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Durchsuchung I: Das verfassungsrechtliche 1 x 1, oder: So bekämpft man „Clankriminalität“ nicht

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Den Monat Mai beschließe ich dann mit einem EV-Tag, also mit Entscheidungen aus dem Ermittlungsverfahren, und zwar zur Durchsuchung.

Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 19.04.2023 – 2 BvR 2180/20. In ihm hat das BVerfG noch einmal/schon wieder zu den Voraussetzungen für die Anorndung einer Durchsuchungsmaßnahme Stellung genommen/nehmen müssen. Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde war ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten (Alias-Name: M)  wegen des Verdachts der Geldwäsche und weiterer Delikte. Dieses Ermittlungsverfahren stand im Zusammenhang mit einem weiteren Ermittlungsverfahren gegen einen Beschuldigten K. wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Betrugs. K. soll im Rahmen seiner Tätigkeit als Pkw-Händler in zahlreichen Fällen dabei mitgewirkt haben, dass unter anderem gegenüber Versicherungen und Banken falsche Angaben für die Finanzierung hochpreisiger Fahrzeuge gemacht wurden, sodass er sich infolgedessen an den ausgezahlten Summen zu Unrecht bereichert haben soll. Aus den Ermittlungen ging hervor, dass K. und die genutzten Fahrzeuge Verbindungen ins kriminelle Milieu pp). aufweisen, darunter auch zum Beschuldigten. Der Beschuldigte soll einem örtlichen M.-Clan angehören und in zahlreiche polizeilich erfasste Vorgänge verwickelt sein, darunter in Ermittlungen wegen Verdachts des Kokainhandels, wegen Delikten aus dem Bereich der Gewaltkriminalität und wegen Verdachts des Landfriedensbruchs. Soweit es den Beschuldigten angeht, betrifft die ihm angelastete Tatbeteiligung nur einen Teil der gegen K. erhobenen Vorwürfe. Diese stehen in Zusammenhang der Tätigkeit des K. als Geschäftsführer zweier Unternehmen, welche den Betrieb einer Lounge (im Folgenden: A. UG) und eines Handels für Kraftsportartikel (im Folgenden: B. UG) zum Gegenstand hatten.

Mit Beschluss vom 06.08.2020 hat das AG u.a. die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten angeordnet. Die Durchsuchung diente dem Zweck, Hinweise „auf die Nutzung und Beschaffung der Aliaspersonalie N.“, auf „Aufwendungen im Zusammenhang mit der A. UG sowie der B. UG“ sowie die Herkunft dieser Mittel, auf etwaige Absprachen zwischen den Beteiligten, sowie Dokumente, Mobiltelefone, Datenträger, Computer und sonstige Speichermedien aufzufinden. In Bezug auf diese Beweismittel ordnete das Gericht die Beschlagnahme an. Die Durchsuchung wurde am 12.08.2020 vollzogen. Die gegen die Durchsuchungsmaßnahme eingelegte Beschwerde hat das LG als unbegründet verworfen. Die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG als weitgehend begründet angesehen:

„b) Eine Wohnungsdurchsuchung wegen des Verdachts der Geldwäsche setzt nicht nur voraus, dass ein Anfangsverdacht für die Geldwäschehandlung, sondern gemäß der damals geltenden Fassung des Gesetzes auch für das Herrühren des Vermögensgegenstands aus einer bestimmten Katalogtat im Sinne des § 261 Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. vorliegt. Dass eine Vortat aus dem Katalog des § 261 Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. begangen wurde, war ein wesentliches Merkmal der Strafbarkeit der Geldwäsche (vgl. BVerfGK 8, 349 <353>). Nicht ausreichend für die Annahme eines Anfangsverdachts ist es demnach, wenn keine über bloße Vermutungen hinausgehenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Vortat bestehen. Auch Anhaltspunkte für die Annahme, das betroffene Geld oder der betroffene Vermögensgegenstand rührte aus irgendeiner Straftat her, genügen nicht, um Strafverfolgungsmaßnahmen auszulösen. Insofern ist die mögliche Katalogtat zu konkretisieren, auch wenn nicht erforderlich ist, dass die Geldwäschevortat bereits in ihren Einzelheiten bekannt ist. Das Stadium des Anfangsverdachts zeichnet sich gerade dadurch aus, dass weitere Ermittlungen gegebenenfalls in Form von strafprozessualen Zwangsmaßnahmen nötig sind, weil die Tat in ihren Einzelheiten noch nicht aufgeklärt ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 31. Januar 2020 – 2 BvR 2992/14 -, Rn. 40 ff.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Mai 2020 – 2 BvQ 26/20 -, Rn. 32; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 3. März 2021 – 2 BvR 1746/18 -, Rn. 56 ff.).

c) Dem Gewicht des Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entsprechend behält Art. 13 Abs. 2 GG die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vor. Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient dazu, die Durchführung der Maßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220>; 96, 44 <51 f.>; 103, 142 <151>). Dazu muss der Beschluss den Tatvorwurf und die gesuchten Beweismittel so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Der Richter muss die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie dies nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist. Der Betroffene wird auf diese Weise zugleich in den Stand versetzt, die Durchsuchung zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen von vornherein entgegenzutreten (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220 f.>; 96, 44 <51 f.>; 103, 142 <151 f.>). In dem Beschluss muss zum Ausdruck kommen, dass der Ermittlungsrichter die Eingriffsvoraussetzungen selbstständig und eigenverantwortlich geprüft hat (vgl. BVerfGE 103, 142 <151 f.>). Dazu ist zu verlangen, dass ein dem Beschuldigten angelastetes Verhalten geschildert wird, das den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt. Die wesentlichen Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes, die die Strafbarkeit des zu subsumierenden Verhaltens kennzeichnen, müssen benannt werden (vgl. BVerfGK 8, 349 <353>; 9, 149 <153>; 18, 414 <418>; 19, 148 <153>).

Mängel bei der ermittlungsrichterlich zu verantwortenden Umschreibung des Tatvorwurfs und der zu suchenden Beweismittel können im Beschwerdeverfahren nicht geheilt werden. Die Funktion des Richtervorbehalts, eine vorbeugende Kontrolle der Durchsuchung durch eine unabhängige und neutrale Instanz zu gewährleisten, würde andernfalls unterlaufen (vgl. BVerfGK 5, 84 <88>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03, 2 BvR 2104/03 -, juris, Rn. 4; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juni 2018 – 2 BvR 1260/16 -, juris, Rn. 29). Defizite in der Begründung des zugrundeliegenden Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme können hingegen im Beschwerdeverfahren nachgebessert werden (vgl. BVerfGE 115, 166 <197>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03, 2 BvR 2104/03 -, juris, Rn. 5).

2. Die angegriffenen Gerichtsentscheidungen sind mit den aufgeführten verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht vereinbar.

a) Soweit die Fachgerichte den Durchsuchungsbeschluss auf den Tatverdacht einer Geldwäsche gemäß § 261 Abs. 1 StGB a.F. gestützt haben, reichen die zugrundeliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte nicht über vage Anknüpfungen und bloße Vermutungen hinaus.

aa) Der Beschluss des Amtsgerichts enthält kaum aussagekräftige Ausführungen zur Herkunft der verschleierten Vermögenswerte, was auch das Landgericht in der Beschwerdeentscheidung erkannt hat. Der Durchsuchungsbeschluss deutet lediglich an, dass der Verdacht einer Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO bestehen konnte. Nähere Anhaltspunkte zu den betroffenen Steuerarten, dem Veranlagungszeitraum und den pflichtwidrig unterlassenen oder falsch abgegebenen Steuererklärungen oder Voranmeldungen hat das Amtsgericht nicht geschildert. Die Ausführungen des Amtsgerichts waren daher für die Verdachtsannahme einer Steuerhinterziehung als Geldwäschevortat (vgl. § 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Buchstabe b StGB a.F.) nicht tragfähig (vgl. BVerfGK 8, 349 <354>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03, 2 BvR 2104/03 -, juris, Rn. 6; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 4. April 2017 – 2 BvR 2551/12 -, Rn. 22 ff.).

bb) Soweit das Landgericht zum Verdacht einer Geldwäschevortat ergänzend ausgeführt und unter anderem auf „Gewaltkriminalität“ verwiesen hat, handelt es sich dabei ebenfalls um eine nicht hinreichend konkretisierte Verdachtsannahme. Welche vom Katalog des § 261 Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. erfassten Straftatbestände mit diesem Begriff gemeint sein sollen, bleibt völlig offen.

cc) Zureichende Anhaltspunkte für die Verdachtsannahme eines Handeltreibens mit Betäubungsmitteln als Geldwäschevortat gemäß § 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB a.F. in Verbindung mit § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG sind nicht ersichtlich. Den polizeilichen Ermittlungen zum Hintergrund des Beschwerdeführers ist lediglich zu entnehmen, dass gegen diesen zahlreiche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln geführt wurden. Die Ermittlungsakte teilt jedoch nicht mit, welche Anhaltspunkte dafür ausschlaggebend waren, dass die Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden. Den pauschalen Angaben kann nicht entnommen werden, ob die vermuteten Betäubungsmitteldelikte überhaupt im Zusammenhang mit den hier interessierenden, nicht nachvollziehbaren Transaktionen um die A. UG und die B. UG standen. Ob die erwähnten Ermittlungsverfahren bereits abgeschlossen oder zum maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung des Durchsuchungsbeschlusses noch angedauert haben, bleibt ebenfalls im Dunkeln. Die Annahme, dass der Beschwerdeführer sich an etwaigen Betäubungsmitteldelikten beteiligt und die Erlöse aus diesen Taten dem Vermögen der A. UG und der B. UG zugeführt haben soll, erschöpft sich insofern in einer nicht näher begründeten Vermutung. Ob die Fachgerichte – etwa durch entsprechende Nachfrage bei den Ermittlungsbehörden – konkretere Erkenntnisse hätten erlangen können, spielt dabei keine Rolle. Denn maßgeblich für die verfassungsgerichtliche Prüfung sind allein die objektiv dokumentierten Erkenntnisse in der Ermittlungsakte. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer öffentlich als führendes Mitglied eines Familienclans auftritt – nicht zuletzt ersichtlich an der Nutzung eines Aliasnamens, der die Familienzugehörigkeit eindeutig klarstellen soll – und sich offenbar mit den kriminellen Tätigkeiten des Clans identifiziert, kann für sich genommen eine Verdachtsannahme nicht tragfähig begründen.

b) Die Durchsuchungsanordnung wird auch den Anforderungen an die Begrenzungsfunktion nicht gerecht.

aa) Im Hinblick auf den Tatvorwurf der Geldwäsche beschreibt der Beschluss im Kern den Vorwurf, dass der Beschwerdeführer Vermögenswerte in die bezeichneten Unternehmen eingebracht und verschleiert haben soll, die ihrerseits aus mutmaßlich kriminellen Handlungen herrühren. Als Vortat wird lediglich eine etwaige Steuerhinterziehung angedeutet. Die vom Landgericht erwähnte „Gewaltkriminalität“ und das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln findet in dem amtsgerichtlichen Beschluss keine Erwähnung. Für die Mess- und Kontrollierbarkeit der Vollziehung der Durchsuchung macht es dabei einen entscheidenden Unterschied, worauf sich der Verdacht des Herrührens der verschleierten Vermögenswerte konkret bezieht. Die Angabe der Geldwäschevortat wäre insofern für die mit dem Vollzug der Durchsuchungsanordnung betrauten Beamten ein wesentlicher Anhaltspunkt gewesen, nach welchen konkreten Beweismitteln zu suchen ist. Ohne eine nähere Angabe und Eingrenzung der in Betracht kommenden Geldwäschevortaten bestand die Gefahr einer uferlosen Ausforschung des Beschwerdeführers.

bb) Im Hinblick auf den Tatverdacht einer mittelbaren Falschbeurkundung und einer Urkundenfälschung hat das Amtsgericht zwar ein Verhalten erwähnt, welches die Verwirklichung der benannten Straftatbestände andeutet. Eine solch pauschale und vage Darstellung des Tatvorwurfs genügt den verfassungsrechtlich gebotenen Anforderungen an die Begrenzung einer Durchsuchungsanordnung jedoch nicht. So enthält der Beschluss keine Umschreibung wesentlicher tatbestandlicher Voraussetzungen der erwähnten Straftatbestände. In Bezug auf den Tatverdacht einer Urkundenfälschung fehlt es an einer für den Tatbestand des § 267 Abs. 1 StGB geforderten Schilderung, welches konkrete Dokument im vorliegenden Fall unecht oder verfälscht gewesen und worin die konkrete Tathandlung des Beschwerdeführers zu sehen sein soll. Der im Raum stehende Verdacht, dass falsche Ausweisdokumente verwendet worden sein sollen, findet im amtsgerichtlichen Beschluss keine Erwähnung. Was den Tatvorwurf einer mittelbaren Falschbeurkundung gemäß § 271 Abs. 1 StGB betrifft, enthält der amtsgerichtliche Beschluss keinerlei Ausführungen dazu, welche Urkunde, welches Buch oder welches Register betroffen gewesen ist und welche konkrete Tathandlung des Beschwerdeführers die falsche Beurkundung bewirkt haben soll. Die aufgeführten Mängel führen dazu, dass die Durchsuchungsanordnung insoweit nicht mehr mess- und kontrollierbar ist.“

Der Beschluss enthält keine neuen Aussagen des BVerfG zu den Voraussetzungen für die Anordnung einer Durchsuchung. Das hat man alles schon einmal/mehrmals gelesen.Das ist das 1 x 1 der Durchsuchung.

Man fragt sich allerdings, warum hier das AG und auch das LG diese Vorgaben des BVerfG nicht umgesetzt und bei Erlass der Durchsuchungsmaßnahme beachtet haben, mal wieder. Hier hat man den Eindruck, dass offenbar die (vermutete) Zugehörigkeit des Beschuldigten zu einem Clan der (wahre) Grund für die Durchsuchungsmaßnahme gewesen ist. Das reicht aber nun mal nicht aus. Das BVerfG will mehr als nur vage Vermutungen lesen, nämlich konkrete Anhaltspunkte. Die Mühe, diese zu finden und aufzulisten, müssen sich die Ermittlungsbehörden schon machen, wenn man die „Clankriminalität“ – was man sich ja auf die Fahnen geschrieben hat – erfolgreich bekämpfen will. Wenn man es nicht beachtet, erhält man eben eine verfassungsgerichtliche Klatsche und landet dann – so wie hier – in der Presse (vgl. z.B. hier  der Beitrag aus dem Focus). Kein Ruhmesblatt.

Durchsuchung II: Handy-Durchsicht fast 3 Jahre?, oder: „Kannst ja die Passwörter nennen…“

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Für das zweite „Durchsuchungsposting“ geht es von ganz oben, also vom BGH, nach ganz unten, also zum AG, und zum AG Hamburg. Das hat im AG Hamburg, Beschl. v. 30.03.2023 – 162 Gs 2237/21 – zur Rechtswidrigkeit einer andauernden Durchsuchung Stellung genommen. Stichwort: Durchsicht von Papieren ua.

In einem Verfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche ist mit Beschluss vom 22.10.2021 die Durchsuchung der Wohn- und Nebenräume der Beschuldigten angeordnet worden. Die Vollstreckung dieses Beschlusses erfolgte am 01.11.2021. Im Rahmen der Durchsuchung wurden bei der Beschuldigten vier elektronischen Gegenstände aufgefunden und in Fortsetzung der Durchsüchung zum Zwecke der Durchsicht der in ihnen verbauten Datenträger nach § 110 StPO auf die Dienststelle der Einsatzkräfte mitgenommen. Mit Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 04.02.2022 ist die Rechtmäßigkeit der am 01.11.2021 erfolgten Mitnahme zur Durchsicht von zwei der vorgenannten Datenträger zwischenzeitlich gemäß § 110 Abs. 4 StPO i. V. m. § 98  Abs. 2 StPO bestätigt worden.

Mit Verfügung vom 27.06.2022 hat die Staatsanwaltschaft.Hamburg das für die Sachbehandlung zuständige LKA 66 gebeten, die Ermittlungen in der vorliegenden Sache abzuschließen, insbesondere eine Auswertung der Inhalte der sichergestellten Datenträger vorzunehmen. Nach dem Inhalt des Vermerks des LKA 66 vom 14.09.2022 waren die  Datenträger bereits zuvor am 18.05.2022 an das mit der (technischen) Auswertung befasste LKA 542 – Forensische LuK – weitergeleitet worden. Nach dem weiteren Inhalt dieses Vermerks soll seitens des stellvertretenden Sachgebietsleiters des LKA 542 die Ansage erfolgt sein, dass mit der „Bearbeitung der Laptops voraussichtlich im Juli 2023 und mit der Bearbeitung der Mobiltelefone voraussichtlich im Juli 2024 begonnen“ werde. Der Vermerk des LKA 66 endet daher mit der Feststellung, dass die Ermittlungen in der vorliegenden Sache in Form der Auswertung der Daten auf den elektronischen Datenträgern „frühestens“ im Juli/August 2023 fortgesetzt werden können. Mit Verfügung vom 26.09.2022 hat die Staatsanwaltschaft die Verteidigung über die vom LKA 66 getroffenen Feststellungen in Kenntnis gesetzt und darauf verwiesen, dass eine „Beschleunigung“ von dort aus „leider nicht veranlasst werden“ könne. Letzteres könne allerdings dadurch geschehen, wenn die Beschuldigte bereit sei, die entsprechenden Passwörter der Geräte zu benennen. Bereits mit einer vorangegangenen Email hatte die Verteidigung eine entsprechende Preisgabe abgelehnt, dafür mit einem an das Amtsgericht gerichteten Schriftsatz vom 20.02.2023 beantragt, nunmehr im Rahmen einer gerichtlichen Entscheidung die Herausgabe der im Tenor dieser Entscheidung bezeichneten Geräte zu beschließen.

Das AG sieht das als rechtswidrig an.

„Auch wenn in dem Antrag der Verteidigung auf gerichtliche Entscheidung eine konkrete Rechtsgrundlage für das dort als solches formulierte Herausgabeersuchen nicht genannt ist, versteht das Gericht den rechtlichen Kern des dortigen Begehrens dahingehend, dass die Beklagte die gerichtliche Feststellung begehrt, dass aufgrund des bisherigen Zeitablaufs bzw. der bis zum -Abschluss der ausstehenden Auswertungsarbeiten noch zu erwartenden Zeit ein weiterer Einbehalt der streitbefangenen elektronischen Geräte durch die Ermittlungsbehörden nicht länger verhältnismäßig wäre. Da nach allgemeiner Auffassung eine Mitnahme von Unterlagen und/oder Datenträgern im Sinne des § 110 StPO in Fortsetzung einer laufenden Durchsuchung erfolgt, die zum Nachteil der Beschuldigten pp. angeordnete Durchsuchung mithin auch aktuell noch andauert, legt das Gericht das rechtliche Begehren der Verteidigung dahingehend aus, dass in. entsprechender Anwendung des § 98 Abs. 2 StPO die Art und Weise der Durchsuchung, insbesondere der zeitliche Umfang der Durchsichtsmaßnahme gerügt wird.

Dem so verstandenen Antragsbegehren der Beschuldigten war in der tenorierten Form stattzugeben. Wie von der Verteidigung zu Recht darauf hingewiesen, erfordert der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass sich die Ermittlungsbehörden im Falle einer Mitnahme zur Durchsicht nach § 110 StPO zügig an die Durchsicht der vorgefundenen Unterlagen/Daten mit dem Ziel machen, in angemessener Zeit selektiv zu erarbeiteten, ob und ggf. welche der zur Durchsicht mitgenommenen Unterlagen/Daten dem Gericht für eine machfolgende Beschlagnahmeanordnung vorzulegen sind. Das Gericht hat in diesem Zusammenhang zu konzedieren, dass entsprechende normative Vorgaben, in welcher Zeit eine entsprechende Durchsicht zu erfolgen hat, nicht vorhanden sind, so dass eine entsprechende Bewertung unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Einzelfalles vorzunehmen ist. Vor diesem Hintergrund hat das Gericht festzuhalten, dass die vorläufige Sicherstellung der zu sichtenden Datenträger bei der Beschuldigten bereits am 01.11.2021 erfolgt ist und damit fast siebzehn Monate zurückliegt. Seit dieser Zeit befinden sich die durchzusehenden Geräte im Gewahrsam der Ermittlungsbehörden und stehen seitdem grundsätzlich für entsprechende Vollstreckungsmaßnahmen zur Verfügung: Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass insoweit auch der – allerdings von dritter Seite im Anschluss an die Durchsuchung gestellte – Antrag nach § 110 Abs. 4 StPO i. V. m. § 98 Abs. 2 StPO nichts an der Richtigkeit der Aussage ändert, da einem solchen Antrag grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung beizumessen ist. Tatsächlich standen daher der Durchsicht der Datenträger der sichergestellten Geräte seit deren Mitnahme keine rechtlichen Erwägungen entgegen.

In diesem Zusammenhang erachtet es das Gericht bereits als bedenklich, dass die auszuwertenden Geräte nach dem Vermerk des LKA 66 erst am 1.8.05.2022, also mehr als ein halbes Jahr nach deren Sicherstellung, an das für die technische Auswertung zuständige LKA 542 weitergeleitet worden sind. Für das Gericht nicht nachvollziehbar und daher rechtlich inakzeptabel ist allerdings die prognostische Einschätzung des stellvertretenden Sachgebietsleiters des LKA 542, wonach mit der Auswertung der Laptops erst im Juli 2023 und mit der Auswertung der Handys voraussichtlich erst im August 2024 begonnen werden könne. Vor dem Hintergrund einer solchen Aussage, die bislang in keiner Form von den Ermittlungsbehörden oder der Staatsanwaltschaft relativiert worden ist, muss das Gericht davon ausgehen., dass die erforderliche, zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal begonnene Durchsicht noch weitere Auswertungszeiträume von deutlich über einem (weiteren) Jahr in Anspruch nehmen wird. Dabei gilt es festzuhalten, dass die absehbare Auswertungsdauer nicht etwa einer besonderen Schwierigkeit der konkreten Einzelfallsituation geschuldet ist, sondern ersichtlich darauf beruht, dass seitens der Polizei entsprechend ausreichende personelle und/oder technische Kapazitäten nicht zur Verfügung stehen. Wie vom Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach betont, ist es aber unzulässig, dem Grunde nach rechtmäßige Einschränkungen der Grundrechte dadurch zu intensivieren, dass aufgrund fehlender Ressourcen die gebotene Beendigung des Eingriffs bzw. der Eingriffsintensität nicht zeitgerecht erfolgen kann. Dabei spielt es bei der rechtlichen Beurteilung der Sache nach keine Rolle, dass die Beschuldigte Iden Auswertungszeitraum in der Tat verkürzen könnte, wenn sie bereit wäre, den Ermittlungsbehörden mittels Eröffnung der Passwörter Zugang zu ihren Speichermedien zu verschaffen, da eine derartige Mitwirkungsverpflichtung im deutschen Strafprozessrecht nicht besteht und daher auch nicht auf die vorbezeichnete Art und Weise erzwungen werden kann.

Aufgrund der – unwidersprochenen – Ankündigung des stellvertretenden Sachgebietsleiters des LKA 542, dass mit einem Abschluss der Durchsichtsmaßnahmen nicht vor Mitte 2024 zu rechnen ist, war das Spannungsverhältnis zwischen einer sachgerechten Strafverfolgung auf der einen und dem Grundrechtsschutz der Betroffenen auf der anderen Seite dahingehend aufzulösen, dass dem Antrag der Verteidigung auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der so gekennzeichneten Art und Weise der (fortgesetzten) Durchsuchung zu entsprechen ist.“

M.E. zutreffend. Und: Sehr schön der Hinweis auf die nicht bestehenden Mitwirkungspflichten…..

Durchsuchung I: Geplanter Sturm auf den Bundestag, oder: Der BGH und die „Reichsbürger-Durchsuchung“

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Heute stelle ich drei Entscheidungen zur Durchsuchung (§§ 102 ff. StPO) vor. Darunter zwei BGH-Beschlüsse. Es kommt ja nicht so häufig vor, dass sich der BGH zu Durchsuchungsfragen äußert.

Und das hat er dann im BGH, Beschl. v. 30.03.2023 – StB 58/22 – getan. Ergangen ist der Beschluss in einem gegen zahlreiche Beschuldigte geführten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung und weiterer Straftaten. Der Beschluss ist m.E. nicht so sehr wegen der Ausführungen des BGH zu den Durchsuchungsfragen von Bedeutung, insoweit enthält er nichts Neues. Sondern: Interessant und bedeutsam ist nämlich der der Durchsuchung zugrunde liegende Sachverhalt. Es handelt sich nämlich um die Durchsuchung in der Reichsbürger-Szene im Dezember 2022.

Der BGH hat den Sachverhalt, der ja nun auch ausführlich in der Presse behandelt worden ist, in dem 18 Seiten umfassenden Beschluss „sehr schön“ zusammengetragen. Wenn man das zusammengasst – wegen der Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Volltext – hatten die (mutmaßlichen) Führungsmitglieder der Reichsbürger-Gruppierung, Pläne für einen gewaltsamen Sturm auf den Bundestag gehabt haben. Nach dem Beschluss wollte ein „Kommando“ Regierungsmitglieder und Abgeordnete in Handschellen abführen, Man hatte bereits Kontakt zu mehreren Angehörigen des Kommandos Spezialkräfte aufgenommen. zudme hatte man sich u.a. Munition, Gewehrmagazine und Nachtsichtgeräte besorgt und in Berlin Fotos von Absperrgittern am Paul-Löbe-Haus, vom Eingang der U-Bahn-Station „Bundestag“ und vom Schloss Bellevue gemacht. Außerdem soll ine Namensliste von Politikern, Journalisten und anderen Personen des öffentlichen Lebens existiert haben. haben.

Zum konkreten Stand der Vorbereitungen führt der BGH aus:

„Die Angehörigen der Gruppierung hatten ihren Entschluss, die staatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland unter Anwendung von Waffengewalt gegen Repräsentanten des Staates zu beseitigen und sie durch eine eigene Staatsstruktur zu ersetzen, bereits fest gefasst. Dass der Willensprozess innerhalb der Gruppe abgeschlossen war, zeigt sich in den vielfältigen Vorbereitungshandlungen der Beschuldigten für den gewalttätigen Umsturz. So erwarben einzelne Mitglieder nicht nur Munition, zahlreiche militärische Ausrüstungsgegenstände und Fesselungsmaterialien, sondern suchten darüber hinaus mehrere Waffengeschäfte zum Erwerb von Schusswaffen auf und führten Schießübungen durch. Daneben wurden durch die Gruppierung bereits drei Heimatschutzkompanien aufgebaut, denen polizeiliche und militärische Aufgaben im Fall der Realisierung der Umsturzpläne zukommen sollten. Für die Ausführung war gerade kein neuer Tatentschluss, sondern nur der Eintritt eines konkreten und unmittelbar bevorstehenden, aber noch nicht festgelegten Ereignisses erforderlich. Die Gruppierung behielt sich damit gerade nicht die Begehung von Straftaten für die Zukunft bloß vor.

Dies gilt umso mehr, als allein die Angehörigen der Gruppierung die Deutungshoheit darüber hatten, welches tagesaktuelle Ereignis der „Allianz“ zuzurechnen und als Startsignal zur Umsetzung ihrer Umsturzpläne zu werten sein sollte. Die Mitglieder der Vereinigung hatten mithin nur noch darüber zu entscheiden, wann die Umsturzpläne umgesetzt werden. Dies zeigt sich insbesondere an den zahlreichen internen Diskussionen darüber, auf welches Geschehen insoweit abzustellen ist, wobei von den Mitgliedern der Gruppierung ein möglicher Börsencrash, das Ableben von Queen Elizabeth II., ein elektromagnetischer Impuls durch Wladimir Putin, Naturkatastrophen oder ein großflächiger Stromausfall als mögliches Startsignal diskutiert und in Betracht gezogen wurden. Es bestand daher die konkrete und sich potentiell jederzeit realisierende Gefahr, dass die Umsturzpläne vollzogen werden. Es mehrten sich zudem Anzeichen dafür, dass der Handlungsdruck innerhalb der Gruppierung immer weiter anstieg. Trotz des teilweise fernliegenden Gedankenguts war somit die spezifische Gefährlichkeit der Vereinigung gegeben (vgl. MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, 4. Aufl., § 129 Rn. 2 mwN).“

Das Übrige – wie gesagt – nichts wesentliche Neues. Aber sicherlich eine, wenn nicht „historisch“, aber zumindest doch zeitgeschichtlich interessante Entscheidung. Und wenn man das alles so liest, wird einem ja doch „ein wenig anders“.

Und zur Sache noch: Der BGH hat die Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung des Ermittlungsrichters des BGH verworfen.

StPO I: Einiges zur Durchsuchungsanordnung, oder: Reichsbürger, anonyme Anzeige, BtM-Zusendung u.a.,

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Heute dann StPO-Entscheidungen.

Den Opener machen hier einige LG-Entscheidungen zur Durchsuchung, und zwar zu den Anordnungsvoraussetzungen. Da sind ja meist die LG die „letzte Instanz“. Eine Entscheidung stammt aber nicht „aus der StPO“.

Hier sind dann folgende Entscheidungen, allerdings nur mit den Leitsätzen:

Ein geltend gemachtes Auskunftsverweigerungsrecht hindert nicht, dass gegen die auskunftsverweigerende Person ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden kann. Treten weitere Anhaltspunkte hinzu, ist die Strafverfolgungsbehörde nicht gehindert, eine Durchsuchung mit dem Ziel, weitere Beweismittel aufzufinden, zu veranlassen, um einen bestehenden Tatverdacht zu überprüfen, sofern sich dieselbe nicht als unverhältnismäßig darstellt.

Eine anonyme Anzeige kann nur dann als Grundlage für eine Durchsuchung genügen, wenn sie von beträchtlicher sachlicher Qualität ist oder mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt wurde.

Zur Bejahung eines für die Anordnung einer Durchsuchung erforderlichen Anfangsverdachts bei BtM-Zusendungen.

Allein die Zugehörigkeit zu der Reichsbürgerbewegung stellt noch keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung dar.

 

StPO I: Beschwerde des Dritten gegen Durchsuchung, oder: Entscheidung erst nach Akteneinsicht

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Vor dem Gebührenfreitag heute dann drei LG-Entscheidungen zu StPO-Fragen.

Den Opener macht der LG Bonn, Beschl. v. 30.01.2023 – 63 Qs 6/23. Thema: Akteneinsicht des Vertreters des von einer Durchsuchungsmaßnahme betroffenen Dritten. Der hatte gegen die Durchsuchungsmaßnahme Beschwerde eingelegt, aber keine Akteneinsicht erhalten. Das LG Bonn sagt: Wir stellen die Entscheidung zurück, bis Akteneinsicht gewährt ist:

„Die Entscheidung über die Beschwerde des Dritten, Herrn pp., vom 04.12.2022 war zurückzustellen, bis die dem Bevollmächtigten, Herrn Rechtsanwalt, verwehrte Akteneinsicht gewährt würde und er Gelegenheit‘ hatte, sich im. Rahmen der Beschwerde zu äußern.

Das Beschwerdegericht darf bei seiner Entscheidung über ein Rechtsmittel gegen einen richterlichen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss seine Entscheidung nur auf diejenigen Tatsachen und Beweismittel stützen, die dem Beschuldigten durch Akteneinsicht bekannt sind. Wird der Verteidigung Akteneinsicht gemäß § 147 Abs-. 2 StPO verwehrt und ist das Beschwerdegericht nach § 147 Abs. 5 StPO hieran gebunden, so kann der sich hieraus ergebende Interessenkonflikt zwischen dem Beschuldigten und der Staatsanwaltschaft nur dadurch aufgelöst werden, dass die Beschwerdeentscheidung bis zur Gewährung der zunächst verweigerten Akteneinsicht aufgeschoben wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom • 07.09.2007 – 2 BVR 1009/07, NStZ-RR 2008, 16ff.; OLG Brandenburg, Beschluss vom 27.06.2019 — 2 Ws 112/19- BeckRS 2019, 13873; Wessing in BeckOK StPO, § 147 Rdn 8 m.w.N.).

Gleiches hat zu gelten, wenn sich die Durchsuchungsmaßnahme gegen einen Dritten, hier den Betroffenen pp. richtet. Der Rechtsstaatsgedanke gebietet es, dass der von einer strafprozessualen Eingriffsmaßnahme Betroffene jedenfalls nachträglich, aber noch im gerichtlichen Verfahren über die Rechtmäßigkeit des Eingriffs, Gelegenheit erhält, sich in Kenntnis der Entscheidungsgrundlagen gegen die Eingriffsmaßnahme und den zugrundeliegenden Tatvorwurf zu verteidigen.

Herrn Rechtsanwalt pp. ist eine Akteneinsicht bislang nicht gewährt worden, so dass bis zur Gewährung der Akteneinsicht und der Gelegenheit einer umfassenden Äußerung die Beschwerdeentscheidung aufzuschieben ist.“