Schlagwort-Archive: Durchsuchungsanordnung

Durchsuchung II: Rechtsschutz gegen Durchsuchung, oder: Keine „Durchsuchungsanordnung“

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Und hier ist dann als zweite Entscheidung der BGH, Beschl. v. 12.06.2024 – StB 32/24 – zur Überprüfung erledigter Zwangsmaßnahmen und zur Erforderlichkeit des Vorliegens einer Durchsuchungsanordnung

„Die Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

1. Die Beschwerde gerichtet auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung ist gemäß § 304 StPO statthaft. Nachdem – nach Übernahme des Ermittlungsverfahrens durch den Generalbundesanwalt – sich der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit seiner Nichtabhilfeentscheidung den angefochtenen Beschluss zu eigen gemacht hat (vgl. § 306 Abs. 2 i.V.m. § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO), ist der Bundesgerichtshof zuständiges Beschwerdegericht (§ 135 Abs. 2 Nr. 2 GVG; vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. Juli 2022 – StB 30/22, juris Rn. 6 f.).

a) In der Sache liegt eine Durchsuchung der Wohnung des Drittbetroffenen E.straße, L., 1. Obergeschoss rechts vor. Wie sich aus dem „Durchsuchungsbericht E. straße, L.“ vom 11. April 2023 ergibt, wurde die Wohnung 1. Obergeschoss rechts geöffnet, dort jedoch keine Person angetroffen und festgestellt. Daraus ist – unabhängig von den von dem Beschwerdeführer vorgelegten Fotos, die den Zustand der Wohnung nach der Maßnahme zeigen sollen – zu entnehmen, dass die Wohnung betreten und zudem überprüft wurde, ob der Beschuldigte M.     sich dort aufhielt. Mithin fand eine Durchsuchung statt. Das Absuchen der Wohnung nach Personen ist der Durchsuchung einer Wohnung zur Ergreifung eines Beschuldigten gemäß § 103 StPO immanent.

b) Soweit sich das angegriffene Erkenntnis auf die Durchsuchung als solche bezieht, ist es mit der Beschwerde anfechtbar (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Oktober 1999 – StB 7 und 8/99, NJW 2000, 84, 85; vom 7. Dezember 1998 – 5 AR (VS) 2/98, 265, BGHSt 44, 265, 274 f.). Dies gilt auch dann, wenn es sich um eine Entscheidung des Ermittlungsrichters analog § 98 2 Satz 2 StPO handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 1993 – StB 20/93, NJW 1994, 465).

aa) Für den Rechtsschutz gegen die Durchsuchung selbst gilt das Folgende:

Gegen eine richterliche Durchsuchungsanordnung kann – solange die Durchsuchung noch andauert – Beschwerde nach §§ 304 ff. StPO mit dem Ziel eingelegt werden, die gesetzlichen Voraussetzungen – also die Rechtmäßigkeit – der Anordnung zu überprüfen. Nach Abschluss der Durchsuchung ist die auf dieses Ziel gerichtete Beschwerde nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zwar zulässig; hierfür muss jedoch ein Rechtsschutzinteresse bestehen. Ein solches Rechtsschutzinteresse ist in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe wie einer Wohnungsdurchsuchung aufgrund richterlicher Durchsuchungsanordnung gegeben.

Ordnen die Staatsanwaltschaft oder ihre Ermittlungspersonen die Durchsuchung kraft ihrer Eilkompetenz an, so kann, solange die Durchsuchung noch andauert, das Gericht entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO mit dem Ziel angerufen werden, die Rechtmäßigkeit der Anordnung zu überprüfen. Das Gericht kann dabei die Grenzen einer solchen Anordnung bestimmen und hat in diesem Rahmen die rechtliche Möglichkeit, Modalitäten ihrer Vollziehung zu regeln. Entsprechendes gilt für bereits vollzogene Durchsuchungen, allerdings nur, soweit für die Feststellung der Rechtswidrigkeit ein Rechtsschutzinteresse besteht (so insgesamt BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1998 – 5 AR (VS) 2/98, BGHSt 44, 265, 267 f. mwN; siehe auch BGH, Beschluss vom 13. Oktober 1999 – StB 7/99 und StB 8/99, NJW 2000, 84, 85).

bb) Auch ohne eine solche Anordnung richtet sich der Rechtsschutz gegen eine Maßnahme der Staatsanwaltschaft oder ihrer Ermittlungspersonen zunächst nach § 98 2 Satz 2 StPO analog. Hier wendet sich der Beschwerdeführer – wie dem letzten Satz der Beschwerdeschrift vom 12. April 2024 eindeutig zu entnehmen ist – gegen die Durchsuchung als solche.

Der Zulässigkeit steht – wie ausgeführt – nicht entgegen, dass die angegriffene Maßnahme bereits durch Vollzug erledigt war. Bei Durchsuchungen von Wohnräumen ist bereits wegen des Eingriffs in das Grundrecht des Art. 13 Abs. 1 GG ein Rechtsschutzinteresse des Betroffenen zu bejahen. Dies gilt vor dem Hintergrund der Bedeutung des betroffenen Grundrechts auch dann, wenn – wie hier – keine Durchsuchungsanordnung vorliegt.

2. Die Beschwerde ist begründet. Die Voraussetzungen der §§ 103, 105 StPO sind nicht erfüllt.

a) Eine grundsätzlich notwendige Durchsuchungsanordnung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 67. Aufl., § 105 Rn. 1; MüKoStPO/Hauschild, 2. Aufl., § 105 Rn. 1) lag nicht vor.

Eine Durchsuchung des Wohnraums des Beschwerdeführers wurde weder seitens der Generalstaatsanwaltschaft beantragt noch durch den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts beschlossen. Der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts ordnete lediglich die Durchsuchung des Wohnraums betreffend weitere Personen an, welche in einer Wohngemeinschaft in der Wohnung 1. Obergeschoss links lebten. Ab dem Zeitpunkt der Erlangung der Kenntnis des Umstandes, dass es sich nicht um die im Durchsuchungsbeschluss genannte Wohnung im 1. Obergeschoss links handelte, hätte es für die Durchsuchung der von dem Beschwerdeführer bewohnten Wohnung im 1. Obergeschoss rechts einer Durchsuchungsanordnung gemäß §§ 103,105 StPO betreffend den Beschwerdeführer bedurft. Insofern hätten die Polizeibeamten die Staatsanwaltschaft über den Umstand informieren und den Antrag auf eine Durchsuchungsanordnung anregen müssen. Zumindest hätte es einer Anordnung durch eine Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft bei Annahme von Gefahr im Verzug bedurft. Dies haben die Strafverfolgungsbehörden nicht geltend gemacht, und dazu ist auch sonst nichts ersichtlich.

b) Eine Durchsuchungsanordnung war nicht ausnahmsweise aufgrund einer Einwilligung des Betroffenen entbehrlich (vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 67. Aufl., § 105 Rn. 1; MüKoStPO/Hauschild, 2. Aufl., § 105 Rn. 2). Eine solche lag nicht vor, da der Drittbetroffene von der Maßnahme gar keine Kenntnis hatte.

c) Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Durchsuchung ist ohne Bedeutung, dass – wie der Generalbundesanwalt geltend macht – die handelnden Beamten möglicherweise irrtümlich die Wohnung im 1. Obergeschoss rechts öffneten und absuchten. Denn dieser Umstand wäre allenfalls für ein etwaiges Verschulden der handelnden Beamten, nicht aber für die objektiv zu bewertende Rechtmäßigkeit der Maßnahme relevant.

d) Auf die Prüfung der weiteren Voraussetzungen der §§ 103, 105 StPO kommt es demnach nicht mehr an.“

 

Durchsuchung III: BGH-Ermittlungsrichter war tätig, oder: Rechtsmittel gegen Form der Durchsuchung?

© Dan Race Fotolia .com

Und dann noch einmal etwas vom BGH, nämlich der BGH, Beschl. v. 15.03.2023 – StB 10/23 -, der stellvertretend steht für eine ganze Reihe von Beschlüssen zu der Thematik vom BGH aus der letzten Zeit.

Es geht um die Zulässigkeit der Beschwerde gegen einen Beschluss des Ermittlungsrichters des BGH. Der Senat hat die als unzulässig zurückgewiesen:

„Der Generalbundesanwalt führt gegen zahlreiche Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung und weiterer Straftaten. Auf seinen Antrag hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 29. November 2022 (1 BGs 789/22) die Durchsuchung der Person des Betroffenen, seiner Wohnräume, seiner sonstigen Räume und Sachen sowie seiner Fahrzeuge angeordnet. Die Durchsuchung ist am 7. Dezember 2022 vollzogen worden.

Der Drittbetroffene hat Antrag auf gerichtliche Entscheidung „gegen die Art und Weise der Durchsuchung“ gestellt und beantragt, festzustellen, dass das gewaltsame Aufschießen seiner Haustür, seine Fesselung mit Kabelbindern und Handschellen sowie die Gestattung des Lesens des Durchsuchungsbeschlusses erst nach durchgeführter Durchsuchung rechtswidrig waren. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat den Antrag durch Beschluss vom 1. Februar 2023 zurückgewiesen (1 BGs 55/23). Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Beschwerde.

II.

Das Rechtsmittel ist unzulässig. Gemäß § 304 Abs. 5 StPO ist die Beschwerde gegen Verfügungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs nur statthaft, wenn diese die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 StPO bezeichneten Maßnahmen betreffen. Unter „Verfügungen“ in diesem Sinne sind auch solche im Vorverfahren getroffenen Entscheidungen zu verstehen, die als Beschluss ergehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Oktober 2020 – StB 33/20, juris Rn. 3; vom 11. Mai 1979 – StB 26/79 u.a., BGHSt 29, 13).

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Betroffene nicht gegen die Durchsuchungsanordnung als solche, sondern gegen die Art und Weise des Vollzugs der Durchsuchung. Insoweit ist eine Beschwerde zum Bundesgerichtshof mit Blick auf den eng auszulegenden Anwendungsbereich des § 304 Abs. 5 StPO nicht statthaft (st. Rspr.; s. BGH, Beschlüsse vom 18. November 2021 – StB 6/21 u.a., BGHR StPO § 304 Abs. 5 Durchsuchung 4; vom 13. Oktober 1999 – StB 7/99 u.a., BGHR StPO § 304 Abs. 5 Durchsuchung 3 mwN; vgl. auch MüKoStPO/Hausschild, 2. Aufl., § 105 Rn. 43; MüKoStPO/Neuheuser, § 304 Rn. 65; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 304 Rn. 19).“

Durchsuchung II: Durchsuchungsantrag in KiPo-Sache, oder: Man muss schon konkret sagen, was gesucht wird

entnommen wikimedia.org
Autot WhatsApp

In der zweiten Entscheidung, dem AG Offenbach, Beschl. v. 25.06.2021 – 20 Gs – 1300 Js 81663/21 – hat das AG zur erforderlichen inhaltlichen Konkretisierung von Datenträgern in Durchsuchungsanordnungen Stellung genommen. Die Staatsanwaltschaft hattein einem „KiPo-Verfahren“

„die Durchsuchung der Person sowie der Wohn-, Geschäfts- und aller Nebenräume des Beschuldigten nach
– Computer (u.a. Desktop, Notebook, Laptop, Tablet) nebst Verkabelung sowie Modem und Router, welche zur Tatplanung und -durchführung verwendet wurden oder hätten verwendet werden können
– Speichermedien (u.a. externe Festplatten, USB-Sticks, Speicherkarten, (wieder-) beschreibbare CD/DVD), welche zur Tatplanung und -durchführung verwendet wurden oder hätten verwendet werden können
– Internetfähige Mobiltelefone nebst Zubehör (Ladegerät, Dockingstation), welche zur Tatplanung und -durchführung verwendet wurden oder hätten verwendet werden können
– Internetfähige Spielkonsolen oder Multimediaplayer, welche zur Tatplanung und -durchführung verwendet wurden oder hätten verwendet werden können
– Unterlagen/Notizzettel mit Passwörtern und Hinweisen auf externe Datenspeicher im Internet oder Emailpostfächer etc.“

beantragt. Den Antrag hat das AG zurückgewiesen: Das AG bezweifelt, ob „bereits die Teilnahme an einem Whatsapp Gruppenchat, in welchen von anderen Teilnehmern kinderpornographische Bild- oder Videodateien eingestellt werden, einen die beantragte Durchsuchungsanordnung rechtfertigenden, konkreten Anfangsverdacht wegen Erwerbs und Besitzes kinderpornographischer Schriften zu begründen vermag„, lässt die Frage aber offen. Es verneint die Voraussetzungen für die Durchsuchungsanordnung aber, weil „die im staatsanwaltschaftlichen Durchsuchungsantrag aufgeführten internetfähigen Geräte und Speichermedien, deren Auffindung und Sicherstellung als Beweismittel die Antragstellerin mit der beantragten Anordnung verfolgt, nicht hinreichend bestimmt [sind], d.h. nach ihrem Inhalt so genau bezeichnet worden, wie es ihr möglich und erforderlich gewesen wäre.“ (dazu u.a. BVerfG, Beschl. v. 08.04.2004 – 2 BvR 1821/03; BVerfGE 20, 162 <224>):

„Soweit zum Zeitpunkt der Antragstellung eine konkrete Bezeichnung und damit Individualisierung eines als Beweismittel gesuchten Datenträgers nach seiner Art nicht möglich ist – etwa, weil überhaupt nicht bekannt ist, auf welchem Datenträger sich die gesuchten verfahrensgegenständlichen Daten befinden – ist dieser nach seinem Inhalt entsprechend zu konkretisieren.

Den vorstehenden Anforderungen genügt der staatsanwaltschaftliche Durchsuchungsantrag vom 14.05.2021 nicht.

Diesem lassen sich konkrete Angaben zu Art oder Inhalt der elektronischen Daten, deren Auffindung und Feststellung die Antragstellerin mit der beantragten Anordnung verfolgt, nicht entnehmen. Gleichzeitig erschließt sich nicht, warum der Antragstellerin eine inhaltliche Konkretisierung der gesuchten elektronischen Daten nicht möglich sein sollte.

Das Gericht verkennt hierbei nicht, dass – insbesondere in Fällen, in denen Beweismittel (wie z.B. elektronische Datenträger) aufgrund ihrer physischen Beschaffenheit regelmäßig nicht vor Ort eingesehen werden können, sondern einer späteren Durchsicht nach § 110 StPO oder aber IT-forensischen Auswertung bedürfen – die Durchsuchungspraxis oftmals weiter greift, als die im Beschluss benannten Sicherstellungsobjekte. Kann vor Ort nicht festgestellt werden, ob bzw. auf welchem der aufgefundenen Datenträger sich die gesuchten elektronischen Daten befinden, ist deren Sicherstellung grundsätzlich zulässig und unterliegt dem Ermessen der die Durchsuchungsanordnung vollstreckenden Polizeibeamten. Dies befreit die Antragstellerin jedoch nicht von ihrer grundsätzlichen Verpflichtung, die Gegenstände, deren Auffindung und Sicherstellung als Beweismittel sie mit der beantragten Anordnung verfolgt, in ihrem Antrag nach Art und Inhalt so genau einzugrenzen, wie es ihr nach Lage der Dinge möglich ist.

Nur beispielhaft wäre insoweit denkbar, den Durchsuchungs- und Beschlagnahmeumfang auf Datenträger und elektronische Speichermedien zu konkretisieren, die (a) den Down- und Upload der verfahrensgegenständlichen Daten bzw. Datei(en), (b) die (fortwährende) Möglichkeit ihres jederzeitigen Aufrufs, (c) die Inhaberschaft und Nutzung eines beim Up- und Download verwendeten Email – Accounts bzw. Social-Media Profils oder aber (d) die Verwendung einer hierzu beim Provider hinterlegten Mobilfunknummer durch den Beschuldigten belegen.

Voraussetzung hierfür ist aber in jedem Fall, dass der Durchsuchungsantrag die tatgegenständlichen Daten konkret benennt, was vorliegend beispielsweise durch Nennung eines Dateinamens, eines Hashwertes oder auch einer kurzen, ggfls. schlagwortartigen Beschreibung des tatgegenständlichen Inhalts der kinderpornographischen Bild- oder Videodateien erfolgen kann.

Die beantragte Durchsuchungsanordnung nach internetfähigen Endgeräten und Datenträgern, ohne dass diese nach ihrem Inhalt konkretisiert wären, lässt hingegen weder die Zielrichtung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsmaßnahme erkennen, noch erlaubt sie mit der Durchsuchung befassten Polizeibeamten konkrete Rückschlüsse auf den tatsächlichen Beweiswert im Rahmen der Durchsuchung aufgefundener und vom Wortlaut der Durchsuchungsanordnung grundsätzlich umfasster und damit sicherzustellender Gegenstände.

Gleiches gilt für – im Nachgang zu einer erfolgten Durchsuchung – mit der Durchsicht und forensischen Auswertung sichergestellter Datenträger betraute Polizeibeamte bzw. hiermit von Staatsanwaltschaft oder Polizei beauftragte Unternehmen. Auch diese müssen, ohne dass es zusätzlicher Instruktionen bzw. Erklärungen durch die Staatsanwaltschaft oder einer gesonderten Einsichtnahme in die Ermittlungsakte bedarf, bereits auf der Grundlage des erlassenen Durchsuchungsbeschlusses eindeutig erkennen können, welche der auf den sichergestellten Datenträgern gespeicherten Inhalte beweisrelevant sind.

Eine wie auch immer geartete Bewertung aufgefundener Geräte und Speichermedien im Hinblick auf deren tatsächlichen Beweiswert ist jedoch ohne Kenntnis von Art und Inhalt der gesuchten Daten grundsätzlich ausgeschlossen. Dies gilt in gleichem Maße für deren Durchsicht nach § 110 StPO, zumal diese als Bestandteil der Durchsuchung nach § 102 StPO anzusehen ist (vgl. BVerfG Beschluss v. 20.09.2018 – 2 BvR 708/18).

Ohne eine konkrete Bezeichnung der gesuchten Daten im Durchsuchungsbeschluss nach Art und Inhalt bleibt die Festlegung von Durchsuchungsziel und -umfang letztlich den mit der nachträglichen Auswertung der sichergestellten Datenträger befassten Polizeibeamten bzw. hiermit beauftragten Unternehmen auf der Grundlage eigener (d.h. von diesen aufgestellter) Kriterien vorbehalten, was den vom Bundesverfassungsgericht gemachten Vorgaben widerspricht und damit grundsätzlich unzulässig ist.

Umgekehrt wird dem Durchsuchungsadressaten jede Möglichkeit genommen, durch (freiwillige) Offenbarung des Geräts oder Speichermediums, auf dem sich die gesuchten verfahrensgegenständlichen Daten befinden, selbst zur Erreichung des Durchsuchungsziels beizutragen, um auf diesem Weg eine Begrenzung des Durchsuchungs- und Sicherstellungsumfangs herbei zu führen.

Dem Ermittlungsrichter ist es verwehrt, den staatsanwaltschaftlichen Antrag im Hinblick auf Art, Umfang und Inhalt der elektronischen Daten, deren Feststellung die Staatsanwaltschaft begehrt, selbst festzulegen und damit in dem erforderlichen Maß zu konkretisieren.

Die Ausgestaltung des exakten Durchsuchungs- und Beschlagnahmeumfangs obliegt insoweit ausschließlich der Antragstellerin, indem sie – neben dem konkreten Tatvorwurf und den Verdachtsmomenten, auf die sie diesen gründet – die Gegenstände, deren Auffindung und Beschlagnahme als Beweismittel sie mit der beantragten Anordnung verfolgt, in ihrem Antrag nach Art und Inhalt konkret benennt.

Der staatsanwaltschaftliche Antrag gibt damit den äußeren Rahmen für die Anordnungsbefugnis des Ermittlungsrichters verbindlich vor. Umgekehrt ist die Anordnungskompetenz des Ermittlungsrichters darauf beschränkt, die beantragte Durchsuchung nach benannten Beweismitteln auf der Grundlage der von ihm nach § 162 Absatz 2 StPO vorzunehmenden Zulässigkeitsprüfung entweder anzuordnen oder aber ganz bzw. teilweise zurück zu weisen. Zu einer darüber hinausgehenden und damit eigenständigen Gestaltung des Ermittlungsverfahrens in Form einer selbstbestimmten Auswahl elektronischer Daten, deren Feststellung für das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren aus Sicht des Gerichts beweisrelevant sein könnten, besteht für den Ermittlungsrichter hingegen weder Veranlassung, noch ist er hierzu befugt.

2. Soweit sich der auf §§ 102,105 StPO gestützte Durchsuchungsantrag auf Verkabelung sowie Modem und Router erstreckt, ist für das Gericht darüber hinaus nicht erkennbar, welches Beweisziel die Antragstellerin mit der Auffindung und Sicherstellung dieser Gegenstände verfolgt.

Zwar ist die ermittlungsrichterliche Prüfung gemäß § 160 Absatz 2 StPO grds. darauf beschränkt, ob die beantragte Handlung nach den Umständen des Falles gesetzlich zulässig ist. Nicht Gegenstand der ermittlungsrichterlichen Prüfung ist folglich die Frage der Zweckmäßigkeit einer Beschlagnahme von Gegenständen als Beweismittel für das Ermittlungsverfahren, da dies grundsätzlich dem Gestaltungsspielraum der Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens unterliegt (vgl. Meyer-Goßner 61. Aufl. Rn. 14 zu § 162). Voraussetzung hierfür ist aber, dass die Gegenstände, deren Auffindung und Sicherstellung die Antragstellerin verfolgt, nach ihrer Art und Beschaffenheit zumindest grundsätzlich als Beweismittel in Betracht kommen, d.h. zum Nachweis des von der Antragstellerin erhobenen Tatvorwurfs herangezogen werden können. Dies ist bei dem im Antrag aufgeführten EDV-Zubehör für das Gericht nicht erkennbar. Eine Beschlagnahme desselben käme deshalb allenfalls nach § 111b StPO in Betracht, sofern das betreffende Equipment tatsächlich als Tatmittel Verwendung gefunden hat und gemäß § 74 StGB der Einziehung bzw. gem. § 74d StGB der Unbrauchbarmachung unterliegt. Dies ist von der Staatsanwaltschaft aber weder beantragt, noch dargetan.

3. Eine antragsgemäße Anordnung, welche die Durchsuchung und Sicherstellung von internetfähigen Endgeräten und Datenträgern in dem im Antrag bezeichneten Umfang beim Beschuldigten zur Folge hätte, ohne dass diese ihrem Inhalt nach entsprechend konkretisiert wären, begegnet letztlich auch Bedenken im Hinblick auf ihre Verhältnismäßigkeit. Insoweit ist die hieraus regelmäßig resultierende Sicherstellung des gesamten EDV Equipments (einschließlich Kabel, Modem und Router) zum Zwecke der anschließenden Durchsicht nach § 110 StPO bzw. IT-forensischen Auswertung zumindest vom vom Grundsatz her geeignet, den Beschuldigten in der Ausübung seines Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG in ggfls. vermeidbarer und damit unzulässiger Weise grundlegend einzuschränken.“

EV II: Durchsuchungsanordnung durch den StA, oder: Die Strafe folgt, nämlich Beweisverwertungsverbot

Bild von kmicican auf Pixabay

Die zweite Entscheidung, der OLG Koblenz, Beschl. v. 04.03.2021 – 1 Ws 53/21 – ist im Haftverfahren ergangen. Das OLG hat auf die weitere Beschwerde des Beschuldigten in einem Verfahren wegen des Vorwurfs des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln den Haftbefehl gegen den Betroffenen aufgehoben. Dem Vorwurf lag das Ergebnis einer Wohnungsdurchsuchung beim Beschuldigten zugrunde liegt. Polizeibeamte hatten die Wohnung des Beschuldigten zunächst gegen 9.52 Uhr – nach vergeblichem Klopfen und Rufen – durch die unverschlossene Wohnungstür betreten, um den Beschuldigten aufgrund eines in einem andern Verfahren bestehenden Vollstreckungshaftbefehls festzunehmen, die Wohnung nach ihm durchsucht, ihn jedoch nicht angetroffen und auf dem Couchtisch im Wohnzimmer eine weiße Substanz nebst typischen Betäubungsmittel-Utensilien sowie in einer Papiertüte auf dem Sofa eine Plastikbox mit transparentem Deckel, die eine grünliche Substanz beinhaltete, vorgefunden. Der daraufhin gegen 10 Uhr von den Beamten zwecks (weiterer) Durchsuchung der Wohnung kontaktierte Bereitschaftsstaatsanwalt vertrat ausweislich seiner dienstlichen Stellungnahme die Auffassung, der Vollstreckungshaftbefehl stelle eine hinreichende Grundlage für eine Durchsuchung der Wohnung dar, zumal etwa durch das Auffinden von Unterlagen eventuell auch Rückschlüsse auf den aktuellen Aufenthaltsort des Beschuldigten möglich seien. Rein vorsorglich – da er nicht ausschließen könne, dass die Rechtsfrage streitig sei – würde er dennoch – nachdem er Dezernenten der Betäubungsmittelabteilung nicht erreicht hatte – versuchen, die Ermittlungsrichterin zu kontaktieren, damit sie Bescheid wisse und „notfalls (deklaratorisch)“ die Durchsuchung legitimiere. Er traf sodann die Ermittlungsrichterin sowie deren Vertreterin nicht in ihren Büros an, die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle befand sich in einem Telefonat und die Mitarbeiterin einer weiteren Geschäftsstelle teilte ihm mit, dass sich die Ermittlungsrichterin grundsätzlich im Hause befinde, die Vertreterin nicht. Der Staatsanwalt schilderte nunmehr einer weiteren Richterin kurz den Sachverhalt, die die Vermutung äußerte, der zweite Vertreter sei wohl der dienstjüngste Richter, ohne angeben zu können, wer dies sei. Daraufhin teilte der Staatsanwalt den Polizeibeamten gegen 10.30 Uhr mit, er habe die Ermittlungsrichterin und ihre Vertreterin nicht erreichen können, sehe die Voraussetzungen für eine weitere Durchsuchung als gegeben und „trage insoweit die Verantwortung“ . Aufgrund dieser – von den Polizeibeamten als solche verstandenen – Durchsuchungsanordnung erfolgte die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten, im Rahmen derer insbesondere größere Mengen an Betäubungsmitteln, ein Baseballschläger, Feinwaagen, Verpackungsmaterial und ein Handy aufgefunden und sichergestellt wurden. Der Verwertung dieser Beweismittel hat der Beschuldigte widersprochen.

Das AG hat den Haftbefehl gegen den Beschuldigten dann aufgehoben, da die bei der Durchsuchung aufgefundenen Beweismittel einem Beweisverwertungsverbot unterlägen. Das LG hat ihn dann neu erlassen. Das OLG hat ihn dann wieder aufgehoben:

„Die weitere Haftbeschwerde ist gemäß § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO statthaft und hat auch in der Sache Erfolg. Die im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung bei dem Beschuldigten sichergestellten Beweismittel unterliegen – mit Ausnahme derer, die bereits bei der ersten Durchsuchung der Wohnung zwecks Ergreifung des Beschuldigten festgestellt wurden – einem Beweisverwertungs-verbot, so dass kein dringender Tatverdacht hinsichtlich des dem Beschuldigten zur Last gelegten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln besteht. Bezüglich des verbleibenden Tat-verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln erweist sich eine Fortdauer der Untersuchungshaft als unverhältnismäßig.

1. Das Betreten der Wohnung durch die Polizeibeamten nach vergeblichem Klopfen und Rufen sowie deren anschließende Durchsuchung zur Ergreifung des Beschuldigten erfolgten rechtmäßig.

Zwar stellt der durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 457 Abs. 2 StPO erlassene Vollstreckungs-haftbefehl für sich genommen keine hinreichende Ermächtigung hierfür dar. Jedoch umfasst die gerichtliche Anordnung der Freiheitsentziehung durch eine rechtskräftige Entscheidung alle Maß-nahmen gegen den Verurteilten, die zur Verwirklichung des Strafausspruchs notwendig werden, mithin auch die Durchsuchung der Wohnung zwecks Ergreifung des – der Ladung zum Strafantritt nicht folgenden – Beschuldigten auf der Grundlage eines durch die Staatsanwaltschaft erlassenen Vollstreckungshaftbefehls; einer gesonderten richterlichen Durchsuchungsanordnung bedarf es insoweit nicht (vgl. OLG Düsseldorf, 2 Ws 289/81 v. 27.07.1981 – NJW 1981, 2133; OLG Frankfurt, 3 Ws 62/63 v. 26.11.1963 – NJW 1964, 785; KK-StPO/Bruns, 8. Auflage 2019, § 105 Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage 2020, § 457 Rn. 11; a.A. KK-StPO/Appl, 8. Auflage 2019, § 457 Rn. 11; Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage 2010, § 457 Rn. 22 ff.). Dem steht entgegen der Auffassung des Verteidigers insbesondere auch nicht der Wortlaut des zwischen-zeitlich eingefügten § 457 Abs. 3 S. 3 StPO entgegen (so allerdings KK-StPO/Appl, a.a.O.), wo-nach die notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen das Gericht des ersten Rechtszuges trifft. Denn hierbei handelt es sich lediglich um eine Regelung der Zuständigkeit, die in dieser Weise bereits vor der Gesetzesänderung angenommen wurde (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Frankfurt, a.a.O.).

Die im Rahmen dieser ersten Durchsuchung aufgefundenen Beweismittel sind damit als Zufalls-funde gemäß § 108 Abs. 1 StPO verwertbar. Der Verweis des Verteidigers auf § 108 Abs. 1 S. 3 StPO verfängt nicht, da sich diese Vorschrift nur auf eine Durchsuchung der Wohnung eines Dritten zum Zwecke der Ergreifung des Beschuldigten gemäß § 103 Abs. 1 S. 2 StPO bezieht. Verwertbar sind damit jedenfalls die in der auf dem Sofa befindlichen Papiertüte (BI. 31 d.A., bei dem Fundort „Safe“ – BI. 33 d.A. – handelt es sich offenbar um einen Übertragungsfehler) aufgefundenen – verkaufsfertig abgepackten – 8,7 g Marihuana (vgl. BI. 33, 35, 86 f., 89 f. d.A.). Inwieweit den Polizeibeamten – entsprechend der Auffassung der Staatsanwaltschaft (BI. 215 d.A.) und des Landgerichts (BI. 241 d.A.) – bereits bei der ersten Durchsuchung möglicherweise noch weitere der im Wohnzimmer aufgefundenen Beweismittel auffielen, ist angesichts der Formulierung „unter anderem“ in dem polizeilichen Vermerk (BI. 86 f. d.A.) unklar und bedarf der Abklärung.

2. Die sodann nach Rücksprache mit dem Staatsanwalt durchgeführte (weitere) Durchsuchung der Wohnung war demgegenüber wegen Missachtung des Richtervorbehaltes rechtswidrig, weil eine gemäß Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 S. 1 StPO grundsätzlich erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung nicht vorlag und eine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft nicht bestand.

Die dem vorliegenden Vollstreckungshaftbefehl vorausgehende gerichtliche Entscheidung stellte unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine Grundlage für die erfolgte Durchsuchung zum Zwecke des Auffindens von Beweismitteln hinsichtlich des neuen Tatverdachts dar.

Nach Art. 13 Abs. 2 Hs. 2 GG i.V.m. § 105 Abs. 1 S. 1 StPO dürfen Durchsuchungen zwar ausnahmsweise auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 GVG) an-geordnet werden, wenn Gefahr im Verzug besteht. Gefahr im Verzug ist anzunehmen, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme -regelmäßig die Sicherung von Beweismitteln – gefährdet würde (vgl. BGH, 4 StR 15/20 v. 04.06.2020 – NStZ 2020, 621; 2 StR 46/15 v. 06.10.2016 – BGHSt 61, 266; 3 StR 210/11 v. 30.08.2011 – NStZ 2012, 104; 5 StR 546/06 v. 18.04.2007 – BGHSt 51, 285). Diese Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft – auf die sich der Staatsanwalt infolge seiner fehlerhaften Rechtsauffassung auch gar nicht ausdrücklich beruft – lag jedoch ersichtlich nicht vor. Angesichts der vor Ort befindlichen Polizeibeamten, die sich davon überzeugt hatten, dass sich niemand in der seitdem von ihnen überwachten Wohnung befand, drohte bereits keinerlei Beweismittelverlust. Hinzu kommt, dass ein Ermittlungsrichter an einem Werktag zu dienstüblichen Zeiten ohne Weiteres in absehbarer Zeit zu erreichen war. Nach den seitens des Staatsanwalts eingeholten Informationen befand sich sogar die originär zuständige Ermittlungsrichterin im Haus, die sich zu dem Zeitpunkt lediglich nicht in ihrem Büro aufhielt.

3. Die Rechtswidrigkeit der auf Anordnung der Staatsanwaltschaft erfolgten (weiteren) Wohnungs-durchsuchung hat vorliegend auch ein Verwertungsverbot hinsichtlich der dabei aufgefundenen Beweismittel zur Folge.

Zwar führt die Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung nicht ohne weiteres zu einem Beweisverwertungsverbot (vgl. BVerfG, 2 BvR 2072/10 v. 20.05.2011 – NJW 2011, 2783; BGH, 3 StR 390/17 v. 03.05.2018 – NStZ 2019, 227; 5 StR 546/06 v. 18.04.2007 – BGHSt 51, 285; KK-StPO/Bruns, a.a.O., § 105 Rn. 21). Die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes ist aber zumindest bei schwerwiegenden. bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind (vgl. BVerfG, 2 BvR 2072/10 v. 20.05.2011 – NJW 2011, 2783; BGH, 3 StR 390/17 v. 03.05.2018 – NStZ 2019, 227; 2 StR 46/15 v. 06.10.2016 – BGHSt 61, 266; 2 StR 394/15 v. 21.04.2016 – StV 2016, 539; 3 StR 21.0/11 v. 30.08.2011 – NStZ 2012, 104; OLG Zweibrücken, 1 OLG 2 Ss 3/18 v. 18.06.2018 – NStZ 2019, 301; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 63. Auflage 2020, § 105 Rn. 19) bzw. einer bewussten Missachtung des Richtervorbehalts oder der Verkennung seiner Voraussetzungen in gleichwertig grober Weise (vgl. BGH, 4 StR 15/20 v. 04.06.2020 – NStZ 2020, 621; 5 StR 566/18 v. 27.11.2018 – NStZ-RR 2019, 94; 5 StR 546/06 v. 18.04.2007 – BGHSt 51, 285; KK-StPO/Bruns, a.a.O., § 105 Rn. 22) geboten.

Von einem willkürlichen oder bewussten Verstoß ist vorliegend in der Gesamtschau nicht auszugehen, ein schwerwiegender Fehler liegt jedoch aufgrund der oben geschilderten Umstände vor. Der Senat verkennt hierbei nicht, dass dem Beschuldigten mit dem Vorwurf des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ein schweres Verbrechen zur Last liegt (vgl. zur Berücksichtigung dieses Umstandes BGH, 2 StR 25/15 v. 17.02.2016 – NStZ 2016, 551; OLG Köln, 81 Ss 65/09 v. 27.10.2009 – StV 2010, 14) und es sich angesichts der Fortsetzung einer zunächst -auf der Grundlage der dem Vollstreckungshaftbefehl vorausgegangenen gerichtlichen Entscheidung – zulässigen Durchsuchung um einen Verstoß minderen Gewichts handelt (vgl. für eine zu-nächst gefahrenabwehrrechtlich zulässige Wohnungsdurchsuchung BGH, 3 StR 390/17 v. 03.05.2018 – NStZ 2019, 227; 5 StR 566/18 v. 27.11.2018 – NStZ-RR 2019, 94, wobei aber – an-ders als hier – die meisten Beweismittel schon gesichtet wurden). Der Verfahrensverstoß wiegt jedoch so schwer – das Landgericht geht insofern in im Ausgangspunkt ähnlicher Einschätzung von einem „gerade noch als leichtfertig einzustufenden Verstoß“ aus -, dass trotz dieser Umstände ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen ist.

Die sich aus der dienstlichen Stellungnahme des Staatsanwalts ergebende Rechtsauffassung, der Vollstreckungshaftbefehl stelle eine Grundlage für die weitere Wohnungsdurchsuchung dar, entbehrt jeglicher Grundlage. Selbst wenn die Annahme noch vertretbar erscheinen könnte, die dem Haftbefehl vorangegangene Gerichtsentscheidung berechtige auch zu einer Durchsuchung zwecks Auffindens von Anhaltspunkten für den aktuellen Aufenthalt des Festzunehmenden, ist es jedenfalls fernliegend und objektiv unvertretbar, von einer Berechtigung zum Suchen nach Beweismitteln hinsichtlich eines neuen Tatverdachts – hier eines Verstoßes gegen das BtMG – aus-zugehen. Dies war aber sowohl ausweislich der polizeilichen Vermerke als auch der dienstlichen Stellungnahme des Staatsanwaltes zweifellos das einzige angestrebte Ziel der Maßnahme. Angesichts dieses ins Auge springenden Umstandes musste es dem Staatsanwalt bewusst sein, dass eine richterliche Anordnung erforderlich war, so dass sein Rechtsirrtum nicht geeignet ist, sein unzureichendes Bemühen um einen richterlichen Beschluss zu rechtfertigen. Insoweit hatte der Staatsanwalt offenbar auch selbst zumindest gewisse Zweifel, da sich ansonsten das Aufsuchen eines Ermittlungsrichters zwecks Erlangung einer „deklaratorischen“ Anordnung erübrigt hätte.

In Anbetracht der offensichtlich fehlenden Dringlichkeit der Durchsuchung ist es auch für den Senat nicht nachvollziehbar, dass der Staatsanwalt neben den vorgenommenen, oben geschilderten Erkundigungen nicht weitere naheliegende Maßnahmen ergriffen hat, um einen Ermittlungsrichter zu erreichen. Abgesehen davon, dass er ohne Weiteres auf die Rückkehr der zuständigen Ermittlungsrichterin hätte warten bzw. eine Rückrufbitte bei der Geschäftsstelle hinterlassen können, war die Richterin auch jederzeit – mittels Rufumleitung auf ihr Mobiltelefon – telefonisch erreichbar (BI. 203 d.A.), was der Staatsanwaltschaft zudem per Rundmail bekannt gegeben worden war (BI. 212 d.A.). Dennoch hat der Staatsanwalt nicht einmal einen Anrufversuch unternommen. Es ist darüber hinaus auch nicht ersichtlich, dass am Vormittag eines Werktages kein sonstiger vertretungsberechtigter und -bereiter Richter erreichbar gewesen sein könnte, die Zuständigkeiten hätten sich problemlos durch eine Einsichtnahme in den Geschäftsverteilungsplan oder weiteres Nachfragen ergeben. Die seitens des Staatsanwaltes sodann getroffene Durchsuchungsanordnung – nur als solche ist auch die ausweislich seiner dienstlichen Stellungnahme erfolgte Mitteilung der „Verantwortungsübernahme“ zu verstehen – entbehrte daher jeder nachvollziehbaren Grundlage.

Bei einer derart schwerwiegenden Verkennung des Richtervorbehalts kommt dem Aspekt eines möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs, d.h. dem Umstand, dass bei richtiger Verfahrensweise ein Durchsuchungsbeschluss mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erlangen gewesen wäre, keine Bedeutung mehr zu (vgl. BGH, 4 StR 15/20 v. 04.06.2020 – NStZ 2020, 621; 2 StR 46/15 v. 06.10.2016 – BGHSt 61, 266; 2 StR 394/15 v. 21.04.2016 – StV 2016, 539; 3 StR 210/11 v. 30.08.2011 – NStZ 2012, 104; 5 StR 546/06 v. 18.04.2007 – BGHSt 51, 285; KK-StPO/Bruns, a.a.O., § 105 Rn. 22; Meyer-Goßner/ Schmitt/Köhler, a.a.O., § 105 Rn. 19)…….“

Durchsuchung I: Anfangsverdacht, oder: Eine anonyme Anzeige geht nicht/kaum

Bild von Merio auf Pixabay

Und hier dann der Start in die 47 KW., die dritte Woche des zweiten Lockdowns. Mal sehen, ob heute „Bergfest“ ist – ich denke eher nicht. Und mal sehen, was wir noch alles aus den USA hören vom „nor re-elected President“, der schmollend wie ein kleines Kinde in der Ecke sitzt – und, was ich schlimm finde, nichts tut. Und das in diesen Zeiten.

Nichts desto trotz: Hier geht es normal weiter. Und ich starte in die Woche mit zwei Durchsuchungsentscheidungen. Die erste, der LG Hildesheim, Beschl. v. 27.10.2020 -26 Qs 61/20 -, hat mir der Kollege Siebers aus Braunschweig geschickt, die Entscheidung hat ein Mitverteidiger von ihm erstritten.

Gegen den beschuldigten Mandanten ist ein Ermittlungsverfahren wegen des Verstoßes gegen das WaffenG anhängig. In dem ist am 28.07.2020 die Durchsuchung der Wohnung mit allen Nebenräumen des Beschuldigten gemäß §§ 102, 105 StPO angeordnet worden, weil aufgrund von Tatsachen zu vermuten sei, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Schusswaffen und Munition führen werde. Den Verdacht hat das AG auf einen anonymen Hinweis gestützt. Noch bevor die Durchsuchung erfolgte, hat das AG auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 25.8.2020 die Durchsuchung des Bankschließfaches des Beschuldigten bei der Kreissparkasse zum Zwecke des Auffindens von scharfen Schusswaffen, Munition und Waffenbauteilen angeordnet. Die Durchsuchungen sind am 28.8.2020 von Polizeibeamten vollzogen worden. Der Beschuldigte hat gegen beide Durchsuchungsbeschlüsse Beschwerde eingelegt und beantragt, die Rechtswidrigkeit der angeordneten Durchsuchungen festzustellen. Das Rechtsmittel hatte Erfolg:

Das LG beanstandet, dass Grundlage der Durchsuchungsanordnung bei der Beurteilung des erforderlichen Anfangsverdachts lediglich eine anonyme Anzeige gewesen sein. Die/das sei aber nicht ausreichend gewesen:

„……

Bei anonymen Anzeigen müssen die Voraussetzungen des § 102 StPO im Hinblick auf die schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten aber wegen der erhöhten Gefahr und des nur schwer bewertbaren Risikos einer falschen Verdächtigung besonders sorgfältig geprüft werden. Bei der Prüfung des Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeitsabwägung sind insbesondere der Gehalt der anonymen Aussage sowie etwaige Gründe für die Nichtoffenlegung der Identität der Auskunftsperson in den Blick zu nehmen. Als Grundlage für eine stark in Grundrechtspositionen eingreifende Zwangsmaßnahme wie eine Durchsuchung kann eine anonyme Aussage nur genügen, wenn sie von beträchtlicher sachlicher Qualität ist oder mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt worden ist (BVerfG, Beschluss vom 14.07.2016, 2 BvR 2474/14).

Zum Zeitpunkt des Erlasses der Durchsuchungsanordnungen lag lediglich eine schriftliche anonyme „Aussage“ und das Ermittlungsergebnis zum Schließfach des Beschuldigten vor. Die anonyme Anzeige erreicht sachlich nicht eine solche Qualität, dass ein hinreichender Anfangsverdacht für Durchsuchungsanordnungen hinsichtlich des Verstoßes gegen das Waffengesetzt gegen den Beschuldigten besteht. Der anonyme Hinweisgeber wendet sich mit seinem Schreiben gegen die in Peine lebende Familie pp. und führt aus, wo die verschiedenen Familienmitglieder wohnen und arbeiten. Der Beschuldigte und ein weiteres Familienmitglied hätten mehrere Häuser in Peine und in der Türkei von dem Geld eines Familienclans pp. aus pp. gekauft. Bezüglich des Vorwurfs des Verstoßes gegen das Waffengesetz trägt er lediglich vor: „In jeder von diesen Wohnungen gibt scharfe Waffen.“ Konkrete Angaben zu den Waffen, z.B. ob er diese gesehen hat und näher beschreiben kann oder woher er diese Erkenntnis hat, fehlen. Zwar hat sich die Angabe des Hinweisgebers, dass der Beschuldigte ein Bankschließfach hat, bestätigt. Hierauf kann aber nicht der Verdacht des unerlaubten Waffenbesitzes gestützt werden, weil der Hinweisgeber ausgeführt hat, dass in diesem viel Geld und Gold sei. Weitere Ermittlungen haben auch nicht zur Konkretisierung des pauschalen Vorwurfs des Hinweisgebers geführt. Insbesondere ist der Beschuldigte bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten. Insoweit ist der polizeiliche Vermerk im Rahmen der Anregung der Durchsuchungsanordnung, dass polizeiliche Ermittlungen eine latente Steigerung des Verlangens einzelner Straftäter in allen Deliktsbereichen, sich zu bewaffnen, belegen würden, für die Kammer nicht nachvollziehbar.“