OWi I: Rechtsprechungsmarathon zur Einsicht in Messunterlagen, oder: Der Kampf geht weiter

Ich hatte gehofft, nach dem VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.2018 würde sich im Recht der Einsicht in Mussunterlagen ggf. die restriktive Rechtsprechung, vorwiegend der OLG, ändern. Das war ein Fehlschluss und man muss wohl leider davon ausgehen, dass sich wahrscheinlich nicht allzu viel ändern wird, es sei denn der BGH oder sogar das BVerfG greifen ein. Denn anders kann man die Entscheidung des OLG Bamberg, Beschl. v. 13.06.2018 – – 3 Ss OWi 626/18

, in dem das OLG dem VerfG Saarland eine wortgewaltige Abfuhr erteilt, nicht verstehen. Deshalb habe ich mich entschlossen, doch mal wieder Entscheidungen zur Einsicht in Messunterlagen zu bringen. Im Zweifel wird der Verteidiger sie auch in Zukunft benötigen. Also dann:

Der Verteidiger kann, soweit dies zur Überprüfung des standardisierten Messverfahrens erforderlich ist, grundsätzlich auch in solche Unterlagen Einsicht nehmen, die sich nicht bei den Akten befinden (vgl. BGHSt 39, 291; 28, 239). Denn die Verteidigung wird ohne Kenntnis aller Informationen, die den Verfolgungsbehörden zur Verfügung stehen, nicht beurteilen können, ob Beweisanträge gestellt oder Beweismittel vorgelegt werden sollen. Das Informations- und Einsichtsrecht des Verteidigers kann daher deutlich weiter gehen als die Amtsaufklärung des Gerichts). Solch weitreichende Befugnisse stehen dem Verteidiger im Vorfeld der Hauptverhandlung auch und gerade bei standardisierten Messverfahren zu.

Es wird daran festgehalten, dass die Nichtüberlassung der Messreihe und der Lebensakte betreffend eine Messung im Straßenverkehr keine Gehörsverletzung darstellt, welche eine Zulassung der Rechtsbeschwerde rechtfertigen würde.

Die Verwaltungsbehörde ist verpflichtet, dem Verteidiger die komplette Messreihe der verfahrensgegenständlichen Messung in elektronischer Form auf einem von diesem zur Verfügung zu stellenden Datenträger (z.B. CD-R, DVD-R, USB-Stick) zu überlassen. Weiterhin ist die Verwaltungsbehörde verpflichtet, dem Verteidiger Auskunft zu erteilen, ob seit der letzten Eichung des Messgerätes Wartungen, Reparaturen oder sonstige Eingriffe, einschließlich solcher durch elektronisch vorgenommene Maßnahmen, vorgenommen wurden. Bejahendenfalls sind dem Verteidiger die entsprechenden Nachweise in Kopie zu überlassen.

Der Verteidiger hat Anspruch auf die gesamte Messbildreihe in digitaler Form auf einem von der Verteidigung bereitgestellten Datenträger. Das folgt aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens, welcher im gesamten Verfahren zu beachten ist.

Dem Verteidiger ist nach einer Geschwindigkeitsmessung Einsicht in Messdaten (Messreihe, Token) sowie den Beschilderungsplan zu gewähren. Zudem hat die Verwaltungsbehörde Auskunft über Wartungen und Reparaturen am Messgerät sowie der Beteiligung von Privatpersonen an der Messung und Auswertung zu erteilen.

Die Messdatei ist aus Gründen des Datenschutzes nur autorisierten Benutzern zugänglich zu machen.

  • AG Landau in der Pfalz, Beschl. v. 19.04.2018 – 1 OWi 143/18

Es besteht ein Recht auf Erhalt der Messreihe in anonymisierter Form inklusive Statistikdatei und Public Key. Dies folgt aus dem Gebot der Waffengleichheit. Ein Recht auf Einsicht in die Lebensakte besteht nicht, da eine solche nicht geführt werden muss und die Unterlagen von der Verteidigung auch nicht benötigt werden.

Der Verteidiger hat Anspruch auf die gesamte Messbildreihe in digitaler Form auf einem von der Verteidigung bereitgestellten Datenträger. Das folgt aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens, welcher im gesamten Verfahren zu beachten ist.

Rohmessdaten, Token, Passwort und Statistikdatei sind auf Antrag heraus zu geben. Die Herausgabe muss der Verteidiger jedoch zunächst im behördlichen Verfahren versuchen, ggf. ist der Antrag nach § 62 OWiG zu stellen. Erst, wenn der nicht erfolgreich ist, kann im gerichtlichen Verfahren Aussetzung der Hauptverhandlung verlangt werden.

Dem Verteidiger eines Betroffenen ist Einsicht in Messdaten und Messunterlagen zu gewähren. Dazu gehört außer der Messreihe auch die „Gerätebegleitkarte“, welche ggf. geführt und die eine Auflistung von Defekten oder Reparaturen an einem Messgerät enthält.

  • AG Oranienburg, Beschl. v. 25.06.2018 – 13 (b) OWi 31/18

Der Verteidiger hat auch ein Recht auf Einsicht in den Beschilderungsplan. Er ist vom Recht auf Akteneinsicht umfasst, weil die vorhandene Beschilderung Grundlage für den Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung ist.

Befinden sich diese Unterlagen, insbesondere die Bedienungsanleitung des standardisierten Messverfahrens nicht bei der Gerichtsakte, ist das Tatgericht grundsätzlich auch nicht verpflichtet, derartige Unterlagen vom Hersteller oder der Polizei auf Antrag der Verteidigung beizuziehen.

Wird ein vom Betroffenen gestellter Antrag nach § 62 OWiG wegen nicht ausreichender Einsicht in Messunterlagen von der Verwaltungsbehörde  ignoriert und das Verfahren an die Staatsanwaltschaft abgegeben, ist das Verfahren wegen offensichtlich ungenügender Sachverhaltsaufklärung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft an die Verwaltungsbehörde gemäß § 69 Abs. 5 OWiG zurückverwiesen, damit die Behörde den Antrag ordnungsgemäß behandeln kann.

Die Verwaltungsbehörde ist zur Herausgabe folgender Unterlagen verpflichtet: digitale Falldatensätze inklusive unverschlüsselter Rohmessdaten der gesamten Messserie, Statistikdatei, Wartungs- und Instandsetzungsnachweise des Messgeräts seit dem Tattag sowie alle Eichscheine des genannten Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme.

Dazu nur:

Ist eine ganze Menge, was da in der letzten Zeit „aufgelaufen“ ist. Und eben wegen der Menge habe ich es mir – entgegen der sonstigen Gepflogenheit hier im Blog – „verkniffen“, alle o.a. Entscheidungen zu verlinken. Zum Teil stehen sie bereits online und/oder sind auch beim Kollegen Gratz vom VerkehrsrechtsBlog veröffentlicht, wo ich sie mir zum Teil „ausgeliehen habe. Das Verlinken war – das räume ich ein – mir für dieses Posting zu viel Arbeit. Man möge es mir nachsehen.

Und: Ich danke pauschal allen Kollegen, die mir Entscheidungen, die sie erstritten hatten, übersandt haben.

Und weil das heute so viel war, gibt es hier dann ein wenig Werbung, nämlich für unser Verkehrsrechtspaket, das aus dem Buch „Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 4. Auflage“ und aus dem Buch „Burhoff (HRsg.) Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Auflage“ besteht. Beide zusammen im Paket für 199 €, Ersparnis gegenüber dem Einzelbezug: 29 €. Zur Bestellung geht es hier.

2 Gedanken zu „OWi I: Rechtsprechungsmarathon zur Einsicht in Messunterlagen, oder: Der Kampf geht weiter

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