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Inbegriffsrüge, oder die in der Hauptverhandlung nicht verlesene Urkunde

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So häufig sind erfolgreiche Verfahrensrügen beim BGH ja nicht. Im BGH, Beschl. v. 10.07.2013 – 1 StR 532/12 wird dann aber eine der klassischen Rügen behandelt, die auch durchgegriffen und zur Aufhebung des Urteils des LG Augsburg geführt hat, nämlich die sog. Inbegriffsrüge (§ 261 StPO), mit der geltend gemacht worden ist, dass im Urteil eine nicht in die Hauptverhandlung eingeführte Urkunde verwertet worden ist. Der Beschluss zeigt sehr schön, was in der Revision vorgetragen werden muss, damit die Rüge zulässig begründet ist:

„Die Revisionen der Angeklagten haben bereits mit einer Verfahrensrüge Erfolg.Die Angeklagten beanstanden zu Recht, das Landgericht habe in seine Beweiswürdigung eine nicht ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführte Urkunde einbezogen und damit seine Überzeugung von der Schuld der Angeklagten unter Verstoß gegen § 261 StPO nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft. …..

a) Eine förmliche Verlesung des Antwortschreibens des Finanzamts H. vom 6. Dezember 2005 gemäß § 249 Abs. 1 StPO erfolgte nicht, wie insoweit durch das Schweigen des Hauptverhandlungsprotokolls belegt wird (vgl. BGH, Urteil vom 6. September 2000 – 2 StR 190/00, NStZ-RR 2001, 18 f. mwN). Ein Verstoß gegen § 261 StPO wäre ungeachtet dessen aber nur dann bewiesen, wenn auszuschließen wäre, dass der Inhalt des Schriftstücks in anderer zulässiger Weise zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wurde (BGH, Beschluss vom 9. Mai 2001 – 2 StR 111/01). Von einem Ausschluss einer anderweitigen Einführung des herangezogenen Beweismittels ist vorliegend auszugehen.

b) Die Angeklagten haben mit ihren Revisionen vorgetragen, der Inhalt der Urkunde sei auch nicht in sonstiger prozessordnungsgemäßer Weise in die Hauptverhandlung eingeführt worden (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 1990 – 3 StR 314/89, BGHR StPO § 344 Abs. 2 S. 2 Urkunden 1; BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2005 – 2 BvR 656/99 u.a., NJW 2005, 1999, 2001 f. mwN), und haben sich dabei mit allen naheliegenden Möglichkeiten der Einführung, insbesondere dem Vorhalt an die beiden als Zeugen gehörten Steuerberater, die das Antragsschreiben an das Finanzamt verfasst hatten, auseinandergesetzt.

Diesen Vortrag der Angeklagten sieht der Senat als erwiesen an. Die Staatsanwaltschaft ist dem Revisionsvorbringen in ihrer Gegenerklärung (§ 347 Abs. 1 Satz 2 StPO) nicht entgegengetreten, sondern hat den Revisionsvortrag hinsichtlich des Verfahrensablaufs ausdrücklich als richtig und vollständig bezeichnet. Auch das Tatgericht hat sich zu keiner dienstlichen Erklärung über einen anderen als den mit den Revisionen vorgetragenen Verfahrensablauf veranlasst gesehen. Für den Senat besteht angesichts dieser Umstände keine Veranlassung, die Richtigkeit des Revisionsvorbringens in tatsächlicher Hinsicht durch ihm an sich mögliche freibeweisliche Ermittlungen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 1998 – 1 StR 67/98, NStZ-RR 1999, 47; Urteil vom 13. Dezember 1967 – 2 StR 544/67, BGHSt 22, 26, 28; BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2005 – 2 BvR 656/99 u.a., NJW 2005, 1999, 2003) zu überprüfen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. August 2006 – 1 StR 293/06, NJW 2006, 3362, und vom 22. November 2001 – 1 StR 471/01, NStZ 2002, 275, 276)….“

Entscheidend ist, dass nicht nur vorgetragen wird, dass die Urkunde nicht verlesen wurde (§ 249 StPO), sondern auch, dass sie auch sonst nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden ist.

Achtung: Eine „vollumfänglich“ eingelegte Revision reicht nicht

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Schon vor meinem Urlaub war auf der Homepage des BGH der BGH, Beschl. v. 01.08.2013 – 2 StR 242/13 eingestellt. Für einen Blogbeitrag zu der Entscheidung hat aber leider die Zeit nicht mehr gereicht. Daher erst jetzt.

Der BGH hat mit seinem Beschluss eine Revision des Angeklagten verworfen. Und zwar:

„Die Revision ist unzulässig. Der Beschwerdeführer hat die rechtzeitig eingelegte Revision gegen das ihm am 26. Februar 2013 zugestellte Urteil innerhalb der Revisionsbegründungsfrist nicht den Anforderungen des § 344 StPO entsprechend begründet. Die Rechtsmittelschrift vom 20. Dezember 2012 enthält lediglich die Erklärung, die Revision werde „vollumfänglich“ eingelegt. Ihr ist weder eine im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässige Verfahrensrüge noch eine Sachrüge zu entnehmen, für welche das Revisionsvorbringen eindeutig ergeben muss, dass die Nachprüfung in sachlich-rechtlicher Hinsicht begehrt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2009 – 2 StR 496/09; Beschluss vom 27. Juli 2005 – 5 StR 201/05; Beschluss vom 20. August 1997 – 2 StR 386/97, NStZ-RR 1998, 18). Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht gestellt.

Na ja, hätte man m.E. im Hinblick auf die Sachrüge auch anders entscheiden können. Dass es für die Verfahrensrüge nicht reicht, bedarf keiner Diskussion. Aber für die Sachrüge dann vielleicht doch. Denn was soll „vollumfänglich“ sonst sein?

Und: „ Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht gestellt.“ Damit hätte man vielleicht noch was retten können als Verteidiger, dürfte dann nach dem BGH-Beschluss aber zu spät sein.

Die „Gebetsmühle“ des BGH zur Aufklärungsrüge

In dem vorhin vorgestellten KG, Urt. vom hat ja auch die Frage der Begründung der Aufklärungsrüge eine Rolle gespielt. Die war nicht ausreichend begründet, wie so häufig. Dazu passt dann der BGH, Beschl. v. 30.07.2013 – 4 StR 190/13, den ich auch bereits in anderem Zusammenhang erwähnt hatte (vgl. Das ist der GBA wohl etwas weit gegangen…), der dazu noch einmal ausführt:

„Ergänzend zum Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts vom 8. Mai 2013 ist anzumerken :

Die Aufklärungsrüge, das Gericht habe es unterlassen, ein Sachverständigengutachten zur Aussagefähigkeit der einzigen Belastungszeugin einzuholen, obgleich sie seit mehreren Jahren Cannabis konsumiere, die schädigende Wirkung des Cannabiskonsums auf kindliche/jugendliche Personen wissenschaftlich feststehe und keine verlässlichen Aussagen zu ihrem Konsumverhalten bestünden, ist nicht zulässig erhoben. Denn die Revision trägt lediglich vor, das Gutachten „hätte möglicher-weise ergeben, dass eine glaubhafte Aussage nur eingeschränkt möglich“ sei (RB S. 20), ohne bestimmte Beweistatsachen und ein zu erwartendes, konkretes Beweisergebnis mit der erforderlichen inhaltlichen Bestimmtheit zu behaupten (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 2013 – 1 StR 320/12, NJW 2013, 1688, 1689; Urteil vom 26. August 1988 – 5 StR 157/88, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 1).“

Leute, also wirklich: So schwer ist es nicht. Und der BGH wiederholt es doch „gebetsmühlenartig“:

Revisionsrecht: Manchmal wäre ein Sätzchen mehr bei der allgemeinen Sachrüge doch sicherer?

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Das LG hat eine das Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen (§ 346 Abs. 1 StPO).  Das LG hatte den Angeklagten verurteilt. Dagegen hat der mit einem per Fax übermittelten Schriftsatz seines Verteidigers Revision eingelegt und diese damit begründet, dass er die allgemeine Sachrüge erhebe. Seine Verwerfungsentscheidung hat das LG damit begründet, dass weder die Einlegungsschrift noch die Revisionsbegründung den nach § 344 Abs. 1 StPO erforderlichen Revisionsantrag enthalte, durch den der Umfang der Urteilsanfechtung bezeichnet werde. Zwar könne das Fehlen eines solchen ausdrücklichen Antrags dann unschädlich sein, wenn sich der  Umfang der Anfechtung aus dem Inhalt der Revisionsbegründung ergebe, was zum Beispiel dann angenommen werde, wenn – wie hier – die uneingeschränkte allgemeine Sachrüge erhoben werde. Das bei fehlendem Revisionsantrag zu berücksichtigende Verhalten des Angeklagten und seines Verteidigers im Verlauf des Verfahrens führten vorliegend aber dazu, dass es eines Revisionsantrages bedurft hätte: Der Angeklagte habe ein umfassendes Geständnis bezüglich aller zur Aburteilung gelangten Taten abgegeben und sich im letzten Wort für sein Fehlverhalten entschuldigt. Sein Verteidiger – „Fachanwalt für Strafrecht“ – habe im Schlussvortrag die Verurteilung seines Mandanten in allen Fällen beantragt, wenn auch teilweise mit anderer rechtlicher Würdigung und niedrigeren Strafen. Zudem habe er im Revisionseinlegungsschriftsatz ausdrücklich mitgeteilt, „Anträge und Begründungen“ blieben einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten. Bei dieser Sachlage bleibe allein aufgrund der allgemein erhobenen Sachrüge völlig unklar, inwieweit der Angeklagte das Urteil anfechten wolle. Dies führe zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels.

Der BGH sieht das im BGH, Beschl. v. 25.07.2013 – 3 StR 76/13, mit dem er über den Antrag des Angeklagten auf Entscheidung des Revisonsgerichts (§ 346 Abs. 2 Satz 1 StPO) entschieden hat, anders:

„…Die vom Landgericht herangezogenen Umstände sind nicht geeignet, ein Abweichen von der für Angeklagtenrevisionen geltenden, oben dargelegten Regel zu begründen. Die vom Landgericht für seine Rechtsauffassung zitierte Entscheidung des Senats (Beschluss vom 31. Ok-tober 1989 – 3 StR 381/89, NStZ 1990, 96) besagt nichts anderes: Auch in dieser Sache hatte der Angeklagte innerhalb der Begründungsfrist allgemein die Verletzung materiellen Rechts gerügt und keinen ausdrücklichen Antrag im Sinne der § 344 Abs. 1, § 352 Abs. 1 StPO gestellt. Der Senat hat entschieden, dass dies unter den gegebenen Umständen unschädlich sei; eines besonders hervorgehobenen Antrags bedürfe es dann nicht, wenn sich das Begehren des Beschwerdeführers sicher aus der Revisionsbegründung – auch unter Berücksichtigung des bisherigen Verfahrens – ergebe. Er hat dies näher damit begründet, dass der Angeklagte die mehreren selbständigen Taten, derentwegen er verurteilt worden war, insgesamt bestritten hat. Der vom Landgericht hieraus gezogene Umkehrschluss, der im vorliegenden Verfahren umfassend geständige Angeklagte, dessen Verteidiger nur teilweise von der Verurteilung abweichende Schlussanträge gestellt hat, müsse einen solchen Antrag ausdrücklich stellen, um seine Revision zulässig zu begründen, ist rechtlich nicht zutreffend. Auch unter diesen Umständen ergibt sich hier aus der Erhebung der un-eingeschränkten allgemeinen Sachrüge hinreichend sicher, dass der Angeklagte das Urteil umfassend anfechten will. Die Mitteilung im Einlegungsschriftsatz, dass „Anträge und Begründungen“ einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten bleiben, stellt eine den Angeklagten nicht bindende Ankündigung dar und vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Die vom Generalbundesanwalt zitierte Entscheidung (BGH, Beschluss vom 5. November 2009 – 2 StR 324/09, NStZ-RR 2010, 288) und der dort seinerseits zitierte Beschluss des Bundes-gerichtshofes (Beschluss vom 7. November 2002 – 5 StR 336/02, NJW 2003, 839) betreffen jeweils eine Revision der Staatsanwaltschaft, für deren zulässige Begründung hinsichtlich der Erforderlichkeit eines ausdrücklichen Antrags gemäß § 344 Abs. 1, § 352 Abs. 1 StPO unter den in diesen Entscheidungen dargelegten Umständen etwas anderes gelten kann.“

Man kann m.E. dem BGH folgen. Aber: Wer sich in Gefahr begibt, kann darin umkommen. Will heißen: Ggf. kann die allgemeine Sachrüge dann doch zu knapp sein. Ein Sätzchen mehr wäre dann sicherer.

Neuer Stolperstein beim BGH: Erhöhte Anforderungen an die Revisionsbegründung im JGG-Verfahren

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Einen neuen potentiellen  Stolperstein gibt es m.E. jetzt in der revisionsrechtlichen Rechtsprechung des BGH zur Begründung der Revision im JGG-Verfahren. Soweit ersichtlich hatten zu der vom BGH im BGH, Beschl. v. 10.07.2013 – 1 StR 278/13 – entschiedenen Fragen bisher nur OLG Stellung genommen. Jetzt ist es auch der BGH, der – ähnlich wie bei der Nebenklägerrevision – einem Dauerbrenner – erhöhte Anforderungen an die Begründung stellt:

1. Ein Urteil, das – wie hier mit der Verhängung von Jugendarrest – aus-schließlich ein Zuchtmittel (§ 13 Abs. 2 Ziffer 3 JGG) gegen den Angeklagten anordnet, kann gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG nicht wegen des Umfangs der Maßnahme und nicht deshalb angefochten werden, weil andere Erziehungs-maßregeln oder (andere) Zuchtmittel hätten angeordnet werden sollen. Dem-entsprechend kann ein Rechtsmittel gegen ein allein derartige Rechtsfolgen des Jugendstrafrechts verhängendes Urteil lediglich darauf gestützt werden, dass die Schuldfrage aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen falsch beur-teilt oder die verhängte Sanktion selbst rechtswidrig ist (OLG Celle, NStZ-RR 2001, 121 mwN; OLG Dresden, Beschluss vom 31. Januar 2003 – 1 Ss 708/02 – zitiert nach juris; Laue in Meier/Rössner/Trüg/Wulf, JGG, 2011, § 55 Rn. 29; siehe auch BVerfG NStZ-RR 2007, 385, 386).

a) Diese gesetzliche Beschränkung in dem zulässigen Angriffsziel eines gegen ein solches Urteil gerichteten Rechtsmittels wirkt sich bei der Revision auf die aus § 344 Abs. 1 StPO resultierenden Anforderungen an den vom Gesetz verlangten Revisionsantrag aus (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 344 Rn. 3a; siehe auch bereits BGH, Beschluss vom 6. Oktober 1998 – 4 StR 312/98, bei Böhm NStZ-RR 1999, 289, 291 zu Ziffer VI.). Um eine Umgehung der Begrenzung der im Rahmen von § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG zulässigen An-griffsziele einer Revision zu verhindern, ergibt sich vor dem Hintergrund von § 344 Abs. 1 StPO, im Revisionsantrag anzugeben, inwieweit das Urteil ange-fochten werde, für den Revisionsführer die Notwendigkeit, eindeutig (vgl. BVerfG NStZ-RR 2007, 385, 386) klarzustellen, dass mit dem Rechtsmittel ein zulässiges Ziel verfolgt wird (OLG Celle und OLG Dresden jeweils aaO; Meyer-Goßner aaO; Laue in Meier/Rössner/Trüg/Wulf, JGG, § 55 Rn. 29 aE).

Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 4. Juni 2013 zutreffend ausgeführt hat, ist ein solches Erfordernis der Angabe eines zulässigen Angriffsziels in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die in § 400 Abs. 1 StPO enthaltenen Beschränkungen bei Rechtsmitteln des Nebenklägers seit langem anerkannt (etwa BGH, Beschlüsse vom 6. März 2001 – 4 StR 505/00, bei Becker NStZ-RR 2002, 97, 104; vom 11. März 2004 – 3 StR 493/03, bei Becker NStZ-RR 2005, 257, 262; und vom 27. Januar 2009 – 3 StR 592/08, NStZ-RR 2009, 253). Wie bei dem sachlich begrenzten Rechtsmittel des Nebenklägers kann auch bei dem gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG beschränkt zulässigen Anfechtungsumfang die Einhaltung der Beschränkung durch das Rechtsmittelgericht wirksam vor allem über die aus § 344 Abs. 1 StPO resultierenden Anforderungen an den Revisionsantrag überprüft werden….“

Also: Beachten und kein Rechtsprechungsmarathon initieren.