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Bewährung durch den BGH

Es wird ja immer wieder die „Weitsicht“ des BGH moniert, der häufig bei der Beruhensfrage ausschließen kann, dass festgestellte Rechtsfehler zum Tragen gekommen sind bzw. ausschließt, dass in einer neuen Hauptverhandlung sich Positives für den Angeklagten ergibt (vgl. z.B. hier bei uns). Aber: Es geht auch mal anderes herum, nämlich, dass der BGH zu Gunsten des Angeklagten feststellt, dass in einer neuen Hauptverhandlung für den Angeklagten nachteilige Feststellungen nicht getroffen werden können. So der BGH, Beschl. v. 08.09.2011 – 3 StR 43/11, in dem der BGH Bewährung gewährt:

Das Landgericht hat besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB verneint, weil der Angeklagte, nachdem er sich wegen des Ermittlungsverfahrens Ende November 2006 für einen Tag in Haft befunden hatte, am 2. und 8. Januar 2007 nochmals hinsichtlich zweier Patienten unzutreffende Gebührenziffern abrechnete. Hieraus hat das Landgericht geschlossen, „dass das Gewinnstreben des Angeklagten … zu einer mangelnden Akzeptanz der Rechtsordnung geführt“ habe. Diese Wertung steht im Widerspruch zu der Angabe, es bestünden „keine Zweifel, dass dem Angeklagten eine günstige Sozi-alprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB gestellt werden“ könne. Zudem ist dieses Verhalten in Ansehung der übrigen Umstände im Leben des Angeklag-ten sowie in den beruflichen und wirtschaftlichen Folgen für den Angeklagten und seine Familie nur von geringer Bedeutung.

Der Senat schließt aus, dass bei erneuter tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen besonderer Umstände rechtsfehlerfrei verneint werden könnte, und ändert deshalb in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO das angefochtene Urteil dahin ab, dass dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung gewährt wird.“

Mal was anderes 🙂 ;-).

Die sog. „Bewährungslücke“

Geht es um den Bewährungswiderruf (§ 56 f StGB), geht es häufig auch um die Frage, ob eine Strafaussetzung zur Bewährung wegen einer neuen Straftat auch dann widerrufen werden darf, wenn die neue Tat in einer sog. „Bewährungslücke“ begangen worden ist. Gemeint ist damit die „bewährungsfreie zeit“ zwischen dem Ende der ursprünglich bestimmten Bewährungszeit und deren Verlängerung. Mit der Problematik setzt sich der KG, Beschl. v. 31.03.2011 – 4 Ws 29/11 – auseinander. Das KG verneint die Frage. Der Leitsatz dazu:

Neue Straftaten in der „bewährungsfreien“ Zeit zwischen dem Ende der ursprünglich bestimmten Bewährungszeit und deren Verlängerung vermögen einen Widerruf jedenfalls dann nicht zu begründen, wenn der Verurteilte nicht zuvor auf die Möglichkeit einer Verlängerung der Bewährungszeit hingewiesen worden war.“

Und:

Im Widerrufsverfahren ist die Wirksamkeit einer vorangegangenen Entscheidung über die Verlängerung der Bewährungszeit von Amts wegen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen.“

Es findet also eine inzidente Überprüfung der Bewährungsverlängerung statt.

Beide Ansatzpunkte sollte man als Verteidiger im Auge behalten.

Therapieabbruch – da muss schon sofort reagiert werden…

Das OLG Oldenburg, Beschl. v. 26.04.2011 – 1 Ws 190/11 ist quasi die Anwendung des Grundsatzes/Verbots des „venire contra factum proprium“.

Der Verurteile hatte in laufender Bewährung eine ihm auferlegte Drogentherapie abgebrochen, sich aber straffrei geführt Auf den Therapieabbruch erfolgte keine Reaktion der StVK.  Nun ist die Bewährung dann doch widerrufen worden.

Das OLG Oldenburg sagt: Geht nicht, denn: Auf den Abbruch einer dem Verurteilten im Bewährungsbeschluss auferlegten Drogentherapie könne ein Widerruf der Strafaussetzung dann nicht mehr gestützt werden, wenn der Therapieabbruch seitens der Justiz zunächst hingenommen wurde und sich seitdem eine positive Entwicklung des Verurteilten ergeben habe. In diesem Fall rechtfertige dann auch ein mangelhafter Kontakt zur Bewährungshilfe keinen Bewährungswiderruf.

Diesen Grundsatz wird man verallgemeinern können. Zeitnahe Reaktion ist also im Widerrufsverfahren erforderlich.

„Bei Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren sind Ausführungen zur Strafaussetzung zur Bewährung fern liegend…

formuliert der BGH in seinem Beschl. v. 06.10.2010 – 2 StR 394/10. In der Tat, das sind sie.

Die ganze vom BGH beanstandete Passage lautet:

„Bei Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren sind Ausführungen zur Strafaussetzung zur Bewährung fern liegend; die Frage, „ob es des Vollzugs der Freiheitsstrafe bedürfe“, stellt sich nicht und muss vom Tatrichter daher auch nicht erörtert werden. Das gilt erst Recht auch für die hier vom Landgericht ausgesprochene „dringende Empfehlung“, den Angeklagten „umgehend in den offenen Vollzug aufzunehmen“ (UA S. 16). Solche rechtlich unverbindlichen Hinweise können Erfordernisse und Besonderheiten des Vollzugs der Freiheitsstrafe und des Vollstreckungsverfahrens der Natur der Sache nach nicht berücksichtigen und begründen die Gefahr, als rechtlich bindend fehlgedeutet zu werden.“

Wenn man es liest, fragt man sich: Was sollte es bringen?

Sicherungsverwahrung: Mal was anderes als Altfälle…

Gestern hat das BVerfG auf seiner HP einen Beschluss zur Sicherungsverwahrung veröffenlicht (Beschl. v. 08.07.2010 – 2 BvR 1771/09).

In der Sache geht es aber mal nicht um die Frage der Anwendung der Entscheidung des EGMR v. 17.12.2009 auf sog. Altfälle, sondern um das Verfahren bei der Prüfung der Frage der Aussetzung der Sicherungsverwahrung. Der Untergebrachte war 1997 wegen Missbrauchs von Kindern in 11 Fällen zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Nach Strafverbüßung wurde aufgrund eines externen Sachverständigengutachtens die nachträgliche SV angeordnet. In 2009 wurde dann die Fortdauer der Sicherungsverwahrung angeordnet, und zwar nur aufgrund des eigenen Eindrucks, den die StVK über die Gefährlichkeit des Untergebrachten hatte. Ein neues externes Gutachten wurde nicht angefordert. Und zwar obwohl das alte Gutachten inzwischen acht Jahre zurück lage und der Untergebrachte 62 Jahre alt. Hinzu kamen einige Äußerungen, die der StVK sauer aufgestoßen sind.

Das BVerfG hielt die Vorgehensweise für unzulässig, hat den Beschluss des LG und die Beschwerdeentscheidung des OLG Koblenz aufgehoben und der StVK aufgegeben, nach acht Jahren Sicherungsverwahrung durch einen externen Gutachter prüfen zu lassen, ob sich der Untergebrachte verändert hat.

Hätte m.E. die Kammer auch selbst drauf kommen können. Sicher, die Angaben des Verurteilten waren schon „etwas komisch“, aber acht Jahre sind eine lange Zeit. Das sollte man doch besser einen Sachverständigen nach Änderungen fragen.