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Der EGMR und der Abgesang auf die Berufungsverwerfung – hier ist der Volltext

Ich hatte am 07.12.2012 unter der Überschrift „Überraschung/Sensation (?) – Der EGMR und der Abgesang auf die Berufungsverwerfung“ über das EGMR, Urt. v. 08.11.2012 in Sachen Neziraj gegen Deutschland (Nr. 30804/07) berichtet.

Zu dem Zeitpunkt kannte ich nur die Originalentscheidung. Inzwischen hat mir der Kollege Dr. Sommer eine Übersetzung der EGMR-Entscheidung zukommen, die ich jetzt hier online stelle. Damit hat jeder selbst die Möglichkeit zu entscheiden, ob es etwas Neues ist, oder wir die Argumentation des EGMR bereits aus anderen Verfahren kennen. Jedenfalls wird man sich als Gesetzgeber m.E. um den § 329 Abs. 1 StPO Gedanken machen müssen.

Und: Ich bin gespannt, ob die Bundesregierung das Urteil so hinnimmt oder das Verfahren bei der Großen Kammer weiterbetreibt.

Überraschung/Sensation (?) – Der EGMR und der Abgesang auf die Berufungsverwerfung

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Mehrere Kollegen haben mich schon auf die vom Kollegen Prof. Dr. Sommer aus Köln erstrittene Entscheidung des EGMR vom 08.11.2012 in Sachen  Neziraj gegen Deutschland (Nr. 30804/07) hingewiesen. Danach ist die Vorschrift des § 329 Abs. 1 StPO, die eine Verwerfung der Berufung des Angeklagten auch dann zulässt, wenn der Angeklagte in der Hauptverhandlung vertreten ist, konventionswidrig.

Bisher habe ich das Urteil des EGMR noch nicht lesen können. Es gibt bislang noch keine Übersetzung, sondern nur die auf der Homepage des Kollegen Dr. Sommer eingestellte Originalentscheidung.

Die Entscheidung dürfte dann zum (zumindest teilweisen) Abgesang der Berufungsverwerfung führen. Anders gesehen – nämlich nicht konventionswidrig – haben vor kurzem erst nach das OLG Düsseldorf (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27. 2. 2012 – III-2 RVs 11/12) und das OLG Hamm (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 14. 6. 2012 – III 1 RVs 41/12) entschieden.

Schade, dass die EGMR-Entscheidung erst jetzt kommt. Jetzt steht es in der 7. Auflage des Handbuch für die Hauptverhandlung auch (noch) anders.

Wer allerdings noch Verfahren mit Berufungsverwerfungen anhängig hat, sollte – wenn es noch geht – Revision einlegen.

Der EGMR und die Berufungsverwerfung (§ 329 Abs. 1 StPO).

Der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.02.2012, III-2 RVs 11/12 – befasst sich mit den Auswirkungen der Rechtsprechung des EGMR auf die Fragen der Berufungsverwerfung im Strafverfahren bei unentschuldigtem Ausbleiben des Angeklagten. Dazu ist schon verschiedentlich diskutiert worden, ob die deutsche Gesetzeslage mit der EGMR-Rechtsprechung vereinbar ist. Das BVerfG hat das in der Vergangenheit verneint. So jetzt auch das OLG Düsseldorf im Beschl. v. 27.02.2012, III-2 RVs 11/12, der folgende Leitsätze hat:

„1. Auch unter Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 22. September 2009 (EGMR Nr. 13566/06, Pietiläinen gegen Finnland) steht allein die Anwesenheit eines verteidigungsbereiten Verteidigers der Anwendung des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO, wonach die Berufung des unentschuldigt ausgebliebenen Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen ist, nicht entgegen.

2. Ob die in § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO vorausgesetzte Vertretungsmöglichkeit, die sich auf Ausnahmefälle (§§ 234, 411 Abs. 2 StPO) beschränkt, in zulässiger Weise durch konventionsfreundliche Auslegung erweitert werden kann, bedarf mangels schriftlicher Vertretungsvollmacht des Verteidigers keiner Entscheidung.“

 

Muss man auch erst mal drauf kommen: § 338 Nr. 5 StPO bei der Berufungsverwerfung nach § 329 StPO

Auf die Rüge muss man erst mal kommen: Der Angeklagte ist zur Berufungshauptverhandlung unentschuldigt nicht erschienen. Deshalb ist seine Revision verworfen worden. Gerügt wird dann § 338 Nr. 5 StPO. Dazu der OLG Celle, Beschl. v. 13.09.2011 -32 Ss 119/11:

Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO (vorschriftswidrige Abwesenheit einer notwendigen Person von der Hauptverhandlung) liegt nicht vor, wenn der Angeklagte als der Rechtsmittelführer der Berufungshauptverhandlung unentschuldigt fernbleibt und die Strafkammer die Berufung deswegen nach § 329 Abs. 1 StPO verwirft.

Denn in diesem Fall wird weder zur Sache verhandelt noch werden irgendwelche Feststellungen zum Schuld- oder Strafausspruch getroffen, sondern gerade wegen der Abwesenheit des Angeklagten lediglich die verfahrensrechtliche Frage geprüft, ob die Voraussetzungen für die Anwendung des § 329 Abs. 1 StPO vorliegen (im Anschluss an OLG Stuttgart, NStZ-RR 2004, 338 und OLG Hamm, NJW 1970, 1245).

Der Weg ist ein anderer: Der geht über § 329 Abs. 1 StPO und den Begriff der Entschuldigung. Wenn da nichts vorgetragen war bzw. nicht ausreichend, dann wird es schwer mit der Revision.