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BtM I: Strafbarkeit von Cannabis im Haftraum der JVA, oder: Die Zelle ist „gewöhnlicher Aufenthaltsort“

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Ich stelle heute dann BtM-Entscheidungen vor. Unter dem Kürzel „BtM“ verbergen sich ab heute dann ggf. auch Entscheidungen zum KCanG. Die Flut von Entscheidungen, die es nach dem Inkrafttreten der Neuregelung gegeben hat, hat nämlich inzwischen deutlich nachgelassen mit der Folge, dass sich ein „KCanG-Tag“ kaum noch lohnt. Also ab jetzt: BtM = BtMG + CanG + KCanG.

Und ich beginne gleich mit einer Entscheidung zum KCanG, nämlich dem KG, Urt. v. 28.05.2025 – 5 ORs 17/25 – zur Strafbarkeit von Cannabisbesitz im Haftraum.

Das AG hatte den Angeklagten wegen Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe verurteil.  Von dem weiteren Tatvorwurf des Besitzes von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) KCanG) sprach es den Angeklagten aus rechtlichen Gründen frei. Nach den insoweit getroffenen Feststellungen verwahrte der Angeklagte, der seit dem 07.092023 eine Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten in einer JVA verbüßt, am 23.04.2024 in seinem Haftraum 45,06 Gramm Cannabisharz mit einer Wirkstoffmenge von 13,64 Gramm Tetrahydrocannabinol, das zum Eigenkonsum bestimmt war. Das AG bewertete dies als gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KCanG erlaubten Besitz von bis zu 50 Gramm Cannabis am gewöhnlichen Aufenthalt des Angeklagten. Ein Haftraum in einer JVA sei jedenfalls dann gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne der Legaldefinition des § 1 Nr. 17 KCanG, wenn die Haftdauer auf mindestens sechs Monate angelegt sei. Auf eine Freiwilligkeit des Aufenthalts komme es ebensowenig an wie auf die Frage, ob die Räume dem Schutzbereich des Art. 13 GG unterfielen.

Dagegen die Sprungrevision der StA, die beim KG keinen Erfolg hatte. Aus Platzgründen stelle ich hier nur die Leitsätze des KG ein und ordne im Übrigen das „Selbstleseverfahren“ an. Die Leitsätze lauten:

1. Der Besitz von bis zu 50 Gramm Cannabis durch einen Strafgefangenen in seinem Haftraum während der Verbüßung einer mehrjährigen Haftstrafe unterfällt der Erlaubnisnorm des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KCanG, die eine Ahndung als Straftat oder Ordnungswidrigkeit ausschließt. Insoweit handelt es sich bei dem Haftraum um den gewöhnlichen Aufenthalt des Gefangenen.

2. Der Gesetzgeber hat die Legaldefinition des gewöhnlichen Aufenthalts in § 1 Nr. 17 KCanG explizit an diejenige in § 9 AO und § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I angelehnt, die nach der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung auch den Aufenthalt eines Strafgefangenen in einer Justizvollzugsanstalt bei Vollzug einer mehrjährigen Freiheitsstrafe erfassen. Auf die Freiwilligkeit des Aufenthalts kommt es dabei nicht an; entscheidend sind vielmehr (allein) die tatsächlichen Verhältnisse.

3. Der Gesetzeszweck des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KCanG rechtfertigt keine andere Auslegung. Die den Gesetzesmaterialien zu entnehmende Zielrichtung der Vorschrift, Personen von einer Strafbarkeit auszunehmen, die neben dem nach § 3 Abs. 1 KCanG erlaubten Besitz von 25 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum in zulässiger Weise Cannabispflanzen anbauen und abernten, hat im Gesetzeswortlaut ebenso wenig Niederschlag gefunden wie eine mögliche Begrenzung der Erlaubnis auf private Räumlichkeiten. Die Gestattung des Besitzes von bis zu 50 Gramm Cannabis gilt vielmehr unabhängig davon, ob die betreffen-de Person zugleich auch lebende Cannabispflanzen besitzt – was in einer Justizvollzugsanstalt möglicherweise nicht von der Erlaubnisnorm erfasst ist.

4. Bei der Einordnung als gewöhnlicher Aufenthalt kommt es nicht darauf an, dass der Haft-raum nicht vom Schutzbereich des in Art. 13 GG gewährleisteten Wohnungsgrundrechts erfasst ist.

5. Allgemeine Erwägungen zur Sicherheit und Ordnung der Justizvollzugsanstalt oder zur Gefährdung des Vollzugsziels haben im Konsumcannabisgesetz keinen Ausdruck gefunden und können daher nicht zur Einschränkung des Erlaubnistatbestandes des § 3 Abs. 2 Satz 1 KCanG herangezogen werden. Sonderregelungen, wie sie etwa für militärische Be-reiche der Bundeswehr, Schulen, Kinderspielplätze oder Kinder- und Jugendeinrichtungen gelten, hat der Gesetzgeber für Justizvollzugsanstalten gerade nicht getroffen. Eine erweiternde Auslegung dieser Normen verbietet sich mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG.

6. Hiervon unberührt bleibt die Möglichkeit, den Besitz und Konsum von Cannabis in Justizvollzugsanstalten und Maßregelvollzugseinrichtungen auf der Grundlage der jeweils geltenden Vollzugsgesetze etwa im Wege der Allgemeinverfügung beziehungsweise in der Hausordnung mit Blick auf die Sicherheit und Ordnung der Anstalt generell zu untersagen und entsprechende Verstöße mit vollzuglichen Maßnahmen zu ahnden.

Ebenso bereits das LG Bonn im LG Bonn, Beschl. v. 16.04.2024 – 50 KLs 33/20

Wiedereinsetzung II: Selbstvertretung des Anwalts, oder: Elektronische Übermittlung und Verschulden

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Im zweiten Posting geht es jetzt um den OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 16.08.2024 – 2 W 59/22 – und in dem u.a. um die Frage, ob der sich selbst vertretende Rechtsanwalt bei Beschwerden nach GKG den Weg der elektronischen Übermittlung wählen muss und wann ggf. Wiedereinsetzung zu gewähren ist.

Das OLG hat die Frage der Erforderlichkeit der elektronischen Übermittlung bejaht. Hier der Leitsatz der Entscheidung, die umfangreiche Begründung dann bitte im Volltext lesen:

Ein Rechtsanwalt, der in eigener Sache als Rechtsanwalt ein Berufungsverfahren in einem WEG-Verfahren durchführt, und – nach Zurückweisung seiner Berufung durch das LG nach § 522 Abs. 2 ZPO – in einem Beschwerdeverfahren gegen die Festsetzung des Gebührenstreitwerts erneut in eigener Sache als Rechtsanwalt auftritt, ist zur elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen an das Gericht verpflichtet.

Und zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die das OLG verwehrt hat, führt es aus:

„B. Dem Kläger war auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen des Versäumens der Beschwerdefrist nach § 68 Abs. 2 S. 1 GKG zu gewähren. Nach dieser Vorschrift ist dem Beschwerdeführer, wenn er ohne sein Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten, auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht.

1. Zunächst ist das Oberlandesgericht als Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, zuständig (vgl. NK-GK/Norbert Schneider, 3. Auflage 2021, GKG § 68 Rn. 72; Binz/Dörndorfer/Zimmermann/Zimmermann, 5. Auflage 2021, GKG § 68 Rn. 13), so dass der Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuchs durch das Landgericht im angefochtenen Beschluss keine Wirkung zukommt, sondern dies dahingehend auszulegen ist, dass das Landgericht der Beschwerde auch deshalb nicht abgeholfen hat, weil – was in der Sache zutreffend ist – ein Wiedereinsetzungsgrund nicht besteht.

2. Der gesetzlich („auf Antrag“) vorgesehene Wiedereinsetzungsantrag des Klägers wurde am 26.09.2022 gestellt und beim Ausgangsgericht angebracht (vgl. hierzu NK-GK/Norbert Schneider, 3. Aufl. 2021, GKG § 68 Rn. 66, 71). Dass der Antrag innerhalb von zwei Wochen nach Beseitigung des Hindernisses gestellt wurde, kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, denn nach dem Vorbingen des Klägers war sein beA nach De- und Neuinstallation am 10.09.2022, einem Samstag, wieder betriebsbereit, so dass zu diesem Zeitpunkt das Hindernis beseitigt war, und die zwei Wochen Frist zu laufen begann und sich die Frist, da das Fristende auf einen Samstag, den 24.09.2022 fiel, bis zum 26.09.2022 verlängerte.

3. Allerdings ist der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung vom 26.09.2022 gleichwohl unzulässig. Weder wurde der Antrag als elektronisches Dokument übermittelt, noch wurden innerhalb der Frist die Tatsachen, die die Wiedereinsetzung begründen sollen, glaubhaft gemacht.

Der Wiedereinsetzungsantrag war als elektronisches Dokument einzureichen. Auf die obigen Ausführungen zur Beschwerde, die hier entsprechend gelten, wird verwiesen. Der Kläger hat den Wiedereinsetzungsantrag lediglich per Telefax übermittelt. Ein Hinweis an den Kläger auf den Formverstoß konnte nicht mehr erfolgen, da der Antrag erst am Tag des Fristablaufs um 23:41 Uhr beim Landgericht einging (Bl. 582).

Ein Ausnahmefall, in dem eine Übermittlung eines Schriftsatzes nach den allgemeinen Vorschriften zulässig gewesen wäre, liegt nicht vor. Gemäß § 130d S. 2 ZPO ist dies nur zulässig, wenn die Übermittlung eines elektronischen Dokuments aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Dem liegt die Überlegung des Gesetzgebers zugrunde, dass die zwingende Benutzung des elektronischen Rechtsverkehrs nicht gelten kann, wenn die Justiz aus technischen Gründen nicht auf elektronischem Weg erreichbar ist. Dabei soll es keine Rolle spielen, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder in der Sphäre des Einreichers zu suchen ist. Denn auch ein vorübergehender Ausfall der technischen Einrichtungen des Rechtsanwalts soll dem Rechtsuchenden nicht zum Nachteil gereichen (vgl. KG, Beschluss vom 25.02.2022 – 6 U 218/21, Rn. 14, juris; BT-Drs. 17/12634, 27).

Selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, dass sein beA am 26.09.2022 erneut nicht funktionierte, mithin eine Übermittlung aus technischen Gründen wieder nicht möglich war, ist eine Glaubhaftmachung weder bei der Ersatzeinreichung erfolgt noch unverzüglich danach (§ 130d S. 3 Hs. 1 ZPO). Die Aufforderung nach Hs. 2 bezieht sich allein auf die Nachreichung des elektronischen Dokuments.

Bei der Ersatzeinreichung des Wiedereinsetzungsantrags erfolgt keine Darlegung, dass das beA des Klägers nicht funktionierte, der Kläger hat hierzu überhaupt keine Ausführungen gemacht.

Der Kläger hat auch nicht unverzüglich danach dargelegt, dass sein beA nicht funktionierte. Unverzüglich im Sinne der in § 121 Abs. 1 S. 1 BGB enthaltenen Legaldefinition ist als „ohne schuldhaftes Zögern“ auszulegen, wobei anders als bei § 121 BGB aber keine gesonderte Prüfungs- und Überlegungsfrist zu gewähren ist, sondern der Rechtsanwalt die Glaubhaftmachung abzugeben hat, sobald er Kenntnis davon erlangt, dass die Einreichung an einer technischen Störung gescheitert ist, und er zu einer geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände in der Lage ist. Hierbei ist in die Abwägung einzustellen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Glaubhaftmachung möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen und die Nachholung der Glaubhaftmachung auf diejenigen Fälle beschränkt sein soll, bei denen der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen. Glaubhaft zu machen ist lediglich die technische Unmöglichkeit einschließlich ihrer vorübergehenden Natur, ohne dass es einer weiteren Sachverhaltsaufklärung über deren Ursache bedarf; es genügt eine (laienverständliche) Schilderung und Glaubhaftmachung der tatsächlichen Umstände, die beispielsweise mit Screenshots unterlegt werden kann, aber nicht zwingend muss (vgl. BGH, Beschluss vom 21.06.2023 – V ZB 15/22, juris, Rn. 21; Anders/Gehle/Anders, 82. Auflage 2024, ZPO § 130d Rn. 9a).

Bei Anwendung dieser Voraussetzungen erfolgte die Glaubhaftmachung nicht unverzüglich. Vielmehr wurde die Frist bei weitem überschritten, indem erst mit Schriftsatz vom 22.11.2022 überhaupt eine Glaubhaftmachung erfolgte, obwohl der Kläger nach seiner Darlegung am 26.09.2022 Kenntnis hatte, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich war, und am Folgetag davon, dass das beA wieder funktionierte, so dass die Störung erneut nur vorübergehender Natur war, weil das beA wieder funktionierte.

Hinzu tritt, dass der Kläger Tatsachen, die die Wiedereinsetzung begründen sollen, im Antrag weder dargelegt noch glaubhaft gemacht hat. Der Kläger hat in seinem Wiedereinsetzungsantrag mit keinem Wort eine Störung seines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs dargelegt, sondern nur vermeintliche Störungen beim Versand des Telefaxes an das Landgericht geschildert, was unerheblich ist, weil diese Einreichungsform unzulässig war und dem Kläger als Rechtsanwalt die gesetzlichen Vorschriften über die Übersendung elektronischer Dokumente hätten bekannt sein müssen.

7. Dem Kläger war auch auf seinen Antrag aus dem per Telefax übersandten Schriftsatz vom 07.10.2022 keine Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist zu gewähren. Auch dieser Antrag entsprach nicht der Form des § 130d S. 1 ZPO als elektronisches Dokument. Die Voraussetzungen einer Ersatzeinreichung nach § 130 S. 2 ZPO liegen nicht vor, nachdem der Kläger dort erneut nur Probleme einer Übermittlung per Telefax thematisiert hat.“