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Heute in Kraft getreten: Änderungen im Berufungsrecht und im RVG

© MH - Fotolia.com

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Ich habe bereits mehrfach über zwei Gesetzesänderungen berichtet, über die der Bundestag noch vor der Sommerpause am 18.06.2015 entschieden hat. Nämlich die

  • Änderungen bei der Berufungsverwerfung (§ 329 Abs. 1 StPO) und die insoweit überfällige Umsetzung der EGMR-Rechtsprechung
  • Änderungen im RVG mit der Änderung der „Eingangsgebührenstufe“ in Teil 5 VV RVG – die Anpassung an die Punktereform 2014 . und eine Klarstellung in § 53 RVG.

Diese sind nun heute (25.07.2015) in Kraft getreten, nachdem das „Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe“ (BT-Drs. 18/3562) in der vom Rechtsausschuss geänderten Fassung (BT-Drs. 18/5254) gestern im BGBl veröffentlicht worden ist (vgl. BGBl I, S. 1332).

Das bedeutet:

  • Bislang wurde eine Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache verworfen , wenn der Angeklagte zu Beginn der Berufungshauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung nicht erscheint, selbst wenn für ihn ein Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht erschienen war (§ 329 Abs. 1 StPO). Künftig muss das Berufungsgericht stets prüfen, ob die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung erforderlich ist. Die Anwesenheit ist für eine Sachentscheidung des Berufungsgerichts immer dann erforderlich, wenn eine solche Entscheidung allein aufgrund der vom anwesenden Verteidiger für den Angeklagten abgegebenen Erklärungen nicht möglich ist (vgl. auch Umdenken bei der Berufungsverwerfung ist angesagt – Neziraj lässt grüßen).
  • Im RVG sind in den Nrn. 5101, 5103, 5107, 5109 VV RVG  die Gebührensätze von 40,00 € auf 60,00 € angehoben worden. Das ist die Anpassung an die Punktereform 2014. Außerdem ist in § 53 RVG eine Klarstellung beim bestellten Beistand erfolgt.

Ab heute gilt also neues Recht. Das ist übrigens auch schon in Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 8. Aufl., die Ende September erscheinen wird, enthalten. Im RVG gilt die Übergangsregelung des § 60 Abs. 1 RVG. Also: In allen Verfahren, in denen der unbedingte Auftrag ab heute erteilt worden ist, gelten die neuen Sätze.

„Ich bin in Strafhaft – kann daher nicht kommen“….

entnommen wikimedia.org Urheber Robb at de.wikipedia

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Gegen den Angeklagten war beim LG Berlin ein Berufungsverfahren anhängig. Zur Berufungshauptverhandlung ist der Angeklagte nicht erschienen, die Berufung ist dann verworfen. Nachträglich hat sich der Angeklagte dann sein Ausbleiben mit dem Vollzug von Strafhaft im Ausland entschudligt. Und? Dem KG hat das im schon etwas älteren KG, Beschl. v. 09.04.2015 – (2) 161 Ss 67/15 (20/15) – in Übereinstimmung mit der h.M. gereicht:

„Die Verwerfung der Berufung ist rechtsfehlerhaft, denn maßgeblich ist nicht, ob sich ein Angeklagter genügend entschuldigt hat, sondern einzig, ob er es ist, wobei grundsätzlich eine weite Auslegung zu Gunsten des Angeklagten geboten ist. Hierbei trifft ihn zwar eine Informationspflicht insoweit, als er dem Gericht die Gründe für seine Verhinderung mitzuteilen hat, zu einer weiteren Mitwirkung an deren Aufklärung ist er jedoch – anders als im Wiedereinsetzungsverfahren – nicht verpflichtet. Die – wie hier – erfolgte Inhaftierung eines Angeklagten in anderer Sache, insbesondere im Ausland [hier einer Haftanstalt in Polen], ist in diesem Zusammenhang grundsätzlich als ausreichende Entschuldigung anzusehen, wenn der Freiheitsentzug den Angeklagten am Erscheinen in der Berufungshauptverhandlung hindert, es sei denn, dieser verweigert selbst grundlos die erforderliche Vorführung aus der Haft (vgl. OLG Köln StraFo 2008, 248; OLG Braunschweig NStZ 2002, 163 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 329 Rdnr. 24; Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 329 Rdnr. 20; Paul in Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., § 329 Rdnr. 12; Frisch in Systematischer Kommentar, StPO, 4. Aufl., § 329 Rdnr. 37). Es kann vorliegend auch dahin stehen, ob die Inhaftierung in anderer Sache demgegenüber dann keine ausreichende Entschuldigung für die Terminsäumnis begründen soll, wenn sich der Angeklagte nicht selbst um seine ÜbersteIlung an den Ort des Berufungsverfahrens gekümmert habe, denn die im angefochtenen Urteil diesbezüglich angeführte Rechtsprechung des Kammergerichts zu Wiedereinsetzungsanträgen nach Maßgabe von § 329 Abs. 3 StPO entbindet das Tatgericht vor Verwerfung der Berufung gleichwohl nicht von der Verpflichtung, hinsichtlich ihm noch vor Urteilserlass bekannt gewordener Entschuldigungsgründe die zur Beurteilung der Verschuldensfrage erforderliche Aufklärung von Amts wegen im Freibeweisweg zu betreiben (vgl. KG VRS 107, 119, 120; OLG Köln StraFo 2006, 205 f.). Die in den Urteilsgründen enthaltene pauschale Feststellung des Unterbleibens entsprechender Überstellungsbemühungen des Angeklagten (‚Dies hat der Angeklagte nicht getan‘ UA S. 3) erweist sich indes bei näherer Betrachtung als reine Vermutung (vgl. KG, Beschluss vom 30. Juni 2009 – (4) 1 Ss 232/09 (154/09) –). Tatsächliche Aufklärungsversuche zur Frage, ob der Angeklagte entgegen der bloßen gegenteiligen Annahme des Landgerichts möglicherweise bei den polnischen Behörden im Hinblick auf den Berufungstermin vorstellig geworden ist, etwa durch fernmündliche Nachfrage bei der dem Gericht bekannt gegebenen Haftanstalt in Polen (UA S. 2), hat die Strafkammer ausweislich der Urteilsgründe und des Hauptverhandlungsprotokolls ersichtlich nicht entfaltet. Gründe, die das Landgericht an derartigen zumutbaren Erkundigungen, welche auch nicht von vornherein als aussichtslos zu erachten gewesen wären, gehindert haben könnten, sind der angefochtenen Entscheidung aber nicht zu entnehmen.“

Umdenken bei der Berufungsverwerfung ist angesagt – Neziraj lässt grüßen

© Berlin85 - Fotolia.com

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Manchmal geht es dann doch schneller als erwartet. Seit Herbst 2014 befand sich der „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe“ (vgl. und BR-Drucks. 491/14) im Gesetzgebungeverfahren. Er enthielt zwei für die Praxis wesentliche Gesetzesänderungen, und zwar:

  • Berufungsverwerfung (§ 329 Abs. 1 StPO) und die insoweit überfällige Umsetzung der EGMR-Rechtsprechung
  • Änderungen im RVG mit der Änderung der „Eingangsgebührenstufe“ in Teil 5 VV RVG – die Anpassung an die Punktereform 2014 . und eine Klarstellung in § 53 RVG.

Ich hatte mit dem Gesetzesbeschluss dazu erst nach der Sommerpause 2015 gerechnet. Nun hat der Bundestag am vergangenen Freitag dann schon entschieden und – bei Enthaltung der Opposition – den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe (BT-Drs. 18/3562) in der vom Rechtsausschuss geänderten Fassung (BT-Drs. 18/5254) angenommen. Bisher wurde eine Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache verworfen , wenn der Angeklagte zu Beginn der Berufungshauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung nicht erscheint, selbst wenn für ihn ein Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht erschienen war (§ 329 Abs. 1 StPO). Der EGMR hatte das moniert in Sachen Neziraj moniert (vgl. Der EGMR und der Abgesang auf die Berufungsverwerfung – hier ist der Volltext). Künftig muss das Berufungsgericht stets prüfen, ob die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung erforderlich ist. Die Anwesenheit ist für eine Sachentscheidung des Berufungsgerichts immer dann erforderlich, wenn eine solche Entscheidung allein aufgrund der vom anwesenden Verteidiger für den Angeklagten abgegebenen Erklärungen nicht möglich ist. Mal sehen,w as daraus wird, und ob es dem EGMR reicht.

Folge jedenfalls: Ich darf/muss dann in zwei Projekten nacharbeiten, und zwar sowohl in der 8. Auflage für das „Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung“, die für den Spätsommer/Herbst ansteht – schon mal vormerken im Budget 🙂 , als auch in der 22. Auflage des Gerold/Schmidt. Nun ja, kann man nicht ändern.

Neues aus Berlin: Endlich Änderung bei der Berufungsverwerfung und Änderungen im RVG

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Im Gesetzgebungsverfahren befindet sich inzwischen der „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe“ (vgl. BR-Drucks. 491/14). Er enthält zwei für die Praxis wesentliche Gesetzesänderungen, und zwar:

Der Gesetzesentwurf soll u.a den Rahmenbeschluss (Rb)2009/299/JI zu Abwesenheitsentscheidungen und vor allem die Rechtsprechung des EGMR im Urt. v. 8. 11. 2012 endlich umsetzen. § 329 StPO soll im Hinblick auf das Urteil des EGMR dahingehend geändert werden, dass eine Verwerfung der Berufung des Angeklagten nicht mehr erfolgen darf, wenn statt des Angeklagten ein entsprechend bevollmächtigter und vertretungsbereiter Verteidiger in einem Termin zur Berufungshauptverhandlung erschienen ist. Anstelle der nicht mehr zulässigen Verwerfung soll in Anwesenheit des Verteidigers ohne den Angeklagten verhandelt werden, soweit nicht besondere Gründe dessen Anwesenheit erforderlich machen.
  • RVG: Änderung der „Eingangsgebührenstufe“ in Teil 5 VV RVG

Und: Durch das Gesetzesvorhaben sollen in den Nrn. 5101, 5103, 5107 und 5109 VV RVG die „Eingangsgebührenstufe“ von 40,– € auf 60,– € angehoben werden. Damit wird dann gebührenrechtlich die Anhebung der Eintragungsgrenze in das FAER durch die Punktereform zum 01.05.2014 nachvollzogen (vgl. BR-Drucks. 491/14, S. 100).

Wie gesagt: Gerade im Gesetzgebungsverfahren. Kann also noch ein wenig dauern.

Erst mal über die Klippe „Verfahrensrüge“ springen…

entnommen wikimedia.org Urheber Harald Bischoff

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In Rechtsprechung und Literatur ist ja seit einiger Zeit ein „Kampf entbrannt“, ob und wie § 329 Abs. 1 StPO mit dem EGMR konventionskonform auszulegen und deshalb ggf. ein  Verwerfungsurteil nch § 329 Abs. 1 StPO bei unentschuldigtem Ausbleiben des Angeklagten und Anwesenheit eines verteidigungsbereiten Verteidigers zulässig ist. Wir haben darüber ja auch schon ein paar Mal berichtet (vgl.z.B. Auch du mein Sohn Brutus/OLG Bremen: Was schert uns der EGMR – oder kein Abgesang auf die Berufungsverwerfung oder: OLG München: Was schert mich der EGMR – oder kein Abgesang auf die Berufungsverwerfung).

Nun hat sich das KG mit dem KG, Beschl. v. 07.02.2014 – (4) 161 Ss 5/14 (14/14) in der Diskussion auch noch einmal zu Wort gemeldet. Allerdings auf einem Nebenkriegsschauplatz, nämlich bei der Frage nach den Anforderungen an die Verfahrensrüge in diesen Fällen. Dazu führt das KG aus:

a) Die Verfahrensrügen sind schon nicht zulässig erhoben. Die von der Revision verlangte Abwesenheitsverhandlung erforderte – wollte man eine entsprechende konventionskonforme Auslegung des § 329 Abs. 1 StPO im Sinne der Rechtsprechung des EGMR überhaupt in Betracht ziehen – jedenfalls, dass der verteidigungs- und vertretungsbereite Verteidiger nicht nur erscheint, sondern auch mit einer schriftlichen Vertretungsvollmacht des Angeklagten ausgestattet ist und diese vorweist (vgl. OLG München, Beschluss vom 17. Januar 2013 – 4 StRR (A) 18/12 – [juris-Rn.13], insoweit in NStZ 2013, 358 nicht abgedruckt; OLG Düsseldorf StV 2013, 299, 301; OLG Hamm, Beschluss vom 14. Juni 2012 – III-1 RVs 41/12 – [juris-Rn.12]; OLG Celle NStZ 2013, 615, 616; Mosbacher NStZ 2013, 312, 314). Da (nur) in einem solchen Fall eine zulässige Vertretung im Sinne des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO anzunehmen ist, hielte sich die von den Revisionen verlangte Gesetzesinterpretation noch „im Rahmen einer methodisch vertretbaren Auslegung“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dementsprechend sieht auch der Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz über ein „Gesetz zur Stärkung des Rechts auf Vertretung durch einen Verteidiger in der Berufungshauptverhandlung“ (Bearbeitungsstand 19. Dezember 2013) vor, dass eine Verwerfung der Berufung des Angeklagten nicht mehr erfolgen darf, wenn statt des Angeklagten ein „vertretungsbereiter Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht“ in dem Termin zur Berufungshauptverhandlung erschienen ist.

Deshalb gehört zu einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensbeschwerde der Vortrag, dass sich der verteidigungs- und vertretungsbereite Verteidiger auf eine solche, ihm in schriftlicher Form erteilte besondere Vollmacht des abwesenden Angeklagten berufen und diese dem Gericht nachgewiesen hat (vgl. OLG Celle aaO; s. auch OLG Hamburg, Beschluss vom 3. Dezember 2013 – 1 Ss 68/13 – [juris-Rn. 26]; KG, Beschluss vom 3. Januar 2012 – [2] 1 Ss 421/11 [58/11] –). Daran fehlt es hier. Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich vielmehr, dass die erschienenen Verteidiger gerade keine entsprechende Vollmacht vorgelegt oder eine Bevollmächtigung auch nur behauptet hätten. …“

Also: Die Klippe muss man schon überspringen, wenn die Verteidigung an der Stelle Erfolg haben soll..