris = NZV 2016, 140, 142; vgl. auch § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG). Kommt die Verwaltungsbehörde dem nicht nach, hat der Betroffene sein Begehren im Wege des § 62 OWiG weiterzuverfolgen (Senat a. a. O.). Das ist hier anders als in dem vom Verfassungsgerichtshof des Saarlandes entschiedenen Fall nicht geschehen. Die Rechtfertigungsschrift teilt zu einem solchen Antrag lediglich mit, dessen Stellung sei durch den Verteidiger des Betroffenen in der Schrift, mit der dieser bei der Verwaltungsbehörde die hier gegenständlichen Einsichtsrechte geltend gemacht habe, für den Fall der Ablehnung desselben erklärt worden. Eine wirksame Anfechtung der ablehnenden Entscheidung der Verwaltungsbehörde ist damit jedoch nicht erfolgt, weil Entscheidungen nicht vor deren Erlass angefochten werden können (BGHSt 25, 187, 189).

Schon allein deswegen kommt eine Versagung des rechtlichen Gehörs auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Fehlens einer Entscheidung nach § 62 OWiG in Betracht.2

Man kann den Stoßseufzer der Erleichterung quasi hören. Uff, Gott sei Dank, VerfG Saarland umschifft. Man ist erleichtert gewesen,  dass man auf den formalen Dreh mit der zu frühzeitigen „Anfechtung“ der Versagungsentscheidung gekommen ist. Damit war man einer Auseinandersetzung mit der Entscheidung der VerfG Saarland enthoben.

Für den Verteidiger bedeutet diese Entscheidung: Zunächst nur den Antrag auf Einsicht stellen und erst, wenn der abgelehnt worden ist, dagegen dann den Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Dann ist die Hürde genommen und das OLG muss sich andere Gedanken machen, wie man eine Stellungnahme zum Beschluss des VerfG Saarland umschiffen kann.

Da „zickt“ das OLG Bamberg im „(Einsichtsrechts)Streit“, oder: Doppelmoral?

© Alex White – Fotolia.com

Ich erinnere an den OLG Bamberg, Beschl. v. 13.06.2018 – 3 Ss OWi 626/18 – (dazu Antwort vom OLG Bamberg: Das VerfG Saarland hat keine Ahnung, oder: Von wegen der Rechtsstaat lebt) in dem das OLG dem VerfG Saarland erklärt, was Rechtsstaat ist (vgl. dazu VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.2018 – Lv 1/18  und Paukenschlag beim (Akten)Einsichtsrecht, oder: Der Rechtsstaat lebt…) .

Der Kollege Grüne aus Schweinfurt, der den Beschluss des OLG Bamberg „erstritten“ – besser wohl „erlitten“ hat – hat gegen die Entscheidung Anhörungsrüge erhoben, auf die dann das OLG Bamberg inzwischen geantwortet hat. Der Kollege hat mir Anhörungsrüge und Beschluss des OLG übersandt und ausdrücklich sein Einverständnis mit der „Veröffentlichung“ erklärt.

In seiner Anhörungsrüge hatte der Kollege vorgetragen:

… erhebe ich gem. § 79 Abs. 3, § 356a StPO die

Anhörungsrüge

und beantrage, das Verfahren gem. § 79 Abs. 3, § 356a StPO in den Stand vor Erlass der Entscheidung vom 13.06.2018 zu versetzen.

Begründung:

Das OLG Bamberg hat mit seinem Beschluss vom 13.06.2018 das rechtliche Gehör des Be-troffenen i. S. d. Art. 103 I GG verletzt und die Entscheidung beruht aufgrund der entspre-chenden Entscheidungserheblichkeit auch auf dieser Gehörsverletzung. Daher ist der Form halber die Anhörungsrüge zu erheben.

Die Gehörsverletzung ergibt sich aus der Nichtzurverfügungstellung der angeforderten Be-weismittel, namentlich

– Die dem Bußgeldverfahren zugrunde liegende Messdatei im entsprechenden Original-format, einschließlich – soweit im einschlägigen Messverfahren vorhanden – Tokenda-tei, Passwort, Statistikdatei samt Annullierungsrate und Fotoliniendokumentation

– Entsprechendes bezüglich des gesamten Datensatzes der Messreihe

– Lebensakte des eingesetzten Messgeräts i. S. d. § 31 II Nr. 4 MessEG, hilfsweise, so-weit eine Lebensakte nicht geführt wird, eine Übersicht der seit der Inbetriebnahme vorgenommenen Reparaturen und Nacheichungen

– Original-Lichtbild, ggf. als Datei

– Verkehrsrechtliche Anordnung der Geschwindigkeitsbegrenzung

Es wird daher nochmals auf den bereits zitierten Beschluss des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes vom 27.04.2018, Az. Lv 1/18, verwiesen, wonach der Betroffene die angewandte Richtigkeitsvermutung eines Bußgeldverfahrens nur angreifen kann, wenn er konkrete An-haltspunkte für einen Fehler im Rahmen der Messung vorträgt. Es wird ihm also eine Beibrin-gungs- bzw. Darlegungslast auferlegt (Cierniak, ZfS 2012, 664 [669]). Diese Punkte vorzutra-gen, also die erfolgversprechende Verschaffung rechtlichen Gehörs, wird ihm jedoch unmöglich gemacht, wenn die Messdaten als die Grundlage der Messung nicht für eine sachverstän-dige Untersuchung zur Verfügung gestellt werden (OLG Celle, Urteil vom 16.6.2016 – 1Ss OWi 96/16 –, NJOZ 2017, 559 Rn. 5; Deutscher, DAR 2017, 723; Cierniak, ZfS 2012, 664 [669]). Letztlich wird er unter Verstoß gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens als Objekt des Verfahrens behandelt, dem wesentliche Mitwirkungsrechte versagt werden bzw. welches diese nicht effektiv ausüben kann. Dies wird auch nicht dadurch widerlegt, dass der Senat behauptet, der Betroffene habe ja ausreichende Möglichkeiten, sich anderweitig an der Wahr-heitsfindung aktiv zu beteiligen, wenn dies durch die Rechtsprechung des Senats gerade unmöglich gemacht wird. Hieraus folgt dann die faktische „Darlegungs- und Beibringungslast“, die der Senat so vehement von sich weist. Müssen nämlich bei einem standardisierten Mess-verfahren keinerlei Aufklärungsmaßnahmen vorgenommen und muss keinerlei Beweisanträgen nachgegangen werden, da eine Konkretisierung mangels Messdaten unmöglich gemacht wird, ist eine amtsrichterliche Sachaufklärung vor der Feststellung der „vollen Überzeugung des Tatrichters“ nicht mehr gegeben.

Aus dem Gebot eines fairen Verfahrens folgenden Gebot der Waffengleichheit folgt, dass ebenso, wie dem „Ankläger“ Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, einen Tatvorwurf nachzuweisen – was in Fällen der hier diskutierten Art leicht möglich ist, da der vom Gerät angezeigte Wert dafür genügt –, einem im Bußgeldverfahren Betroffenen Zugang zu den In-formationen gewährt werden muss, die er benötigt, um sich gegen den Vorwurf zu verteidigen oder durch einen Verteidiger verteidigen zu lassen („Parität des Wissens“, vgl. LG Trier, DAR 2017, 721 [722]; „Informationsparität“ gemäß Art. 6 EMRK, vgl. Krenberger, juris PR-VerkR 17/2016), sodass sich auch hieraus erneut Grundrechtsverletzungen durch den angegriffenen Beschluss ergeben.

Auch die Ablehnung des in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht gestellten Beweisantrags auf Einholung eines technischen Gutachtens verletzt das Gebot eines fairen Verfahrens, das Gebot des rechtlichen Gehörs und das Willkürverbot, und stellt damit weitere Grundrechtsverletzungen dar.

Es ist willkürlich und unfair und begründet einen Gehörsverstoß, wenn nach Nichtzugänglichmachung der Messdaten – in dieser Situation – der Beweisantrag auf Einholung eines technischen Gutachtens zur weiteren Überprüfung der Messung auf Fehlerhaftigkeit mit der Begründung abgelehnt wird, es liege ein standardisiertes Verfahren vor, und damit ausdrücklich oder stillschweigend dem Beschwerdeführer oder der Verteidigung vorgeworfen wird, es seien keine konkreten Anhaltspunkte für Messfehler dargelegt worden. Eine solche Darlegung wäre nämlich erst nach Einsicht in die Messdaten möglich gewesen. Damit verletzt das OLG Bam-berg zudem, aufgrund der entsprechenden Abhandlung sogar sehenden Auges, die sich aus Art. 20, 1 I GG ergebende Unschuldsvermutung sowie die Menschenwürde, indem es den Betroffenen zum bloßen Verfahrensobjekt macht.

Sofern ein Gericht zu Unrecht davon ausgeht, dass die Nichtüberlassung von Messdaten sich nicht auf die Voraussetzungen zur Ablehnung von Beweisanträgen im Rahmen des § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG auswirkt ist ein Verstoß gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens, das Will-kürverbot und das Gehörsgebot gegeben, vgl. Beschluss des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes vom 27.04.2018, Az. Lv 1/18.

Zumindest aufgrund der der Rechtsprechung des OLG Bamberg entgegenstehenden Rechtsprechung des OLG Celle, des OLG Frankfurt, des OLG Brandenburg, des OLG Jena sowie des OLG Oldenburg wird nochmals auf die Vorlagepflicht zum Bundesgerichtshof verwiesen. Ein Rückzug darauf, man befände sich bei der Entscheidung im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH ist spätestens jetzt aufgrund verfassungsgerichtlicher Beanstandung der Vor-gehensweise nicht mehr möglich. Anderenfalls ist das Grundrecht auf den gesetzlichen Rich-ter nach Art. 101 I 2 GG durch die Nichtvorlage zum BGH verletzt.“

Darauf antwortet das OLG Bamberg im OLG Bamberg, Beschl. v. 25.06.2018 – 3 Ss OWi 626/18 – erkennbar mehr als leicht verschnupft:

„1. Die „der Form halber (Antragsschrift S. 1 unten) erhobene Anhörungsrüge ist unbegründet. Ein Fall des § 356a StPO liegt nicht vor, weil der Senat bei seiner Entscheidung vom 13.06.2018 zum Nachteil des Betroffenen und Antragstellers keine Tatsachen, Beweisergebnisse, Anträge oder sonstige Ausführungen rechtlicher oder tatsächlicher Art verwertet bzw. übergangen hat, zu denen der Antragsteller nicht zuvor gehört worden wäre. Vielmehr wurde der Antragsteller und Betroffene gehört, aber nicht erhört.

2. Mit Blick auf den in Diktion und Argumentation die Grenzen einer noch als sachlich vertretbar anzusehenden anwaltlichen Interessensvertretung sprengenden und in dieser Form dem Rechtsbeschwerdegericht noch nicht untergekommenen Vortrags der Verteidigung hält der Senat noch nachfolgende Feststellungen für angezeigt:

Soweit der Antragsteller meint, der Senat selbst sei als Rechtsbeschwerdegericht gehalten gewesen, die „angeforderten Beweismittel“ zu beschaffen, wird schon die Funktion des Rechtsbeschwerdegerichts, dem eine Beweisaufnahme von Rechts wegen verwehrt ist, verkannt Da diese „Beweismittel“ nicht Bestandteil der Akten wurden, standen sie schon dem Erstgericht nicht zur Verfügung, weshalb sie – wie der Senat in seinem Beschluss vom 13.06.2018 gerade dargelegt hat – nicht Grundlage eines Gehörsverstoßes sein können. Von einem die angegriffene Entscheidung des Senats in die Nähe des Verdachts der Rechtsbeugung rückenden, gar „sehenden Auges“ [sic!] durch den Senat begangenen Verstoß gegen die „Unschuldsvemutung sowie die Menschenwürde“ (Antragsschrift S. 3 oben) kann keine Rede sein. „

Dass die Anhörungsrüge keinen Erfolg haben würde, war zu erwarten. Aber musste das OLG so dünnhäutig und zickig reagieren. Man wirft dem Kollegen vor „in Diktion und Argumentation die Grenzen einer noch als sachlich vertretbar anzusehenden anwaltlichen Interessensvertretung“ zu sprengen. Zum einen sehe ich nicht , wo sich der Kollege unsachlich geäußert hat, zum anderen ist diese Art der Empörung im Hinblick auf die „Diktion und Argumentation“, mit der das OLG Bamberg die Entscheidung des VerfG Saarlandes „qualifiziert“ hat, nur mit einer gewissen Doppelmoral zu erklären. Und das Wortspiel: „gehört/erhört“ muss auch nicht sein.

Ich denke, der Kollege ist auf dem Weg zum Verfassungsgericht.

Paukenschlag beim (Akten)Einsichtsrecht, oder: Der Rechtsstaat lebt…

© Paul – Fotolia.com

War klar, welche Entscheidung heute den Opener macht. Oder? Natürlich der VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.2018 – Lv 1/18. Den hat mir gestern der Kollege Gratz vom VerkehrsrechtsBlog geschickt. Und er hat auch darüber als erster berichtet. Das ist auch gut/richtig so, denn der Kollege hat den Beschluss ja mit erstritten – denke ich. Und dann gilt: Ehre, wem Ehre gebührt, bzw. Er hat den Vortritt.

Der Kollege hat sein Posting: „Machtwort vom Verfassungsgericht: „Geblitzte“ Autofahrer müssen Messergebnisse überprüfen können!“ überschrieben. Ich beginne meins mit „Paukenschlag“. Ich denke, beides ist richtig. Denn der Beschluss ist ein „Machtwort“, ein „Paukenschlag“ oder auch Meilenstein. Und ein wenig auch ein Schlag ins Gesicht all derjenigen OLG-Entscheidungen, die um das Einsichtsrecht in Messunterlagen seit Jahren – „der“ Cierniakaufsatz ist von Ende 2012 – einen (unverständlichen) Eiertanz veranstaltet haben, der nicht mehr nachvollziehbar. Ich erinnere nur an „Teufelskreis 1.0“ oder „Teufelkreis 2.0“. Da war seit langem eine obergerichtliche Entscheidung fällig, ja überfällig. Und da man von den OLGs ja eine Vorlage an den BGH gescheut hat, gibt es sie nun als verfassungsgerichtliches Verdikt. Der Kollege Gratz und seine Mitstreiter haben es erstritten. Viele Amtsgerichte und auch OLG können sagen: Haben wir ja immer schon gesagt. Die anderen sollten sie sorgfältig lesen…..

Der Beschluss des VerfG Saarland ist fast 30 Seiten lang. Das bedeutet, dass man ihn hier nicht im Einzelnen darstellen kann, sondern dass ich auf den Volltext verweisen muss/möchte. Aber ein paar Eckpunkte/Kernaussagen möchte ich dann doch herausstellen, wobei ich die verfahrensrechtlichen Fragen in dem Beschluss mal außen vorlasse. Die lauten:

  • „Die Nichtzugänglichmachung einer lesbaren Falldatei mit Token-Datei und Passwort sowie der Statistikdatei verletzen das Gebot eines fairen Verfahrens und das Gebot des rechtlichen Gehörs….
  • Aus dem dem Gebot eines fairen Verfahrens folgenden Gebot der Waffengleichheit folgt, dass ebenso, wie dem „Ankläger“ Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, einen Tatvorwurf nachzuweisen – was in Fällen der hier diskutierten Art leicht möglich ist, da der vom Gerät angezeigte Wert dafür genügt -, einem im Bußgeldverfahren Betroffenen Zugang zu den Informationen gewährt werden muss, die er benötigt, um sich gegen den Vorwurf zu verteidigen oder durch einen Verteidiger verteidigen zu lassen….
  • Da die Verwaltungsbehörden den Einsichtsgesuchen der Verfahrensbevollmächtigten sowie den diesbezüglichen Verfügungen des Amtsgerichts nicht nachgekommen sind, hätte das Amtsgericht das Verfahren bis zur Herausgabe der Messdaten aussetzen sowie sicherstellen müssen, dass der Verfahrensbevollmächtigten eine Herausgabe dieser Daten nicht verwehrt wird. Denn da im Zeitpunkt der Hauptverhandlung diese Daten der Verfahrensbevollmächtigten und dem Sachverständigen nicht vorlagen, konnte eine effektive Verteidigung des Beschwerdeführers mit Vortrag von Messfehlern – wenn diese aufgetreten sein sollten – nicht vorbereitet werden. Damit ist dem Beschwerdeführer das Äußerungsrecht abgeschnitten bzw. dessen Ausübung faktisch unmöglich gemacht worden. Es liegt ein Verstoß gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs vor…….“
  • Auch die Ablehnung des in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht gestellten Beweisantrags auf Einholung eines technischen Gutachtens verletzt das Gebot eines fairen Verfahrens, das Gebot des rechtlichen Gehörs und das Willkürverbot.
    Es ist willkürlich und unfair und begründet einen Gehörsverstoß, wenn nach Nichtzugänglichmachung der Messdaten – in dieser Situation – der Beweisantrag auf Einholung eines technischen Gutachtens zur weiteren Überprüfung der Messung auf Fehlerhaftigkeit mit der Begründung abgelehnt wird, es liege ein standardisiertes Verfahren vor, und damit ausdrücklich oder stillschweigend dem Beschwerdeführer oder der Verteidigung vorgeworfen wird, es seien keine konkreten Anhaltspunkte für Messfehler dargelegt worden. Eine solche Darlegung wäre nämlich erst nach Einsicht in die Messdaten möglich gewesen……..“

Schön, das alles lesen zu können. Und das drückt sich in dem zweiten Teil des Postings aus: „Der Rechtsstaat lebt.“ Die Literatur hat so seit Jahren argumentiert, die OLG haben es zum Teil nicht lesen/sehen/machen wollen – und sind dafür m.E. nun zu Recht gerügt worden. Um einen Spruch aus der Stern-Geschichte mit den „Hitlertagebüchern“ aufzugreifen: M.E. wird die Rechtsprechung zur Einsicht und Herausgabe in und von Messunterlagen umgeschrieben werden müssen.

Und ich füge an: Hoffentlich. Denn wir alle haben ja in den letzten Jahren die Klimmzüge lesen können, mit denen man das Einsichtsrecht verneint hat. Und ich wage die Voraussage: Das letzte Wort in der Frage ist noch nicht geschreiben/gesprochen. Die OLG, deren Rechtsprechung explizit als Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens und das Gebot des rechtlichen Gehörs angesprochen worden ist, werden versuchen, weiter zu mauern. Man wird neue Wege ersinnen – vielleicht: Ist ja „nur“ eine Entscheidung aus dem Saarland, die interessiert uns hier in Bayern, NRW oder sonst wo nicht – , um an der Entscheidung aus dem Saarland dann doch vorbei zu kommen. Und da wird sich sicherlich auch „anbieten“, weiter an den Anforderungen an die Begründung der Verfahrensrüge zu schrauben bzw. dort die Hürden noch höher zu legen, als man sie jetzt schon (unsinnigerweise) gezogen hat. Und da kann man dann nur hoffen, dass hoffentlich bald wieder ein Verfassungsgericht sagt: So nicht.

Aber das soll die Freude über den Beschluss des VerfG Saarland natürlich nicht trüben. Und: Nochmals Gratulation an den Kollegen Gratz.