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Corona I: Kann man „unter freiem Himmel sitzen?, oder: Was ist „Außengastronomie“?

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Und dann -seit längerem mal wieder – zum Wochenauftakt zwei Entscheidungen aus dem Bereich „Corona“.

Ich beginne mit dem BayObLG, Beschl. v. 09.08.2022 – 201 ObOWi 903/22, der sich u,a, miz dem Begriff der zulässigen ‚Außengastronomie‘ nach § 27 der 12. BayIfSMV befasst.

Das AG hat hat den Betroffenen schuldig gesprochen, vorsätzlich entgegen § 13 der 12. BayIfSMV einen Gastronomiebetrieb geöffnet und betrieben zu haben, und hat deshalb eine Geldbuße in Höhe von 2.500 Euro gegen ihn verhängt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Die Rechtsbeschwerde hatte teilweise Erfolg:

1. Das Urteil hat – soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren relevant – im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der Betroffene ist Geschäftsführer eines Gastronomiebetriebs. Am 22.05.2021 im Zeitraum zwischen 13:00 und 15:30 Uhr öffnete der Betroffene einen Bereich des Lokals für die Bewirtung von Gästen auf der baurechtlich als „Freischankfläche Terrasse“ zugelassenen Fläche, welche jedoch an einer Seite von einer Mauer und an drei Seiten durch fest mit dem Boden verbundene Metallprofile, die mit Glasscheiben ausgefüllt sind, umgrenzt wird, wobei ein Zeltdach, welches teilweise auf den Metallprofilen der Seitenwände aufliegt, die gesamte Fläche von rund 100 m² überspannte. Eine der drei Glasfronten war vollständig geschlossen, bei zwei der Glasfronten waren die fünf Meter breiten Durchgänge vollständig geöffnet, sodass der umgrenzte Raum durch Dach und Seitenwände nicht vollständig gegen Regen und Zugluft geschützt war. Der Betroffene, der den äußeren Sachverhalt weitgehend eingeräumt hat, hat sich dahingehend eingelassen, dass er den Bereich für Außengastronomie gehalten habe und sich deshalb zur Öffnung berechtigt gesehen habe. Außengastronomie war nach Mitteilung des zuständigen Landratsamts zum Tatzeitpunkt zugelassen. Der Betroffene habe vorsätzlich gehandelt, da er sämtliche Tatbestandsmerkmale gekannt habe und hinsichtlich des Vorliegens von Außengastronomie lediglich einem Subsumtionsirrtum unterlegen sei.

2. Die rechtliche Einordnung des Tatrichters, dass der von dem Betroffenen unterhaltene Gastronomiebetrieb nicht der Außengastronomie zuzurechnen ist, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer Stellungnahme Folgendes ausgeführt:

„Entgegen der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers liegt keine Bewirtung im Außenbereich des Ausnahmetatbestands des § 27 Abs. 1 bzw. Abs. 2 der 12. BayIfSMV vor.

Zwar definiert die 12. BayIfSMV nicht den in § 27 verwendeten Begriff der ‚Außengastronomie‘, die insoweit zutreffende Beurteilung des Gerichts lässt sich jedoch aus der Rechtsprechung und den Gesetzesmaterialien zum Rauchverbot nach dem Bay. Gesundheitsschutzgesetz ableiten, zumal es sich um eine gleich gelagerte Gesundheitsgefährdung Dritter durch Aerosole und Partikel in der Luft handelt.

In seiner Entscheidung vom 12.08.2009 – 2 Ss OWi 795/09 formuliert das OLG Bamberg (Anm. d. Senats: vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 12.08.2009 – 2 Ss OWi 795/09 bei juris = OLGSt OWiG § 3 Nr 2 = BeckRS 2009, 26732) zum Begriff ‚Innenraum‘ i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BayGSG: ‚Von einem Innenraum kann nach dem allgemeinen sprachlichen Verständnis sowie auch nach dem Willen des Gesetzgebers nur bei einem geschlossenen Raum ausgegangen werden, der nach allen Seiten von Wänden oder Fenstern eingegrenzt wird, ohne dass es aber auf das Material oder die Beschaffenheit der den Raum umgrenzenden Wände, Türen und Fenster ankommt. Der Innenbereich ist damit abzugrenzen vom Außen- und Freibereich. Dem Freibereich sollen danach nicht (vollständig) überdachte Innenhöfe, überdachte aber nicht geschlossene Sportstadien und insbesondere Frei- und Außenbereiche der Gastronomie, zum Beispiel in Wirts- und Biergärten, zugerechnet werden.‘

Auch der Bay. Verwaltungsgerichtshof geht in seiner Entscheidung vom 18.11.2011 (Anm. d. Senats: vgl. BayVGH, Beschl. v. 18.11.2011 – 22 CS 11.2007 bei juris = BeckRS 2011, 34392), von dieser Entscheidung aus und stützt sich dabei auf die Begründung im Gesetzgebungsverfahren. Unter der Rn. 13 führt der Senat in den Gründen aus: ‚Die Einzelbegründung zu Art. 3 Abs. 1 GSG a.F. [LT-Drs. 15/8603, S  9 f.] definiert Innenräume als geschlossene Räume, ‚die nach allen Seiten von Wänden oder Fenstern eingegrenzt werden. Abgegrenzt wird der Begriff des Innenraums von dem des Außen- oder Freibereichs […] in den Freibereichen wie nicht (vollständig) überdachten Innenhöfen […] und insbesondere im Frei- und Außenbereich der Gastronomie, z.B. in Wirts- und Biergärten, ist das Rauchen weiterhin erlaubt […]. In der Außenluft können sich die Schadstoffe des Tabakrauchs besser verteilen, sodass die Gesundheitsgefahren durch Passivrauchen erheblich vermindert sind.‘ Die Einzelbegründung zu Art. 6 Abs. 4 GSG a.F. (vgl. LT-Drs. 15/8603, S. 11) spricht insofern vom Rauchen unter freiem Himmel, bei welchem der Nichtraucher nicht zwangsläufig den Risiken des Passivrauchens ausgesetzt ist, da er sich dem Qualm leicht durch Weggehen entziehen kann. Die Gesetzesmaterialien unterscheiden erkennbar nur zwei Bereiche: Räume und Flächen in allseits umschlossenen und vollständig überdachten Gebäuden als Innenbereich einerseits sowie Frei- und Außenflächen im Außengelände andererseits. Einen dritten Bereich gibt es nach den den Gesetzesmaterialien zu Grunde liegenden Vorstellungen […] nicht.‘

Ausgehend von diesen Definitionen des Innenbereichs von Gaststätten und des Außenbereichs ist die vom Gericht getroffene Beurteilung des Betriebs einer Gaststätte im gegebenen Fall nicht zu beanstanden.[.. ]. Es handelt sich insoweit nicht um Außengastronomie, bei der begrifflich die Gäste ‚unter freiem Himmel‘ sitzen müssen.“

Der Senat schließt sich diesen zutreffenden Ausführungen nach eigener Überprüfung an. Der Betroffene hat damit entgegen § 13 Abs. 1 der 12. BayIfSMV einen Gastronomiebetrieb geöffnet und betrieben.

3. Der Schuldspruch erweist sich hingegen als rechtsfehlerhaft, soweit der Tatrichter von vorsätzlicher Tatbegehung ausgeht. Vielmehr befand sich der Betroffene ausweislich der Urteilsfeststellungen in einem Tatbestandsirrtum (§ 11 Abs. 1 Satz 1 OWiG), der die Ahndung wegen vorsätzlicher Tatbegehung ausschließt…….“

EuGH-Vorabentscheidungsverfahren, oder: Ist die Fahrt des vorlegenden Richters zum EuGH eine Dienstreise?

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den BVerwG, Beschl. v. 15.04.2021 – 2 C 13.20. Die hatte ich über die PM schon länger „auf dem Schirm“. Das BVerwG hat aber jetzt erst den Volltext veröffentlicht. Also kann ich die Entscheidung auch jetzt erst vorstellen.

Es geht um folgenden Sachverhalt:

„Der Kläger beansprucht von seinem Dienstherrn die Kostenerstattung für eine Reise zum Gerichtshof der Europäischen Union nach Luxemburg. Darüber hinaus erstrebt er Feststellungen zu den Bedingungen seiner Dienstausübung als Richter.

Der Kläger ist Vorsitzender Richter an einem Oberlandesgericht. Im Jahr 2015 setzte der vom Kläger geleitete Strafsenat des Oberlandesgerichts zwei Überstellungsverfahren zum Zwecke der Strafverfolgung nach Ungarn und Rumänien aus und legte dem Gerichtshof der Europäischen Union mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor. Nachdem der Gerichtshof dem Vorlagesenat des Oberlandesgerichts mitgeteilt hatte, dass Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt worden sei, entschloss sich der Kläger, nach Luxemburg zu reisen, um die mündliche Verhandlung zu besuchen.

Dies zeigte er der Beklagten über ein elektronisches Mitarbeiterportal zur Abrechnung von Dienstreisen mit dem Hinweis an, dass es sich um eine Reise im Rahmen richterlicher Spruchtätigkeit handele, die keiner Anordnung oder Genehmigung bedürfe. Die Präsidentin des Oberlandesgerichts lehnte es ab, eine Dienstreise zu genehmigen. Zur Begründung führte sie aus, eine Anwesenheit des Klägers bei der mündlichen Verhandlung des Gerichtshofs der Europäischen Union sei weder im Rahmen richterlicher Spruchtätigkeit noch aus sonstigen Gründen geboten. Es werde angeregt, Sonderurlaub zu beantragen. Der Kläger beantragte hilfsweise Sonderurlaub und reiste nach Luxemburg.

Sein anschließend gestellter Antrag auf Erstattung der Reisekosten in Höhe von rund 840 € wurde abgelehnt. Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage auf Erstattung der Reisekosten und auf Feststellung, dass es sich bei der Reise zum Gerichtshof der Europäischen Union um eine genehmigungsfreie Dienstreise gehandelt habe, sowie auf weitere Feststellungen ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass es sich bei der Reise des Klägers nicht um ein dem Schutz der richterlichen Unabhängigkeit unterliegendes richterliches Amtsgeschäft gehandelt habe. Die Definitionshoheit darüber, ob es sich um eine richterliche Tätigkeit in diesem Sinne handele, liege nicht bei dem Richter selbst; dies sei vielmehr objektiv zu bestimmen. Bei der Beobachtung der mündlichen Verhandlung des Gerichtshofs der Europäischen Union durch den Kläger handele es sich nicht um eine richterliche Handlung, die mit der Aufgabe des Richters, in einem konkreten Verfahren Recht zu finden, unmittelbar im Zusammenhang stehe.“

Das BVerwG hat die Revision gegen das Urteil des OVG Bremen zurückgewiesen. Es hat seiner Entscheidung folgende Leitsätze gegeben:

1. Dienstreisen eines Richters bedürfen dann keiner Genehmigung, wenn sie im Rahmen richterlicher Amtstätigkeit erfolgen. Die Bestimmung darüber, ob eine genehmigungsfreie richterliche Dienstreise vorliegt, richtet sich nach objektiven Kriterien.

2. Die Prozessbeobachtung einer mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) durch einen Richter des vorlegenden Gerichts in einem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV ist kein richterliches Amtsgeschäft.

3. Der Anspruch eines Richters auf unmittelbare und genehmigungsfreie Kommunikation zwischen ihm als Mitglied des vorlegenden nationalen Gerichts und dem Gerichtshof der Europäischen Union ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auf schriftlichen, digitalen und fernmündlichen Dialog angelegt. Reisetätigkeiten erfasst dieser Dialog nicht.

Das Verfahren, oder besser: der Sachverhalt, lässt einen, jedenfalls mich, dann doch ein wenig – oder auch ein wenig mehr – verwundert zurück. Ich frage mich, warum man für diese Frage das BVerwG braucht.  Dass das keine Dienstreise ist/war, lag m.E. auf der Hand. Hat der EuGH Rückfragen, wird das eben schriftlich oder telefonisch geregelt. Vor Ort möchte er im Grunde niemanden vom vorlegenden Gericht, muss wohl das OLG Bremen gewesen sein, sehen.

Verkehrsrecht II: Verbotenes Kraftfahrzeugrennen, oder: Begriff des Rennens und Urteilsgründe

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Und im zweiten Posting zwei Entscheidungen zum Kraftahrzeugrennen (§ 315d StGB) – also zu der noch recht neuen Vorschrift im StGB.

Ich weise zunächst hin auf den LG Aachen, Beschl. v. 11.02.2021 – 60 Qs 1/21, das in einem umfangreich begründeten Beschluss einen Nichteröffnungsbeschluss des AG Aachen aufgehoben und ein Verfahren eröffnet hat. Dazu folgende Leitsätze:

  1. Die Tatbestände des § 315d Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB erfassen Fälle nicht erlaubter Kraftfahrzeugrennen in der Variante der Ausrichtung oder Durchführung (Nr. 1) bzw. der Teilnahme (Nr. 2). Gemeinsame objektive Tatbestandsvoraussetzung ist das Vorliegen eines nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennens. Ziel des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist demgegenüber die Erfassung auch derjenigen Fälle, in denen nur ein einziges Kraftfahrzeug objektiv und subjektiv ein Rennen gewissermaßen nachstellt. Es kann daher nicht zugleich (tateinheitlich) eine Teilnahme an einem unerlaubten Kraftfahrzeugrennen nach § 315 Abs. 1 Nr. 2 StGB und ein unerlaubtes „Einzelrasen“ nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB vorliegen. Vielmehr schließen sich die vorgenannten Tatbestände gegenseitig aus.

  2. Die Ermittlung eines Siegers ist kein konstitutives Element eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens (Anschluss an LG Deggendorf, Urt. v. 22.11.2019 – 1 Ks 6 Js 5538/18). Ausreichend ist, dass der Versuch des Erreichens der Höchstgeschwindigkeit der gegenseitigen Leistungsprüfung dient, ohne dass die Teilnehmer miteinander im Wettbewerb stehen (Anschluss an OLG Köln, Urt. v. 05.05.2020 – III-1 RVs 42/20; KG, Beschl. v. 20.12.2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19).

  3. Auf die Erzielung einer absoluten Höchstgeschwindigkeit kommt es für das Vorliegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens nicht an. Der Wille, gemeinsam möglichst schnell zu fahren, erfüllt den Rennbegriff ebenso. Ausschlaggebend ist das Streben nach einer höheren Geschwindigkeit (Anschluss an LG Berlin, Beschl. v. 29.01.2019 – 511 Qs 126/18). Ebenso ausreichend ist, dass die betroffenen Kraftfahrzeugführer das Beschleunigungspotential ihrer Gefährte vergleichen (Anschluss an LG Berlin, Beschl. v. 29.01.2019 – 511 Qs 126/18; LG Arnsberg, Urt. v. 20.01.2020 – 2 Ks 15/19).

  4. Die für die Ermittlung bzw. Schätzung von Geschwindigkeiten im Ordnungswidrigkeitenrecht maßgeblichen Kriterien der Länge der Messstrecke und des Abstands zum vorausfahrenden Fahrzeug sowie insbesondere der Ansatz eines deutlichen Toleranzabzugs zur Berücksichtigung von Ablese- und Eigenfehlern des (unjustierten) Tachometers sollen die zutreffende, den Grundsatz „in dubio pro reo“ wahrende Einordnung eines Geschwindigkeitsverstoßes in das System der Regelbußen und des Regelfahrverbots der Bußgeldkatalog-Verordnung ermöglichen; sie finden im Rahmen der § 315b Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB keine Anwendung. Entsprechende Feststellungen sind hier auch ohne genauere Bestimmung der gefahrenen Geschwindigkeit möglich (Anschluss an OLG Köln, Urt. v. 05.05.2020 – III-1 RVs 42/20).

  5. Gegen die Strafnorm des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (Anschluss an KG, Beschl. v. 20.12.2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19); OLG Köln, Beschl. v. 05.05.2020 – 1 RVs 45/20; entgegen AG Villingen-Schwenningen, Beschl. v. 16.01.2020 – 6 Ds 66 Js 980/19).

  6. Im Rahmen des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist nicht erforderlich, dass der Nachweis einer doppelten Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit geführt werden kann. Erforderlich, aber auch ausreichend ist die Feststellung eines abstrakt grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Fahrens mit der Absicht des Erreichens einer höchstmöglichen Geschwindigkeit (hier: mehrfaches Durchfahren eines „Eifel-Rundkurses“ mit einer Länge von gut 12 km in 6 Minuten und 38 Sekunden sowie 6 Minuten und 56 Skunden).

Und als zweite „Renn-Entscheidung“ stelle ich den KG, Beschl. v. 22.02.2021 – 3 Ss 13/21 – zu den Anforderungen an das Urteil bei einer Verurteilung wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens vor, und zwar mit folgenden Leitsätzen:

  1. Bei der Anwendung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB gilt, dass gerade dessen weite Fassung vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) möglichst klar konturierte Feststellungen des für erwiesen erachteten Sachverhalts erfordert.

  2. Vor dem Hintergrund der weiten gesetzlichen Formulierung dürfen sich Unschärfen bei der Sachverhaltsermittlung nicht einseitig zum Nachteil des Angeklagten auswirken.

  3. Es ist Aufgabe des Tatgerichts, die innere Tatseite zu ermitteln und darzustellen, nicht aber Aufgabe des Revisionsgerichts, aus dem geschilderten äußeren Sachverhalt darauf zu schließen, welche Vorstellungen sich das Tatgericht möglicherweise von der inneren Tatseite gemacht hat.

  4. Die vom Beschuldigten gefahrene Geschwindigkeit valide zu schätzen und das Ergebnis darzulegen, ist nicht Aufgabe des Revisions-, sondern diejenige des Tatgerichts. Bei versierten polizeilichen Zeugen können in Bezug auf Geschwindigkeiten auch valide Schätzungen zu erwarten und vom Tatgericht in freier richterlicher Beweiswürdigung gegebenenfalls ohne Abschlag zu übernehmen sein.

  5. Bei den Urteilsfeststellungen zu schildern ist nicht vorrangig das den Polizeibeamten zur Verfolgung abgenötigte Fahrverhalten, sondern dasjenige des (vorausfahrenden) Täters, welches das Tatgericht nach freier richterlicher Beweiswürdigung für tatbestandsmäßig hält.

  6. Als nicht per se rechtsfehlerhaft, aber als problematisch muss es gelten, wenn sich bei einem komplexen Tatgeschehen die Würdigung der den Angeklagten belastenden Beweise darauf beschränkt, der Sachverhalt stehe fest aufgrund der „uneidlichen Bekundungen der Zeugen“. Bei einem schweigenden oder bestreitenden Angeklagten oder bei anderweitig schwieriger Sachlage wird eine derart inhaltslose Phrase in aller Regel die gesetzlichen Anforderungen an die richterliche Beweiswürdigung verfehlen.

StGB I: Wann ist es eine „kriminelle Vereinigung“?, oder: Abgrenzung zur Bande

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Ich stelle heute dann mal wieder einige StGB-Entscheidungen vor, aber heute dann auch mal zwei Entscheidungen, die sich nicht mit den Delikten befassen, die „alltäglich“ sind bzw. sonst die Berichterstattung beherrschen.

Und ich beginne mit dem LG Köln, Beschl. v. 09.11.2020 – 101 Qs 72/20. In ihm geht es um den Begriff der kriminellen Vereinigung i.S. des § 129 StGB und die Abgrenzung dieses Begriffs zur Bande. Da der Beschluss gut 26 (!) Seiten lang ist, eignet er sich nicht so gut, um hier eingestellt zu werden. Daher verweise ich auf den Volltext.

Und hier mache ich es mir einfach und stelle das Übersendungsschreiben der 1. großen Strafkammer des LG Köln ein:

„Sehr geehrte Damen und Herren,

in der Anlage übersende ich Ihnen einen Beschluss unserer Kammer vom 09.11.2020 (101 Qs 72/20), der aus meiner Sicht für eine Veröffentlichung in Betracht kommen könnte.

In diesem Beschluss hat sich unsere Kammer im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens ausführlich mit dem Begriff der kriminellen Vereinigung befasst, insbesondere ausgeführt, dass auch nach der Einführung der Legaldefinition des § 129 Abs. 2 StGB weiterhin eine trennscharfe Abgrenzung von Bande und krimineller Vereinigung möglich sein müsse. Höchstrichterliche Entscheidungen liegen hierzu, soweit wir sehen, nach der Gesetzesneufassung noch nicht vor. Die Kommentarliteratur erkennt das Problem einer geradezu uferlosen Anwendung des § 129 StGB und hat die Hoffnung geäußert, dass die Rechtsprechung dem Begriff ggfs. neue Konturen verleihen könne. Diesem Ziel haben wir uns in dem angesprochenen Beschluss, mit dem wir einen u.a. auf den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung gestützten Haftbefehl aufgehoben haben, auf den Seiten 4 bis 17 gewidmet.

Folgende Leitsätze könnten für den angehängten Beschluss in Betracht kommen:

  1. Zur Abgrenzung der kriminellen Vereinigung von der Bande nach der Neuregelung des § 129 Abs. 2 StGB mit Gesetz zur Änderung des Strafrechts vom 21.07.2017
  2. Der Anwendungsbereich des § 129 StGB ist weiterhin subjektiv zu begrenzen (Fortgeltung der in BGHSt 54, 216 entwickelten Auslegungsgrundsätze).
  3. Eine darauf verzichtende, allein am Zweck des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates der Europäischen Union vom 24.10.2008 orientierte Auslegung würde demgegenüber zu einer Verwischung der Grenzen von Bande und krimineller Vereinigung und damit zu einem unauflösbaren Bruch im System der Strafbarkeit mehrerer zusammenwirkender Personen führen, auf dem das deutsche materielle Strafrecht beruht.
  4. Ein „übergeordnetes gemeinsames Interesse“ im Sinne von § 129 Abs. 2 StGB scheidet daher weiterhin aus, wenn bloß ein persönliches Gewinnstreben der Täter im Vordergrund steht.

Die gegen unseren Beschluss gerichtete weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft Köln hat das Oberlandesgericht Köln mit Beschluss vom 21.01.2021 (2 Ws 717/20) als unbegründet verworfen. Es hat ausgeführt, dass – mangels Ausbeutung – kein dringender Tatverdacht bezüglich eines Menschenhandels bestehe und letztlich offen bleiben könne, ob ein solcher bezüglich der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorliege, da es jedenfalls am Haftgrund fehle. Im Rahmen eines obiter dictums hat das Oberlandesgericht Köln ausgeführt, dass die Kammer „mit beachtlichen Argumenten“ darauf hingewiesen habe, dass es auch nach Einführung von § 129 Abs. 2 StGB n.F. möglich bleiben müsse, die kriminelle Vereinigung vom Begriff der Bande abzugrenzen; dies entspreche auch der Gesetzesbegründung.

Auch in einem ähnlich gelagerten Parallelverfahren hat das Oberlandesgericht Köln eine weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen einen Beschluss der Kammer (vom 1.10.20, 101 Qs 64/20) mit Beschluss vom 21.01.2021 (2 Ws 614/20) als unbegründet verworfen. Auch hier hat das Oberlandesgericht Köln nicht abschließend zum Begriff der kriminellen Vereinigung Stellung genommen, aber erneut erwähnt, dass die Kammer „mit beachtlichen Gründen ausgeführt“ habe, dass gegen den Beschuldigten insoweit kein dringender Tatverdacht bestehe.“

Im Übrigen: Selbst lesen. Die Kammer hat sich viel Mühe gemacht.

OWi II: Fahren im Verband/Konvoi, oder: Fahren zum Demonstrationsort und Art. 8 GG

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Und als zweites Posting dann zwei Entscheidungen zu einem Paragrafen der StVO, mit dem man weniger zu tun hat. Und zwar handelt es sich um § 27 StVO – das Fahren im Verband.

Dazu dann zweimal das KG mit folgenden Leitsätzen:

1. Das bloße Fahren mehrerer Fahrzeuge im Konvoi auf öffentlichem Straßenland stellt keinen geschlossenen Verband nach § 27 StVO dar.
2. Die Teilnehmer eines solchen Formationsfahrens genießen nicht die Vorrechte aus § 27 StVO.
3. Die nach § 29 Abs. 2 StVO erteilte Erlaubnis berechtigt nicht zum Fahren im Verband zum Demonstrationsort. Die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG gibt zu keiner anderen Bewertung Anlass.

1. Konstituierendes Merkmal eines geschlossenen Verbands i. S. des § 27 Abs. 5 StVO ist, dass es einen für die Einhaltung der Vorschriften einstehenden Führer gibt, der auch die Kennzeichnung der zu dem Verband gehörenden Fahrzeuge bestimmt.

2. Jedenfalls bei Kraftfahrzeugen kann die Kennzeichnung des Verbands nicht lediglich durch eine (einheitliche) „Fahrzeugart“ erfolgen.

3. Schon aus Sinn und Zweck des auf Klarheit und Einfachheit angelegten Straßenverkehrsrechts ergibt sich, dass die Frage, ob ein Verkehrsteilnehmer das Verbandprivileg in Anspruch nehmen kann nicht (allein) von versammlungsrechtlichen Fragestellungen abhängig sein kann.