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BtM III: Beweiswürdigung beim Handeltreiben, oder: Sachverständigengutachten und Entlastendes

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Und die dritte und letzte Entscheidung kommt dann vom OLG Koblenz. das hat im OLG Koblenz, Beschl. v. 11.11.2021 – 2 OLG 32 Ss 184/21 – zur Beweiswürdigung in einem landgerichtlichen Urteil, das den Angeklagten wegen Handeltreibens in zwei Fällen verurteilt hat, Stellung genommen. Das OLG beanstandet die Beweiswürdigung und hat das LG-Urteil aufgehoben:

„Die Revision hat mit der erhobenen Sachrüge Erfolg.

Die Beweiswürdigung, mit der das Landgericht seine Annahme begründet, der Angeklagte habe in zwei Fällen mit Betäubungsmitteln unerlaubt Handel getrieben, ist in beiden Fällen fehlerhaft, so dass das Urteil insgesamt der Aufhebung unterliegt.

Zwar ist die Beweiswürdigung allein Sache des Tatrichters, so dass die revisionsgerichtliche Prüfung sich auf das Vorliegen von Rechtsfehlern beschränkt (§ 337 StPO). Ein sachlich-rechtlicher Fehler kann indes dann vorliegen, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., BGH 2 StR 278/14 v. 18.02.2015, NStZ 2015, 419; 2 StR 552/19 v. 27.05.2020, BeckRS 2020, 23344 Rn. 13; 2 StR 466/18 v. 16.10.2019, BeckRS 2019, 30970 Rn. 6).

Die Beweiswürdigung der Kammer ist lücken- und damit rechtsfehlerhaft.

Die Kammer stützt die Annahme des Handeltreibens im ersten Fall maßgeblich auf die Menge der in Fall 1 bestellten und der zuvor in engem zeitlichem Zusammenhang bestellten und dem Angeklagten auch gelieferten Betäubungsmittel. Zwar lässt sich dem Urteil in seiner Gesamtschau noch der Zeitpunkt der Bestellungen (7. Juli bis 22. August 2017, Seite 5 des Urteils unten) und die Menge (5-mal 25 mg, insgesamt also 125 mg) entnehmen sowie die Konsumeinheit für Butyrfentanyl (0,5 mg, Seite 6 des Urteils oben) und möglicherweise aus dem Gesamtzusammenhang sogar, dass es zu den Auslieferungen in den fünf eingestellten Fällen gekommen ist.

Es wird aber nicht ausreichend dargelegt, wie die Kammer zu der Feststellung gelangt, dass eine Konsumeinheit lediglich 0,5 mg betrage. In den Urteilsgründen findet sich dazu unter IV. 2. b. aa. am Ende des ersten Absatzes lediglich die Bemerkung „Die diesbezüglichen Feststellungen ergeben sich insbesondere aus dem Behördengutachten des Bundeskriminalamtes und den Angaben des Zeugen pp.“.

Nach ständiger obergerichtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung muss der Tatrichter, der ein Gutachten verwertet, dem er – wie hier – Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er sich den gutachterlichen Ausführungen anschließt, diese in der Regel in einer in sich geschlossenen (wenn auch nur gedrängten) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsmittelgericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (OLG Hamm, 4 RBs 216/17 v. 22.06.2017, juris m.w.N.). Diesen Anforderungen wird das angegriffene Urteil nicht gerecht, so dass sich die Beweiswürdigung als lückenhaft erweist. Die bloße Angabe, dass die Feststellungen sich „insbesondere“ aus dem Behördengutachten und den Angaben des Zeugen pp. ergeben ist unzureichend. Es ist für den Senat nicht nachvollziehbar, wie der Gutachter des Bundeskriminalamtes zu der Annahme einer Konsumeinheit Butyrfentanyl von 0,5 mg gekommen ist und was der Zeuge pp. zu der Frage der Konsumeinheit, auf die es hier ganz maßgeblich ankommt, beigetragen haben kann. Auch wird nicht erkennbar, warum die Kammer dem Behördengutachten und den Bekundungen des Zeugen folgt.

Auch hinsichtlich des zweiten Falles ist die Beweiswürdigung lückenhaft.

Die Beweise sind erschöpfend zu würdigen (BGH, 4 StR 441/78 v. 07.07.1979, BGHSt 29, 18, 20). Das Urteil muss insbesondere erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGH, 4 StR 420/14 v. 12.2.2015, NStZ-RR 2015, 148; 2 StR 78/16 v. 01.02.2017, BeckRS 2017, 107749, Rn. 20; 4 StR 587/17 v. 30.01.2018, NStZ-RR 2018, 120; 1 StR 305/17 v. 11.10.2017, BeckRS 2017, 136085 Rn. 4). Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit den festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (BGH, 2 StR 110/17 v. 05.07.2017, juris Rn. 6 mwN). Aus den Urteilsgründen muss sich außerdem ergeben, dass der Tatrichter die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat (BGH a.a.O., m.w.N.).

Diesen Anforderungen genügt die angegriffene Entscheidung nicht. Die Strafkammer sieht als wesentliches Indiz für die Annahme eines unerlaubten Handeltreibens des Angeklagten die Diversität der beim Angeklagten sichergestellten Betäubungsmittel, die für einen Konsumenten gänzlich ungewöhnlich sein soll und das Auffinden „diverser Utensilien“ und von Verpackungsmaterial (diverse Griptütchen mit Betäubungsmittelanhaftungen, diverse leere Glasfläschchen und diverse Handelsutensilien). Auf welcher Grundlage die Kammer zu der Erkenntnis gelangt, dass die Diversität der Stoffe für einen Konsumenten gänzlich ungewöhnlich sein soll, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht. Vor allem aber hat die Kammer zu Lasten des Angeklagten lediglich die Indizien in ihre Erwägungen eingestellt, die ihrer Auffassung nach für ein Handeltreiben sprechen.

Die gegen ein Handeltreiben sprechenden Umstände hat die Kammer gänzlich außer Betracht gelassen. So setzt sie sich nicht mit dem Umstand auseinander, dass lediglich Kleinstmengen der verschiedenen Betäubungsmittel aufgefunden wurden. Es wurde bei keinem der diversen Betäubungsmittel eine größere Menge sichergestellt. Auch bleibt unberücksichtigt, dass die Griptütchen nach den Feststellungen Betäubungsmittelanhaftungen aufgewiesen haben, was dafür sprechend könnte, dass sie gebraucht waren, was wiederum für Konsum und gegen ein Handeltreiben sprechend könnte. Diese Gesichtspunkte, die gegen ein Handeltreiben sprechen, hätten im Rahmen der Beweiswürdigung erörtert und in eine vorzunehmende Gesamtabwägung eingestellt werden müssen…“

Beweis III: Aussage-gegen-Aussage-Konstellation, oder: Vorliegen weiterer Beweismittel

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Die letzte Entscheidung heute verhält sich zu Beweiswürdigungsregeln, und zwar tzr Frage der Aussage-gegen-Aussagekonstellation bei Vorliegen weiterer tatbezogener Beweismittel. Es handelt sich um den KG, Beschl. v. 05.11.2021 – (2) 121 Ss 100/21 (24/21). Das KG nimmt zu der Frage in einem Zusatz Stellung, und zwar wie folgt:

„3. Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:

„Gegen die von dem Angeklagten mit seiner Revision ebenfalls angegriffene Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils bestehen unter Berücksichtigung der maßgeblichen Rechtsgrundsätze (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 1997 – 5 StR 178/97 –, juris) keine durchgreifenden Bedenken. Die Annahme der Revision, dass eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt, trifft hier schon deshalb nicht zu, weil – worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist – in Gestalt der bei der Anzeigenaufnahme gefertigten Lichtbilder und des ärztliche Attests des Dr. med. P. vom 20. Januar 2020 weitere unmittelbar tatbezogene, sachliche Beweismittel vorlagen, die die Angaben der Zeugin stützen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2019 – 5 StR 451/19 – juris; Senat, NStZ 2019, 360). Der Anwendung der vom BGH (allein) für die Konstellation „Aussage gegen Aussage“ entwickelten besonders strengen Beweiswürdigungsregeln (vgl. BGHSt 44, 153; 44, 257) bedurfte es somit nicht.“.

Beweiswürdigung II: Aussage-gegen-Aussage-Thema, oder: Der Hauptbelastungszeuge ist zum Teil „gekippt“

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Bei dem zweiten Beschluss handelt es sich ebenfalls um eine Entscheidung zur „Aussage-gegen-Aussage-Thematik“, und zwar noch einmal in Zusammenhnag mit einer Verurteilung wegen Vergewaltigung. Auch hier hatte die Revision des Angeklagten Erfolg. Der BGh hat das LG-Urteil im BGH, Beschl. v. 12.08.2021 – 1 StR 162/21 – wegen eines Beweiswürdigungsfehlers aufgehoben, übrigens schon das zweite Mal (vgl. BGH, Beschl. v. 18.03.2020 – 1 StR 67/20):

„1. Der neben dem rechtskräftigen Teilfreispruch vom Vorwurf einer Vergewaltigung am 16. August 2018 ergangene Schuldspruch wegen Vergewaltigung (Geschehen am 15. August 2018) wird von der Beweiswürdigung nicht getragen.

a) Das Landgericht hat sich die Überzeugung von der Tatbegehung durch den Angeklagten am Abend des 15. August 2018 ‒ einer Vergewaltigung seiner Ehefrau, der Nebenklägerin, im Wohnzimmer der gemeinsamen Wohnung (erster Tatkomplex) ‒ allein aufgrund der Angaben der Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren und deren Verhaltens in der Hauptverhandlung des zweiten Rechtsgangs gebildet. Dies bildet hier keine ausreichende Grundlage für eine Verurteilung des Angeklagten.

aa) Steht Aussage gegen Aussage und hängt damit die Entscheidung allein davon ab, welcher Aussage das Gericht Glauben schenkt, müssen die Urteilsgründe für das Revisionsgericht nachvollziehbar erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. November 1998 ‒ 1 StR 450/98 Rn. 18, BGHSt 44, 256, 257 ; Beschluss vom 5. November 1997 ‒ 3 StR 558/97 Rn. 2 mwN, BGHR StGB § 176 Abs. 1 Beweiswürdigung 3 ). Es bedarf insoweit ‒ dies hat auch das Landgericht nicht verkannt ‒ einer besonders sorgfältigen Würdigung der Aussage des Belastungszeugen, insbesondere einer genauen Inhaltsanalyse, einer Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, einer Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs sowie einer Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Oktober 2020 ‒ 1 StR 299/20 Rn. 8; Beschluss vom 19. Mai 2020 ‒ 2 StR 7/20 Rn. 4 mwN; vgl. dazu auch Schluckebier in SSW-StPO, 4. Aufl., § 261 Rn. 39).

Hält der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung seine ursprünglich erhobenen Vorwürfe zumindest teilweise nicht aufrecht, so dass insoweit ein Freispruch ergeht, ist das Tatgericht zwar nicht von vornherein gehindert, seine Überzeugung auf den aufrechterhaltenen Teil der Aussage des Zeugen zu stützen; regelmäßig müssen aber in einem solchen Fall ‒ insbesondere, wenn eine bewusst falsche Aussage nicht ausgeschlossen werden kann ‒ außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe festgestellt werden, wenn das Tatgericht der Aussage im Übrigen folgen will ( BGH, Urteile vom 23. Mai 2006 ‒ 5 StR 62/06 Rn. 10; vom 13. Januar 2005 ‒ 4 StR 422/04 Rn. 20; vom 29. Juli 1998 ‒ 1 StR 94/98 Rn. 15, BGHSt 44, 153, 159 und vom 17. November 1998 ‒ 1 StR 450/98 Rn. 18, BGHSt 44, 256, 257 ; Beschluss vom 27. November 2017 ‒ 5 StR 520/17 Rn. 6 mwN; vgl. auch Schluckebier in SSW-StPO, aaO; Sander in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 83c). Derartige „Außenkriterien“ sind für eine tragfähige Beweiswürdigung erforderlich, weil die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen in einem solchen Fall insgesamt schwerwiegend in Frage gestellt ist (Schluckebier in SSW-StPO aaO; Sander in Löwe/Rosenberg aaO). Dies gilt auch dann, wenn die Abweichung zwischen der Aussage in der Hauptverhandlung und derjenigen im Ermittlungsverfahren besteht; denn auch in einem solchen Fall ist die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen im Regelfall erschüttert.

bb) An diesen Maßgaben gemessen hätte das Landgericht hier eine Überzeugung nur dann auf die Aussage der Nebenklägerin stützen dürfen, wenn es außerhalb ihrer Aussage liegende Umstände, die den Tatvorwurf bestätigen, festgestellt hätte. Denn die Nebenklägerin hat, nachdem sie sich im ersten Rechtsgang auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen und ihr Einverständnis mit der Verwertung ihrer den Angeklagten hinsichtlich beider angeklagter Taten belastenden Angaben erklärt hatte, im zweiten Rechtsgang mitgeteilt, dass ihr das landgerichtliche Urteil des ersten Rechtsgangs am Vortag erstmals übersetzt worden sei und sie in diesem Zuge erkannt habe, dass der darin vom Landgericht ausgeurteilte Tatvorwurf einer Vergewaltigung am 16. August 2018 nicht zutreffe; tatsächlich habe der Angeklagte von seinem an diesem Tag geäußerten Ansinnen, Geschlechtsverkehr mit ihr ausüben zu wollen, Abstand genommen, nachdem sie ihren entgegenstehenden Willen deutlich zum Ausdruck gebracht habe. Auf Frage der Strafkammer, wie die anderslautenden Angaben im Ermittlungsverfahren zu den Geschehnissen am 16. August 2018 zu erklären seien, teilte die Nebenklägerin mit, dass sie möglicherweise die Ereignisse „durcheinander-gebracht“ beziehungsweise Details „mit früheren Erlebnissen verwechselt“ habe (UA S. 25).

Hinsichtlich des ersten Tatvorwurfs hat die Nebenklägerin demgegenüber zu verstehen gegeben, dass dieser zutreffe. Dies schließt die Strafkammer allerdings allein aus folgendem Umstand: Während die Nebenklägerin zu dem Vorgeschehen der Tat am 15. August 2018 Angaben gemacht hat, die mit denjenigen im Ermittlungsverfahren in Einklang standen, hat sie den eigentlichen Vergewaltigungsvorgang am 15. August 2018 nicht mehr geschildert. Sie „öffnete“ nur noch „mehrfach den Mund, um etwas zu sagen“ (UA S. 40), brachte aber nichts heraus und erklärte ‒ nach dem Eindruck der Strafkammer ersichtlich emotional aufgewühlt ‒, über die Sache nicht noch einmal reden zu können, weil sie so schlimm für sie sei.

Eine plausible Begründung für den „Bruch in der Konstanz der Angaben der Nebenklägerin“ (UA S. 35) hat die Kammer nicht finden können. Auf den nicht widerrufenen Teil der von der Nebenklägerin ursprünglich gegen den Angeklagten erhobenen Beschuldigungen hätte das Landgericht eine Verurteilung daher nur stützen dürfen, wenn es weitere außerhalb ihrer Aussage liegende gewichtige Gründe angeführt hätte, die für den Wahrheitsgehalt der polizeilichen Aussage der Nebenklägerin hierzu sprechen. Derartige Gründe hat die Strafkammer indes nicht festgestellt. Tragfähige Gründe, welche die Richtigkeit der Angaben der Nebenklägerin stützen könnten, liegen insbesondere nicht darin, dass das Landgericht die Einlassung des Angeklagten für in Teilen unplausibel und daher unwahr gehalten hat. Ebenso wenig ergeben sich derartige Gründe aus der Erwägung des Landgerichts, dass die Nebenklägerin keinen Grund gehabt habe, ihre bisherigen Angaben zum zweiten Tatvorwurf in Kenntnis der mit einem solchen Aussageverhalten verbundenen Risiken eigener Strafverfolgung einerseits und eines vollständigen Freispruchs des Angeklagten andererseits zu revidieren, an denjenigen zum ersten Tatvorwurf indes festzuhalten, wenn die Angaben insgesamt unwahr gewesen wären. Dies gilt insbesondere deshalb, weil das Landgericht mangels nachvollziehbaren Grundes für die vollständige Abkehr der Nebenklägerin von ihren Aussagen zum Kernbereich des zweiten Tatkomplexes im Ermittlungsverfahren nicht einmal ausschließen konnte, dass die Nebenklägerin zum zweiten Vergewaltigungsvorwurf im Ermittlungsverfahren bewusst gelogen hat.

Nicht tragfähig ist weiter, dass das Landgericht seine Überzeugung auf den persönlichen Eindruck von der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung gestützt und daneben maßgeblich darauf abgestellt hat, dass ein Falschbelastungsmotiv der Nebenklägerin nicht erkennbar sei und deren Aussageverhalten in der Gesamtbetrachtung dafür spreche, dass sich das Geschehen am 15. August 2018 so zugetragen habe, wie von ihr im Ermittlungsverfahren geschildert. Denn die Erwägungen zum Fehlen eines Falschbelastungsmotivs der Nebenklägerin und weitere vom Landgericht im Rahmen der Aussageanalyse angeführte Gesichtspunkte, wie etwa die Aussagegenese, der Detailreichtum der Aussagen oder die Schilderung eigener Gefühle durch die Nebenklägerin, galten gleichermaßen für die frühere ‒ von der Nebenklägerin im zweiten Rechtsgang revidierte ‒ Darstellung des Geschehens am 16. August 2018 (zweiter ‒ freigesprochener ‒ Tatkomplex). Insoweit hat die Nebenklägerin aber gerade eingeräumt, dass dieser Tatvorwurf nicht der Wahrheit entspricht. Es fehlt mithin an einer tragfähigen Grundlage für eine Verurteilung.“

Beweiswürdigungsentscheidungen haben immer ein wenig viel Text 🙂 .

Beweiswürdigung I: Aussage-gegen-Aussage-Thema, oder: Alle Umstände besonders sorgfältig gewürdigt?

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In die neue Woche starte ich mit zwei Entscheidungen zur Beweiswürdigung und dort zur Unterthematik: „Aussage-gegen-Aussage-Problematik. Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v.  18.05.2021 – 1 StR 124/21. Das LG hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hatte mit der Sachrüge Erfolg. Der BGH beanstandet die Beweiswürdigung des LG:

„1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtsfehlerhaft.

a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung stellt. Allerdings bestehen besondere Anforderungen an die Darlegung der Überzeugungsbildung, wenn das Tatgericht ‒ wie hier ‒ seine Feststellungen im Rahmen einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation zum eigentlichen Tatgeschehen allein auf die Angaben der Geschädigten stützt. In einer solchen Konstellation, in der die Entscheidung im Wesentlichen davon abhängt, ob das Gericht den Angaben der einzigen Belastungszeugin folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, die seine Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegung einbezogen hat (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 6. August 2020 ‒ 1 StR 178/20 Rn. 8; vom 12. Februar 2020 ‒ 1 StR 612/19 Rn. 4; vom 18. März 2020 ‒ 1 StR 67/20 Rn. 7; vom 5. April 2016 ‒ 1 StR 53/16 Rn. 3 und vom 20. April 2017 ‒ 2 StR 346/16 Rn. 6).

b) Diesen Anforderungen wird das Urteil des Landgerichts ‒ auch eingedenk des nur eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs ‒ nicht gerecht.

aa) Das Landgericht hat bei der hier vorliegenden Aussage-gegen-Aussage-Konstellation zum eigentlichen Tatgeschehen zwar zutreffend zunächst die Einlassung des Angeklagten (UA S. 21 ‒ 25) umfassend dargestellt, sich dann aber den ‒ aus seiner Sicht ‒ glaubhaften Angaben der Nebenklägerin nach deren inhaltlicher Überprüfung in vollem Umfang angeschlossen (UA S. 25 ‒ 41). In die notwendigerweise besonders sorgfältige Gesamtwürdigung werden vom Landgericht aber nicht alle Umstände einbezogen, die seine Entscheidung hätten beeinflussen können. Insbesondere wird die Einlassung des Angeklagten, dass es zunächst zu einverständlichen sexuellen Handlungen und nach der ‒ sowohl vom Angeklagten als auch von der Nebenklägerin übereinstimmend geschilderten ‒ Zäsur nach dem Oralverkehr nicht mehr zu einem Vaginalverkehr gekommen sei, nicht gewürdigt und nicht mit den Angaben der Nebenklägerin abgeglichen. Dessen hätte es gerade deshalb bedurft, weil die Nebenklägerin im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung und bei ihren Angaben in der Hauptverhandlung (UA S. 27 ‒ 29) teilweise abweichende Angaben zum eigentlichen Geschehensablauf gemacht hat, welche das Landgericht aber gleichwohl als in ihren wesentlichen Teilen konstant (UA S. 27) bewertet, ohne die entsprechenden Angaben der Nebenklägerin insoweit wiederzugeben. Auch die vom Landgericht festgestellten Facebook-Nachrichten des Angeklagten an die Nebenklägerin nach der Tat, u.a. mit den Formulierungen ʺWieso hast du so am Rad gedreht.ʺ (UA S. 41), werden nicht in die insoweit gebotene Gesamtwürdigung eingestellt.

bb) Hinzu kommt, dass das Landgericht trotz der in mehrfacher Hinsicht unrichtigen Angaben der Nebenklägerin ohne diesbezügliche Gesamtwürdigung von deren Glaubwürdigkeit ausgeht. So hat die Nebenklägerin bei ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung zunächst verschwiegen, dass ihr ʺSchwarmʺ Si. in der Nacht vor der Tat bei ihr übernachtet hatte und dass der Zeuge H. zweimal zu ihr ins Hotel gekommen war. Einmal war dies unmittelbar nach dem Tatgeschehen gegen 1.00 Uhr für die Dauer von einer Stunde der Fall; später hatte der Zeuge bei einem weiteren Besuch im Hotelzimmer auf dem Sofa übernachtet. Zwar hat die Nebenklägerin diese Angaben ‒ nach entsprechenden Vernehmungen der vorgenannten Zeugen ‒ in der Hauptverhandlung bei ihrer zweiten Vernehmung richtiggestellt. Die Begründung der Nebenklägerin, dass die Falschaussage aus falsch verstandener Loyalität zu dem Zeugen H. gemacht wurde (UA S. 40), und die Folgerung des Landgerichts, dass diese Falschaussage keine Zweifel am sonstigen Wahrheitsgehalt ihrer Aussage begründen kann, werden nicht nachvollziehbar begründet. Dieses Verhalten der Nebenklägerin mit zunächst wahrheitswidrigen Angaben hätte ‒ auch im Zusammenhang mit der dargestellten abweichenden Einlassung des Angeklagten zum Tatgeschehen ‒ zumindest einer vertiefenden Auseinandersetzung im Rahmen der Gesamtwürdigung mit der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin bedurft, um den erhöhten Anforderungen an die Beweiswürdigung in dieser besonderen Konstellation zu genügen.“

StPO III: Vergleichsuntersuchungen von DNA-Spuren, oder: Der BGH fasst seine Rechtsprechung zusammen

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Und dann noch die dritte Entscheidung des Tages, nämlich der BGH, Beschl. v. 12.08.2021 – 2 StR 325/20. Der führt – noch einmal aus – aus zu den Anforderungen an die Urteilsgründe, wenn das Tatgericht die Beweiswürdigung auf die Ergebnisse von gutachterlichen Vergleichsuntersuchungen von DNA-Spuren stützt.

Das LG hatte den Angeklagten u.a. wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung in 16 Fällen verurteilt. Die Strafkammer hatte ihre Überzeugung entscheidend auf die Ereignisse gutachterlicher Vergleichsuntersuchungen von DNA-Spuren gestützt. Die dagegen gerichtet Revision des Angeklagten hatte teilweise Erfolg:

„a) Die Beweiswürdigung zur Täterschaft des Angeklagten erweist sich in Bezug auf diese Verurteilungen als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Die Strafkammer hat ihre Überzeugung insoweit entscheidend auf die Ereignisse gutachterlicher Vergleichsuntersuchungen von DNA-Spuren gestützt; deren Darstellung genügt jedoch nicht den in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten Anforderungen.

aa) Die Darstellung der Ergebnisse einer auf einer molekulargenetischen Vergleichsuntersuchung beruhenden Wahrscheinlichkeitsberechnung ist so auszugestalten, dass diese für das Revisionsgericht nachvollziehbar ist. Deshalb muss das Tatgericht in den Urteilsgründen unter Angabe der Spurenart grundsätzlich mitteilen, wieviele Systeme untersucht wurden, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergaben, mit welcher ? numerischen ? Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination bei einer weiteren Person zu erwarten ist (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Juni 2017 ? 2 StR 572/16, juris Rn. 12 f.; BGH, Urteile vom 2. Juni 2021 ? 6 StR 60/21, juris Rn. 9; vom 5. Juni 2014 ? 4 StR 439/13, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 2 Beweisergebnis 6; Beschlüsse vom 26. Mai 2021 ? 5 StR 529/20, juris Rn. 3; vom 28. August 2018 ? 5 StR 50/17, BGHSt 63, 187, 188 mwN) und, sofern der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört, inwieweit dieser Umstand bei der Auswahl der Vergleichspopulation von Bedeutung war (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Mai 2015 ? 4 StR 555/14, NJW 2015, 2594 mwN).

Reduzierte Darlegungsanforderungen bestehen bei DNA-Analysen, die sich auf eindeutige Einzelspuren beziehen und keine Besonderheiten in der forensischen Fragestellung aufweisen; in diesen Fällen genügt die Mitteilung, mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination bei einer weiteren Person zu erwarten wäre (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. November 2020 ? 4 StR 408/20; vom 28. August 2018 ? 5 StR 50/17, BGHSt 63, 187, 189). Erforderlich ist aber auch dann die Angabe des Wahrscheinlichkeitsergebnisses in numerischer Form; eine Mitteilung in verbalisierter Form ? etwa „es bestünden keine begründeten Zweifel“ an der Spurenurheberschaft des Angeklagten ? reicht mangels dahingehend vereinheitlichter Skala bislang jedenfalls nicht (vgl. Senat, Beschluss vom 8. Oktober 2019 ? 2 StR 341/19; BGH, Beschluss vom 20. August 2018 ? 5 StR 50/17, BGHSt 63, 187, 191).

Bei Mischspuren, also Spuren, die mehr als zwei Allele in einem System aufweisen und demnach von mehr als einer einzelnen Person stammen (vgl. zur Definition Schneider/Fimmers/Schneider/Brinkmann, NStZ 2007, 447), wird von den Tatgerichten grundsätzlich weiterhin verlangt, in den Urteilsgründen mitzuteilen, wieviele Systeme untersucht wurden, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergaben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination bei einer weiteren Person zu erwarten ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. November 2020 ? 4 StR 408/20, juris Rn. 4; vom 29. November 2018 ? 5 StR 362/18, StV 2019, 331). Lediglich in Fällen, in denen Mischspuren eine eindeutige Hauptkomponente aufweisen (sog. Typ B, vgl. Schneider/Fimmers/Schneider/Brinkmann, NStZ 2007, 447), gelten für die Darstellung der DNA-Vergleichsuntersuchung die für Einzelspuren entwickelten Grundsätze (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 ? 6 StR 60/21, juris Rn. 9; Beschlüsse vom 3. November 2020 ? 4 StR 408/20; vom 29. Juli 2020 ? 6 StR 183/20 und 6 StR 211/20).

bb) Die Ausführungen des angefochtenen Urteils zu den Taten II. 4, 6, 9, 11 bis 16, 18, 19 und 27 der Urteilsgründe genügen diesen Anforderungen nicht.

Das Landgericht teilt schon nicht mit, ob es sich bei den untersuchten Spuren jeweils um Einzelspuren oder Mischspuren handelt. Zwar lassen einzelne Formulierungen darauf schließen, dass der DNA-Vergleichsuntersuchung im jeweiligen Fall Mischspuren zugrunde lagen; dies gilt bezüglich Tat II. 13 („Mitverursacher“) sowie bezüglich jeweils einer von mehreren Spuren bei den Taten II. 16, 19 und 27 („Mischmerkmale“, „zusammen mit“ einem weiteren DNA-Profil, „Mitspurenverursacher“). Jedoch ist den Urteilsgründen weder zu entnehmen, um welchen Typ einer Mischspur es sich dabei handelte, noch ob im Übrigen durchweg Einzelspuren vorlagen.

Ungeachtet dessen genügen die Urteilsgründe den Darstellungsanforderungen weder in Bezug auf etwaige Einzelspuren, noch in Bezug auf Mischspuren. Die ? für beide Spurenarten erforderliche ? Mitteilung eines Wahrscheinlichkeitsergebnisses in numerischer Form findet sich allein zu einer Spur betreffend Tat II. 27 („Hypothese, dass der Angeklagte K. Mitspurenverursacher war, rein rechnerisch eine über eine Milliarde mal höhere Wahrscheinlichkeit […], als die Hypothese, dass der Angeklagte als Mitspurenverursacher auszuschließen sei“). Den übrigen Ausführungen ? zu den Taten II. 9, 12, 13 und 18, dass der Angeklagte „als Verursacher ermittelt“, „verifiziert“ oder „als Verursacher festgestellt“ worden sei bzw. zu den Taten II. 4, 6, 11, 14, 16 und 19, dass die Spuren das DNA-Profil des Angeklagten „aufwiesen“, diesem „entsprachen“ oder mit diesem „übereinstimmten“ sowie zu Tat II. 15 und zu einer Spur betreffend II. 27, dass seine Urheberschaft „praktisch bewiesen“ sei ? lässt sich keine den Darstellungsanforderungen genügende Wahrscheinlichkeitsangabe entnehmen. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich nicht, dass im Rahmen der betreffenden Vergleichsuntersuchungen ein bestimmtes Wahrscheinlichkeitsergebnis ermittelt wurde.

Soweit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs über eine Wahrscheinlichkeitsangabe hinaus für Mischspuren regelmäßig auch Mitteilungen zur Anzahl der untersuchten und übereinstimmenden Merkmalssysteme geboten sind, fehlt es überwiegend auch daran. Zwar wird gutachterlichen Wahrscheinlichkeitsberechnungen mittlerweile standardmäßig die Untersuchung von 16 Systemen zugrunde liegen (vgl. auch BGH, Urteil vom 29. April 2021 ? 4 StR 46/21, juris Rn. 12). Aus dem Umstand, dass die Strafkammer zu Tat II. 4 ausführt, dass die betreffende Spur „in allen 16 untersuchten Systemen mit dem Vergleichsmaterial des Angeklagten übereinstimmte“ sowie zu Tat II. 19 feststellt, dass „in 16 voneinander unabhängigen Merkmalssystemen übereinstimmende Merkmale“ mit denen des Angeklagten bestanden, folgt jedoch nicht ohne Weiteres, dass dies bei allen untersuchten Spuren der Fall war.“

Ebenfalls eine „schöne“ Entscheidung, die die Rechtsprechung des BGH zu dieser Problematik schön zusammenstellt.