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Berufungsverwerfung nach neuem Recht, oder: Das geht jetzt auch in einem Fortsetzungstermin

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Und zum Abschluss des Tages dann der OLG Nürnberg, Beschl. v. 30.04.2018 – 2 OLG 2 Ss 240/17, der zum „neuen“ – nun ja so neu ist es nicht mehr – Berufungsrecht Stellung nimmt. Es geht um die Verwerfung der Berufung des Angeklagten nach § 329 StPO.

Verworfen worden ist die Berufung, weil der Angeklagte in einem Fortsetzungstermin – nach Auffassung des LG – unentschuldigt ausgeblieben war. Dazu die Leitsätze der OLG-Entscheidung:

In § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO heißt es nach neuem Recht „bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins“. Das bedeutet, dass es sich anders als früher nicht um die erste Berufungsverhandlung in der anhängigen Sache handeln muss und somit z.B. auch das Nichterscheinen in einem Fortsetzungstermin erfasst wird.

Es bleibt offen, ob § 329 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO auch gilt, wenn nach Unterbrechung der Hauptverhandlung gemäß § 228 Abs. 1, § 229 Abs. 1 StPO der Angeklagte zum Fortsetzungstermin überhaupt nicht erschienen ist.

Und aus dem Beschluss:

2. Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten rechtsfehlerhaft ohne Verhandlung zur Sache verworfen, weil angesichts des Inhalts des Urteils und der in der Hauptverhandlung am 12.12.201 7 getroffenen Feststellungen nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Angeklagte im Fortsetzungstermin am 12.06.2017 unentschuldigt nicht erschienen ist.

a) Soweit sich das Landgericht für die Verwerfung auf § 329 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO gestützt hat, bestehen bereits rechtliche Bedenken hinsichtlich der Anwendbarkeit dieser regelt nämlich den Fall, dass der Angeklagte sich ohne genügende Entschuldigung entfernt hat und kein Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht anwesend ist, und nicht den Fall, in dem der Angeklagte nach Unterbrechung (der Hauptverhandlung gemäß § 228 Abs. 1, § 229 Abs. 1 StPO zum Fortsetzungstermin überhaupt nicht erschienen ist (anders Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 60. Aufl., § 329 Rn. 17).

b) Dies kann aber letztlich dahinstehen. Denn es liegt jedenfalls ein Fall des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO vor, wonach die Berufung des Angeklagten verworfen werden kann, wenn bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins weder der Angeklagte noch ein Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist.

Anders als nach der früheren Rechtslage ist seit der Neufassung des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO durch das am 25.07.2017 in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Hauptverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe vom 17.07.2015 (BGBl. I S. 1332) der für das Erscheinen des Verteidigers und das Vorliegen der schriftlichen Vertretungsvollmacht entscheidende Zeitpunkt nicht mehr der Beginn der Hauptverhandlung, sondern der Beginn „eines“, also jedes „Hauptverhandlungstermins“. Danach hat eine Verwerfung der Berufung des Angeklagten gemäß Absatz 1 Satz 1 auch dann zu erfolgen, wenn eine unterbrochene Berufungshauptverhandlung in einem oder mehreren weiteren Terminen fortgesetzt wird (§ 229 StPO), in denen der Angeklagte oder sein Verteidiger im Falle der Vertretung ohne genügende Entschuldigung nicht erscheint (vgl. BT-Drucks. 18/3462, S. 68). § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO ist somit anwendbar, wenn der Angeklagte zu Beginn irgendeines Hauptverhandlungstermins, also auch zu einem Fortsetzungstermin nach Unterbrechung der Hauptverhandlung, unentschuldigt ausbleibt (vgl. OLG Oldenburg StV 2018, 151 juris Rn. 8; BeckOK-StPO/Eschelbach § 329 Rn. 13 und 17; SK-StPO/Frisch, 5. Aufl. § 329 Rn. 6a).

Die Voraussetzungen für eine Verwerfung der Berufung des Angeklagten im Fortsetzungstermin am 12.06.2017 lagen gleichwohl nicht vor. Denn es kann nach den Feststellungen im Urteil und in der Hauptverhandlung nicht davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte dem Fortsetzungstermin am 12.06.2017 unentschuldigt ferngeblieben ist…….“

Also: Neues Recht. Muss man beachten….

Vollmacht II: Erlöschen der Vertretungsvollmacht, oder: Verteidiger aufgepasst.

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den OLG Köln, Beschl. v. 12.06.2018 – 1 RVs 107/18. Der behandelt zwei Fragen, die von Bedeutung sind. Ich greife heute die „Vollmachtsfrage“ auf, auf die andere Frage komme ich dann noch einmal zurück. Auch insoweit geht es um die Frage der Verwerfung einer Berufung nahc § 329 Abs. 1 StPO. Der Verteidiger hatte dazu nahc Auffassung des OLG in seiner Verfahrensrüge nicht ausreichend vorgetragen. In der Begründung seiner Verwerfungsentscheidung weist das OLg auf einen Umstand hin, der leider häufig übersehen wird:

„b) Mit der Beiordnung des bisherigen Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger endet das Mandat und damit auch die (etwa) erteilte Vertretungsvollmacht. Das folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 168 BGB, wonach die Vollmacht mit dem ihr zugrunde liegenden Rechtsgeschäft erlischt (SenE v. 15.04.2016 – III-1 RVs 55/16 -; SenE v. 08.07.2016 – III-1 RVs 129/16; OLG Hamm B. v. 14.06.2012 – III-1 RVs 41/12 und B. v. 03.04.2014 – III-5 RVs 11/14 [= ZfS 2014, 470] – bei Juris und jeweils unter Bezugnahme auf BGH NStZ 1991, 94; OLG München B. v. 14.07.2010 – 4 StRR 93/10 = BeckRS 2010 18330; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 142 Rz. 7; MüKo-StPO-Thomas/Kämpfer, § 141 Rz. 14 aE; HK-StPO-Julius, 5. Auflage 2012, § 141 Rz. 16). Bei fortbestehendem Willen des Angeklagten, sich von dem nunmehrigen Pflichtverteidiger vertreten zu lassen, ist die Erteilung einer neuen, den Anforderungen des § 329 StPO genügenden Vollmacht vonnöten (SenE a.a.O.). Aus diesem Grund setzt die formgerechte Ausführung der Rüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO  – neben einer Darstellung des genauen Inhalts der Vollmacht – Vortrag dazu voraus, ob und bejahendenfalls zu welchem Zeitpunkt der Verteidiger zum Pflichtverteidiger bestellt worden ist (SenE v. 08.07.2016 – III-1 RVs 129/16; SenE v. 10.10.2017 – III-1 RVs 238/17). Nur so wird der Senat in die Lage versetzt zu prüfen, ob ein Fall wirksamer Vertretung in der Berufungshauptverhandlung vorliegt.

Entsprechenden Vortrag lässt die Revisionsbegründung vermissen. Ihr ist lediglich zu entnehmen, dass dem Verteidiger die in der Berufungshauptverhandlung vorgelegte (erste) Vollmacht am 20. Januar 2017 erteilt worden ist. Zu einer Bestellung als Pflichtverteidiger und deren Zeitpunkt verhält sie sich nicht. Soweit man der mit der Revisionsbegründung (dort S. 3) mitgeteilten Terminsladung, ausweislich derer „L, U (Pflicht-Vert. zu Besch 1)“ zum Termin vom 13. September 2017 geladen wurde, eine entsprechende Stellung des Verteidigers entnehmen wollte, ist die Terminsladung am 8. Mai 2017 und mithin nach Erteilung der Vollmacht verfügt und schließt damit eine nach Vollmachterteilung erfolgte Bestellung zum Pflichtverteidiger gerade nicht aus. Es kann daher  – ungeachtet insoweit bestehender weiterer Bedenken (dazu vgl. die Gesetzesmaterialien zur Neufassung des § 329 StPO BT-Drs. 18/3562 S. 68; OLG Hamburg B. v. 25.07.2017 – 1 Rev 37/17 = BeckRS 2017 110201, freilich – in Abgrenzung zu der Entscheidung BayObLG NStZ 2002, 277 – zu einer mündlichen Ermächtigung) – auch nicht beurteilt werden, ob der Verteidiger zur Ausstellung einer (weiteren) Vollmacht, wie sie im Termin zur Berufungshauptverhandlung von diesem namens des Angeklagten gefertigt worden ist, ermächtigt war.“

Und:

„Ob die Vollmacht vom 20. Januar 2017, ausweislich derer der Verteidiger befugt war „in allen Instanzen zu verteidigen bzw. zu vertreten, und zwar auch bei meiner (scil.: des Angeklagten) Abwesenheit“ den Anforderungen an eine gerade für die Berufungshauptverhandlung erteilten Vertretungsvollmacht erfüllt (zu dieser Frage zuletzt KG B. v. 01.03.2018 – (5) 121 Ss 15/18 (11/18) = BeckRS 2018 5556; OLG Oldenburg B.. v. 20.12.2016 – 1 Ss 178/16 = BeckRS 2016 124738; OLG Hamm B. v. 24.11.2016 – 5 RVs 82/16 = BeckRS 2016 111318; OLG Hamm, B v. 06.11.2016 – 4 RVs 96/16, StRR 2016, Nr. 11, 2), bedarf danach keiner Entscheidung.“

„Brauchst nicht zu kommen, ich verwerfe dann eben“, oder: Anfänger?

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Das hatten wir im Bußgeldverfahren auch schon. Der Betroffene wird von der Anwesenheitspflicht entbunden. Er erscheint nicht und sein Einspruch wird nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Jetzt gibt es dazu eine vergleichbare Entscheidung aus dem Strafverfahren. Da war der Einspruch einer Angeklagten gegen einen Strafbefehl verworfen worden. Das LG Braunschweig bestimmt Termin zur Hauptverhandlung auf den 03.02.2016 und ordnete das persönliche Erscheinen der Angeklagten an. Nachdem die Angeklagte am 27.01.2016 über ihren Verteidiger dem Gericht mitgeteilt hatte, dass sie in einem anderen beim LG anhängigen Strafverfahren ein ärztliches Attest über ihre Verhandlungsunfähigkeit eingereicht habe, entbindet das LG mit Beschluss vom 27.01.2016 die Angeklagte von ihrer Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung vom 03.02.2016 und weistsie drauf hin, dass für den Fall ihres Ausbleibens gem. § 329 Abs. 2 StPO in ihrer Abwesenheit verhandelt werden könne. Am 03.02.2016 erscheint die Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht. Das LG Braunschweig verwarf daraufhin die Berufung der Angeklagten.

Das OLG Braunschweig sagt im OLG Braunschweig, Beschl. v. 18.05.2016 – 1 Ss 27/16 – also schon etwas älter, aber gerade erst im StV veröffentlicht: Geht (natürlich) nicht:

„Die Voraussetzungen einer Berufungsverwerfung lagen nicht vor. Eine solche kann gem. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO nur dann erfolgen, wenn eine nicht genügend entschuldigte Angeklagte zu Beginn der Hauptverhandlung ausbleibt oder kein Verteidiger mit einer schriftlichen Vertretungsvollmacht auftritt. Unabhängig von der Frage, ob die Angeklagte aufgrund etwaiger Erkrankung möglicherweise ausreichend entschuldigt war, kann nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO dann nicht mehr verfahren werden, wenn die Angeklagte von ihrer Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war (§ 233, § 332 StPO) (so Brunner in Satzger/Schluckebier/Widmaier, 2. Aufl., 2016, § 329, Rn. 9). Im Falle der Entbindung vom persönlichen Erscheinen kann eine Entscheidung nur noch nach § 329 Abs. 2 StPO ergehen, sofern dessen weitere Voraussetzungen vorliegen. Das Landgericht hatte die Angeklagte mit Beschluss vom 27.01.2016 von ihrer Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden und sie mit diesem Beschluss darauf hingewiesen, dass im Falle ihres Nichterscheinens gem. § 329 Abs. 2 StPO in ihrer Abwesenheit entschieden werde. Eine Berufungsverwerfung gem. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO war dem Landgericht Braunschweig somit verwehrt.

Ob das angefochtene Urteil darüber hinaus auch gegen § 338 Nr. 5 StPO verstößt, weil das Landgericht Braunschweig nach der Unterbrechung und Fortsetzung der Hauptverhandlung dann auch ohne den gem. § 140 Abs. 2 StPO beigeordneten Verteidiger verhandelt hat, konnte aufgrund des bereits feststehenden Verstoßes gegen § 329 Abs. 1 S. 1 StPO dahin stehen.“

Manche Entscheidungen verstehe ich beim besten Willen nicht. Gemeint ist nicht die des OLG, sondern die des LG. Da sitzen doch keine Anfänger in einer Berufungsstrafkammer……..oder vielleicht doch?

Berufungsverwerfung, oder: Wie muss die Vertretervollmacht formuliert sein?

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Es mehren sich die Entscheidungen zur Neuregelung des § 329 StPO zum 25.07.2015 (s. auch den der OLG Hamburg, Beschl. v. 25.07.2017 – 1 Rev 37/17 und dazu Verteidiger aufgepasst, oder: Vollmacht für den Mandanten selbst unterschreiben geht nicht mehr).  In den Bereich gehört auch der OLG Oldenburg, Beschl. v. 20.12.2016 – 1 Ss 178/16 -, der schon etwas älter ist, auf den ich aber erst jetzt gestoßen bin.

Das AG hat den Angeklagte wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das LG dann nach § 329 StPO verworfen, weil der Angeklagte ohne Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden sei. Die Revision des Angeklagten hatte mit der auf eine Verletzung von § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO gestützten Verfahrensrüge Erfolg.

Der Rüge liegt folgendes Geschehen zu Grunde: Zu der Hauptverhandlung vor dem LG war der Angeklagte nicht erschienen, wohl hingegen als Verteidiger Rechtsanwalt R1. Diesem sowie Rechtsanwalt R2 hat der Angeklagte in einer von ihm unterzeichnete „Vollmacht und Prozessvollmacht“ erteilt, die zur Akte gelangt war. Diese Vollmacht hat u.a. folgenden Wortlaut:

Den Rechtsanwälten…, … wird Prozessvollmacht gemäß §§ 81 ff. ZPO und §§ 302, 374 StPO erteilt wegen S. L… – Strafverfahren Amtsgericht Cloppenburg 18 Ds 775 Js 62234/12 (58/15).
Diese Vollmacht erstreckt sich insbesondere auf: 1. Verteidigung und Vertretung in Bußgeldsachen sowie Strafsachen in allen Instanzen, auch als Nebenkläger, Vertretung gem. § 411 Abs. 1 StPO mit ausdrücklicher Ermächtigung gem. § 233 Abs. 1 StPO
.“

Die Entscheidung des OLG behandelt zwei Fragen, und zwar:

Zulässigkeit der Verfahrensrüge:

Die vom Angeklagten erhobene Rüge, das Landgericht habe durch sein Vorgehen § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO (in der seit dem 25. Juli 2015 gültigen Fassung) verletzt, weil zum Termin ein mit einer schriftlichen Vollmacht ausgestatteter Verteidiger erschienen sei, entspricht den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 StPO. Danach muss eine Verfahrensrüge so ausgeführt werden, dass das Revisionsgericht allein auf Grund der Revisionsrechtsfertigungsschrift prüfen kann, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen zutreffen. Dem wird die vorliegende Rüge gerecht.

Der Ansicht des Thür. Oberlandesgerichts (Beschluss v. 28.07.2016, 1 Ss 42/16, bei juris), wonach mit der Verfahrensrüge der Verletzung von § 329 Abs. 1 StPO auch vorgetragen werden müsse, der Verteidiger habe von seiner schriftlichen Vertretungsvollmacht auch Gebrauch machen wollen, er sei also – über die bloße Verteidigung des Angeklagten hinaus – auch zu dessen umfassender Vertretung bereit gewesen, vermag der Senat nicht zu folgen. Denn einer ausdrücklichen Erklärung des Verteidigers, er sei zur Vertretung des Angeklagten bereit, bedarf es nicht. Vielmehr ist hiervon bei einem Erscheinen des Verteidigers grundsätzlich auszugehen, solange dieser nicht von vornherein erklärt oder zu erkennen gibt, den Angeklagten nicht vertreten zu wollen. (vgl. amtl. Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 18/3562, S. 69, 2. Abs.). Es ist somit zwar grundsätzlich die Bereitschaft des Verteidigers zur Vertretung des Angeklagten erforderlich. Diese kann aber nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte dafür verneint werden, dass es der Verteidiger überhaupt nicht zu einer Sachverhandlung kommen lassen will (vgl. OLG Hamm, Beschluss v. 06.09.2016, 4 RVs 96/16, bei juris, m.w.N.). Dieses wäre etwa dann der Fall, wenn der Verteidiger trotz ausdrücklichen Befragens durch das Gericht keine Erklärung dazu abgibt, ob er den nicht anwesenden Angeklagten vertreten will.“

Und in Zusammenhang mit der Frage der Begründetheit nimmt das OLG Stellung zum Inhalt der Vertretervollmacht:

„Vorliegend war indessen der Angeklagte in dem (ersten) Termin zur Berufungshauptverhandlung durch einen Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht vertreten. Ausweislich der bei den Akten befindlichen Vollmacht vom 19. Juli 2015 war dem Verteidiger Vollmacht zur Verteidigung und Vertretung erteilt. Damit war in der Vollmacht berücksichtigt, dass der Verteidiger als solcher nur der Beistand und nicht der Vertreter des Beschuldigten ist, und es deshalb einer ausdrücklichen Bevollmächtigung zur Vertretung bedarf, weil der Beschuldigte dadurch wichtige Verfahrensrechte in die Hände seines Verteidigers legt, der an seine Stelle tritt und mit Wirkung für ihn Erklärungen abgeben kann. Diese ausdrückliche Ermächtigung reicht aber auch aus. Durch die Forderung einer expliziten Ermächtigung zur Vertretung des Angeklagten „in dessen Abwesenheit“ würde der dem Erfordernis der gesonderten Bevollmächtigung zu Grunde liegende Schutzgedanke überspannt (vgl. bereits Senatsentscheidung v. 23.03.2016, 1 Ss 36/16, n.v., unter Hinweis auf BGH, Beschluss vom 20.09.1956, 4 StR 287/56, BGHSt 9, 356, und OLG Düsseldorf, Beschluss v. 10.05.1991, 5 Ss 171/91 – 53/91 I, VRS 81, 292; jeweils zu § 411 Abs. 2 S. 1 StPO; sowie Meyer-Goßner/  Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 234 Rn. 5).“

Wie immer in solchen Fällen kann man dem Verteidiger nur raten, darauf achten, dass die Punkte, die das OLG Oldenburg angesprochen hat, gar nicht erst streitig werden. Das bedeutet also, dass man zum „Vertreten-Wollen“ in der Hauptverhandlung vortragen und die Vertretervollmacht um den Zusatz: “… in dessen Abwesenheit“ ergänzen sollte. Dann kann nichts schief gehen.

Verteidiger aufgepasst, oder: Vollmacht für den Mandanten selbst unterschreiben geht nicht mehr

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Gegenstand der Berichterstattung auch hier im Blog ist ja schon häufiger die Frage gewesen, ob sich der Verteidiger in der Berufungshautpverhandlung ggf. selbst eine Vertretervollmacht für den Mandanten ausstellen kann, um so ggf. eine drohende Verwerfung der Berufungs des unerlaubt nicht anwesenden Mandanten zu verhindern. Das hat die Rechtsprechung in den letzten Jahren – wenn auch teilweise zähneknirschend – als zulässig angesehen. Problematisch und hoch gekocht ist die Frage dann wieder durch die Änderungen in § 329 StPO zum 25.07.2015. Denn in der Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass eine schriftliche Vollmacht des Mandanten vorliegen muss und die Selbstausstellung durch den Verteidiger nicht mehr reicht.

Dazu liegt dann jetzt auch eine erste obergerichtliche Entscheidung vor, und zwar der OLG Hamburg, Beschl. v. 25.07.2017 – 1 Rev 37/17, auf den mich gerade Oliver Garcia hingewiesen hat, wofür ich danke. Das OLG Hamburg lässt die selbst unterzeichnete Vertretervollmacht nicht mehr ausreichen:

Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Angeklagte nicht wirksam von ihrem allein anwesenden Verteidiger vertreten wurde. Zu Recht hat es deshalb die Berufung der Angeklagten nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen.

1. Im Berufungsrechtszug setzt die Vertretung des abwesenden Angeklagten nach § 329 Abs. 2 Satz 1 StPO voraus, dass der Angeklagte den Verteidiger zuvor schriftlich zur Vertretung bevollmächtigt. Die formlose Erteilung einer Vertretungsvollmacht durch den Angeklagten und deren anschließende Verschriftlichung durch den Verteidiger genügen nicht (so schon Mosbacher, NStZ 2013, 312, 314 f.; Löwe-Rosenberg/Becker, StPO, 26. Aufl.,§ 234 Rn. 8; sowie die Kommentierungen im Anschluss an die Gesetzesänderung durch das Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungshauptverhandlung und über die Anerkennung von Abwe-senheitsentscheidungen in der Rechtshilfe, BT-Drucks. 18/3562: MünchKomm-StPO/Arnoldi, § 234 Rn. 7; SK-StPO/Deiters, 5. Aufl., § 234 Rn. 4).

a) Hierfür streitet schon die Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 329 StPO (BT-Drucks. 18/3562, S. 68), die eine aufgrund einer mündlichen Ermächtigung durch den Angeklagten vom Verteidiger selbst unterzeichnete Vollmacht ausdrücklich für nicht ausreichend erachtet.

b) Die Gegenansicht (BayObLG, Beschl. v. 7. November 2001 – 5 St RR 285/01, NStZ 2002, 277 f.; OLG Dresden, Beschl. v. 21. August 2012 – 3 Ss 336/12 [zum Einspruchsverfahren vor dem Amtsgericht]; Beck-OK-StPO/Gorf, 27.Ed., § 234 Rn. 6; SSW-StPO/Grube, 2. Aufl., § 234 Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 234 Rn. 5) wird dem Schutzzweck der Norm nicht hinreichend gerecht. Dieser verlangt, dass sich der Angeklagte, nicht sein Verteidiger, schriftlich zur Vollmachtsfrage erklären muss. Nur dadurch wird dem Angeklagten die besondere Bedeutung seiner Bevollmächtigung bewusst (Mosbacher, a.a.O.). Zudem dokumentiert der Betroffene damit selbst zuverlässig, dass er wesentliche Verfahrensrechte aus der Hand gibt. Den Bevollmächtigten sich selbst schriftlich zur Bevollmächtigung erklären zu lassen, würde den Schutz des Angeklagten vor Übereilung durch mündliche Erklärung vereiteln und den besonderen Dokumentationswert der schriftlichen Bevollmächtigung ganz wesentlich herabsetzen (Mosbacher, a.a.O.).“

Nach der Entscheidung dürfte der „Zug abgefahren sein“. Im Hinblick auf diese Entscheidung kann also nur noch dringend davon abgeraten werden, ggf. ohne ausdrückliche, vom Mandanten selbst unterzeichnete Vertretervollmacht in die Berufungshauptverhandlung zu gehen, wenn der Mandanten dort ggf. wirksam vertreten werden soll (vgl. dazu auch schon Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, Rn. 707c).

Zutreffend weist das OLG noch darauf hin, dass es einer Vorlage an den BGH nach § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG nicht bedurfte. Denn durch die Gesetzesänderung in § 329 StPO entfällt die Vorlagepflicht mit Blick auf die entgegenstehenden obergerichtlichen Entscheidungen.