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Verfahrensrüge ist schon schwer…

Ein Beispiel, wie schwer es ist bzw. wie schwer es ggf. die Revisionsgerichte den Verteidigern häufig auch machen, eine ordnungsgemäß begründete Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) auf die Reihe zu bekommen ist der BGH, Beschl. v. 07.02.2012 – 4 StR 552/11. In dem heißt es zur Verfahrensrüge:

Die von Rechtsanwalt M. erhobene 2. Verfahrensrüge (Revisionsbegründung vom 8. Juli 2011, S. 5 ff.) ist auch deshalb unzulässig, weil das schriftliche Gutachten des Sachverständigen nicht vollständig mitgeteilt wird; zur 7. Verfahrensrüge (S. 18 ff. der Revisionsbegründung) wurden die in dem Beweisantrag aufgeführten Lichtbilder nicht vorgelegt. Die 8. Verfahrensrüge (S. 22 ff. der Revisionsbegründung) ist auch deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil die Revision nicht mitteilt, dass – und in welchem Umfang – die Zeugin zunächst in öffentlicher Hauptverhandlung Angaben zur Sache gemacht hat.

Man weiß natürlich nicht, was im Einzelnen gerügt war, aber: Man sieht, an welchen Kleinigkeiten es manchmal scheitern kann.

Adhäsionsentscheidung – auch die ist zu begründen

Stiefmütterlich behandelt wird in Urteilen  häufig eine Adhäsisonsentscheidung. Aber auch die muss ausreichend begründet werden. Darauf hat der BGH, Beschl. v.29.11.2011 – 3 StR 326/11 hingewiesen:

„Daneben entfällt die Grundlage der Adhäsionsentscheidung. Der Senat sieht mit Blick darauf, dass die Strafkammer die Höhe des Schmerzensgeldes, auf die sie erkannt hat, in lediglich einem Satz ausschließlich mit einem pauschalen Hinweis auf die vom Nebenkläger erlittenen Verletzungen begründet hat, Anlass für folgenden Hinweis:
Derartige rudimentäre, formelhafte Erwägungen genügen den Anforderungen an die Begründungspflicht, die auch für die im Strafurteil getroffene Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche gilt, grundsätzlich nicht. Die Verurteilung zu Schmerzensgeld erfordert regelmäßig zumindest auch die ausdrückliche Erörterung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Schädiger und Geschädigtem (BGH, Urteil vom 27. September 1995 – 3 StR 338/95, BGHR StPO § 404 Abs. 1 Entscheidung 4; Urteil vom 21. August 1996 – 2 StR 263/96, BGHR StPO § 404 Abs. 1 Entscheidung 5 jeweils mwN).“

Fluchtgefahr: Ein alter (?), kranker Mann flieht nicht…

Sehr schön untersucht der KG, Beschl. v. 03.11.2011 – 4 Ws 96/11 im Rahmen einer weiteren Haftbeschwerde das Merkmal „Fluchtgefahr“ i.S. des § 112 Abs. Abs. 2 Nr. 2 StPO und wägt alle maßgeblichen Umstände ab. Ergebnis, keine Fluchtgefahr, da

  1. zu alt,
  2. zu krank,
  3. zu sozial gebunden,
  4. keine (zu) hohe Straferwartung
  5. kein Geld für die Flucht,
  6. sich dem Verfahren gestellt.

Wie gesagt: Schöne Beschluss, an dem man die maßgeblichen Kriterien für/gegen Fluchtgefahr abarbeiten kann.

Verfahrensrüge ist schon schwer – und manchmal unverständlich

Was auf der Grundlage des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO von den Revisionsgerichten vom Verteidiger für einen für die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge ausreichenden Vortrag verlangt wird, ist viel. Das macht das ausreichende Begründen einer Verfahrensrüge schwer. Dem ein oder anderen wird mancher Beschluss auch unverständlich sein – wobei man mal die Frage, ob dem § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bei seiner Einfühung dieses Gewicht zugedacht war, dahinstehen lassen kann.

Ein Beispiel ist m.E. BGH, Beschl. v.08.11.2011 – 4 StR 472/11, in dem es heißt:

„Die Verfahrensrüge hat keinen Erfolg.
Sie genügt bereits nicht den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Der Beschwerdeführer stützt den behaupteten Verstoß gegen § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO auf im Hauptverhandlungsprotokoll beurkundete Verfahrensvorgänge, ohne den diesbezüglichen Inhalt der Sitzungsniederschrift in der Revisionsrechtfertigung mitzuteilen. Eine bloße Bezugnahme reicht nicht aus. Die Rüge hätte auch in der Sache keinen Erfolg. Eine Verletzung von § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO liegt schon deshalb nicht vor, weil es, wie die Revision selbst vorträgt, zu einer Verständigung nicht gekommen ist.“

Eine bloße Bezugnahme auf das Protokoll der HV reicht eben nicht. Es muss schon vorgetragen werden, welchen Inhalt das Protokoll hat. Allerdings tröstet (?), dass die Rüge auch in der Sache keinen Erfolg gehabt hätte. dazu fragt man sich allerdings – was man jedoch ohne nähere Verfahrenskenntnisse nicht beantworten kann – wieso ein Verstoß gegegn § 257c StPO gerügt wird, wenn eine Verständigung gar nicht zustande gekommen ist.

Mal wieder Strafzumessung – heute im Jugendrecht

 Strafmaß- bzw. Strafzumessungsrevisionen haben m.E. beim BGH eher eine Erfolgschance als gegen den Schuldspruch gerichtete Revisionen. Jedenfalls meine ich, den Schluss aus der veröffentlichten BGH-Rechtsprechung ziehen zu können. Ein Beispiel ist der BGH, Beschl. v. 25.10.2011 – 3 StR 353/11, dem eine Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung zu einer Jugendstrafe von zehn Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, zugrunde lag. Der BGH beanstandet sowohl die Begründung für die Verhängung einer Jugendstrafe als auch die konkrete Strafzumessung.

Ad 1: „Die Verhängung der Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld hält der Nachprüfung nicht stand. Die Kammer stützt ihre Bewertung maßgeblich darauf, dass der Angeklagte sich an einer schweren Straftat, einem Verbrechen (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB), beteiligt hat und der Strafrahmen nach Erwachsenenstrafrecht sechs Monate bis zu elf Jahren und drei Monaten wäre. Bei der Beurteilung der Schuldschwere im Sinne von § 17 Abs. 2 2. Alt. JGG kommt jedoch dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat und ihrer Einstufung im Strafgesetzbuch als Verbrechen keine selbständige Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr, inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Jugendlichen oder Heranwachsenden in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Der äußere Unrechtsgehalt der Tat ist nur insofern von Belang, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Höhe der Schuld gezogen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 400/09, NStZ 2010, 281 mwN). Diese ermisst sich aus dem Gewicht der Tat und der persönlichkeitsbegründenden Beziehung des Täters zu dieser. Dabei ist bei einer Teilnahme vorrangig auf die Schuld des Teilnehmers abzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. August 2000 – 3 StR 253/00, wistra 2000, 463). ……“

Ad 2:Auch die konkrete Strafzumessung begegnet rechtlichen Bedenken. Die Jugendkammer hat zwar ausgeführt, dass sie sich bei der Bemessung der Höhe der Jugendstrafe vorrangig am Erziehungszweck orientiert habe (§ 18 Abs. 2 JGG). Dies ist aus den Urteilsgründen indes nicht erkennbar. Den für die Frage des Erziehungsbedarfs bedeutsamen Umständen, dass bei dem Angeklagten „zwischenzeitlich ein Umdenken stattgefunden hat“ und „er einer ordentlichen Schulausbildung entgegenstrebt“, hat das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung allein gegenübergestellt, dass gegen ihn Anfang Mai 2008, also rund zweieinhalb Jahre vor Begehung der gegenständlichen Tat und drei Jahre vor dem Erlass des angefochtenen Urteils, wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen ein Freizeitjugendarrest verhängt und vollstreckt wurde. Dies entspricht einer Abwägung wie sie im Erwachsenenstrafrecht maßgeblich ist. .…“