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StPO III: Nur Vorsitzender lehnt Unterbrechung ab, oder: Zwischenrechtsbehelf erforderlich?

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Und als dritte Entscheidung dann noch der BayObLG, Beschl. v. 04.10.2024 – 205 StRR 323/24 – zur Erforderlichkeit des sog. Zwischenrechtsbehelfs in den Fällen des § 265 Abs. 4 StPO.

Das AG hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tatmehrheit mit Beleidigung verurteilt. Das AG hat die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des als unbegründet verworfen. Dagegen die Revision, die ebenfalls als unbegründet verowrfen worden ist.

Hier stelle ich zunächst nur die Ausführungen des BayObLG zur Verfahrensrüge vor, im Übrigen komme ich noch mal auf die Entscheidung zurück:

„Zu den Verfahrensrügen:

Die Rüge der Verletzung von § 265 Abs. 4 StPO ist im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässig erhoben. Die Entscheidung über den Aussetzungsantrag bzw. den hilfsweise gestellten Unterbrechungsantrag durch die Vorsitzende ist rechtsfehlerhaft. Auf diesem Fehler beruht jedoch im hier gegebenen konkreten Einzelfall die Verurteilung wegen einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt nicht, so dass die Rüge nicht zum Erfolg führt.

1. Der formellen Rüge lag folgender Verfahrensablauf zugrunde: Das Landgericht hat zur Berufungshauptverhandlung neben den der Verteidigung in der Ladung mitgeteilten Zeugen noch zwei weitere Zeugen nachgeladen. Die Verteidigung wurde hierüber vorab nicht, sondern erst im Hauptverhandlungstermin informiert. Die Verteidigung beantragte hierauf, die Aussetzung und hilfsweise die Unterbrechung des Verfahrens. Die Vorsitzende der Berufungskammer lehnte den Antrag ab.

2. Entgegen der Meinung der Generalstaatsanwaltschaft bedurfte es für die Erhebung einer zulässigen Rüge der Verletzung von § 265 Abs. 4 StPO nicht des Zwischenrechtsbehelfs nach § 238 Abs. 2 StPO.

a) Gemäß § 265 Abs. 4 StPO obliegt es nicht dem Vorsitzenden, sondern dem gesamten Spruchkörper, über eine Aussetzung oder als minderes Mittel über eine Unterbrechung nach § 265 Abs. 4 StPO zu beschließen. Bedarf aber eine Maßnahme in der Hauptverhandlung von vornherein eines Gerichtsbeschlusses, so ist schon der Anwendungsbereich des § 238 Abs.1 StPO nicht eröffnet und es besteht demgemäßkein Anlass für ein Verfahren nach § 238 Abs. 2 StPO. Dieses kann damit auch nicht Voraussetzung einer zulässigen Rüge im Revisionsverfahren sein (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober2011-3StR315/11, NStZ 2012, 585, 586 Rn. 9 zur identischen Rechtslage bei § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO; KK/Schneider, StPO, 9. Aufl. 2023, § 238 Rn. 31).

b) Einen Verstoß gegen § 265 Abs.4 StPO wegen einer kompetenzwidrigen Ablehnung der Anträge durch die Vorsitzende kann der Angeklagte daher mit der Revision auch dann geltend machen, wenn er diese Verfahrensweise in der Hauptverhandlung nicht gemäß § 238 Abs. 2 StPO beanstandet hatte.

3. Dass das Urteil hinsichtlich der Trunkenheitsfahrt auf diesem Rechtsfehler beruht, kann der Senat jedoch ausschließen:

a) Die beiden vom Landgericht ohne Ladungsmitteilung an den Verteidiger nachgeladenen Zeugen K. und G. waren im Ermittlungsverfahren polizeilich nicht förmlich vernommen worden. Beide hatten gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten lediglich angegeben, sie hätten gesehen, dass der Angeklagte auf der Dorfstraße mit dem Rad gegen den Randstein gefahren sei und „alleinbeteiligt“ auf die Straße/den Gehweg gestürzt sei. Die genannten Zeugen waren auch nicht zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht geladen worden und somit auch nicht vor dem Amtsgericht richterlich vernommen. Nach den Feststellungen des Landgerichts habe der Angeklagte zu Sache in der Hauptverhandlung angegeben, der Unfall habe sich ereignet, als er mit seinem Fahrrad auf der Dorfstraße gefahren sei und „aus Übermut“ mit dem Fahrradlenker kleine Schlenker gemacht habe. Er sei dann aus Versehen bei einem dieser Schlenker an den Randstein des Gehwegs gekommen und habe den Sturz nicht vermeiden können (UA S. 8). Die Kammer führte weiter aus, sie habe auf der Grundlage dieser geständigen Einlassung des Angeklagten nicht den geringsten Zweifel daran, dass der Angeklagte ohne jede Fremdbeteiligung bei einer Fahrt mit dem Fahrrad zu Sturz gekommen sei. Die Einlassung des Angeklagten werde im Übrigen durch die glaubhafte Aussage des Zeugen K. bestätigt. Der Zeuge G. habe keine Erinnerung mehr gehabt, ob er den Angeklagten vor dem Sturz noch auf dem Fahrrad gesehen habe (UA S. 9). Bei der Strafzumessung hat die Kammer zugunsten des Angeklagten sein Geständnis gewertet (UA S. 11).

b) Die Verurteilung des Angeklagten beruht demnach hinsichtlich der Feststellung des Tatbestandsmerkmals des Führens eines Fahrzeugs im Straßenverkehr auf dem Geständnis des Angeklagten, an dessen Glaubhaftigkeit die Kammer „nicht den geringsten Zweifel“ hegte. Es kam somit nicht auf die Angaben der beiden Zeugen in der Berufungshauptverhandlung an. Der Zeuge G. hatte zudem zur Fahrt des Angeklagten auf dem Rad überhaupt keine Erinnerung mehr und der Zeuge K. bestätigte lediglich das Geständnis des Angeklagten. Er machte sonst keine ergänzenden Angaben. Zusätzlich ist bei der hier gegebenen sehr umgrenzten Wahrnehmung der Zeugen nicht ersichtlich, welche an die Zeugen zu richtenden Fragen und Vorhalte mit dem Angeklagten vor der Vernehmung der Zeugen besprochen werden sollten, zumal der Angeklagte in der Hauptverhandlung bereits vor der Zeugenvernehmung das Führen des Fahrrads im Verkehr eingeräumt hatte. Auch die Revision trägt insoweit nur pauschal vor, es sei notwendig gewesen, sich mit dem Angeklagten über die Zeugen zu unterhalten und mögliche Fragen an die Zeugen mit dem Angeklagten vorzubereiten bzw. abzustimmen. Bei dieser besonderen Sachlage kann es der Senat ausschließen, dass die diesbezügliche Verurteilung auf der Verweigerung einer Aussetzung oder Unterbrechung zur Vorbereitung auf die Aussage der genannten Zeugen beruht.

4. Die Rüge der Verletzung von § 338 Nr. 8 StPO i.V.m. § 265 Abs. 4 StPO ist ebenfalls unbegründet, weil die diesbezügliche Verurteilung nicht auf einem möglichen Rechtsfehler beruht.

a) Nach – zutreffender – herrschender Ansicht stellt § 338 Nr. 8 StPO trotz seiner Stellung in § 338 StPO keinen absoluten Revisionsgrund dar. Nach dem Wortlaut, der die Anwendung der Vorschrift auf die Fälle begrenzt, in denen die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt unerlaubt beschränkt worden ist, sind nur Rechtsfehler angesprochen, auf denen das Urteil beruht oder beruhen kann (KK/Gericke, StPO, 9. Aufl. 2023, § 338 Rn. 101).

b) Ein Beruhen kann der Senat aus den oben genannten Gründen ausschließen.“

StPO I: Nichtöffentliche Belehrung von Zeugen, oder: „Beruhen“ denkgesetzlich ausgeschlossen

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Es ist (immer) noch warm, aber lamentiert wird nicht. Es ist ja schließlich Sommer 🙂 . Und auch im Sommer wird gearbeitet. Hier heute mit drei StPO-Entscheidungen.

Zunächst gibt es – zum Warmwerden 🙂 – das BGH, Urt. v. 22.03.2023 – 1 StR 243/22 -, das sich mal wieder mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit befasst.

Das LG hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung verurteilt. Dagegen die Revision, mit der die Rüge der Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung erhoben worden ist. Beanstandet worden ist die Belehrung mehrerer Zeugen während des Ausschlusses der Öffentlichkeit. Im Ergebnis ohne Erfolg:.

„1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

Der Nebenklagevertreter beantragte in der Hauptverhandlung vom 28. März 2022, für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägerin die Öffentlichkeit auszuschließen. Diesem Antrag gab das Landgericht mit Beschluss vom selben Tag statt. Zur Begründung stützte es sich auf § 171b Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GVG und führte aus, die Nebenklägerin sei Geschädigte einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, sodass schutzwürdige Umstände aus ihrem privaten Lebensbereich zur Sprache kämen; angesichts ihres Antrages sei der Ausschluss zwingend.

Nachdem die Nebenklägerin anschließend unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgesagt hatte und als Zeugin entlassen worden war, wurden vier weitere Zeugen in den Sitzungssaal gebeten und gemäß § 57 StPO belehrt. Anschließend verließen die Zeugen mit Ausnahme des Zeugen W.    den Sitzungssaal; dann wurde die Sitzung in öffentlicher Hauptverhandlung fortgesetzt.

2. a) Die Verfahrensrüge ist zulässig erhoben.

Der Beschwerdeführer war nicht gehalten, sich im Rahmen seines Rügevortrags (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) mit der Frage auseinanderzusetzen, wie es den Zeugen trotz Ausschlusses der Öffentlichkeit gelingen konnte, den Sitzungssaal zu betreten. Da die Öffentlichkeit erst mit entsprechender Anordnung des Vorsitzenden wiederhergestellt wird, was nach dem Protokoll (§ 272 Nr. 5, § 274 StPO) erst nach der Zeugenbelehrung geschah (Bd. III, Bl. 313), kommt dem Umstand, ob die Tür(en) zum Sitzungssaal nicht versperrt waren, keine Bedeutung zu.

b) Die auf § 338 Nr. 6 StPO gestützte Rüge ist unbegründet. Der von der Revision geltend gemachte Verstoß liegt zwar vor; ein Einfluss des Verfahrensfehlers auf das Urteil ist aber „denkgesetzlich“ ausgeschlossen.

aa) Der Ausschluss der Öffentlichkeit während der Belehrung der vier Zeugen verstößt gegen § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG i.V.m. § 57 Satz 1, 2 StPO; denn er war nicht durch den Beschluss des Landgerichts nach § 171b GVG gedeckt. Zwar umfasst der Ausschluss der Öffentlichkeit, der sich auf einen bestimmten Verfahrensabschnitt wie die Dauer der Vernehmung einer Beweisperson beschränkt, nach ständiger Rechtsprechung alle Verfahrensvorgänge, die mit der Vernehmung in enger Verbindung stehen oder sich aus ihr entwickeln und die daher zu diesem Verfahrensabschnitt gehören (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 31. Mai 2017 – 2 StR 428/16 Rn. 6 und vom 12. November 2015 – 5 StR 467/15, BGHR StPO § 338 Nr. 6 Ausschluss 6 Rn. 6; jeweils mwN). Die Belehrung der Zeugen stand jedoch ersichtlich in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Vernehmung der Nebenklägerin.

bb) Dieser Verfahrensverstoß führt jedoch ausnahmsweise nicht zur Aufhebung des Urteils.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt ein Verstoß gegen die Regeln der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung nicht zur Aufhebung des Urteils, wenn ein Einfluss des Verfahrensfehlers auf das Urteil „denkgesetzlich“ ausgeschlossen ist (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 25. Juli 1995 – 1 StR 342/95 Rn. 8 f., BGHR StPO § 338 Nr. 6 Ausschluss 3; vom 21. März 2012 – 1 StR 34/12, BGHR StPO § 54 Abs. 1 Aussagegenehmigung 1; vom 19. Juli 2007 – 3 StR 163/07 Rn. 5, BGHR StPO § 338 Beruhen 2 und vom 2. Februar 1999 – 1 StR 636/98; Urteil vom 4. Dezember 2007 – 5 StR 404/07 Rn. 12, BGHR StPO § 338 Nr. 6 Ausschluss 5).

So liegt der Fall hier: Das Gericht hat seiner Entscheidung allein die Angaben der Zeugen zugrunde gelegt, die sie in öffentlicher Hauptverhandlung getätigt haben. Dass das Urteil auf der unter Verstoß gegen die Vorschriften der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung erfolgten Zeugenbelehrung beruht, ist unter jedem denkbaren Gesichtspunkt ausgeschlossen, da die Zeugen tatsächlich belehrt wurden, sodass der Aussageinhalt davon nicht beeinflusst worden sein kann. Zudem handelt es sich bei § 57 StPO lediglich um eine Ordnungsvorschrift, die dem Schutz des Zeugen dient und den Rechtskreis des Angeklagten nicht berührt, sodass auf das Unterbleiben der Belehrung eine Revision nicht gestützt werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Dezember 2021 – 5 StR 329/21 Rn. 15 und vom 19. Dezember 2001 – 3 StR 427/01 Rn. 4; Urteile vom 27. November 1968 – 3 StR 282/68 Rn. 4 und vom 7. Juli 1997 – 5 StR 17/97 Rn. 18; je mwN). Um einen Wertungswiderspruch zu vermeiden, muss dies erst recht gelten, wenn Zeugen lediglich unter Verstoß gegen § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG belehrt worden sind.2

Na ja.

Absprache II: Lag ein Verständigungsgespräch vor?, oder: Nochmals Anforderungen an die Mitteilung

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Auch in der zweiten Entscheidung zum Komplex „Verständigung“ geht es um die Verständigungsmitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO. Dazu hat der OLG Hamburg, Beschl. v. 19.12.2022 – 2 Rev 28/22 – Stellung genommen.

Der in dem Verfahren erhobenen Verfahrensrüge lag folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

„a) Der Rüge liegt ? soweit für die Entscheidung von Bedeutung ? folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Zu Beginn der Hauptverhandlung vom 23. Februar 2021 bat der Verteidiger um ein Rechtsgespräch. Dieses fand sodann unter Ausschluss des Angeklagten und der Öffentlichkeit im Beisein des Vorsitzenden, der Schöffen und des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft statt. Der Vorsitzende teilte mit, dass er – entgegen seiner damaligen Einschätzung – angesichts der positiven Entwicklung die Verhängung einer unbedingten Jugendstrafe nicht mehr für erforderlich halte. Ob dies ein Schuldspruch, eine Vorbewährung oder etwas anderes sei, könne er noch nicht sagen. Der Verteidiger schlug eine geständige Einlassung mehrerer Taten vor, welche etwas mehr als zwei Drittel des Gesamtschadens abdeckten; die übrigen Taten sollten dann eingestellt werden. Für diese Einlassung sollte als Rechtsfolge neben der Wiedergutmachung des Schadens Erziehungsmaßregeln ausgeurteilt werden. Weder der Vorsitzende noch der Vertreter der Staatsanwaltschaft stimmten dem zu. Der Vorsitzende erklärte, dass er insbesondere etwas zur Motivation des Angeklagten, wie insbesondere im Jugendstrafrecht üblich, erfahren wolle, um eine geeignete Rechtsfolge zu bestimmen. Eine Verständigung wollte der Vorsitzende – ausweislich seiner vom Senat eingeholten dienstlichen Stellungnahme – nicht treffen und habe dies auch geäußert.

In der am 16. März 2021 durchgeführten Sitzung regte der Verteidiger erneut ein Rechtsgespräch unter Ausschluss des Angeklagten an. Dieses wurde nach Unterbrechung der Hauptverhandlung in Anwesenheit des Vorsitzenden, des Vertreters der Staatsanwaltschaft sowie der Schöffen geführt. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft regte aufgrund der nach seiner Auffassung erdrückenden Beweislast eine geständige Einlassung des Angeklagten an, da dies auf seine Beurteilung über das Vorhandensein von schädlichen Neigungen Einfluss haben könnte. Der Vorsitzende gab dazu keine Erklärung ab. Der Verteidiger erklärte, dass er dies mit dem Angeklagten besprechen werde, was er – wie zuvor auch – tat.

Über keines der außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gespräche wurde in der Hauptverhandlung berichtet. Vielmehr stellte der Vorsitzende nach Verlesung der Anklageschrift und vor Schluss der Beweisaufnahme fest, dass keine Verständigungsgespräche stattgefunden haben.“

Dem OLG reicht das nicht:

„c) Hiernach erfüllte der Vorsitzende seine verständigungsspezifischen Mitteilungs- und Dokumentationspflichten nicht.

Ein Verständigungsgespräch liegt dann vor, wenn nach seinem Inhalt ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verfahrensabsprache im Raum steht. Ob dies der Fall ist, ist maßgeblich danach zu beurteilen, ob in dem Gespräch Verfahrensfragen erörtert und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung nahe liegt (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10; BVerfG NJW 2020, 2461; BGH NStZ-RR 2022, 355; BGH wistra 2022, 384; BGH NStZ 2022, 55). Abzugrenzen sind solche Erörterungen, bei denen ein Verfahrensergebnis einerseits und ein prozessuales Verhalten des Angeklagten andererseits in ein Gegenseitigkeitsverhältnis im Sinne von Leistung und Gegenleistung gesetzt werden, von sonstigen verfahrensfördernden Gesprächen, die nicht auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung abzielen (vgl. BGH NStZ 2020, 237; BGH, Beschluss vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15). Auch kann die Abgrenzung zwischen einem reinen Aufzeigen der jeweils eigenen Standpunkte und dem Einstieg, wie diese möglicherweise in Einklang gebracht werden können fließend sein. Im Zweifel ist ein solches Gespräch mitzuteilen (vgl. LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 243 Rdn. 57).

Die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO gehört dabei zu den vom Gesetzgeber zur Absicherung des Verständigungsverfahrens normierten Transparenz- und Dokumentationsregeln, durch die gewährleistet werden soll, dass Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung stets in öffentlicher Hauptverhandlung zur Sprache kommen, so dass für informelles und unkontrollierbares Verhalten unter Umgehung der strafprozessualen Grundsätze kein Raum verbleibt (vgl. BGH StraFo 2022, 436; BGH, Beschluss vom 12. Januar 2022 – 4 StR 209/21; BGH StV 2018, 6; BGHSt 60, 150; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 243 Rdn. 55).

Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO hat der Vorsitzende daher nach Verlesung des Anklagesatzes über Erörterungen gemäß §§ 202a, 212 StPO zu berichten, die vor der Hauptverhandlung stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist. Kommt es zu solchen Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung, so hat der Vorsitzende nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO auch dies bekanntzugeben (vgl. BGH NStZ-RR 2020, 87; BGH StV 2021, 3). Alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit sollen daher nicht nur darüber informiert werden, dass Erörterungen stattgefunden haben, sondern auch darüber, wer an den Gesprächen teilgenommen hat, welche Standpunkte von den Teilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. BVerfGE 133, 168; BVerfG NJW 2020, 2461; BGHSt 59, 252; BGH NStZ-RR 2022, 80; BGH NStZ 2021, 506; BGH NStZ-RR 2021, 180; BGH StV 2021, 3). Diese Umstände sind auch im Fall erfolgloser Verständigungsbemühungen mitzuteilen (vgl. BVerfG NJW 2020, 2461; BGHR StPO § 257c Abs. 1 Erörterungen 1; BGH StraFo 2022, 436; BGH NStZ 2020, 751; BGH NStZ 2014, 416; BGH, Beschluss vom 19. Juli 2022 – 4 StR 64/22), und zwar regelmäßig alsbald nach der Fortsetzung der Hauptverhandlung (vgl. BGH NStZ 2022, 761; BGH NStZ 2018, 419; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 243 Rdn. 56).

An diesen Grundsätzen gemessen traf den Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts eine Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Satz 1 StPO. Jedenfalls bei der Unterredung am 23. Februar 2021 wurde durch den Verteidiger eine Verknüpfung zwischen einem möglichen Geständnis, also dem prozessualem Verhalten des Angeklagten, und dem Verfahrensergebnis hergestellt. Die Erörterung ging damit über die bloße Darstellung der eigenen Meinung hinaus und es handelte sich nicht lediglich um „Sondierungsgespräche“ ohne Bezug zu einer einverständlichen Verfahrenserledigung. Dass der Vorsitzende, wie dieser in seiner dienstlichen Stellungnahme dargelegt hat, an keiner Verständigung interessiert war, nimmt dem Begehren des Verteidigers nicht den auf eine Verständigung und damit mitteilungspflichtigen gerichteten Inhalt. Dies gilt auch für den Umstand, dass der Vorsitzende das Gespräch selbst nicht als mitteilungspflichtig eigeschätzt hat.

Auch das Gespräch vom 16. März 2021 war konkludent auf eine Verständigung gerichtet. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft verband ein Geständnis mit der Prüfung, ob schädliche Neigungen beim Angeklagten vorgelegen haben und damit mit der zu verhängenden Rechtsfolge. Insbesondere auch im Licht des vorherigen Rechtsgesprächs handelte es sich um eine mitteilungspflichtige Erörterung, auch wenn sich der Vorsitzende zu dem Vorschlag der Staatsanwaltschaft nicht geäußert hat.

d) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf der unzulänglichen Mitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO beruht…..“

Es erscheint möglich, dass der Verstoß gegen die Mitteilungspflicht das Einlassungsverhalten des Angeklagten beeinflusst hat. Darauf, dass dieser von seinem Verteidiger über Äußerungen unterrichtet wurde, kommt es nicht an, weil eine von Verständnis und Wahrnehmung des Verteidigers beeinflusste Information die gesetzlich vorgeschriebene Unterrichtung durch das Gericht nicht ersetzen kann (vgl. BVerfG NJW 2020, 2461; BGHSt 58, 310; BGHSt 59, 252; BGH NStZ 2017, 244).

Zudem darf die Frage des Beruhens des Urteils auf dem Verstoß gegen § 243 Abs. 4 StPO nicht nur unter dem Gesichtspunkt einer Einwirkung auf das Aussageverhalten des Angeklagten beurteilt werden. Hierdurch wird die Bedeutung der Transparenzvorschriften für die Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit, die auch dem Schutz des Angeklagten vor sachfremder Beeinflussung durch das Gericht und damit der Verfahrensfairness dient, ausgeblendet. Der auf die Kontrolle durch die Öffentlichkeit abzielende Schutzgehalt des § 243 Abs. 4 StPO beansprucht unabhängig vom Aussageverhalten des Angeklagten Geltung und muss bei der Beruhensprüfung stets Berücksichtigung finden (vgl. BVerfG NJW 2020, 2461). Auch insoweit liegt hier kein Ausnahmefall vor, bei dem zweifelsfrei ein Einfluss des Verfahrensfehlers auf das Urteil ausgeschlossen werden könnte.

Hiernach konnte dahinstehen, ob auch die verständigungsbezogenen Erörterungen, die am 27. Oktober 2021 ohne den Angeklagten vor der Aussetzung der ursprünglich angesetzten Hauptverhandlung stattgefunden haben, in der neuen Hauptverhandlung mitzuteilen waren (so aber BGH NStZ 2022, 371).

III.

Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:

1.Im Jugendstrafverfahren sind Verständigungen nur in besonderen Ausnahmenfällen angezeigt, da ihnen die besonderen jugendstrafrechtlichen Strafzumessungsregeln und Aspekte des Erziehungsgedankens in der Regel entgegenstehen werden (vgl. BT-Drs. 16/12310 S. 10; KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, 8. Aufl., § 257c Rdn. 12). Für sie war hier angesichts der vorliegenden Beweislage ohnehin kein Raum.

2.Darüber hinaus sollte der Vollstreckungsstand der durch Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek vom 30. Juli 2019 verhängten Sanktion eindeutig wiedergegeben werden. Zudem sollte unzweifelhaft zu erkennen sein, ob eine – nachträgliche – Einheitsjugendstrafe gebildet wurde.

3. Schließlich wird die Staatsanwaltschaft zu prüfen haben, ob die vorläufig eingestellten Taten wieder aufgenommen werden sollten, um so – im Falle ihrer Erweislichkeit – dem Tatrichter eine insgesamt schuldangemessene Bestrafung zu ermöglichen.

4. Für den Fall, dass sich der neue Tatrichter die Überzeugung von einem strafbaren Verhalten des Angeklagten verschafft, wird er auch die Kompensation etwaiger rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung.

StPO III: Der fehlende Schlussvortrag des Nebenklägers, oder: Er fehlt, aber darauf beruht das Urteil nicht.

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Und zum Tagesschluss dann noch etwas zum Nebenkläger, nämlich zum Schlussvortrag des Nebenklägers. Dazu der BGH, Beschl. v. 09.12.2021 – 4 StR 162/21, der zwar beanstandet, dass die Nebenklägerin keinen Schlussvortrag halten konnte. Aber: Darauf beruht das Urteil nicht:

„Die in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht nicht anwaltlich vertretene Nebenklägerin macht zu Recht geltend, dass ihr nicht die Möglichkeit eingeräumt wurde, gemäß § 258 Abs. 1 i.V.m. § 397 Abs. 1 Satz 3 StPO einen Schlussvortrag zu halten. Der Senat vermag aber unter den hier gegebenen Umständen auszuschließen, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).

Ein Urteil beruht auf einem Rechtsfehler, wenn es möglich erscheint oder nicht auszuschließen ist, dass es ohne den Rechtsfehler anders ausgefallen wäre. An dem Beruhen fehlt es nur, wenn die Möglichkeit, dass der Verstoß das Urteil beeinflusst hat, ausgeschlossen oder rein theoretisch ist. Insbesondere bei Verstößen gegen das Verfahrensrecht hängt die Entscheidung über das Beruhen stark von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 – 3 StR 470/14, NStZ 2016, 221 Rn. 17; Beschluss vom 19. August 2010 – 3 StR 226/10, wistra 2011, 73, 74; Knauer/Kudlich in: MüKo-StPO § 337 Rn. 129; Franke in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 337 Rn. 181 mwN). Dabei ist hier zu berücksichtigen, dass die für die Versagung des letzten Wortes des Angeklagten nach § 258 Abs. 3 StPO entwickelten strengen Maßstäbe nicht ohne Weiteres auf die Nichteinräumung des Rechtes des Nebenklägers auf einen Schlussvortrag nach § 258 Abs. 1 StPO übertragen werden können (vgl. dazu BGH, Urteil vom 11. Juli 2001 – 3 StR 179/01, NStZ 2001, 610 [zum Erwiderungsrecht des Nebenklägers nach § 258 Abs. 2 StPO]). Denn beide Verfahrensrechte haben ein unterschiedliches Gewicht. Auch ist in Betracht zu ziehen, dass der Nebenkläger das Urteil nur in Bezug auf bestimmte Delikte und nicht mit dem Ziel einer anderen Rechtsfolge angreifen kann (§ 400 Abs. 1 StPO), so dass sich die Frage des Beruhens auf den Schuldspruch beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 2001 – 3 StR 179/01, aaO).

Die Betrachtung der Umstände des Einzelfalls in der vorliegenden Sache zeigt, dass das Urteil im Schuldspruch nicht anders ausgefallen und der Angeklagte nicht wegen eines (weiteren) Nebenklagedelikts verurteilt worden wäre, wenn die Nebenklägerin die Möglichkeit gehabt hätte, einen Schlussvortrag nach § 258 Abs. 1 StPO zu halten.

a) Die Strafkammer hat angenommen, dass der Angeklagte nur mit Körperverletzungsvorsatz handelte, als er der Tochter der Nebenklägerin mit einer PET-Flasche wuchtig in das Gesicht schlug. Dabei vertraute er darauf, dass sich die in der Folge verstorbene Geschädigte von dieser Verletzung wieder erholen werde. Zur Begründung hat das Landgericht dabei unter anderem darauf abgestellt, dass es in der Vergangenheit mehrfach zu vergleichbaren Misshandlungen ohne schwerwiegende Folgen gekommen war. Die Nebenklägerin, die in der Hauptverhandlung zur Tatvorgeschichte als Zeugin vernommen wurde und deren Angaben in die Bewertung des Verhältnisses zwischen dem Angeklagten und dem Tatopfer eingeflossen sind, hat diese Erwägungen in ihrer Revisionsbegründung nicht in Frage gestellt. Dass von ihr in einem Schlussvortrag gleichwohl Gesichtspunkte vorgebracht worden wären, die das Landgericht zur Annahme eines (bedingten) Tötungsvorsatzes veranlasst hätten, ist mit Blick hierauf, aber auch mit Rücksicht auf die Beweislage, nur theoretischer Natur.

b) Soweit die Nebenklägerin mit ihrer Revision geltend macht, der Angeklagte hätte jedenfalls wegen Totschlags oder Mordes durch Unterlassen verurteilt werden müssen, weil er nach der Misshandlung des Tatopfers in Kenntnis der bestehenden Todesgefahr keine Hilfe geholt habe, vermag der Senat gleichfalls auszuschließen, dass von ihr in einem Schlussvortrag noch Gesichtspunkte angeführt worden wären, die zu einer entsprechenden Verurteilung des Angeklagten geführt hätten.

Die sachverständig beratene Strafkammer vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass der Angeklagte Rettungsmaßnahmen in der Annahme unterließ, er werde die Geschädigte durch sein Nichtstun in eine lebensbedrohliche Lage bringen. Denn sie konnte bereits nicht feststellen, wie groß die Zeitspanne zwischen der Misshandlung des Tatopfers durch den Angeklagten und dem Todeseintritt war. Auch ließen sich keine Feststellungen dazu treffen, ob die Geschädigte in dieser Zeit Merkmale aufwies, die auf einen bedrohlichen Gesundheitszustand hindeuteten. Bei dieser Beweislage ist nicht ersichtlich, durch welche Erwägungen die Überzeugung zu begründen wäre, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz von Rettungsmaßnahmen abgesehen.

Auch den Ausführungen der Nebenklägerin zu dem von ihr beabsichtigten Vorbringen lässt sich dazu nichts entnehmen. Vielmehr wird darin ein Beruhenszusammenhang gerade nicht aufgezeigt. Soweit sie vorträgt, sie hätte „richtigstellen können“, dass der Angeklagte der Geschädigten zuvor massiv nachgestellt und sie auch einseitig misshandelt habe, betrifft dies nur die Tatvorgeschichte. Ihr nicht näher spezifiziertes Vorbringen, der Angeklagte habe sich schuldig gemacht, weil er keine Hilfe geholt habe, führt ebenfalls zu keiner anderen Bewertung. Die an anderer Stelle – in der Begründung einer nicht zulässig erhobenen Aufklärungsrüge – angestellten Erwägungen der Nebenklägerin zu einem möglichen Motiv des Angeklagten für sein Nichtstun (Verstoß gegen das Annäherungsverbot) betreffen nicht den von der Strafkammer bei der Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes für maßgeblich erachteten Gesichtspunkt der Nichterkennbarkeit einer Lebensgefahr. Sie wären daher, ihr Vorbringen durch die Nebenklägerin in ihrem Schlussvortrag unterstellt, ebenfalls unbehelflich gewesen.“

StPO II: Mitteilungspflicht beim „Deal“ verletzt, aber: Kein Beruhen

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In der zweiten Entscheidung, dem BGH, Beschl. v. 16.09.2020 – 5 StR 249/20 – geht es mal wieder um die Mitteilungspflicht (§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO):

Der Erörterung bedarf ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts lediglich die Verfahrensrüge der Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO.

1. Mit dieser Rüge beanstandet die Revision, die Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer habe drei Gespräche mit einem der Verteidiger des Angeklagten, die sie am 3. Juli und 4. Juli 2018 sowie am 9. Januar 2020 mit dem Ziel der Verständigung geführt habe, in der Hauptverhandlung nicht mitgeteilt.

Der Rüge liegt nach dem – in der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft unwidersprochen gebliebenen – Vortrag der Revision folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Nach Zustellung der Anklageschrift am 29. Juni 2018 rief die Vorsitzende Richterin am 3. Juli 2018 bei dem Verteidiger Rechtsanwalt S. an. In dem Telefonat teilte sie eine Verlängerung der Erklärungsfrist nach § 201 Abs. 1 Satz 1 StPO bis Ende August 2018 und ihre Einschätzung mit, dass sich die Sache für eine Verständigung eigne und bei streitiger Verhandlung wohl erst ab Januar 2019 terminiert werden könne. Der Verteidiger erklärte, erst mit seinem Mandanten sprechen zu müssen und noch keine belastbare Aussage treffen zu können. Am Folgetag begegneten sich die Vorsitzende Richterin und Rechtsanwalt S. , als dieser auf der Geschäftsstelle des Landgerichts Akteneinsicht nahm. Sie sprach ihn nochmals darauf an, dass er sich melden solle, falls er ein Verständigungsgespräch wünsche. Dabei äußerte sie die Auffassung, dass man die Anklage auf die ersten beiden Anklagepunkte beschränken könne und ein Geständnis aufgrund des Umfanges der Sache außerordentlich strafmildernd sei.

Nach einem Termin zur Verkündung eines gegen den Angeklagten erlassenen Haftbefehls suchte der Verteidiger Rechtsanwalt . S. am 9. Januar 2020 das Dienstzimmer der Vorsitzenden Richterin auf. Sie sprach ihn erneut auf die Möglichkeit einer Verständigung an. Auf seine Erklärung, eine Verständigung käme nur dann in Betracht, wenn der Haftbefehl aufgehoben würde, erwiderte die Vorsitzende, dass sie sich dies vorstellen könne.

Im Hauptverhandlungstermin vom 15. Januar 2020 teilte die Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO mit, dass zwischen den Verfahrensbeteiligten keine verständigungsbezogenen Gespräche geführt worden seien. Sie erklärte weiterhin, Rechtsanwalt Sc. in einem Gespräch Ende 2019, in dem dieser angekündigt habe, sich als weiterer Verteidiger bestellen zu lassen, darauf hingewiesen zu haben, dass im Falle eines Geständnisses des Angeklagten eine geringere Strafe in Aussicht gestellt und eventuell das Verfahren gemäß § 154 StPO bezüglich einzelner Anklagefälle eingestellt werden könne.

Am 5. Februar 2020 kam es auf Anregung des Verteidigers Rechtsanwalt S. zwischen den Verfahrensbeteiligten zu einem Verständigungsgespräch außerhalb der Hauptverhandlung, in dem er darauf hinwies, dass für den Angeklagten die Aufhebung des Haftbefehls Hauptbedingung einer Verständigung sei. Diese Voraussetzung wurde von Seiten des Gerichts und der Staatsanwaltschaft akzeptiert. In der Hauptverhandlung vom 12. Februar 2020 teilte die Vorsitzende den Inhalt des von ihr in der Akte dokumentierten Verständigungsgesprächs mit. Der damit verbundene Verständigungsvorschlag der Wirtschaftsstrafkammer sah unter anderem vor, dass bei einer geständigen Einlassung des Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen vier Jahren und vier Jahren und sechs Monaten verhängt, mehrere Anklagepunkte gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt und der Haftbefehl (mit der Urteilsverkündung) aufgehoben werden sollte.

Nachdem in der Hauptverhandlung am 19. Februar 2020 die Belehrung des Angeklagten nach § 257c Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 StPO erfolgt und durch seine Zustimmung und die der Vertreterin der Staatsanwaltschaft die vorgeschlagene Verständigung gemäß § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO zustande gekommen war, ließ sich der Angeklagte am 4. März 2020 geständig ein.

2. Bei dem geschilderten Verfahrensablauf liegt eine Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO vor.

Die Mitteilung der Vorsitzenden der Strafkammer, wonach verständigungsbezogene Erörterungen nicht stattgefunden hätten, war unzutreffend. Sie hätte vielmehr über die vor der Hauptverhandlung stattgefundenen Gespräche berichten müssen, soweit deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist. Dies war – anders als in dem ersten Telefonkontakt vom 3. Juli 2018, der organisatorischen Hintergrund hatte und zur Klärung der Terminierungsfrage nur eine unverbindliche Fühlungsaufnahme darstellte – bei den Gesprächen am 4. Juli 2018 und am 9. Januar 2020 der Fall (vgl. zur Mitteilungspflicht gemäß § 243 Abs. 4 StPO bei Sondierungsgesprächen BGH, Urteile vom 14. April 2015 – 5 StR 20/15, NStZ 2015, 537, 538; vom 28. Juli 2016 – 3 StR 153/16, NStZ 2017, 52, 53; Beschluss vom 10. Mai 2016 – 1 StR 571/15, NStZ 2016, 743, 744). Denn insoweit war zwar bei beiden Unterredungen ein möglicher Inhalt einer Verständigung noch wenig konkret. Jedoch war die Ablegung eines Geständnisses mit den einer Verständigung zugänglichen Gesichtspunkten einer Beschränkung der Anklagevorwürfe und der Haftfrage verbunden worden.“

Aber: Kein Beruhen:

„3. Der Senat kann indes ein Beruhen des Urteils auf einer Verletzung der Mitteilungspflichten ausschließen (§ 337 Abs. 1 StPO).

Zwar führt ein Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit einer Verständigung mit der Folge, dass ein Beruhen des Urteils auf dem Gesetzesverstoß regelmäßig nicht auszuschließen ist (BVerfGE 133, 168, 223). Hier kann aber ausnahmsweise unter Berücksichtigung von Art und Schwere des Verstoßes (BVerfG, NJW 2015, 1235; BGH, Urteil vom 14. April 2015 – 5 StR 20/15, aaO; Beschlüsse vom 5. August 2015 – 5 StR 255/15, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilungspflicht 5; vom 24. Juli 2019 – 1 StR 656/18, NStZ 2020, 93, 94) ein Ausschluss des Beruhens angenommen werden. In die wertende Gesamtbetrachtung war insbesondere einzubeziehen, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung vom 12. Februar 2020 durch die Vorsitzende über den Inhalt und das Ergebnis eines auf Anregung seines Verteidigers geführten Verständigungsgesprächs informiert worden war‘ das schließlich Grundlage der Verfahrensabsprache wurde. Der Inhalt dieses Verständigungsgesprächs vom 5. Februar 2020 umfasste auch die in den zuvor am 4. Juli 2018 und 9. Januar 2020 geführten Gesprächen angesprochenen Gesichtspunkte einer Beschränkung der Anklagevorwürfe bzw. der Haftfrage. Der Informationsgehalt jener gleichsam überholten Gespräche ging mithin nicht über den der zur Verfahrensabsprache führenden Erörterung hinaus. Hinzu kommt, dass die Vorsitzende mit ihrem zu Beginn der Hauptverhandlung am 15. Januar 2020 gegebenen Hinweis auf das Ende 2019 mit dem weiteren Verteidiger geführte Gespräch die Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit über eine mögliche Beschränkung der Anklagevorwürfe im Falle eines Geständnisses unterrichtet hatte. Daher erscheint es ausgeschlossen, dass ein beim Angeklagten bestehendes Informationsdefizit über Inhalt und Verlauf der Gespräche vom 4. Juli 2018 und 9. Januar 2020 seine Rechtsstellung und seine Verteidigungsmöglichkeiten beeinträchtigt haben könnte oder sonst der Prozessverlauf aufgrund der stattgefundenen Gespräche beeinflusst worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2015 – 5 StR 20/15, aaO; Beschluss vom 10. Mai 2016 – 1 StR 571/15, aaO).

Auch eine Beeinflussung der Entscheidungsfindung durch eine unzureichende Unterrichtung der Öffentlichkeit, deren Informationsbedarf die Vorschrift des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO zugleich schützt, ist auszuschließen. Denn auch nach dem Revisionsvortrag war der Inhalt der am 4. Juli 2018 und 9. Januar 2020 geführten Gespräche nicht auf die Herbeiführung einer gesetzwidrigen Absprache gerichtet. Eine Beeinträchtigung des Schutzkonzepts der Vorschriften der § 243 Abs. 4, § 273 Abs. 1a und § 257c StPO, durch die sichergestellt werden soll, dass kein informelles und unkontrolliertes Verfahren betrieben wird, drohte nicht (vgl. zu dieser Voraussetzung für einen ausnahmsweise anzunehmenden Beruhensausschluss BVerfGE 133, 168, 223 f.; BVerfG, NJW 2015, 1235, 1237; Beschluss vom 16. Februar 2016 – 2 BvR 107/16; BGH, Urteil vom 14. April 2015 – 5 StR 20/15, aaO; Beschlüsse vom 15. Januar 2015 – 1 StR 315/14, BGHSt 60, 150, 153 f.; vom 10. Dezember 2015 – 3 StR 163/15; vom 24. Juli 2019 – 1 StR 656/18, aaO, mwN). Vielmehr war auch die Öffentlichkeit durch die am 12. Februar 2020 in der Hauptverhandlung vorgenommene vollständige und zutreffende Mitteilung des Inhalts des Vorgesprächs vom 5. Februar 2020 über sämtliche Essentialia für eine Verfahrensabsprache gemäß § 257c StPO unterrichtet und durch diese Mitteilung sowie durch den Hinweis in der Hauptverhandlung vom 15. Januar 2020 auf die Unterredung der Vorsitzenden mit dem weiteren Verteidiger Ende 2019 auch darüber informiert, dass überhaupt außerhalb der Hauptverhandlung Gespräche über mögliche Verfahrensabläufe stattgefunden haben (vgl. zu diesem Aspekt auch BGH, Urteil vom 14. April 2015 – 5 StR 20/15, aaO; Beschluss vom 15. Januar 2015 – 1 StR 315/14, aaO, S. 155). Demgemäß hat sich die Verständigung trotz der geringfügigen Mitteilungspflichtverletzung in ihrer entscheidenden Gestalt letztlich doch „im Lichte der öffentlichen Hauptverhandlung offenbart“ (vgl. BVerfGE 133, 168, 215; BGH, Urteil vom 14. April 2015 – 5 StR 20/15, aaO).“