Das hatten wir im Bußgeldverfahren auch schon. Der Betroffene wird von der Anwesenheitspflicht entbunden. Er erscheint nicht und sein Einspruch wird nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Jetzt gibt es dazu eine vergleichbare Entscheidung aus dem Strafverfahren. Da war der Einspruch einer Angeklagten gegen einen Strafbefehl verworfen worden. Das LG Braunschweig bestimmt Termin zur Hauptverhandlung auf den 03.02.2016 und ordnete das persönliche Erscheinen der Angeklagten an. Nachdem die Angeklagte am 27.01.2016 über ihren Verteidiger dem Gericht mitgeteilt hatte, dass sie in einem anderen beim LG anhängigen Strafverfahren ein ärztliches Attest über ihre Verhandlungsunfähigkeit eingereicht habe, entbindet das LG mit Beschluss vom 27.01.2016 die Angeklagte von ihrer Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung vom 03.02.2016 und weistsie drauf hin, dass für den Fall ihres Ausbleibens gem. § 329 Abs. 2 StPO in ihrer Abwesenheit verhandelt werden könne. Am 03.02.2016 erscheint die Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht. Das LG Braunschweig verwarf daraufhin die Berufung der Angeklagten.
Das OLG Braunschweig sagt im OLG Braunschweig, Beschl. v. 18.05.2016 – 1 Ss 27/16 – also schon etwas älter, aber gerade erst im StV veröffentlicht: Geht (natürlich) nicht:
„Die Voraussetzungen einer Berufungsverwerfung lagen nicht vor. Eine solche kann gem. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO nur dann erfolgen, wenn eine nicht genügend entschuldigte Angeklagte zu Beginn der Hauptverhandlung ausbleibt oder kein Verteidiger mit einer schriftlichen Vertretungsvollmacht auftritt. Unabhängig von der Frage, ob die Angeklagte aufgrund etwaiger Erkrankung möglicherweise ausreichend entschuldigt war, kann nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO dann nicht mehr verfahren werden, wenn die Angeklagte von ihrer Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war (§ 233, § 332 StPO) (so Brunner in Satzger/Schluckebier/Widmaier, 2. Aufl., 2016, § 329, Rn. 9). Im Falle der Entbindung vom persönlichen Erscheinen kann eine Entscheidung nur noch nach § 329 Abs. 2 StPO ergehen, sofern dessen weitere Voraussetzungen vorliegen. Das Landgericht hatte die Angeklagte mit Beschluss vom 27.01.2016 von ihrer Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden und sie mit diesem Beschluss darauf hingewiesen, dass im Falle ihres Nichterscheinens gem. § 329 Abs. 2 StPO in ihrer Abwesenheit entschieden werde. Eine Berufungsverwerfung gem. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO war dem Landgericht Braunschweig somit verwehrt.
Ob das angefochtene Urteil darüber hinaus auch gegen § 338 Nr. 5 StPO verstößt, weil das Landgericht Braunschweig nach der Unterbrechung und Fortsetzung der Hauptverhandlung dann auch ohne den gem. § 140 Abs. 2 StPO beigeordneten Verteidiger verhandelt hat, konnte aufgrund des bereits feststehenden Verstoßes gegen § 329 Abs. 1 S. 1 StPO dahin stehen.“
Manche Entscheidungen verstehe ich beim besten Willen nicht. Gemeint ist nicht die des OLG, sondern die des LG. Da sitzen doch keine Anfänger in einer Berufungsstrafkammer……..oder vielleicht doch?