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Wer hätte es gewusst?, oder: Kostenentscheidung bei Mithaftung mehrerer Verurteilter

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Das LG hat den Angeklagten sowie zwei Mitangeklagte wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung verurteilt; zudem hat es den drei Angeklagten die Kosten des Verfahrens auferlegt. Gegen die Kostenentscheidung hat der Angeklagte sofortige Beschwerde eingelegt. Die hatte beim OLG Hamm keinen Erfolg. Das führt dazu im OLG Hamm, Beschl. v. 01.09.2016 – 4 Ws 253/16 – aus:

Die Kostenentscheidung des Landgerichts entspricht dem Gesetz(§ 465 Abs. 1 StPO). Für die vom Angeklagten I angestrebte Kostenregelung gibt es keine Rechtsgrundlage. Soweit eine ausschließliche Haftung einzelner Mitangeklagter gem. § 466 StPO in Betracht kommt, ist diese erst im Kostenansatzverfahren zu berücksichtigen (zu vgl. BGH, NStZ 1986, 210; Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 466 Rdnr. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 466 Rdnr. 3 jeweils m.w.N.).

Tja, wer hätte es gewusst? Die Beschwerde war zu früh. § 466 StPO regelt die Haftung mehrerer Verurteilter/Angeklagter für Auslagen der Staatskasse. Vorgesehen ist in § 466 Satz 1 StPO eine gesamtschuldnerische Haftung. In § 466 Satz 2 StPO wird davon zwar eine Ausnahme gemacht u.a. für die Pflichtverteidigergebühren, Auslagen eines Dolmetschers, für die durch die Untersuchungshaft eines Angeklagten oder durch eine nur gegen einen Angeklagten gerichtete Untersuchungshandlung (§ 81a StPO) entstandenen Kosten. Für diese Kosten haften nicht alle Angeklagte als Gesamtschuldner, sondern nur derjenige Angeklagte, den die Kosten betreffen. Das ergibt sich aber aus der StPO und muss daher in der Kostenentscheidung nicht ausdrücklich bestimmt werden. Bedeutung erlangen die Fragen vielmehr erst im Kostenansatzverfahren. Dann werden die Kosten auf die jeweiligen Angeklagten/Verurteilten verteilt; die Verteilung steht nach § 8 Abs. 3 KostVfG im pflichtgemäßen Ermessen des Kostenbeamten. Gegen die in dem Verfahren ergehende Entscheidung steht dem Verurteilten dann, wenn er nicht einverstanden ist, Erinnerung und ggf. Beschwerde und weitere Beschwerde nach § 66 GKG zu.

Klageerzwingungsverfahren: Beschwerde gibt es nicht….

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Im Klageerzwingungsverfahren (§§ 172 ff. StPO) gibt es gegen die Entscheidung des OLG kein Rechtsmittel, und zwar nicht nur gegen die Entscheidung, durch die in der Hauptsache der Antrag auf gerichtliche Entscheidung abgelehnt wird, sondern auch gegen Nebenentscheidungen. Das ist – noch einmal – das Fazit aus dem BGH, Beschl. v.  10.08.2016 –  2 ARs 183/16 und 2 AR 97/16 – in einer Klageerzwingungssache wegen des Vorwurfes des Betruges:

„Die weitere Beschwerde des Anzeigeerstatters gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 5. April 2016 ist unzulässig. Beschlüsse und Verfügungen des Oberlandesgerichts sind nach § 304 Abs. 4 Satz 2 StPO grundsätzlich unanfechtbar.

Zwar sieht § 304 Abs. 4 Satz 2 2. Halbsatz StPO eine Ausnahme für bestimmte Entscheidungen in Sachen vor, in denen die Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug für die Verhandlung und Entscheidung der Sache, d.h. die Durchführung der Hauptverhandlung und den Erlass eines Urteils, zuständig sind. Im Klageerzwingungsverfahren ist das Oberlandesgericht zwar als erstes Gericht mit der Sache befasst, jedoch nicht im Sinne des § 304 Abs. 4 Satz 2 2. Halbsatz StPO im ersten Rechtszug zuständig. Dies ist vielmehr, wenn das Oberlandesgericht die Klageerhebung anordnet, ein Amts- oder Landgericht. Eine Anfechtbarkeit von Entscheidungen, die das Oberlandesgericht im Klageerzwingungsverfahren trifft, sieht das Gesetz nicht vor (Senat, Beschluss vom 28. Mai 2003 – 2 ARs 82/032 AR 53/03, NStZ 2003, 501). Dies gilt auch für Beschlüsse, durch welche – wie hier – die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit als unzulässig verworfen worden ist.“

Damit bleibt dann ggf. nur die Verfassungsbeschwerde.

Was ist eine zeitweise rechtswidrige Fesselung „wert“?

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Vielleicht erinnert sich der ein oder andere Leser noch an das das LG Marburg, Urt. v. 22.09.2015 – 7 O 112/11. In ihm ging es um die Höhe der Entschädigung für einen Strafgefangenen u.a. wegen der Verletzung seines Persönlichkeitsrechts infolge Fesselung und Beobachtung bei der Darmentleerung (vgl. Fesselung bei der Darmentleerung, oder: Habt Ihr sie denn noch alle,…..?). Mit einer ähnlichen Frage hatte jetzt auch das OLG Karlsruhe zu tun. Es ging um die Höhe des Gegenstandswertes in einer Strafvollzugssache (die werden nach Teil 3 VV RVG abgerechnet). Hintergrund des Verfahrens war die von der JVA angeordnete zeitweise Fesselung eines Gefangenen während dessen stationären Aufenthalts im Klinikum der Universität Freiburg vom 21.7.2015 bis 27.07.2015. Nachdem der Gefangene am 27.7.2015 entlassen worden war, stellte er mit Schriftsatz vom 27.10.2015 Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung. Die StVK des LG hat dann festgestellt, dass die zeitweise Fesselung des Gefangenen anlässlich einer Ausführung rechtswidrig war. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Gefangenen wurden der Staatskasse auferlegt. Der Gegenstandwert wurde auf 500 € festgesetzt. Der Rechtsanwalt des Gefangenen hat Beschwerde eingelegt, mit der er die Festsetzung eines Streitwertes nach § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000 € erstrebt hate. Das Rechtsmittel hatte – nur – einen Teilerfolg, das OLG hat ihn im OLG Karlsruhe, Beschl. v. 10.03.2016 – 2 Ws 67/16 – auf 1.000 € festgesetzt:

„3. Bei der nach § 52 i.V.m. § 60 GKG vorzunehmenden Bemessung des Streitwertes ist die sich nach dem Antrag des Gefangenen für ihn ergebende Bedeutung der Sache nach Ermessen heranzuziehen. Dabei sind die Tragweite der Entscheidung und die Auswirkungen eines Erfolgs des Antrags zu berücksichtigen. Es besteht Einigkeit, dass der in § 52 Abs. 2 GKG genannte Betrag von 5.000,- EUR in der Regel außer Betracht zu bleiben hat, da es sich nur um einen subsidiären Ausnahmewert handelt (Senat, a.a.O.; KG Berlin, a.a.O.; Bachmann in LNNV, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl. 2015 Abschn. P Rn. 141; AK-Kamann/Spaniol, a.a.O., Rn. 9; Arloth, a.a.O., Rn. 1; BeckOK/Euler, a.a.O.). Angesichts der geringen Leistungsfähigkeit vieler Gefangener ist der Streitwert prinzipiell eher niedrig anzusetzen, da seine Bemessung aus rechtsstaatlichen Gründen nicht dazu führen darf, dass die Anrufung des Gerichts für den Betroffenen mit einem unzumutbar hohen Kostenrisiko verbunden ist; andererseits darf er nicht so niedrig sein, dass die anwaltliche Tätigkeit in wirtschaftlicher Hinsicht völlig unmöglich wird (KG Berlin, a.a.O.; AK-Kamann/Spaniol, a.a.O., Rn. 10; BeckOK/Euler, a.a.O., Rn. 8). Gänzlich außer Betracht zu bleiben hat demgegenüber der Ausgang des Verfahrens, d. h. der Streitwert darf bei einer Zurückweisung eines Antrags nicht niedriger als bei einer stattgebenden Entscheidung festgesetzt werden.

Hiervon ausgehend war zu berücksichtigen, dass die für den Krankenhausaufenthalt angeordnete Fesselung zwar einen erheblicheren Eingriff darstellte, der jedoch dadurch relativiert wurde, dass sie nur für die Zeit vorübergehender Abwesenheit der Vollzugsbeamten (z. B. Toilettengang) angeordnet worden war. Andererseits wurde die Anordnung über immerhin sieben Tage hinweg vollstreckt (21.07. bis 27.07.2015), nachdem der Antrag auf gerichtliche Entscheidung bereits am 23.07.2015 eingegangen, jedoch kein Antrag auf Aussetzung der Maßnahme (§ 114 Abs. 2 und 3 StVollzG) gestellt worden war. Ferner ist in die Bemessung einzustellen, dass die Entscheidung letztlich nicht mehr in der Hauptsache erging, sondern lediglich die Rechtswidrigkeit der zeitweisen Fesselung festgestellt wurde. Vorliegend kommt als Besonderheit, die sich erhöhend auf die Streitwertbemessung auswirkt, hinzu, dass kurze Zeit zuvor in einem früheren Verfahren wegen eines ganz ähnlichen Sachverhalts durch Beschluss des Landgerichts Freiburg – Strafvollstreckungskammer – vom 03.03.2015 – 13 StVK 53/15 – eine Fesselungsanordnung aufgehoben worden war und die Antragsgegnerin jene Vorgaben der Strafvollstreckungskammer betreffend der Anordnung einer Fesselung während eines stationären Krankenhausaufenthalts bei der erneuten Anordnung ersichtlich nicht beachtet hat. Vor diesem Hintergrund lag für den Antragsteller eine besondere – zusätzliche – Bedeutung der Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung vor.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände erachtet der Senat einen Streitwert in Höhe von 1.000,- EUR als angemessen. Dies lässt sich in Übereinstimmung damit bringen, dass für eine Woche Arrest ein Streitwert von 500,- EUR als angemessen erachtet wird (AK-Kamann/Spaniol, a.a.O., Rn. 11) und das vorherige Verfahren sich erhöhend auswirkt.“

Sicherlich nicht „weltbewegend“, aber besser als die 500 € der StVK……

„Wer zu/so spät kommt, den bestraft das Leben“, oder: Die verwirkte Beschwerde der StA

UhrLiest man auch selten, dass eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft verwirkt ist. So aber im LG Berlin, Beschl. v. 04.02.2016 – 511 Qs 84/15. Der Kollege, der mir die Entscheidung geschickt hat, hatte in einem Verfahren mit dem Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung mit Schreiben v. 26. 09. 2013 den Anschluss seines Mandanten als Nebenkläger angezeigt und beantragt, die Nebenklage zuzulassen, dem Nebenkläger Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihn als Beistand beizuordnen. Die damals angehörte Staatsanwaltschaft hatte dagegen keine Bedenken. Mit dem jetzt angefochtenen Beschluss vom 14. 10. 2013 hat das AG dann den Mandanten  als Nebenkläger zugelassen, § 395 Abs. 1  Ziff. 3 StPO, und ihm gemäß § 397a Abs. 2 StPO unter Beiordnung des Kollegen für den erstinstanzlichen Zug PKH bewilligt. Mit Schreiben vom 01. 07. 2015 beantragte der Kollege dann, dem Nebenkläger für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für die Nebenklage in der Berufungsinstanz PKH zu bewilligen und ihn als Beistand für die Vertretung in der Berufungsinstanz beizuordnen. Das LG hat PKH bewilligt, den Antrag auf Beiordnung des Kollegen als Nebenklägerbeistand hat das LG aber abgelehnt, da die Beiordnung, die vom AG mit Beschl. v. 14. 10. 2013 angeordnet wurde, unabhängig von der Frage, ob deren Voraussetzungen vorlagen, für das gesamte Verfahren gelte.

Nun wird die StA wach und legt gegen die Anordnung im Beschluss des AG vom 14. 10. 2013, dem Nebenkläger den Kollegen beizuordnen, am 02.11.2015 Beschwerde ein, die sie damit begründet, dass die Voraussetzungen für eine Beiordnung nicht vorgelegen hätten. Anders als § 397a Abs. 1 StPO sehe § 397a Abs. 2 StPO eine Beiordnung gerade nicht vor, sondern bestimme nur, dass PKH für die Zuziehung eines Rechtsanwalts gewährt werde.

Die Begründung ist zwar richtig, aber : Wer zu/spät kommt, den bestraft das Leben. Das LG sagt: Du hast dein Rechtsmittel verwirkt.

„Ausnahmsweise kann ein unbefristeter Rechtsbehelf jedoch infolge Verwirkung unzulässig werden, wenn der Berechtigte längere Zeit hindurch untätig bleibt, obwohl er die Rechtslage kannte oder zumutbarer Weise hätte kennen müssen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, vor § 296 Rn. 6 m.w.N.; OLG Hamm NStZ-RR 2004, 144: Beschwerde der Staatsanwaltschaft nach mehr als einem Jahr).

So liegt der Fall hier.

Die Staatsanwaltschaft hatte vor Erlass des angefochtenen Beschlusses Gelegenheit zur Stellungnahme zum Antrag von Rechtsanwalt T. und mitgeteilt, dass der Zulassung der Nebenklage und der Beiordnung keine Bedenken entgegen stehen.

Nach Erlass des Beschlusses vom 14. Oktober 2013 legte die Staatsanwaltschaft keine Beschwerde gegen die Beiordnung ein.

Wenn die Staatsanwaltschaft nunmehr am 2. November 2015, mithin über zwei Jahre später, Beschwerde einlegt, so ist dieses Rechtsmittel infolge Verwirkung unzulässig.

Die Staatsanwaltschaft kannte die Rechtslage oder hätte sie kennen müssen. Sie hat auch zunächst eine positive Stellungnahme abgegeben und ist zwei Jahre lang untätig geblieben.“

Wird sicherlich zu der ein oder anderen Frage im Haus der StA führen. 🙂

„Akteneinsicht“ a la LG Neubrandenburg: Es gibt den ganzen Messfilm

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Über „Akteneinsichtsfragen“ in Zusammenhang mit Messdaten, Messfilmen usw. habe ich hier ja schon häufig berichtet (zum Messfilm zuletzt mit dem AG Königs Wusterhausen, Beschl. v. 17.03.2015 – 2.4 OWi 282/14; vgl. dazu Mal wieder Akteneinsicht im Bußgeldverfahren: Her mit dem gesamten Messfilm). Und zu der Frage hat sich dann jetzt auch das LG Neubrandenburg im LG Neubrandenbrug, Beschl.v. 30.09.2015 – 82 Qs 112/15 – geäußert. Endlich mal (wieder) ein LG-Beschluss zu der Problematik, was daran liegt, dass es um den „Angriff“ gegen eine amtsgerichtliche Entscheidung gegangen ist. Und der Beschluss ist in doppelter Hinsicht von Interesse.

Zunächst ist der Beschluss interessant wegen der Frage der Zulässigkeit des Rechtsmittels. Die Antwort des LG lässt sich dahin zusammenfassen: Wird Akteneinsicht nach Eingang der Akte beim zuständigen Gericht versagt, steht diese Entscheidung – so sieht es auch die inzwischen wohl h.M. – in engem inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung und ist somit in der Regel nicht beschwerdefähig i.S. des § 305 Satz 1 StPO. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn dem Betroffenen ein Rechtsmittel gegen das Urteil nicht oder wenn dem Angeklagten zwar ein Rechtsmittel gegen das Urteil zusteht, die betroffene Entscheidung aber im Rahmen dieses Rechtsmittels nicht überprüft werden kann. Die vage Möglichkeit der Zulassung der Rechtsbeschwerde im Bußgeldverfahren steht dem nicht entgegen. Fazit: In den Zulassungssachen gibt es also die Beschwerde.

Und in der Sache sagt das LG: Der Verteidiger hat ein Recht auf Einsicht in den gesamten Messfilm. Das ist nun nichts Neues, weil das auch schon einige AG zutreffend entschieden haben, nur eben noch kein LG, das (noch einmal) ausdrücklich ausführt:

Durchgreifende datenschutzrechtliche Bedenken bestehen nicht.

Aufgrund der Komplexität der Überprüfung einer Messreihe muss sich der Verteidiger auch nicht auf eine Einsichtnahme des Messfilms in den Räumen der Behörde verweisen lassen, sondern kann Einsicht durch Gewährung einer Kopie – falls technisch machbar, auf einem von ihm bereit gestellten Datenträger – verlangen.

Der Persönlichkeitsschutz anderer abgebildeter Verkehrsteilnehmer steht dem Einsichtsrecht nicht entgegen, da sich die anderen abgebildeten Personen sich durch ihre Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer und auch der Kontrolle ihres Verhaltens im Straßenverkehr durch die Polizei ausgesetzt haben. Hinzu kommt, dass der aufgezeichnete und festgehaltene Lebenssachverhalt jeweils auf einen sehr kurzen Zeitraum begrenzt ist (vgl. BVerfG NJW 2011, 2783, 2785).