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StGB I: BGH zur Strafbarkeit des sog. AGG-Hopping, oder: Nach mehr als 10 Jahren geht es weiter

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Heute dann noch einmal ein wenig StGB.

Ein wenig ist allerdings leicht untertrieben, denn der BGH, Beschl. v. 04.05.2022 – 1 StR 3/21 – ist dann fast 25 Seiten lang. Das ist dann schon ein wenig mehr, was der BGH in dem Beschluss zur Strafbarkeit des sog. AGG-Hopping sagt.

Es geht um das Einreichen von sog. Scheinbewerbungen. Der Angeklagte und sein als Rechtsanwalt tätiger Bruder hatten 2011 den Entschluss gefasst, auf der Grundlage von Scheinbewerbungen des Angeklagten wiederholt Entschädigungsansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehand­lungsgesetz (AGG) geltend zu machen. Nach dem Tatplan sollte sich der 42-jährige Angeklagte zum Schein auf Stellenangebote bewerben, deren Ausschreibungen aus seiner Sicht Anhalts­punkte für eine Alters- oder sonstige Diskriminierung im Sinne des AGG boten. Nach Ablehnung der Bewerbung sollte sein Bruder die ausschrei­benden Unternehmen in seiner Funktion als Rechtsanwalt anschreiben und sie im Namen des Angeklagten auffordern, an diesen wegen eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot im Auswahlverfahren eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von mindestens drei Bruttomonatsgehältern zu zahlen. Bei Ausbleiben der Zahlung sollte der behauptete Anspruch in aussichtsreichen Fäl­len gerichtlich weiterverfolgt werden, um auf diesem Wege die geforderte Ent­schädigung zu erhalten oder die beklagten Unternehmen zum Abschluss eines Vergleichs zu bewegen. Der Angeklagte hielt es für möglich und nahm billigend in Kauf, so die Feststellungen, dass ein Anspruch auf Entschädigung auf der Grund­lage einer bloßen Scheinbewerbung tatsächlich nicht bestand.

In Umsetzung dieses Tatplans kam es zu zwölf Taten. Angaben zur subjektiven Ernsthaftigkeit der Bewerbung enthielten die Forderungsschreiben bewusst nicht; gleichwohl ging der Angeklagte da­von aus, dass die verantwortlichen Personen der ausschreibenden Unternehmen hierüber bereits mit den außergerichtlichen Aufforderungsschreiben getäuscht werden und aufgrund ihres irrigen Eindrucks, die zuvor vom Angeklagten abge­gebene Bewerbung sei ernsthaft gewesen, den geltend gemachten Anspruch er­füllen. Das LG hat den Angeklagten wegen versuchten und vollendeten Betrugstaten verurteilt.  Die Revision des Angeklagten war erfolgreich.

Ich stelle hier nichts aus den Gründen ein, sondern empfehle die dem Selbststudiom. Nur so viel: Der BGH hat zum Teil die Täuschungshandlungen, zum Teil aber auch den Irrtum verneint. Er hat insgesamt aufgehoben und zurückverwiesen und hat der Kammer beim LG, die nun entscheiden muss, die Frage eines Prozessbetruges zu prüfen, wenn die „Ansprüche“ gerichtlich weiter verfolgt worden sind. Zu Ende ist die Geschichte nach mehr als 10 Jahren also noch nicht.

Hier nur der – wenig aussagekräftige – Leitsatz der Entscheidung, die zur Veröffentlichung (auch) in BGHSt bestimmt ist:

Zu den Voraussetzungen einer Strafbarkeit bei vorgespiegelten Bewerbungen auf diskriminierende Stellenangebote zur Erlangung von Entschädigungsansprü­chen (sog. AGG-Hopping).

Verkehrsrecht III: Verheimlichen von Vorschäden, oder: Betrug beim Gebrauchtwagen(ver)kauf

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Und dann am  Ende der Berichterstattung noch einen OLG-Beschluss, und zwar den OLG Hamm, Beschl. v. 07.04.2022 – 5 RVs 35/22. Es handelt sich nicht um Verkehrsrecht i.e.S., aber immerhin um Verkehrsrecht i.w.S. Das OLG nommt nämlich Stellung zum Umfang der Feststellungen betreffend den Vermögenschaden bei einer Verurteilung wegen Betruges (§ 263 StGB) aufgrund Verheimlichens von Vorschäden beim Gebrauchtwagenkauf.

AG und LG haben den Angeklagten wegen Betruges verurteilt.  Dem OLG reichen die Feststellungen nicht und es hebt auf:

„Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift wie folgt ausgeführt:

„Die auf die Sachrüge hin vorzunehmende materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils der Kammer deckt Rechtsfehler im Bereich der Urteilsfeststellungen auf, da diese den Schuldspruch wegen Betruges gemäß § 263 Absatz 1 StGB nicht tragen.

Es fehlt insbesondere an der Feststellung eines Vermögensschadens des Geschädigten. Der Betrug ist kein bloßes Vergehen gegen die Wahrheit und das Vertrauen im Geschäftsverkehr, sondern eine Vermögensstraftat. Nicht die Täuschung an und für sich, sondern die vermögensschädigende Täuschung ist strafbar. Demgemäß erleidet der Kunde, der beim Kauf eines Gebrauchtwagens über Umstände, die den Verkehrswert (Marktwert) des Fahrzeugs maßgeblich mitbestimmen, getäuscht und dadurch zum Kaufabschluss bewogen wird, einen Schaden regelmäßig nur dann, wenn das Fahrzeug objektiv den vereinbarten Preis nicht wert ist (Senatsbeschluss vom 05.05.2020 – III-5 RVs 31/20 -, zitiert nach juris). Für die Schadensbewertung ist grundsätzlich die objektive Sicht eines sachlichen Beurteilers maßgebend, die sich nicht an der Schadensbewertung des Getäuschten, sondern an den Marktverhältnissen auszurichten hat. Für einen Vermögensschaden reicht es nicht aus, dass der Käufer ohne die Täuschung durch den Verkäufer den Vertrag nicht abgeschlossen hätte. Durch den Betrugstatbestand wird lediglich das Vermögen, nicht aber die Verfügungsfreiheit geschützt (Senatsbeschluss, a.a.O.).

Die hiernach gebotenen tatsächlichen Feststellungen enthält das angefochtene Urteil nicht. Das Urteil führt nicht aus, welchen objektiven Wert das von dem Angeklagten verkaufte Fahrzeug hatte. Somit ist nicht feststellbar, dass der von dem Geschädigten gezahlte Kaufpreis objektiv nicht marktgerecht war. So ergibt sich aus den Feststellungen lediglich, dass das Fahrzeug zunächst einen gutachterlich festgestellten Restwert von 9.900,00 Euro hatte und schließlich zu diesem Preis weiter veräußert wurde, bis der Angeklagte das Fahrzeug zu einem Kaufpreis von 10.500,00 Euro erwarb. Aus den Feststellungen ergibt sich ferner, dass der Angeklagte das Fahrzeug reparieren ließ und schließlich zu einem Kaufpreis in Höhe von 17.250,00 Euro an den Zeugen Z veräußerte. Nach den Feststellungen zur Beweiswürdigung hat sich der Angeklagte dahingehend eingelassen, dass er Ersatzteile für 3.500,00 Euro bis 4.000,00 Euro erworben und sein Bruder das Fahrzeug innerhalb von drei Wochen repariert habe (UA S. 7). Es erscheint daher nicht fernliegend, dass das Fahrzeug den geleisteten Kaufpreis nach Vornahme der Reparaturen wert war.

Sind bei objektiv-abstrakter Betrachtung Leistung und Gegenleistung gleichwertig, so kann im Sinne des sog. persönlichen Schadenseinschlages ein Schaden im Sinne des Betrugstatbestandes nur vorliegen, wenn die Leistung für den Getäuschten bei objektiver Beurteilung nicht oder nicht in vollem Umfang zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck brauchbar ist und er sie auch nicht in anderer zumutbarer Weise verwenden kann (OLG Hamm, Beschluss vom 02. Juni 1992 – 3 Ss 203/92 -, zitiert nach juris). Solche speziellen individuellen Bedürfnisse des Zeugen Z sind jedoch nach den Urteilsfeststellungen nicht ersichtlich. Das bei jedem Gebrauchtwagenverkäufer vorhandene allgemeine Interesse, ein möglichst unfallfreies Fahrzeug zu erwerben, reicht für die Annahme eines persönlichen Schadeneinschlages nicht aus. Darüber hinausgehende Feststellungen hat das Landgericht jedenfalls nicht getroffen.

Die für die Annahme eines Vermögensschadens gebotenen tatsächlichen Feststellungen enthält das angefochtene Urteil daher nicht. Das Urteil führt nicht aus, welchen objektiven Wert das von dem Angeklagten verkaufte Fahrzeug hatte. Somit ist nicht feststellbar, dass der von dem Geschädigten gezahlten Kaufpreis objektiv nicht marktgerecht war. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall eine Vermögensschädigung entsprechend den obigen Ausführungen auch unabhängig von dem Marktwert des Fahrzeugs für den Geschädigten gegeben war, liegen nach den bisherigen Feststellungen ebenfalls nicht vor.“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an.“

StGB III: Nichtbezahlen an der Selbstbedienungskasse, oder: Diebstahl oder Betrug?

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Und zum Tagesschluss habe ich dann noch eine LG-Entscheidung, und zwar den LG Kaiserslautern, Beschl. v. 26.08.2021 – 5 Qs 68/21 – zur Frage: Diebstahl oder Betrug an der Selbstbedienungskasse, wenn dort die „eingeladene“ ware nicht gezahlt wird.

Ergangen ist der Beschluss in einem Strafbefehlsverfahren. Das AG hatte den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Strafbefehls abgelehnt. Der Angeschuldigten wurde darin Folgendes vorgeworfen: Die Angeschuldigte hatte im Supermarkt verschiedene Waren in ihren Einkaufswagen gelegt und passierte damit, wie von Anfang an geplant, den Einkaufsbereich, ohne einen Teil der Waren im Wert von knapp 60 EUR zuvor an der Selbstbedienungskasse eingescannt und bezahlt zu haben. Bevor die Angeschuldigte den Supermarkt verlassen konnte, wurde sie vom Ladendetektiv gestellt.

Die StA war von versuchtem Diebstahl, das AG von Betrug ausgegangen. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den AG-Beschluss hatte beim LG Erfolg. Das LG hat zur erneuten Entscheidung an das AG zurückverwiesen:

„1. Die zulässige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Kaiserslautern hat in der Sache auch Erfolg.

Nach den bisherigen Ermittlungen besteht gegen die Angeschuldigte ein hinreichender Tatverdacht hinsichtlich der Begehung eines versuchten Diebstahls. Der dem Strafbefehl zu Grunde liegende Sachverhalt ist nach zutreffender Auffassung der Staatsanwaltschaft rechtlich als versuchter Diebstahl zu werten, sodass die Voraussetzungen für den Erlass des beantragten Strafbefehls vorlagen und der Beschluss des Amtsgerichts Kaiserslautern vom 28.07.2021 auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin aufzuheben war.

Ein hinreichender Tatverdacht betreffend eine versuchte Wegnahme liegt vor, da die Angeschuldigte ohne dass der frühere Gewahrsamsinhaber – der Geschäftsinhaber bzw. Geschäftsführer – hierzu sein Einverständnis erklärt hätte, ohne die Ware vollständig zu scannen, den Supermarkt verlassen wollte. Zwar ist davon auszugehen, dass mit dem Aufstellen von Selbstbedienungskassen durchaus ein generelles Einverständnis in einen Gewahrsamsübergang erklärt werden soll, weil – nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Einsparung von Personalkosten – gerade kein Kassenpersonal zur Verfügung steht, das den einzelnen Kauf- bzw. Zahlvorgang abwickeln soll; die in dem Kassenbereich anwesenden Mitarbeiter dienen allein der Unterstützung bei etwaigen technischen Schwierigkeiten. Jedoch ist unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung und hier namentlich der berechtigten Geschäftsinteressen des Verkäufers zu unterstellen, dass dieser sein Einverständnis nur unter der Bedingung erteilt, dass die Selbstbedienungskasse ordnungsgemäß bedient wird. Hierzu gehört unzweifelhaft das korrekte Einscannen und Bezahlen der tatsächlich zur Selbstbedienungskasse mitgebrachten Ware. Da die Angeschuldigte einen Teil der Waren überhaupt nicht eingescannt hatte, sind die Bedingungen für ein Einverständnis in den Gewahrsamswechsel nicht gegeben (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 08.08.2013 ? III-5 RVs 56/13, NStZ 2014, 275 m. zust. Anm. Fahl; OLG Rostock, Beschl. v. 06.02.2019 – 20 RR 90/18, juris Rn. 45; Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 242 Rn. 36a; MüKoStGB/Schmitz, 4. Aufl., § 242 Rn. 93; BeckOK StGB/Wittig, 50. Ed., § 242 Rn. 22.2). Da die Angeschuldigte zwar die Kassenzone verlassen hatte, jedoch vor Verlassens des Supermarktes von dem Zeugen R. aufgehalten wurde und sich die Gegenstände auch weiterhin im Einkaufswagen befanden, hatte die Angeschuldigte noch keinen neuen Gewahrsam begründet, sodass richtigerweise von einem Versuch auszugehen war.

Eine Täuschungshandlung (durch Unterlassen) ist bereits mangels Getäuschtem – wie von der Staatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt – nicht ersichtlich. Aber auch eine Tathandlung nach § 263a StGB ist vorliegend nicht ersichtlich (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 08.08.2013 ? III-5 RVs 56/13, NStZ 2014, 275; OLG Rostock, Beschl. v. 06.02.2019 – 20 RR 90/18, juris).“

Und wer sich fragt: Warum Zurückverweisung:

„2. Die Sache war an das Amtsgericht zurückzuverweisen, das die Wahl hat den Strafbefehl zu erlassen oder gemäß § 408 Abs. 3 S. 2 StPO zu verfahren, da das Landgericht keine Strafbefehle erlassen kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 408 Rn. 9; BeckOK StPO/Temming, 39. Ed., § 408 Rn. 81). Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass gemäß § 408 Abs. 3 S. 2 StPO bei einer beabsichtigten Abweichung des Richters von dem Strafbefehlsantrag in rechtlicher Hinsicht grundsätzlich, sofern eine Einigung mit der Staatsanwaltschaft nicht zu erreichen ist, gemäß § 408 Abs. 3 S. 2 StPO Termin zur Hauptverhandlung zu bestimmen ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 408 Rn. 13).“

StGB III: Betrug mit Modus operandi „Falscher Polizeibeamter“, oder: Ist der „Abholer“ Mittäter/Gehilfe?

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Bei der dritten StGB-Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um das BGH, Urt. v. 29.07.2021 – 1 StR 83/21. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges verurteilt.

Nach den Feststellungen des LG „beteiligte sich der Angeklagte als Mitglied einer Gruppierung an Betrugsstraftaten zum Nachteil älterer Menschen mit dem Modus operandi „Falscher Polizeibeamter“. Hinter den Taten stand eine professionell organisierte Tätergruppierung, die arbeitsteilig vorging. Von der Türkei aus führten von eigens zu diesem Zweck eingerichteten Call-Centern aus sogenannte Keiler Telefonate mit den meist älteren Opfern. Darin gaben sie sich als Polizeibeamte aus und täuschten den Angerufenen vor, diese stünden im Visier einer Einbrecherbande, die sie bestehlen oder die Geld von ihrem Bankkonto abheben wolle. Den älteren Menschen wurde dringend geraten, ihr Vermögen alsbald durch die Polizei sichern zu lassen. Unter dem irrigen Eindruck, es handele sich tatsächlich um Anrufe echter Polizeibeamter, wurden die Opfer dazu veranlasst, ihre im Haus aufbewahrten Wertgegenstände vermeintlichen Polizeibeamten auszuhändigen oder ihr auf dem Bankkonto befindliches Geld abzuheben und es auf Weisung der Anrufer zwecks Abholung und Sicherung durch die Polizei an einem bestimmten Ort zu deponieren. Parallel dazu koordinierten sogenannte Logistiker die Abholung der Tatbeute und deren Weiterleitung in die Türkei, indem sie „Abholer“ rekrutierten und diese instruierten, die Vermögenswerte abzuholen und nach näherer Weisung an weitere Tatbeteiligte weiterzugeben.

Dem Angeklagten kam die Rolle eines „Abholers“ zu. Für seine Tätigkeit erhielt er einmal 5.000 Euro und ein weiteres Mal 1.000 Euro.“

Auf die Revision des Angeklagten hat das BGH das LG-Urteil aufgehoben:

„1. Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Zwar begegnet die Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte habe als Mitglied einer Bande gehandelt, keinen rechtlichen Bedenken. Die Verurteilung des Angeklagten wegen (zum Teil nur versuchten) gewerbs- und bandenmäßigen Betruges gemäß § 263 Abs. 5 StGB kann jedoch deswegen keinen Bestand haben, weil das Landgericht dessen Handlungen als mittäterschaftliche Tatbeiträge (§ 25 Abs. 2 StGB) eingestuft hat, ohne sich mit der Frage zu befassen, ob sie nicht auch nur Beihilfehandlungen (§ 27 Abs. 1 StGB) darstellen könnten. In den Urteilsgründen fehlen jegliche Ausführungen zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme. Dies stellt hier einen durchgreifenden Rechtsfehler dar, da es sich angesichts der vom Landgericht zur Tatbegehung getroffenen Feststellungen nicht von selbst versteht, dass der Angeklagte jeweils als Mittäter und nicht lediglich als Gehilfe gehandelt hat.

a) Schließen sich mehrere Täter zu einer Bande zusammen, um fortgesetzt Straftaten einer bestimmten Deliktsart zu begehen, ist für jede einzelne Tat nach den allgemeinen Kriterien festzustellen, ob sich die anderen Bandenmitglieder hieran als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt oder ob sie gegebenenfalls überhaupt keinen strafbaren Beitrag geleistet haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 26. April 2012 – 4 StR 665/11 Rn. 17 und Beschluss vom 13. Mai 2003 – 3 StR 128/03 Rn. 14). Ebenso wie nicht jeder Beteiligte an einer von einer Bande ausgeführten Tat hierdurch zum Bandenmitglied wird, ist auch nicht jeder Beteiligte an einer Bandentat schon deshalb als deren Mittäter anzusehen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2002 – 4 StR 499/01, BGHSt 47, 214, 216 ff.).

b) Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Mittäter im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB, wer seinen eigenen Tatbeitrag leistet und diesen so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei zwar nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 28. April 2020 – 3 StR 85/20 Rn. 4 mwN). Die Frage, ob sich bei mehreren Tatbeteiligten das Handeln eines von ihnen als Mittäterschaft im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB darstellt, ist vom Tatgericht für jede einzelne Tat aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Maßgebliche Kriterien sind dabei der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Beteiligten abhängen müssen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 23. Oktober 2019 – 2 StR 139/19 Rn. 26; vom 26. April 2012 – 4 StR 665/11 Rn. 17 und vom 10. Januar 1956 – 5 StR 529/55, BGHSt 8, 393, 396; Beschlüsse vom 26. November 2019 – 3 StR 323/19 Rn. 7; vom 26. März 2019 – 4 StR 381/18 Rn. 13; vom 13. September 2017 – 2 StR 161/17 Rn. 7 und vom 14. November 2012 – 3 StR 403/12 Rn. 6).

c) Die für die Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe erforderliche wertende Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls hat das Landgericht nicht vorgenommen; die Urteilsgründe enthalten hierzu keine Ausführungen. Zwar können solche Erörterungen dann entbehrlich sein, wenn angesichts der Urteilsfeststellungen die Einbindung des jeweiligen Tatbeteiligten als Mittäter ohne weiteres ersichtlich ist. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

Allerdings kam dem Angeklagten als „Abholer“ eine wesentliche Rolle innerhalb der Tätergruppierung zu. Ihm wurde die Aufgabe übertragen, die Tatbeute unmittelbar bei den Opfern abzuholen (vgl. zu einem insoweit abweichenden Sachverhalt BGH, Beschluss vom 23. April 2020 – 1 StR 104/20 Rn. 6). Er war der einzige Tatbeteiligte vor Ort und auch dem größten Entdeckungsrisiko ausgesetzt. In einem Fall wirkte er selbst auf die Geschädigte ein, indem er sie aufforderte, eine Plastiktüte mit Bargeld aus dem Fenster zu werfen (UA S. 19). Damit hing die Durchführung der Taten auch objektiv wesentlich von seinem Tatbeitrag ab; ohne diesen hätten die Taten nicht verwirklicht werden können. Auf der anderen Seite war der Angeklagte nicht nur nicht an der Organisation der Taten beteiligt, die vielmehr den „Logistikern“ übertragen war. Nur in einem Fall hatte er überhaupt persönlichen Kontakt mit einer Geschädigten. In den übrigen Fällen holte der Angeklagte die von den Geschädigten täuschungsbedingt herausgegebenen Vermögensgegenstände lediglich an den Orten ab, an denen die Geschädigten sie nach Vorgabe der „Logistiker“ zuvor zur Abholung durch Polizeibeamte abgelegt hatten. Auch diese Umstände hätte das Landgericht zur Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe in eine Gesamtbetrachtung einbeziehen müssen. Neben diesen objektiven Faktoren ist auch das Eigeninteresse des Angeklagten an der Tat und an einer eigenen Tatherrschaft in den Blick zu nehmen.

Damit kann in keinem der verfahrensgegenständlichen Fälle die Verurteilung des Angeklagten wegen (versuchten) gewerbs- und bandenmäßigen Betruges Bestand haben. Es bedarf für jeden einzelnen Tatvorwurf einer Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme auf der Grundlage einer vom neuen Tatrichter vorgenommenen Gesamtwürdigung aller festgestellten Umstände des Einzelfalls.“

Corona II: Falsche Angaben im „Corona-Sofort-Hilfeantrag“, oder: „Betrug“ oder „Subventionsbetrug“?

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Die zweite „Corona-Entscheidung“ ist zum materiellen Recht ergangen. In dem LG Hamburg, Beschl. v.  18.01.2021 – 608 Qs 18/20 – wird nämlich die Frage behandelt, ob die „Corona-Soforthilfe“ eine Subvention i.S. des § 264 StGB darstellt.

Grundlage der (Beschwerde)Entscheidung ist folgender Sachverhalt:

„Die Staatsanwaltschaft Hamburg wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen einen Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg, mit dem sich dieses als örtlich unzuständig erklärt hat.

Dem Beschuldigten H. H. wird mit der beim Amtsgericht Hamburg-St. Georg erhobenen Anklage vorgeworfen, am 8. April 2020 online bei der Hamburgischen Investitions- und Förderbank (IFB Hamburg) einen Antrag auf Gewährung von „Corona Soforthilfe“ gestellt zu haben, obwohl die erforderlichen Voraussetzungen dafür nicht vorgelegen hätten. In der Folge habe er darauf ein als „Bewilligungsbescheid“ bezeichnetes Schreiben der IFB Hamburg vom 8. April 2020 erhalten, mit dem eine Soforthilfe des Bundes (i.H.v. 9.000,- EUR) sowie der Stadt Hamburg (i.H.v. 2.500,- EUR) festgesetzt worden sei. Die insgesamt 11.500,- EUR seien sodann am 14. April 2020 auf das Konto des Beschuldigten bei der N26 Bank ausgezahlt worden, von dem er das Geld dann umgehend abgehoben habe.

Dem Beschuldigten wird zur Last gelegt, in dem entsprechenden Antrag angegeben zu haben, ein Gewerbe im Hauptbetrieb zu betreiben und einen Liquiditätsengpass von 11.500,- EUR erlitten zu haben, was beides nicht zuträfe und dadurch die o.g. Festsetzung und Auszahlung zu Unrecht erwirkt zu haben.

Die Staatsanwaltschaft hat die vorgeworfene Tat rechtlich als Betrug i.S.d. § 263 Strafgesetzbuch (StGB) gewertet und Anklage bei dem Amtsgericht Hamburg-St. Georg erhoben.

Ein Tatverdacht bezüglich eines Subventionsbetrugs (§ 264 StGB) scheitere insbesondere daran, dass – entgegen der gesetzlichen Voraussetzungen – die subventionserheblichen Tatsachen nicht wirksam bezeichnet worden seien. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft ist der in dem vom Beschuldigten ausgefüllten online-Formular (dort unter Nr. 8) enthaltene Verweis auf verschiedene Ziffern des Antrags zu pauschal und ungenau formuliert, als dass dadurch wirksam nach § 264 Abs. 9 Nr. 1 StGB die subventionserheblichen Tatsachen bestimmt werden könnten. Zudem werde in Nr. 8 auch auf offenkundig nicht subventionserhebliche Tatsachen – wie etwa die Angaben unter Nr. 2 in dem online-Antrag, also die Bankverbindung des Antragstellers – verwiesen. Auch ein Fall des § 264 Abs. 9 Nr. 2 StGB liege nach Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht vor, da es einerseits an der gesetzlichen Grundlage mangele und zudem der IFB ein Ermessen eingeräumt werde, mithin keine gesetzliche Abhängigkeit der Bewilligung vorliege.

Das Amtsgericht hat sich jedoch mit Beschluss vom 19. November 2020 für örtlich unzuständig erklärt, da entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft kein Betrug, sondern ein Subventionsbetrug (§ 264 StGB) im Raume stehe, sodass aufgrund einer bestehenden Sonderzuständigkeit das Amtsgericht Hamburg zuständig sei. Das Amtsgericht meint in diesem Zusammenhang, es seien wirksam i.S.d. § 264 Abs. 9 Nr. 1 StGB die subventionserheblichen Tatsachen bestimmt worden. Insbesondere sei der Verweis in Nr. 8 des online-Antrags hinreichend konkret gefasst und auch ein Verweis auf offenkundig nicht subventionserhebliche Tatsachen, wie etwa die Bankverbindung, sei unschädlich.

Daraufhin hat die Staatsanwaltschaft Beschwerde eingelegt, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat.“

Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Das LG – dort die große große Wirtschaftsstrafkammer – geht davon aus, dass das AG Hamburg-St. georg sich zu recht für unzuständig erklärt hat. Der Beschluss ist ziemlich umfangreich begründet. Daher stelle ich hier nur die Leitsätze ein und verweise im Übrigen auf den verlinkten Volltext:

  1. Staatliche Leistungen, die als „Corona-Soforthilfe“ aufgrund der „geänderten Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020“ bzw. der „Förderrichtlinie Hamburger Corona Soforthilfe“ gewährt wurden, stellen Subventionen im Sinne des § 264 StGB dar.

  2. Für die nach § 264 Abs. 9 Nr. 1 Var. 2 StGB erforderliche hinreichend konkrete Bezeichnung der subventionserheblichen Tatsachen genügt es grundsätzlich, hinsichtlich der einzelnen subventionserheblichen Tatsachen auf konkret bezeichnete Textziffern des Antragsformulars zu verweisen. Jedenfalls bei einer überschaubaren Gesamtanzahl an Textziffern im Antragsformular steht dem grundsätzlich nicht entgegen, dass auf nahezu alle vom Antragsteller zu tätigenden Angaben verwiesen wird.