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Lesenswert! OLG Hamm zur Fahrlässigkeit bei der Drogenfahrt – Es gibt keinen Automatismus

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Die Amtsgerichte nehmen, wenn nach einer Drogenfahrt eine Überschreitung der Wirkstoffkonzentration im Blut nach den Empfehlungen der sog.  Grenzwertkommission festgestellt (THC 1ng/ml; Morphin 10ng/ml; BZE 75ng/ml; XTC 25ng/ml; MDE 25ng/ml; Amphetamin 25ng/ml), häufig automatisch und ohne weitere Feststellungen einen zumindest fahrlässigen Verstoß gegen § 24a StVG an. Offensichtlich wird die Entscheidung des BVerfG vom 21.12.2004 (StV 2005, 386 mit Anm. Nobis = VRR 2005, 34 m. Anm. Lorenz), nach der der Wirkstoffnachweis erst ab bestimmten Werten den Rückschluss erlaube, der Betroffene habe bei seiner Verkehrsteilnahme unter einer tatbestandlich relevanten Wirkung eines Rauschmittels gestanden, in der Praxis immer noch häufig missverstanden. Denn tatsächlich hatte sich das BVerfG in der seinerzeitigen Entscheidung zu den Anforderungen an die Feststellungen des subjektiven Tatbestandes gar nicht geäußert, sondern allein zu den objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 24 a Abs. 2 StVG Stellung genommen und diese verfassungskonform einschränkend ausgelegt (so schon OLG Hamm VRR 2005, 194).

Für die Annahme von Fahrlässigkeit reicht deshalb weder allein die objektive Feststellung einer über dem Grenzwert liegenden Wirkstoffkonzentration noch der vom Betroffenen eingeräumte Konsum einige Zeit vor der Fahrt, um ohne weiteres den Schluss zuzulassen, der Betroffene habe die mögliche Rauschwirkung erkennen können und müssen. Vielmehr muss die Vorstellung des Täters unter Würdigung sämtlicher zur Verfügung stehender Beweismittel vom Tatgericht festgestellt werden. Von Bedeutung sind dabei vor allem der Zeitablauf seit dem letzten Konsum, die Höhe der noch festgestellten Wirkstoffkonzentration sowie deren Vereinbarkeit mit der Einlassung des Betroffenen (vgl. OLG Hamm, a.a.O; Burhoff in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWI-Verfahren, 3. Aufl. 2012, Rn. 517; zu allem a. noch Deutscher VRR 2011, 8 ff.).

Auf diese Grundsätze hat jetzt noch einmal der OLG Hamm, Beschl. v. 15. 6. 2012 – III-2 RBs 50/12– hingewiesen: Er stellt darüber hinaus klar, dass selbst Ausfallerscheinungen, die für den Betroffenen nicht ohne weiteres erkennbar sind, nicht ohne nähere Feststellungen den Rückschluss auf fahrlässiges Verhalten zulassen.

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Drogenfahrt – welche Beweisanzeichen haben wir?

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Die Rechtsprechung des BGH und der OLG zur Drogenfahrt (§ 316 StGB) und den insoweit erforderlichen Feststellungen pp. ist bzw. sollte allen bekannt sein. Für die Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit nach dem Konsum von Drogen, wie z.B. Amphetamin und Cannabis, gibt es keine Wirkstoffgrenzen wie beim Konsum von Alkohol, jedenfalls bislang nicht. Die Fahruntüchtigkeit ist vielmehr anhand einer umfassenden Würdigung sämtlicher Beweisanzeichen konkret festzustellen. Darüber habe ich bereits mehrfach gepostet (vgl. hier zum BGH, Beschl. v. 21. 12. 2011 – 4 StR 477/11 oder hier zum  OLG Saarbrücken v. 28.10.2010 – Ss 104/10). Die Instanzgerichte tun sich mit der Rechtsprechung allerdings immer noch ein wenig schwer und kommen zur Feststellungen einer Drogenfahrt mit der dann ggf. sich ergebenden Folge der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a StPO). So auch das AG in dem dem LG Waldshut-Tiengen, Beschl. v. 04.06.2012 – 4 Qs 12/12 zugrunde liegenden Verfahren. Anders und zutreffend das LG:

Denn Wirkstoffgrenzen, die — wie beim Konsum von Alkohol eine Blutalkoholkonzentration von 1,1 %o — eine absolute Fahruntüchtigkeit belegen, hat die Rechtsprechung für die Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit nach dem Konsum von Amphetamin und Cannabis bislang nicht festgelegt (vgl. zuletzt wieder BGH, B. v. 21.12.2011 — 4 StR 477/11 —). Vielmehr ist die Fahruntüchtigkeit anhand einer umfassenden Würdigung sämtlicher Beweisanzeichen konkret festzustellen. Dabei muss die sichere Feststellung getroffen werden, dass zur Tatzeit eine aktuelle Rauschmittelwirkung vorlag, wobei die Anforderungen an Art und Ausmaß hierfür sprechender Ausfallerscheinungen umso geringer sind, je höher die festgestellte Wirkstoffkonzentration ist. Es bedarf jedoch regelmäßig außer einem positiven Blut-Wirkstoffbefund weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, um eine eingeschränkte Fahrtüchtigkeit festzustellen. Dabei müssen sich die rauschmittelbedingten Ausfallerscheinungen zwar nicht unbedingt in Fahrfehlern ausgewirkt haben, sondern können sich auch aus dem Zustand und dem Verhalten des Fahrzeugführers bei einer Kontrolle ergeben. Dies setzt aber Auffälligkeiten voraus, die sich unmittelbar auf eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit beziehen, etwa schwerwiegende Einschränkungen der Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit, mangelnde Ansprechbarkeit, die Unfähigkeit zu koordinierter Bewegung oder eine extrem verlangsamte Reaktion (vgl. BGHSt 44, 219 und die weiteren Rechtsprechungsnachweise bei Fischer, StGB, 59. Aufl., § 316 Rdnr. 39 f.). Allgemeine Merkmale eines Drogenkonsums wie gerötete Augen, erweiterte Pupillen, verwaschene Aussprache oder eine verlangsamte Motorik reichen hierfür hingegen in der Regel nicht aus.

 2.       Vorliegend hat der Angeklagte bei seiner ärztlichen Untersuchung vor der Blutentnahme überhaupt keine Ausfallerscheinungen gezeigt. Hierauf weist der Verteidiger in der Beschwerdebegründung zutreffend hin. Fahrfehler wurden ebenfalls nicht festgestellt. Dem kontrollierenden Polizeibeamten fiel lediglich ein starkes Lid- flattern und eine fehlende Pupillenreaktion auf. Beides stellt jedoch keinen ausreichenden Beleg für eine drogenbedingte Fahruntüchtigkeit dar (vgl. BGHSt 44, 219; OLG Saarbrücken, B. v. 28.10.2010 — Ss 104/2010 —). Zumindest lässt sich ohne sachverständige Bewertung des Zustands des Angeklagten hieraus kein tragfähiger Schluss auf die fehlende Fahrtüchtigkeit des Angeklagten ziehen.

Drogenfahrt: Wie wird die Fahruntüchtigkeit festgestellt?

In BGH, Beschl. v. 21. 12. 2011 – 4 StR 477/11 hat der für Verkehrsstrafsachen zuständige 4. Strafsenat nun noch einmal bestätigt, dass bei der sog. Drogenfahrt i.S. der §§ 316, 315c StGB der Nachweis rauschmittelbedingter Fahruntüchtigkeit auch weiterhin nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden könne. Das ist schon seit Anfang der 90er Jahre Rechtsprechung des BGH gewesen. Zwischenzeitlich sah es m.E. so aus, als ob der BGH davon abrücken könnte. Das ist nun wohl nicht Fall.

Der 4. Strafsenat weist ausdrücklich darauf hin, dass es neben einem positiven Blutwirkstoffbefund noch weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen bedürfe, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des betreffenden Kraftfahrzeugführers soweit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen sei, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (vgl. dazu z.B. BGH VRR 2008 313 = NZV 2008, 528, 529).

Erkennungsdienstliche Behandlung nach Drogenfahrt?

Einer der Schnittpunkt von Verwaltungsrecht und Strafrecht (StPO) ist § 81b 2. Alt. StPO. „Für Zwecke des Erkennungsdienstes“ ist nicht Straf(prozess)Recht, sondern Polizeirecht. An der Stelle gibt es eine ganze Reihe verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen, die sich mit der Frage befassen, wann erkennungsdienstliche Maßnahme angeordnet werden dürfen. Dazu gehört jetzt auch ein Urteil, auf das gestern das VG Neustadt in einer PM hingewiesen hat (Urt. v. 29.11.2011 – 5 K 550/11). In der PM heißt es:

Wer unter Drogeneinfluss Auto fährt, muss damit rechnen, dass die Polizei von ihm trotz Einstellung des Strafverfahrens eine erkennungsdienstliche Behandlung verlangen darf. Eine entsprechende Verfügung des Polizeipräsidiums Rheinpfalz hat das Verwaltungsgericht Neustadt mit Urteil bestätigt.

Der Kläger wurde im Oktober 2010 mit seinem Pkw einer Verkehrskontrolle unterzogen. Aufgrund drogentypischer Ausfallerscheinungen führte die Polizei eine Blutprobe durch. Diese ergab, dass der Kläger Cannabis und Kokain konsumiert hatte. Das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Besitz und Erwerb von Drogen stellte die Staatsanwaltschaft im November 2010 ein, weil eine auf Betäubungsmittel positive Blutprobe nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf strafbaren Besitz oder Erwerb schließen lasse. Es sei von straflosem Konsum auszugehen. Daraufhin ordnete die Polizeibehörde gegenüber dem Kläger die erkennungsdienstliche Behandlung an und lud ihn zur Abnahme von Fingerabdrücken sowie der Fertigung von Lichtbildern mit der Begründung vor, es sei davon auszugehen, dass der Kläger sich die Drogen selbst beschafft habe. Da Drogenkonsum typischerweise zu einem Abhängigkeitsverhalten führe, das zu neuer Tatbegehung nahezu zwinge, sei damit zu rechnen, dass der Kläger sich auch künftig Drogen besorgen werde. Dagegen erhob der Kläger nach erfolgloser Durchführung eines Widerspruchsverfahrens Klage und berief sich darauf, er habe kein Suchtproblem. Das habe auch ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis bestätigt. Deshalb liege eine Wiederholungsgefahr als Voraussetzung für die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung nicht vor.

Die 5. Kammer des Gerichts wies die Klage ab. Zur Begründung führte das Gericht aus, da der Kläger Cannabis und Kokain konsumiert habe, sei nach kriminalistischer Erfahrung von einer gewissen Drogenerfahrenheit auszugehen. Die Polizei habe daher annehmen können, dass trotz Einstellung des Ermittlungsverfahrens der Kläger ausreichend verdächtig sei, Drogen in strafbarer Weise erworben oder besessen zu haben. Auch bestehe Wiederholungsgefahr. Es gehöre zu den Aufgaben der Polizei, geeignete Vorbereitungen zur Aufklärung von Straftaten zu treffen. Ein wichtiges Hilfsmittel stelle insoweit die Anfertigung und Aufbewahrung von Lichtbildern und Fingerabdrücken dar. Bei Drogendelikten sei die Wiederholungsgefahr groß, weil typischerweise der Drogenkonsum zu einem Abhängigkeitsverhalten führe, das die Begehung weiterer Verstöße gegen die Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes sehr wahrscheinlich mache. Das gelte vor allem, wenn im Einzelfall objektive Anhaltspunkte für eine weitergehende Involvierung in die Drogenszene bestünden.

Dies ist beim Kläger nach Überzeugung des Gerichts der Fall. Dieser sei seit Jahren drogenerfahren, habe regelmäßig Joints geraucht und sei auf Partys verkehrt, auf denen Kokain konsumiert worden sei. Er habe sich somit zumindest in einem Randbereich des Drogenmilieus bewegt und kenne Quellen, wo Drogen erhältlich seien. Dass er aufgrund eines positiven Gutachtens inzwischen wieder eine Fahrerlaubnis bekommen habe, stehe der Prognose, es bestehe Wiederholungsgefahr in Bezug auf Drogendelikte, nicht entgegen.“

Wirs sicherlich nicht rechtskräftig werden. Mal sehen, was das zuständige OVG dazu sagt.

Drogenfahrt – analytischer Grenzwert genügt

Das OLG Hamm hat in OLG Hamm, Beschl. v. 06.01.2011 – III – 5 RBs 182/10 (liegt also schon etwas zurück) die h.M. in der Rechtsprechung der Obergerichte zu § 24a Abs. 2 StVG bestätigt. Danach reich es für die Feststellung des Führens eines Kraftfahrzeuges unter der Wirkung des berauschenden Mittels Cannabis – nach dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis – aus, wenn bei einer Blutuntersuchung auf THC im Blutserum, welche den von der Grenzwertkommission vorausgesetzten Qualitätsstandards genügt, ein Messergebnis ermittelt wird, welches den von der Grenzwertkommission empfohlenen analytischen Grenzwert von 1 ng/ml THC im Serum erreicht. Eine tatsächliche Wirkung des Rauschmittels im Sinne einer konkreten Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit bei dem Betroffenen im Einzelfall festgestellt und nachgewiesen wird.

Zuschläge für Messungenauigkeiten seien dabei – so das OLG – nicht erforderlich. Warum das der Fall sein soll, begründet das OLG nicht, es sei denn man sieht den bloßen Hinweis auf andere OLG Entscheidungen, die der Frage aber auch nicht näher nachgegangen sind, als Begründung an :-).