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U-Haft I: Wenn das OLG dauerhaft warnt, oder: Wer nicht hören will, muss fühlen

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Ich eröffne die Woche mit zwei Entscheidungen des OLG Stuttgart, und zwar mit dem OLG Stuttgart, Beschl. v. 12.10.2018 – H 1 Ws 105/18 und dem OLG Stutgart, Beschl. v. 19.10.2018 – H 4 Ws 242/18. Beide sind in Haftsachen ergangen und zwar beide im sog. Haftprüfungsverfahren nach § 121 StPO – also Prüfung der Frage, ob die Untersuchungshaft länger als sechs Monate dauern darf. Und in beiden Beschlüssen hat das OLG die Frage verneint und die Haftbefehle aufgehoben und Freilassung der beiden Angeklagten, denen jeweils versuchter Totschlag vorgeworfen worden ist, angeordnet. Und in beiden Beschlüssen mit Formulierungen, die man im Präsidium des LG Stuttgart wahrscheinlich nicht so gerne lesen wird und wahrscheinlich auch nicht im Baden-Württembergischen Justizministerium.

Ich stelle dann hier die Ausführungen des OLG im OLG Stuttgart, Beschl. v. 12.10.2018 – H 1 Ws 105/18 – ein. Die in dem Beschluss vom 19.10.2018 sind ähnlich. Die im Beschluss vom 12.10.2018 machen m.E. aber noch deutlicher, dass es so nicht geht und dass die zuständige Strafkammer des LG schon seit längerem an der Grenze ihrer Belastbarkeit angekommen war, das aber offenabr niemand so richtig zur Kenntnis genommen hat bzw. nehmen wollte. Das OLG schildert minutiös, wann und wie es gewarnt hat und dass dann im Grunde nichts passiert ist – außer die Zuweisung einer halben Richterstelle:

„bb) Eine Fortdauer der Untersuchungshaft wegen eines anderen wichtigen Grundes nach § 121 Abs. 1 Var. 3 StPO kommt ebenso wenig in Betracht, da die bereits eingetretene sowie die gegenwärtig abzusehende weitere Verzögerung bis zum Beginn der Hauptverhandlung auf einer vorhersehbaren und vermeidbaren Überlastung des Gerichts beruht.

Ein wichtiger Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 Var. 3 StPO, der die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen könnte, läge nur dann vor, wenn das Verfahren durch Umstände verzögert würde, denen die Strafverfolgungsbehörden durch geeignete Maßnahmen nicht hätten entgegenwirken können (Schmitt, a.a.O. § 121 Rn. 21 m.w.N.). Die Überlastung des Gerichts käme dabei als wichtiger Grund nur in Betracht, wenn sie kurzfristig und weder voraussehbar noch vermeidbar wäre (OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. April 2011 – Aktenzeichen: 2 HEs 37/11; 2 HEs 38/11; 2 HEs 39/11, jurion Rn. 18; Schultheis, a.a.O., § 121 Rn. 18).

Dies ist nicht der Fall:

(1) Das Verfahren und damit die Dauer der Untersuchungshaft des Angeklagten wurden durch die Überlastung des Gerichts verzögert:

Die Kammer hat zur ihrer Termins- und Belastungssituation mitgeteilt, dass sie sich „aufgrund einer außergewöhnlichen Ballung von Faktoren“ nicht imstande sehe, das Verfahren innerhalb des Zeitraumes nach § 121 StPO zu verhandeln. Die mit einer Vielzahl von teilweise umfangreichen Schwurgerichtsverfahren befasste Kammer habe bereits vor Eingang des gegenständlichen Verfahrens zahlreiche Hauptverhandlungstermine in insgesamt sieben Haftsachen an-beraumt bzw. verbindlich abgesprochen und die Terminbelastung teilweise nur dadurch bewerkstelligen können, dass halbe Verhandlungstage die Durchführung von zwei gesonderten Verhandlungen an einem Tag ermöglicht haben. Überdies haben Kammermitglieder in der zweiten Jahreshälfte Urlaubstage zurückgeben müssen, um Verhandlungen fortsetzen zu können.

Ihre konkrete Terminbelastung teilte die Kammer wie folgt mit:

Kalender-     Montag         Dienstag       Mittwoch       Donnerstag   Freitag

woche 2018

36                Verf. 1          Verf. 1                    Verf. 3

                    Verf. 2                    Verf. 2                   

37                Verf. 4                                        Verf. 3                                        Verf. 4

38                Verf. 3                                        Verf. 3                   

39                Verf. 4                                        Verf. 4                    Verf. 2         

40                Verf. 5                    Verf. 2                                        Verf. 5         

41                Verf. 5                                        Verf. 5                    Verf. 5         

42                Verf. 5                                                            Verf. 5         

43                Verf. 6                                                            Verf. 6         

44                Verf. 7                                      

45                Verf. 7                                        Verf. 7                                        Verf. 7

46                Verf. 8                    Verf. 6                                        Verf. 6         

47                Verf. 8                    Verf. 6                                        Verf. 6         

48                Verf. 6                    Verf. 8                    Verf. 6                    Verf. 7       

49                Verf. 6                                        Verf. 6                                        Verf. 8

50                Verf. 7                                        vorliegendes Verf.             vorliegendes Verf.

51                Verf. 8                                        vorliegendes Verf.             vorliegendes Verf.

Es liegt für den Senat auf der Hand, dass vor allem die Befassung der Kammermitglieder mit anderen Dienstgeschäften wie dem Vorbe-reiten von Verfahrensakten und Hauptverhandlungen sowie der Ab-setzung von Urteilen eine höhere Verhandlungsdichte bei den ohne-hin bereits mehrfach parallel geführten Hauptverhandlungen nicht zulässt. Die terminliche Auslastung der 9. Strafkammer macht deutlich, dass der Zeitverzug zwischen der Eröffnungsreife des Verfahrens am 7. August 2018 (Kalenderwoche 32) und dem voraussichtlichen Be-ginn der Hauptverhandlung am 11. Dezember 2018 (Kalenderwoche 50), mithin einem Zeitraum von mehr als 18 Wochen (bzw. mehr als vier Monaten), ausschließlich auf die Belastung der Kammer mit an-deren Haftsachen zurückzuführen ist.

Angesichts des ohnehin nicht früher durchführbaren Hauptverhandlungstermins kommt es deshalb nicht mehr darauf an, dass die Eröffnungsentscheidung erst sieben Wochen nach der Eröffnungsreife erfolgte, ohne dass das Verfahren in der Zwischenzeit – entgegen dem auch im Zwischenverfahren geltenden Beschleunigungsgrund-satz (BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2011 – Aktenzeichen: 2 BvR 2781/10, juris, Rn. 15; Beschluss vom 11 Juni 2018 – Aktenzeichen: 2 BvR 819/18, juris, Rn. 37; Beschluss vom 1. August 2018 – Akten-zeichen 2 BvR 1258/18, juris Rn. 25) – nennenswert gefördert worden wäre.

(2) Diese nicht nur vorübergehende Überlastung der 9. Strafkammer war für die Verwaltung des Landgerichts Stuttgart vorhersehbar.

Die Gerichtsverwaltung wurde durch insgesamt vier Haftprüfungsentscheidungen des Oberlandesgerichts seit April 2018 immer wieder auf die hohe Belastung der 9. Strafkammer hingewiesen. So hat der Senat bereits in dem 6-Monats-Haftprüfungsverfahren H 1 Ws 33/18 (9 Ks 111 Js 103326/17 Landgericht Stuttgart) im Beschluss vom 24. April 2018 festgestellt, dass die Kammer austerminiert war, den Verfahrensgang aber als „noch“ (!) dem Beschleunigungsgrundsatz genügend angesehen. Schon damals hat der Senat darauf hin-gewiesen, dass Engpässe in der Geschäftslage eine Haftfortdauer in der Regel nur dann rechtfertigen können, wenn sie kurzfristig sind und nicht oder kaum vorhersehbar sowie unvermeidbar.

In dem 6-Monats-Haftprüfungsverfahren H 4 Ws 125/18 (9 Ks 111 Js 108940/17 LG Stuttgart) hat der Vorsitzende der 9. Strafkammer die Terminslage und Belastung als derart kritisch beschrieben, dass sich das Oberlandesgericht Stuttgart dazu veranlasst sah, im Beschluss vom 13. Juni 2018 bei der Kammer eine Überprüfung anzuregen, ob es sich noch um eine momentane starke Belastung handle oder schon von einer dauerhaften Überlastung auszugehen sei, die dann eine Überlastungsanzeige bedinge.

Weiter hat das Oberlandesgericht in dem 6-Monats-Haftprüfungsverfahren H 4 Ws 162/18 (9 Ks 116 Js 4057/18 Landgericht Stuttgart) im Beschluss vom 12. Juli 2018 erneut darauf hingewiesen, dass die 9. Strafkammer im Blick zu behalten habe, ob sich ihre Belastung angesichts der weiteren Verfahren und der derzeit allgemeinen Belastungssituation zu einer dauerhaften Überlastung auswachse.

Seinen Hinweis, dass personelle und organisatorische Schwierigkeiten sich nicht zu Lasten des Angeklagten auswirken dürfen, hat der Senat schließlich in dem 6-Monats-Haftprüfungsverfahren H 1 Ws 68/18 (9 Ks 115 Js 5724/18 LG Stuttgart) im Beschluss vom 18. Juli 2018 im Hinblick auf die Belastung der 9. Strafkammer wiederholt. Überdies hat der Senat durch die erneute Formulierung, wonach die Haftfortdauer „noch“ gerechtfertigt sei, deutlich betont, dass sich das Landgericht Stuttgart in einem Grenzbereich bewegt hat.

Die besondere Belastungssituation der 9. Strafkammer, die seit April 2018 zu nunmehr vier Haftprüfungen gemäß § 121 Abs. 2 StPO geführt hat, ist dem Landgericht Stuttgart damit seit fast einem halben Jahr bekannt, sodass bereits aus diesem Grund weder von einem kurzfristigen noch von einem nicht voraussehbaren Engpass ausgegangen werden kann.

Die sich bereits seit April 2018 abzeichnende Überlastung sowie die damit einhergehende Entlastungspflicht wurden dem Präsidium des Landgerichts zudem durch die Überlastungsanzeige des Vorsitzenden der 9. Strafkammer vom 19. Juli 2018 – unmittelbar nach Eingang der verfahrensgegenständlichen Anklageschrift – ein weiteres Mal deutlich gemacht.

Schließlich wurde die Belastung für die Gerichtsverwaltung auch dadurch offenkundig, dass Mitglieder der 9. Strafkammer aus dienstlichen Gründen Urlaubstage zurückgeben mussten.

Es war deshalb seit längerer Zeit absehbar, dass das Landgericht angesichts seiner Belastung mit Haftsachen nicht in der Lage sein wird, entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts dem Beschleunigungsgedanken folgend mit der Hauptverhandlung innerhalb von drei Monaten ab Eintritt der Eröffnungsreife zu begin-nen (BVerfG, Beschluss vom 15. Februar 2007 – Aktenzeichen: 2 BvR 2563/06, juris Rn. 26). Vielmehr würde sich der Angeklagte bei einem Beginn der Hauptverhandlung am 11. Dezember 2018 bereits rund acht Monate in Untersuchungshaft befinden, davon mehr als vier Monate – länger als die Dauer des gesamten Vorverfahrens – nach Eintritt der Eröffnungsreife.

(3) Die Überlastung war für das Landgericht Stuttgart auch vermeidbar.

Die Kammer hat anlässlich der Vorlage an den Senat darauf hingewiesen, dass ihr auf die Überlastungsanzeige hin vom Präsidium zum 1. Oktober 2018 eine weitere Richterin mit einem Arbeitskraftanteil von 0,5 zugeteilt worden sei, was der Kammer eine Nachverdichtung der Verhandlungstermine mit dem oben genannten Verfahren 8 ermöglicht habe. Allerdings wies die Kammer ebenso darauf hin, dass der Vorsitzende Mitte September erkrankt sei und nicht vor Ende Oktober 2018 in den Dienst zurückkehren würde, was eine Umverteilung der Geschäfte notwendig gemacht und damit einen weiteren Aufwand nach sich gezogen habe. Das Potential für Straffungen in der Terminierung und für kurzfristig mögliche personelle Verstärkungen sei deshalb ausgeschöpft.

Im Ergebnis ist die Kammer durch den krankheitsbedingten Ausfall des Vorsitzenden seit Mitte September 2018 damit ungeachtet der Hinweise des Oberlandesgerichts und der Überlastungsanzeige aktuell noch schlechter besetzt und dem zu bewältigenden Arbeitsanfall damit noch weniger gewachsen, als vor der zum 1. Oktober 2018 erfolgten Personalzuweisung.

Diese mangelhafte Personalausstattung beziehungsweise Überlastung und die dadurch bedingten Verzögerungen bei der Behandlung der Strafverfahren und damit einhergehend verlängerter Haftzeiten werden der besonderen Bedeutung des Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, das bei der Entscheidung über die Haftfortdauer gegen die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung abzuwägen ist (BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 2018 – Akten-zeichen: 2 BvR 819/18, jurion Rn. 27), nicht mehr gerecht. Denn wegen der im Grundgesetz und der EMRK verankerten Unschuldsvermutung ist der Freiheitsentzug bei einem Angeklagten nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheits-beschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Angeklagten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt (BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 2018, a.a.O., Rn. 27).

Erforderlich ist die Freiheitsbeschränkung allerdings deshalb nicht, weil die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden kann, wenn ihre Fortdauer durch Verfahrensverzögerungen verursacht ist, die ihre Ursache nicht in dem konkreten Strafverfahren haben und daher von dem Angeklagten nicht zu vertreten, sondern vermeidbar und sachlich nicht gerechtfertigt sind (BVerfG, Be-schluss vom 11. Juni 2018, a.a.O. Rn. 29).

Die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts kann deshalb niemals Grund für die Anordnung der Haftfortdauer sein. Vielmehr kann die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts selbst dann die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht rechtfertigen, wenn sie auf einem Geschäftsanfall beruht, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lässt. Die Überlastung eines Gerichts fällt – anders als unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse – in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft (BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 2018, a.a.O. Rn. 30 m.w.N.).

Aus diesen Gründen kann die sich seit April 2018 abzeichnende Überlastung der 9. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart im Ergebnis die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht als anderer wichtiger Grund nach § 121 Abs. 1 Var. 3 StPO rechtfertigen.

(4) Der Senat verkennt dabei weder, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache (erst) mit der Dauer der Unter-suchungshaft zunehmen, noch, dass es vorliegend um die erste Haftprüfung durch das Oberlandesgericht nach sechs Monaten geht. Der Beschleunigungsgrundsatz gebietet in Haftsachen allerdings auch schon vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist des § 121 Abs. 1 StPO die Aufhebung eines Haftbefehls, wenn es aufgrund vermeid-barer Fehler der Justizorgane zu einer erheblichen Verzögerung gekommen ist (BVerfG, Beschluss vom 15. Februar 2007 – Aktenzeichen 2 BvR 2563/06, juris Rn. 25). Ein Haftbefehl ist deshalb auch dann unverzüglich aufzuheben, wenn – wie vorliegend mit einem Hauptverhandlungsbeginn von mehr als vier Monaten nach Eröffnungsreife – hinreichend deutlich absehbar ist, dass erhebliche Ver-fahrensverzögerungen bevorstehen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. April 2011 – Aktenzeichen: 2 HEs 37/11; 2 HEs 38/11; 2 HEs 39/11, jurion Rn. 15), die vor dem Sechsmonatstermin nicht mehr zu beseitigen sind.

Die Zuweisung einer Richterin mit einem Arbeitskraftanteil von nur 50 Prozent zum 1. Oktober 2018 war angesichts der sich seit Monaten abzeichnenden Überlastung der Kammer und des seit Mitte September bekannten längeren Ausfalls des Vorsitzenden einerseits und der in Schwurgerichtsverfahren nach § 76 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 GVG nicht möglichen Besetzungsreduktion, die mit einem über die normalen Verhältnisse gesteigerten zusätzlichen Personalbedarf verbunden ist, andererseits, schlicht nicht ausreichend, um der bei der 9. Straf-kammer eingetretenen Überlastung wirksam zu begegnen und dadurch den in Form des Beschleunigungsgebots konkretisierten Rechten des inhaftierten Angeklagten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gerecht zu werden.

Die Hauptlast ruht in erster Linie auf dem derzeit erkrankten Vorsitzenden, der die anstehenden Hauptverhandlungen vorzubereiten, zu leiten, die Hauptverhandlungsprotokolle zu prüfen und an der Absetzung der Urteile mitzuwirken hat. Der Senat merkt in diesem Zusammenhang an, dass es der Strafrechtspflege nicht förderlich sein kann, wenn Kammern unter Leitung ein und desselben Vorsitzenden zum Teil drei und mehr Hauptverhandlungstage in der Woche absolvieren. Eine solchermaßen überobligationsmäßige Verhandlungs-dichte mag zum Abbau von Belastungsspitzen vorübergehend hinnehmbar sein, die Regel kann sie aber nicht sein, da eine sorgfältige Sitzungsvorbereitung und ein ebensolches Absetzen von angefochtenen Urteilen ansonsten in die Abend- und Nachtstunden oder auf das Wochenende gelegt oder schlicht vernachlässigt werden müssen.

Das zeitlich begrenzte Abfangen von Überlastungsspitzen mag von Strafrichtern ausnahmsweise verlangt werden können, es kann aber nicht – wie hier – zur Regel werden, da sonst die Qualität der Rechtsprechung nicht dauerhaft zu gewährleisten ist.

Die Überlastung der 9. Strafkammer hätte deshalb nur durch essentielle Maßnahmen des Präsidiums behoben werden können. Dieses Versäumnis fällt in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Dem Angeklagten darf nicht zugemutet werden, eine längere als die verfahrensangemessene Aufrechterhaltung des Haftbefehls nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Ge-richte zu genügen (BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 2018, a.a.O. Rn. 30; BVerfG, Beschluss vom 29. November 2005 – Aktenzeichen: 2 BvR 1737/05, beck-online). Es ist deshalb die Aufgabe des Staates, im Rahmen des Zumutbaren alle Maßnahmen zu treffen, die geeignet und nötig sind, einer Überlastung der Gerichte vorzubeugen und ihr dort, wo sie eintritt, rechtzeitig abzuhelfen (BVerfG, Beschluss vom 29. November 2005, a.a.O.).

Lassen sich Strafverfahren, in denen ein Haftbefehl außer Vollzug gesetzt ist, nicht in angemessener Zeit durchführen, weil der Staat diese Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte – aus welchen Gründen auch immer – nicht nachkommt, so hat das unabweisbar die Aufhebung von Haftentscheidungen zur Folge (BVerfG, Beschluss vom 29. November 2005 – Aktenzeichen: 2 BvR 1737/05, Rn. 46, juris). Da selbst die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft dienen kann (BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 2018, a.a.O., Rn. 29), darf die Haftfortdauer nicht mehr angeordnet werden.

Hilft der Staat der Überlastung der Gerichte nicht ab, so muss er es hinnehmen und gegebenenfalls auch seinen Bürgerinnen und Bürgern erklären, dass mutmaßliche Straftäter auf freien Fuß kommen, sich der Strafverfolgung und Aburteilung entziehen oder erneut Straftaten von erheblichem Gewicht begehen (BVerfG, Beschluss vom 29. November 2005, a.a.O.).“

Die beiden für mich unfassbaren Beschlüsse gehören in die Kategorie, wie man es nicht macht, oder: Wer nicht hören will, muss fühlen.

War eine Menge zu lesen. Ist aber auch eine wichtige Frage, denn immerhin geht es um das Freiheitsgrundrecht des Art. 2 Abs. 2 GG.

U-Haft I: Beschleunigungsgrundsatz, oder: Wenn die Fertigstellung des Protokolls 5 1/2 Monate dauert

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Und nach dem „Posting in eigener Sache“ eröffne ich dann die 44. KW. An der Spitze in dieser Woche zwei Haftentscheidungen.

Zunächst stelle ich den OLG Nürnberg, Beschl. v. 28.09.2018 – 2 Ws 645/18 – vor. Gegenstand der Entscheidung: Beschleunigungsgrundsatz, und zwar mit folgendem Sachverhalt:

Der Angeklagte befindet sich seit dem 22.o2.2017 Untersuchungshaft. Am 22.02.2018 ist er zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren sechs wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen verurteilt worden. Das LG hat einen neuen Haftbefehl erlassen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Das unterschriebene Urteil gelangte am 23.05.2018 zu den Akten. Das Protokoll der Hauptverhandlung wurde durch den Vorsitzenden der Strafkammer 09.08.2018 fertiggestellt. Mit Verfügung vom gleichen Tag ordnete der Vorsitzende die Zustellung des Urteils und des Protokolls an. Die Verfügung wurde seitens der Geschäftsstelle am 16.08.2018 ausgeführt. Die Zustellung an die Verteidiger des Angeklagten erfolgte letztlich am 20./21.08.2018 .Der Angeklagte hat Haftbeschwerde eingelgt. Die hatte Erfolg, denn:

„Der an sich gerechtfertigte Haftbefehl ist aufzuheben, da das Verfahren nach Erlass des Urteils vom 22.02.2018 nicht die in Haftsachen gebotene, auf den Freiheitsanspruch gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 5 Abs. 3 S. 2 MRK beruhende Beschleunigung erfahren hat. Mit dem verfassungsrechtlich zu beachtenden Beschleunigungsgebot ist es vorliegend unvereinbar, dass der Vorsitzende der 1. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth das Hauptverhandlungsprotokoll erst am 09.08.2018 fertiggestellt hat und Urteil und Protokoll erst am 20./21.08.2018 an die Verteidiger zugestellt wurden.

Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist stets das Spannungsverhält¬nis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Grundsätzlich darf nur einem rechtskräftig Verurteilten die Freiheit entzogen werden. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist, nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Angeklagten als Korrektiv gegenüber¬gestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zu¬kommt (BVerfG, Beschluss vom 20.12.2017 – 2 ByR 2552/17).

Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem im Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) verankerten Beschleunigungsgebot in Haftsachen zu. Dieses verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um eine abschließende Entscheidung über den Anklagevorwurf mit der gebotenen Schnelligkeit herbeizuführen. Kommt es aufgrund vermeidbarer Fehler der Justizorgane zu einer erheblichen Verzögerung, so steht dies der Aufrechterhaltung des Haftbefehls regel-mäßig entgegen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Haftdauer auch unabhängig von der zu erwartenden Strafe Grenzen setzt und gleichzeitig zu beachten, dass sich das Gewicht des Freiheitsanspruches gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft regelmäßig vergrößert. In diesem Zusammenhang verlangt das Beschleunigungsgebot in Haftsachen auch, dass die Erstellung eines kompletten Hauptverhandlungsprotokolls im unmittelbaren Anschluss an die Hauptverhandlung und damit parallel zur Erstellung der Urteilsgründe erfolgt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.12.2005 – 2 BvR 2057/05, StV 2006, 81).

Bei Beachtung dieser Vorgaben und des Umstandes, dass sich der Angeklagte zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung seit einem Jahr und zwischenzeitlich seit einem Jahr und sieben Monaten in Untersuchungshaft befindet, ist das Verfahren vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth nach Urteilsverkündung dadurch erheblich verzögert worden, dass eine Fertigstellung des Protokolls nicht bereits zum 23.05.2018 erfolgt ist. Vom Tag der Urteilsverkündung am 22.02.2018 bis zur Fertigstellung des Protokolls am 09.08.2018 vergingen fünfeinhalb Monate. Selbst ab dem 23.05.2018, dem Zeitpunkt an dem das Urteil zur Geschäftsstelle gelangt ist, dauerte die Fertig-stellung des Protokolls noch zwei Monate und 17 Tage, bis zur Zustellung des Urteils und des Protokolls an die Verteidiger sogar knapp drei Monate. Der Fortgang des Revisionsverfahrens hat sich dadurch erheblich verzögert, da die Revisionsbegründungsfrist erst mit der Urteils- und Pro¬tokollzustellung an die Verteidiger zu laufen begonnen hat.

Die verspätete Fertigstellung des Protokolls war sachlich nicht gerechtfertigt und vermeidbar. Auch bei einem Umfang – wie vorliegend – von 274 Seiten stand für die Prüfung und Korrektur des Protokolls vom 22.02.2018 bis 23.05.2018 ausreichend Zeit zur Verfügung. Es spielt in diesem Zusammenhang auch keine Rolle, ob letztendlich der Vorsitzende oder die Protokollführer für die eingetretene Verzögerung verantwortlich waren. Die Verzögerung ist jedenfalls allein der Sphäre des Gerichts und nicht der des Angeklagten zuzurechnen. Die Erklärungen, die der Vorsitzende der 1. Strafkammer in seiner dienstlichen Stellungnahme vom 25.09.2018 für die Dauer der Fer¬tigstellung des Protokolls abgegeben hat, können zu keiner anderen Beurteilung führen.“

Man bzw. ich frage mich, warum man so lange Zeit brauchgt, um ein Protokoll fertig zu stellen…… Das grenzt im Grunde genommen an Arbeitsverweigerung.

BVerfG III: In U-Haft-Verfahren nur 1 x/Woche Termin reicht nicht, oder: Schneller muss es gehen

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Und als dritte Entscheidung dann einen BVerfG-Beschluss aus dem U-Haft-Bereich, nämlich den BVerfG, Beschl. v. 11.06.2018 – 2 BvR 819/18. Es geht – mal wieder – um die Dauer der U-Haft bzw. um die Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes wegen unangemessen langer Dauer von U-Haft.

Grundlage der verfolgreichen Verfassungsbeschwerde waren folgende „Eckdaten“: Der Angeklagte befindet sich seit dem 03.11.2016 u.a. wegen des Verdachts der schweren räuberischen Erpressung und der Bildung einer kriminellen Vereinigung ununterbrochen in U-Haft. Die unter dem 25.04.2017 verfasste Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ging am 27.04.2017 beim LG ein. Am selben Tag zeigte der Vorsitzende der zuständigen Strafkammer (Staatsschutzkammer) – wie bereits zwei Mal zuvor im Jahr 2017 – beim Präsidium des LG die Überlastung der Kammer an. Am 13.06.2017 erklärte der Präsident des LG, dass er von einer nunmehr dauerhaften Überlastung der 3. Großen Strafkammer ausgehe, und errichtete eine weitere als weitere Staatsschutzkammer, die das Verfahren aufgrund Beschlusses des Präsidiums zum 01.07.2017 übernahm. Am 21.11.2017 ließ das LG die Anklage zu und beschloss die Eröffnung des Hauptverfahrens. Die Hauptverhandlung begann am 06.12.2017. Bis zum 23.05.2018 hatte die Kammer 21 Termine anberaumt. Im Zeitraum Juni bis August 2018 hat die Kammer einen bis zwei Termine pro Monat anberaumt, in der Zeit bis zum 9. Januar 2019 drei bis vier Termine pro Monat. Einen Haftprüfungsantrag des Angeklagten hat das  LG zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde verwarf das OLG Dresden mit Beschluss vom 27.03.2018 als unbegründet. Hiergegen richtete sich die Verfassungsbeschwerde. Die hatte Erfolg.

Das BVerfG nimmt zunächst auf seine bisherigen Rechtsprechung zu den anstehenden Fragen. Die fasst die PM zu der Entscheidung sehr schön zusammen:

„Die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte müssen daher alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. So ist im Falle der Entscheidungsreife über die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung zu beschließen und anschließend im Regelfall innerhalb von weiteren drei Monaten mit der Hauptverhandlung zu beginnen. Die Untersuchungshaft kann dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch Verfahrensverzögerungen verursacht ist, die ihre Ursache nicht in dem konkreten Strafverfahren haben und daher von dem Beschuldigten nicht zu vertreten, sondern vermeidbar und sachlich nicht gerechtfertigt sind. Entsprechend dem Gewicht der zu ahndenden Straftat können zwar kleinere Verfahrensverzögerungen die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung vermögen aber bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft zu dienen. Die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts kann insofern niemals Grund für die Anordnung der Haftfortdauer sein. Die Überlastung eines Gerichts fällt in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Dem Beschuldigten darf nicht zugemutet werden, eine längere als die verfahrensangemessene Aufrechterhaltung des Haftbefehls nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte nachzukommen.“

Und in der konkreten Sache heißt es dann – verkürzt: Passt nicht, müsste schneller arbeiten:

„2. Diesen Vorgaben genügt der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden nicht. Er enthält keine verfassungsrechtlich tragfähige Begründung, die eine weitere Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen könnte.

Das Verfahren ist nicht in der durch das Gewicht des Freiheitseingriffs gebotenen Zügigkeit gefördert worden. Der angegriffene Beschluss zeigt keine besonderen Umstände auf, die die Fortdauer der Untersuchungshaft verfassungsrechtlich hinnehmbar erscheinen lassen könnten. Er wird damit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründung von Haftfortdauerentscheidungen nicht gerecht.

a) Das Oberlandesgericht hat bereits nicht schlüssig begründet, warum es sich um einen besonderen Ausnahmefall handeln soll, der es rechtfertigt, dass das Landgericht erst ein Jahr und einen Monat nach Beginn der Untersuchungshaft und sieben Monate nach der Anklageerhebung mit der Hauptverhandlung begonnen hat.

aa) Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, warum es nach Anklageerhebung zwei Monate dauerte, bis das Landgericht eine weitere Strafkammer errichtet hatte, die das Verfahren übernehmen konnte. Die Belastungssituation der ursprünglich zuständigen 3. Großen Strafkammer des Landgerichts Dresden war aufgrund wiederholter Überlastungsanzeigen seit längerem bekannt, auch schon vor der Anklageerhebung im vorliegenden Verfahren und der hierdurch veranlassten, erneuten Überlastungsanzeige im April 2017, auf die der Präsident des Landgerichts wegen einer „dauerhaften Überlastung“ der 3. Großen Strafkammer im Juni 2017 reagierte. Diesen Zustand dauerhafter Überlastung hat nicht der Beschwerdeführer, sondern allein die Justizverwaltung zu vertreten, der es obliegt, die Gerichte rechtzeitig in einer Weise mit Personal auszustatten, die eine den rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Verfahrensgestaltung erlaubt. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht ist sie nicht nachgekommen.

bb) Auch die Errichtung der 16. Großen Strafkammer hat indes nicht dazu geführt, dass die vorliegende Haftsache ab Übernahme des Verfahrens zum 1. Juli 2017 innerhalb des durch das Beschleunigungsgebot gezogenen Rahmens bearbeitet und die bereits eingetretene Verfahrensverzögerung wirksam kompensiert worden ist (vgl. hierzu BVerfGK 12, 166 <168>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2016 – 2 BvR 1275/16 -, juris, Rn. 57).

Dabei ist nicht entscheidend, dass zwischen dem Eröffnungsbeschluss vom 21. November 2017 und dem Beginn der Hauptverhandlung am 6. Dezember 2017 nur wenige Tage lagen. Denn der Beschleunigungsgrundsatz beansprucht auch für das Zwischenverfahren nach den §§ 199 ff. StPO Geltung. In diesem Stadium muss das Verfahren ebenfalls mit der gebotenen Zügigkeit gefördert werden, um bei Entscheidungsreife über die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung zu beschließen und im Regelfall innerhalb von weiteren drei Monaten mit der Hauptverhandlung zu beginnen (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 – 2 BvR 2248/13 -, Rn. 35, juris). Dabei kann unentschieden bleiben, ob eine frühere Eröffnungsentscheidung mit dem ursprünglich vorgesehenen Beginn der Hauptverhandlung am 18. Oktober 2017 noch dem Beschleunigungsgebot genügt hätte. Jedenfalls erschließt sich aufgrund des Beschlusses des Oberlandesgerichts nicht, welche nachträglich zur Akte gelangten weiteren Ermittlungsergebnisse es erforderlich gemacht haben sollen, eine erneute Stellungnahmefrist vor der Eröffnungsentscheidung zu gewähren und den Beginn der Hauptverhandlung vom 18. Oktober 2017 um weitere sieben Wochen auf den 6. Dezember 2017 zu verschieben, sodass die Hauptverhandlung letztlich erst mehr als ein Jahr und einen Monat nach Beginn der Untersuchungshaft begonnen hat. Insbesondere enthalten weder der Beschluss des Oberlandesgerichts noch die Stellungnahme des Kammervorsitzenden Ausführungen dazu, warum die weiteren Ermittlungsergebnisse erst nachträglich zur Akte gelangt sind, ob diese die angeklagten Taten betrafen und für die Eröffnungsentscheidung erheblich waren.

b) Erst recht ist die bisherige Verhandlungsdichte nicht ausreichend, um den Anforderungen des Beschleunigungsgebots zu genügen. Seit Beginn der Hauptverhandlung am 6. Dezember 2017 hat die Strafkammer in dem unter anderem gegen den Beschwerdeführer gerichteten Verfahren im Schnitt weit weniger als einmal pro Woche verhandelt. Zweifelhaft ist auch, ob der Umstand, dass das vorliegende Verfahren in einem – vom Oberlandesgericht allerdings nicht näher dargestellten – sachlichen Zusammenhang mit weiteren, bei derselben Strafkammer anhängigen Strafverfahren steht, die Verzögerungen bis zum Beginn der Hauptverhandlung und die seither ungenügende Verhandlungsdichte zu kompensieren vermag. Sind bei derselben Strafkammer mehrere Verfahren gleichzeitig anhängig, die zwar sachlich zusammenhängen, aber gerade nicht miteinander verbunden worden sind (§ 4 StPO), kann dies nicht dazu führen, dass der Beschwerdeführer im Rahmen einer verfahrensübergreifenden „ganzheitlichen Betrachtung“ eine verzögerte Durchführung des gegen ihn gerichteten Verfahrens hinzunehmen hat. Überdies ist nicht erkennbar, inwiefern die getrennte Anklage und Verhandlung der im Zusammenhang stehenden Verfahren einer Verfahrensbeschleunigung dienen könnte oder bislang zu einer solchen Beschleunigung beigetragen hat.“

Nichts wesentlich Neues, aber ganz „brauchbar“ die Entscheidung 🙂 , weil Sie die Grundsätze der Rechtsprechung des BVerfG zur Überlastung noch einmal zusammenfasst. Mit solchen Entscheidungen kann man immer argumentieren. Wenn sie denn von den Fachgerichten gelesen werden. Und daran zweifle ich manchmal. So letztlich auch hier. Dass das nicht passen würde – 1 x/Woche Huaptverhandlung in einer U-Haft-Sache – lag m.E. auf der Hand. Warum die Kammer dann doch so schleppend verhandelt und das OLG das „Mäntelchen des Schweigens“ darüber deckt….., man, jedenfalls ich, verstehe es nicht.

„Sieben Monate beim BGH ist zu lang“, oder: Klatsche für den 1. Strafsenat vom KG

entnommen openclipart.org

Ich hatte ja vorhin über den BGH, Beschl. v. 23.01.2018 – 1 StR 36/17 – berichtet und darin dann die Frage gestellt, wie wohl das KG mit der Haftbeschwerde des inhaftierten Angeklagten, dessen Revisionsverfahren beim BGH nun schon (mehr) als sieben Monate gedauert hat, umgehen wird. Nun, die Antwort kann man im KG, Beschl. v. 17.01.2018 – 4 Ws 159 u. 160/17 nachlesen; besten Dank an Oliver Garcia für den Hinweis.

Das KG hat, was mich im Grunde nicht überrascht, den Haftbefehl gegen den Angeklagten aufgehoben. Es sieht in der Verfahrensweise (beim BGH) eine nicht hinnehmbare Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes. Und es findet, was mich dann überrascht, recht deutlich Worte, ja ähnlich wie das OLG Frankfurt im OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 03.02.2016 – 1 Ws 186/15 (dazu: „Fall Thomas Fischer“?, oder: Klatsche für ….?) betreffend den 2. Strafsenat. Den Beschluss des KG findet man auf der Homepage der Verteidiger, den Rechtsanwälten Eisenberg/König/Schork, in Berlin.

Und das KG findet recht drastisch Worte – interessant 🙂 wird es ab Seite 13 des Beschlusses:

  • Das Revisionsgericht ist in der Bearbeitung der Eingänge nicht frei.
  • Nicht nachvollziehbar, dass das Verfahren erst zwei Wochen nach Eingang dem Vorsitzenden vorgelegt worden ist.
  • Erstellung des Vorgutachtens des wissenschaftlichen Mitarbeiters innerhalb der Frist, die der GBA gebraucht hat, um die Revisionsrügen zu prüfen und Stellung zu nehmen, „gerade noch verfahrensangemessen“.
  • Durcharbeiten des Vorgutachtens und seine Prüfung durch Vorsitzenden und Berichterstatterin durfte nicht mehr als zwei Monate dauern.
  • „Beratungsreife“ hätte nach sechs Monaten eintreten müssen.

Fazit: Die vorgesehene (!) Beratung im Januar 2018 war ersichtlich zu spät, zumal nicht erkennbar ist, ob die angekündigten Gegenerklärungen rechtzeitig zu den Akten gelangen und zur Beratung vorliegen. Alles in allem: So zögerlich darf man in einem Revisionsverfahren, in dem sich der Angeklagte im Januar 2018 bereits „drei Jahre und sechs Monate“ in U-Haft befunden hat, nicht arbeiten. Folge für das KG: Aufhebung des Haftbefehls.

Nachdem meine Frage 2 aus dem Posting: Gut (?) Ding, will (lange) Weile haben, oder: Sieben Monate beim BGH ist auch in einer Haftssache nicht so schlimm, beantwortet ist, bleibt dann noch, wie der BGH nun mit der Verfahrensverzögerung umgehen wird. Vor allem: Sagt er überhaupt etwas dazu?

„Wir sind überlastet“, oder: Haftgrund „Überlastung“ gibt es nicht…..

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Und zum Schluss dann noch eine Haftentscheidung des BVerfG, nämlich den BVerfG, Beschl. v. 20.12.2017 – – 2 BvR 2552/17. Die Entscheidung behandelt zwei Themenkreise: Nämlich einmal den Beschleunigungsgrundsatz und dann die sog. „Begründungstiefe“ in Haftentscheidungen. Das BVerfG beanstandet eine Entscheidung des OLG Zweibrücken als nicht ausreichend begründet gemessen an den Maßstäben des BVerfG zur „kurzfristigen Überlastung“ und zur Begründung von Haftentscheidung: