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Aussage-gegen-Aussage I: Würdigung des Glaubwürdigkeitsgutachtens, oder: Handreichungen

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In die 38. KW. starte ich hier mit zwei Entscheidungen zu einer Beweiswürdigungsfrage, und zwar zur Aussage-gegen-Aussage-Problematik.

Den Beginn macht der BGH, Beschl. v. 19.05.2020 – 2 StR 7/20. Der Entscheidudng liegt ein Urteil des LG Gera zugrunde, durch das der Angeklagte u.w. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden ist. Der BGh hebt auf und beanstandet die Beweiswürdigung:

„Die den Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung hält – auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. nur BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402) – sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Nach den Feststellungen missbrauchte der Angeklagte seinen im Dezember 2008 geborenen Stiefsohn M. in drei Fällen sexuell. Die Strafkammer stützt dies allein auf die Angaben des Jungen bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung, die dieser später widerrufen hat. Dabei hat sich die Strafkammer hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Tatopfers und der Glaubhaftigkeit seiner Angaben sachverständig beraten lassen.

2. In Fällen, in denen – wie hier – Aussage gegen Aussage steht, hat der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung besondere Anforderungen an die Darlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 – 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997 – 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Senat, Urteil vom 3. Februar 1993 – 2 StR 531/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15; Urteil vom 6. April 2016 – 2 StR 408/15, Rn. 11) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 30. August 2012 – 5 StR 394/12, NStZ-RR 2013, 19; Senat, Urteil vom 6. April 2016 – 2 StR 408/15, Rn. 11 mwN). Erforderlich sind vor allem eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage (BGH, Beschluss vom 21. April 2005 – 4 StR 98/05, NStZ-RR 2005, 232, 233), eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2003 – 4 StR 73/03, Rn. 8), sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben (Senat, Urteil vom 7. März 2012 – 2 StR 565/11, Rn. 9; Urteil vom 7. Februar 2018 – 2 StR 447/17, Rn. 8).

3. Den sich hieraus ergebenden Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Insbesondere ist die Würdigung des eingeholten Glaubwürdigkeitsgutachtens widersprüchlich und lückenhaft.

a) Ausweislich der in die Urteilsgründe einkopierten Auszüge aus dem schriftlich abgefassten aussagepsychologischen Gutachten (welches die Sachverständige „entsprechend mündlich inhaltlich referiert“ habe), hat die Sachverständige ausgeführt, dass die Nullhypothese, die Angaben von M. enthielten keine hinreichenden Hinweise auf eine Erlebnisfundiertheit und dementsprechende Glaubwürdigkeit, nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zurückgewiesen werden könne. Es seien erhebliche Einschränkungen in seinem Bemühen um die Objektivität seiner Angaben erkennbar und er zeige die Bereitschaft zu Falschaussagen. Dies begründe nachhaltige Zweifel an seiner Zeugentauglichkeit.

b) Hierzu führen die Urteilsgründe sodann aus: „Den grundsätzlichen Darlegungen der Sachverständigen nicht zu folgen, hatte die Kammer keine Veranlassung. Wie bereits ausgeführt, geht die Kammer davon aus, dass das geschädigte Kind jedenfalls noch bei seiner ersten Befragung […], da völlig unbeeinflusst und teils spontan mit unerwarteten Details aufwartend sowie unter Schilderung von originellen Details und Interaktionen, von tatsächlich mit dem Angeklagten erlebten sexuellen Erfahrungen berichtet hat.“ Dies lässt besorgen, dass die Strafkammer das Ergebnis der aussagepsychologischen Begutachtung missverstanden und folglich unzutreffend in eine Gesamtwürdigung einbezogen hat, oder dass sie sich ohne inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gutachten über dessen Ergebnis hinweggesetzt hat. Beides ist rechtsfehlerhaft. Zwar ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter eine von einem Sachverständigengutachten abweichende eigene Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Belastungszeugen vornimmt, denn er ist im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung stets zu einer eigenen Beurteilung verpflichtet. Weicht der Tatrichter mit seiner Beurteilung von einem Sachverständigengutachten ab, muss er sich jedoch konkret mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinandersetzen und seine Auffassung tragfähig sowie nachvollziehbar begründen, um zu belegen, dass er mit Recht das bessere Fachwissen für sich in Anspruch nimmt, nachdem er zuvor glaubte, sachverständiger Beratung zu bedürfen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 16. September 2008 – 3 StR 302/08, Rn. 5 mwN). Jedenfalls dies ist im gegebenen Fall nicht in ausreichender Weise geschehen.“

Und dann gleich noch ein paar Handreichungen für das Schreiben von Urteilen, nach dem Motto: So hätten wir es gern.

„a) Eine wörtliche Wiedergabe umfangreicher Vernehmungsprotokolle in den Urteilsgründen allein auf der Grundlage von Vorhalten gegenüber dem jeweiligen Vernehmungsbeamten ist schon für sich genommen rechtlich bedenklich. Mit Blick auf den Inhalt der über mehrere Seiten referierten Angaben des Tatopfers auf entsprechende Fragen des Vernehmungsbeamten (UA 17 bis 19) besteht im vorliegenden Fall ferner Anlass zu dem Hinweis, dass die Wertung des Landgerichts, die Mitteilungen des Geschädigten (gegenüber dem Vernehmungsbeamten) seien „teils überraschend und spontan erfolgt und daher glaubhaft“, näherer Erläuterung bedurft hätte.

b) Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, ein auch im Übrigen den Anforderungen des § 267 StPO genügendes Strafurteil abzufassen (zur gebotenen Klarheit in Sprache und Darstellung vgl. Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 29. Aufl., Rn. 207 ff., 228 ff.). Insbesondere bei einer umfangreicheren Beweiswürdigung ist darauf Bedacht zu nehmen, diese durch eine erkennbare Struktur – etwa eine Gliederung – klar und nachvollziehbar zu machen; ist eine Beweiswürdigung unstrukturiert, kann allein dies den Bestand eines Urteils gefährden (BGH, Beschluss vom 12. August 1999 – 3 StR 271/99). Die schriftlichen Urteilsgründe sollen in allgemein verständlicher und sachlicher Form abgefasst sein (Senat, Urteil vom 3. Dezember 2008 – 2 StR 435/08, NStZ-RR 2009, 103, 104). Ein klarer sprachlicher Ausdruck dient – wie eine Gliederung – der notwendigen intersubjektiven Vermittelbarkeit der bestimmenden Beweisgründe (vgl. bereits BGH, Beschluss vom 18. April 1994 – 5 StR 160/94, NStZ 1994, 400; vgl. auch Senat, Beschluss vom 11. März 2020 – 2 StR 380/19, Rn. 4). So finden auch Eigentümlichkeiten in Sprache und Gedankenführung in tatrichterlichen Urteilen (hier z.B. UA 23 mittlerer Absatz) ihre Grenzen in den aus den §§ 261, 267 StPO folgenden gesetzlichen Anforderungen.“

 

Pflichti I: Aussage-gegen-Aussage-Konstellation, oder: Gesamtschau

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Heute – am nächsten warmen Sommertag – mache ich hier einen Pflichtverteidigungstag. Und alle drei Entscheidungen nehmen zu den Beiordnungsgründen Stellung.

Den Reigen eröffnet der OLG Hamm, Beschl. v. 09.07.2020 – III – 5 Ws 202/20 -, den mir der Kollege Bleicher aus Dortmund geschickt hat.

Der verteidigt den Angeklagten in einem Berufungsverfahren. Der Angeklagte ist mit Urteil des AG Brilon wegen Bedrohung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 60,00 Euro verurteilt worden. Ferner wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein wurde eingezogen und eine Sperrfrist von einem Jahr festgesetzt. Der Beiordnungsantrag ust damit begründet, dass der Angeklagte in einem ländlichen Gebiet wohne und als Arbeitnehmer auf seine Fahrerlaubnis angewiesen sei. Da (inzwischen) auch die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt, die sie auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hta, hat der Angeklagate auch damit den Beiordnungsantrag begründet. Zudem sei im Verfahren eine klassische „Aussage-gegen-Aussage-Konstellation“ gegeben.

Das LG hat die Beiordnung abgelehnt. Die sofortige Beschwerde hatte beim OLG Erfolg:

„Die zulässige Beschwerde gegen die Ablehnung der Pflichtverteidigerbesteliung hat in der Sache Erfolg; dem Angeklagten war Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger beizuordnen,

Nach § 140 Abs, 2 StPO bestellt der Vorsitzende einen Verteidiger dann, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder der Schwere der Tat die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint, weil der Angeklagte zur eigenen Verteidigung nicht hinreichend in der Lage ist, Vorliegend ist eine schwierige Sachlage gegeben. Entgegen der angefochtenen Entscheidung ist vorliegend eine        klassischen   „Aussage-gegen-Aussage-Konstellation“ gleichstehende Beweissituation anzunehmen. Zwar erfordert nicht jede Aussage-gegen-Aussage¬Konstellation eine Beiordnung. Diese kommt namentlich dann nicht in Betracht, wenn zu der Aussage des einzigen Belastungszeugen weitere belastende Indizien hinzukommen, so dass von einer schwierigen Beweiswürdigung nicht mehr gesprochen werden kann (OLG Celle, Beschluss vom 16. Oktober 2008, Az. 1 Ws 517/08 = NStZ 2009, 175, beck-online). Anders zu beurteilen sind jedoch die Fälle, in denen aus weiteren Indizien nicht hinreichend sicher auf die Richtigkeit der Angaben des einzigen Belastungszeugen geschlossen werden kann. Sind die Angaben des den Angeklagten belastenden einzigen Zeugen einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen, ist die Beiordnung eines Verteidigers erforderlich (OLG Koblenz, Beschluss vom 11, Februar 1999, Az. 1 Ws 43/99 = NStZ-RR 2000, 176, beck-online; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 31. März 2009, Az. 3 Ws 271(09 = NStZ-RR 2009, 207, beck-online; LG München II Beschluss vom 10. Juli 2018, Az, 2 Qs 19/18 = BeckRS 2018, 38513, beck-online). Zwar ergibt sich dies mit Einführung des Akteneinsichtsrechts des Beschuldigten gemäß § 147 Abs. 4 StPO zum 01. Januar 2018 nicht mehr schon allein daraus, dass eine sachgerechte Verteidigung, insbesondere das Aufzeigen von eventuellen Widersprüchen in den Angaben des Belastungszeugen, nur durch Kenntnis des gesamten Akteninhaltes gewährleistet werden kann, der bis dahin nur dem Verteidiger uneingeschränkt zugänglich war. Die Aussage-gegen-Aussage-Konstellation erfordert jedoch weiterhin eine Beiordnung jedenfalls dann, wenn der belastenden Zeugenaussage möglicherweise entlastende Indizien gegenüberstehen, die eine sorgfältige Aussageanalyse notwendig machen. So liegt er Fall hier.

Der Angeklagte bestreitet die Tat. Er hat zwar eingeräumt, dem geschädigten Zeugen eine Schreckschusswaffe vorgehalten zu haben, er hat die gesamte Tatsituation jedoch völlig abweichend von der Darstellung des Zeugen und in einer Weise berichtet, welche die Rechtswidrigkeit seines Handelns zumindest fraglich erscheinen lässt, Die Notwendigkeit einer sorgfältigen Analyse der Aussage des geschädigten Zeugen entfällt auch nicht deshalb, weil der Beifahrer des Angeklagten als weiterer Zeuge zur Verfügung steht. Dieser hat gegenüber dem Amtsgericht die Darstellung des Geschädigten gerade nicht bestätigt. Vielmehr stimmte seine Aussage inhaltlich im Wesentlichen mit der Einlassung des Angeklagten überein, Abweichungen zu dieser im Detail können insoweit durchaus auch als Realkennzeichen zu würdigen sein. Auch sind die anlässlich der Durchsuchung am 05.09.2019 festgestellten Schäden am Fahrzeug des Angeklagten eher mit dessen Einlassung als mit den Bekundungen des Zeugen vereinbar. Insbesondere passt zu dem von dem Angeklagten geschilderten kraftvollen Aufreißen der Fahrertür, dass deren Griff am 09.05.2020 lose war, Dass — wie vom Amtsgericht festgestellt — der Fensterheber der Fahrertür des PKW des Angeklagten jedenfalls zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung defekt war, spricht ebenfalls eher für seine Darstellung, da der Zeuge angab, sich durch das geöffnete Fenster mit dem Angeklagten unterhalten zu haben. Soweit das Amtsgericht dies unter Hinweis darauf, dass man die Scheibe mit einigem Kraftaufwand heruntergedrückt haben könnte, für unerheblich hält, überzeugt jedenfalls diese Argumentation nicht. Denn sie lässt offen, warum der Angeklagte dies hätte tun sollen. Denn nach einem gewaltsamen Herunterdrücken der Scheibe wäre diese in der Tür versenkt und damit kaum auf dieselbe Weise wieder zu schließen gewesen.

In der Gesamtschau ist vorliegend von einer schwierigen Sachlage auszugehen.

Deshalb kann offen bleiben, ob vor dem Hintergrund, dass dem Angeklagten die Entziehung seiner Fahrerlaubnis droht, auch eine schwere Tat bejaht werden könnte (gegen die Annahme einer einschneidenden Rechtsfolge bei drohendem Entzug der Fahrerlaubnis: OLG Koblenz, Beschluss vom 21. Mai 1985, Az. 1 Ws 304/85, zitiert bei Janiszewski NStZ 1986, 107, beck-online; LG Berlin, ‚Beschluss vom 14. September 2006, Az. 526 Qs 254/06 [Berufskraftfahrer]; LG Stuttgart, Beschluss vom 13. Dezember 2012, Az, 19 Qs 154/12 [Bußgeldverfahren gegen Berufskraftfahrer]).“

Beweiswürdigung III: Aussage-gegen-Aussage-Problematik, oder: Anforderungen an die Urteilsgründe

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Und die dritte und letzte Entscheidung des Tages kommt mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v.  25.11.2019 – (1) 53 Ss 104-19 (72-19) – von einem OLG, das in einem Verfahren mit dem Vorwurf der Vergewaltigung zur Aussage-gegen-Aussage-Problematik Stellung genommen hat.

Das AG hatte den Angeklagten freigesprochen, das LG hatte ihn verurteilt. Das OLG hat wegen Fehler in der Beweiswürdigung aufgehoben:

Die der Verurteilung zugrundeliegende Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand (§ 261 StPO). Sie ist lückenhaft (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2012 – 4 StR 305/12 -).

Da der Angeklagte nach der Urteilsdarstellung umfassend von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat und außer der Aussage der Zeugin T. gegen den Angeklagten keine weiteren belastenden Indizien für das Tatgeschehen sprechen, sind die Darstellungsvoraussetzungen, wie sie von der Rechtsprechung für eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation entwickelt wurden, zugrunde zu legen (vgl. BGH, Beschluss vom 02. September 2015 – 2 StR 101/15 -; BGH NStZ-RR 2016, 87; Beschluss vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98 -; BGHR StPO 261 Beweiswürdigung 15; OLG Koblenz, Beschluss vom 2. Mai 2016 – 4 Ss 32/16 -). Die Entscheidung hängt also allein davon ab, ob das Tatgericht der einzigen Belastungszeugin glaubt. Der Tatrichter muss daher im Wege einer umfassenden Gesamtwürdigung alle möglicherweise entscheidungsbeeinflussenden Umstände darstellen und in seine Überlegungen einbeziehen, insbesondere ist die Aussage des einzigen Belastungszeugen einer sorgfältigen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen (vgl. BGH a.a.O.). Grundsätzlich ist in Aussage-gegen-Aussage-Fällen davon auszugehen, dass die Aussage des Belastungszeugen unwahr ist. Erst wenn die weitere Prüfung ergibt, dass die Unwahrhypothese mit den erhobenen Fakten nicht mehr in Übereinstimmung stehen kann, wird sie verworfen und es gilt dann die Alternativhypothese, dass es sich um eine wahre Aussage des Zeugen handelt. Im Vordergrund stehen grundsätzlich die sich auf die Qualität einer Aussage beziehende Inhaltsanalyse anhand der Realkennzeichen und die Konstanzanalyse, die der Beurteilung des Aussageverhaltens einer Person insgesamt dient und sich auf aussageübergreifende Qualitätsmerkmale bezieht, die sich aus dem Vergleich von Angaben über denselben Sachverhalt zu unterschiedlichen Zeitpunkten ergeben.

Das so gefundene Ergebnis gewinnt aber erst Bedeutung unter Berücksichtigung der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Aussage. Zu diesem Zweck sind vor allem die Angaben der Personen, denen gegenüber sich das mögliche Tatopfer zu den Tatvorwürfen geäußert hat, zu berücksichtigen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 30.05.2000 – 1 StR 582/99 -; BGH NStZ 2011, 45; zu den Grundprinzipien der Glaubhaftigkeitsüberprüfung vgl. auch BGH, Beschluss vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98 -; BGHSt 45, 164; Maul StraFo 2000, 257 ff.; BGH NStZ-RR 2014, 219).

Von Relevanz ist insbesondere, ob der Zeuge aus freien Stücken ausgesagt hat oder durch Dritte oder besondere Umstände hierzu gedrängt wurde. Auch muss sich aus dem Urteil ergeben, was der Zeuge bei früheren Vernehmungen zum Tatvorwurf bekundet hat. Dem Revisionsgericht ist eine Überprüfung der Entscheidung nur dann möglich, wenn die Aussage des einzigen Belastungszeugen insbesondere zur Beurteilung der Aussageentwicklung und Aussagekonstanz wiedergegeben und erörtert wird (vgl. BGH, Beschluss vom 14. März 2012 – 5 StR 63/12 -; StV 2013, 7; StV 2014, 723). Dies gilt auch für die entscheidenden Teile früherer Aussagen (vgl. BGH, NStZ-RR 2015, 120; NStZ-RR 2015, 52; NStZ-RR 2016, 87).

Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht ausreichend gerecht. Zwar teilt das Urteil mit, wie die Aussage der einzigen Belastungszeugin T. zustande kam und was sie vor der Kammer ausgesagt hat.

Indes fehlt es an einer geschlossenen Darstellung der Aussage der Geschädigten bei der Polizei und vor dem Amtsgericht. Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen – wie hier – nur die Aussage einer Belastungszeugin zur Verfügung steht, muss aber der mit dem Tatvorwurf zusammenhängende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111).

Zwar stellt das Landgericht die Aussage der Geschädigten in der Hauptverhandlung dar; die Darstellung ihrer Aussage bei der Polizei beschränkt sich indes auf die Wiedergabe und die Bewertung einzelner aus dem Gesamtzusammenhang der Aussage gerissener Angaben. Hinsichtlich der Aussage der Zeugin vor dem Amtsgericht beschränkt sich die Darstellung im Urteil nur darauf mitzuteilen, dass sich die Bekundungen der Zeugin vor dem Amtsgericht nicht von denen vor der Berufungskammer unterscheiden.

Auf dieser Grundlage kann der Senat nicht hinreichend überprüfen, ob das Landgericht eine fachgerechte Analyse der Aussage der Geschädigten zum Kerngeschehen vorgenommen und eventuelle Abweichungen zutreffend gewichtet hat (zur Gewichtung von Aussagekonstanz und Widerspruchsfreiheit vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1997 – 4 StR 526/96, NStZ-RR 1997, 172). Mit der Urteilsdarstellung ist nämlich nicht festgestellt, dass zwischen den Aussagen keinerlei Differenzen bestehen.

Schließlich versäumt das Urteil auch darzustellen, was die Geschädigte ihrem Freund und dem Zeugen F. gegenüber von dem Vorfall berichtet hat.“

Beweiswürdigung II: Das OLG Hamm und „Aussage-gegen-Aussage“

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Über den OLG Hamm, Beschl. v. 30.10.2018 – 5 RVs 143/18 – habe ich ja vor einigen Tagen schon mal berichtet. Da ging es um eine Beweisantragsproblematik. Hier kommt der Beschluss dann noch einmal, und zwar wegen der Ausführungen des OLG zur Aussage-gegen-Aussage:

„2. Auch die auf die erhobene Sachrüge hin vorgenommene materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils hat einen durchgreifenden Rechtsfehler zu Lasten der Angeklagten ergeben.

Die im Revisionsverfahren auf eine erhobene Sachrüge hin vom Revisionsgericht vorzunehmende materiell-rechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils erstreckt sich auch auf die Beweiswürdigung des Tatrichters (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 337 StPO Rn. 26).

Die Grundlagen der Prüfung sind dabei die Urteilsurkunde und die Abbildungen, auf welche in dem Urteil gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO verwiesen worden ist (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 337 StPO Rn. 22). Daneben sind nur noch offenkundige und dem Revisionsgericht gerichtsbekannte Tatsachen beachtlich (vgl. Meyer-Goßner7schmitt, a.a.O., § 337 StPO Rn 22). Alle externen Erkenntnisquellen sind dem Revisionsgericht grundsätzlich verschlossen (vgl. BGH NStZ-RR 2012, 216; NJW 1998, 3654; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 337 StPO Rn. 22). Dies gilt grundsätzlich auch für den Inhalt der Verfahrensakte (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, a.a.O., § 337 StPO Rn. 23 m. w. N.).

Die Beweiswürdigung des Tatrichters unterliegt dabei allerdings nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Das Revisionsgericht darf die Beweiswürdigung des Tatrichters nur auf rechtliche Fehler prüfen, sie aber nicht durch seine eigene ersetzen (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 337 StPO Rn. 26). Die aus Sicht des Revisionsführers falsche Würdigung der Beweise kann daher nicht mit der Revision gerügt werden, wohl aber der Weg dorthin (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 337 StPO Rn. 26 und § 344 StPO Rn. 19).

Die Beweiswürdigung muss aber wenigstens die Grundzüge der Überlegungen des Tatrichters und die Möglichkeit des gefundenen Ergebnisses sowie die Vertretbarkeit des Unterlassens einer weiteren Würdigung aufzeigen. Es stellt demnach einen Rechtsfehler dar, wenn die Gründe des angefochtenen Urteils so beschaffen sind, dass sie dem Revisionsgericht nicht die Möglichkeit einer Nachprüfung geben (vgl. OLG Hamm Beschluss vom 23. Februar 2017, Az. III – 2 RVs 6/17, und Beschluss vom 22. April 2010, Az. III – 2 RVS 13/19 (NStZ-RR 2010, 348); Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 337 StPO Rn. 26). Insbesondere die Ausführungen zur Beweiswürdigung müssen die Tatsachenfeststellungen für das Revisionsgericht plausibel und nachvollziehbar machen.

Rechtsfehlerhaft im oben genannten Sinne ist die Beweiswürdigung aber insbesondere auch dann, wenn der Tatrichter seiner Pflicht zur erschöpfenden Würdigung der Beweise nicht nachgekommen ist, wenn die Beweiswürdigung in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn der Tatrichter überspannte Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt hat (vgl. OLG Hamm Beschluss vom 23. Februar 2017, Az. III – 2 RVs 6/17, und Beschluss vom 29. April 2014, Az. III – 4 RVs 35/14; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 337 StPO Rn. 26a und 27).

Besonders strenge Anforderungen an die tatrichterliche Beweiswürdigung werden gestellt, wenn eine sogenannte „Aussage-gegen-Aussage“ Konstellation vorliegt und die Entscheidung allein davon abhängt, welcher Aussage das Gericht folgt (vgl. BGH Urteil vom 19. Juli 1989, Az. 2 StR 182/89 — zitiert nach juris, m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 261 Rn. 11a und § 267 Rn. 12a, jeweils m.w.N.). In diesem Fall müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Gericht alle Umstände, welche geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen und in einer Gesamtschau gewürdigt hat (vgl. BGH a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. § 261 Rn. 11a, m.w.N.).

An diesen Anforderungen ist das angefochtene Urteil zu messen, da eine „Aussage gegen-Aussage“ Konstellation auch anzunehmen ist, wenn der Angeklagte — wie hier — zu den Tatvorwürfen schweigt. Es wird ihnen indes nicht gerecht.

Soweit die Kammer in den Urteilsgründen ausführt, sie sei sich bewusst, dass an die Glaubwürdigkeit des ehemaligen Mitangeklagten F    und die Glaubhaftigkeit seiner Aussage erhöhte Anforderungen zu stellen sind (vgl. Blatt 12 des Urteils), ermöglicht dies dem Senat eine revisionsrechtliche Überprüfung nicht. Da dem Senat die Verfahrensakte als Erkenntnisquelle verschlossen ist (s.o.), hätte es der Darlegung bedurft, ob der ehemalige Mitangeklagte R. wegen seiner Beteiligung an den hier gegenständlichen Tatvorwürfen bereits verurteilt oder freigesprochen worden ist. Vorliegend erlaubt allein die Formulierung im Rahmen der rechtlichen Würdigung „Hingegen kann eine Anstiftung der Angeklagten zur gewerbsmäßigen Untreue des Zeugen P.        [..]“ den Schluss auf eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat des Zeugen P. i.S.d. § 26 Abs. 1 StGB und mithin auf eine Verurteilung. Es wäre jedoch neben dem Verfahrensgang insbesondere das Aussageverhalten des Zeugen R. in den Blick zu nehmen gewesen. Denn das Landgericht hätte sich mit der nicht fern liegenden Gefahr auseinandersetzen müssen, dass der frühere Mitangeklagte sich durch sein Aussageverhalten Vorteile im Hinblick auf seine eigene Verurteilung / Freisprechung verspricht und auch ggfs. einen nicht Geständigen zu Unrecht belastet (vgl. BGH a.a.O., m.w.N.).

Die so aufgezeigten Darstellungsmängel führen zu einer Urteilsaufhebung. Denn es ist dem Senat aus vorstehenden Erwägungen nicht möglich, die landgerichtliche Annahme, der zufolge die Bekundungen des Zeugen R. „in sich nachvollziehbar und widerspruchsfrei“ waren, zu überprüfen. In einer erneuten Berufungshauptverhandlung wird die Strafkammer daher den Verfahrensgang beginnend mit der Kenntniserlangung der Strafverfolgungsbehörden von dem verfahrensgegenständlichen Sachverhalt bis hin zu einer Verurteilung des nunmehrigen Zeugen R. sowie das jeweilige Aussageverhalten in die Hauptverhandlung einzuführen und entsprechend zu würdigen haben.

Beweiswürdigung I: Zweifelssatz und Aussage-gegen-Aussage

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Und auch nicht mehr ganz taufrisch ist das BGH, Urt. v. 25.04.2018 – 2 StR 194/17.

Das ist allerdings auch erst später auf der Homepage des BGH eingestellt worden. Es geht um Beweiswürdigung, Zweifelssatz und Aussage-gegen-Aussage:

„1. Die Beweiswürdigung unterliegt keinen rechtlichen Bedenken.

a) Das Tatgericht ist nicht schon dann aufgrund des Zweifelssatzes an der Verurteilung eines Angeklagten gehindert, wenn „Aussage gegen Aussage“ steht und keine weiteren belastenden Indizien vorliegen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158). Wird die Tat vom mutmaßlichen Opfer in einer Zeugenaussage geschildert, kann der Angeklagte auf dieser Grundlage verurteilt werden, wenn das Tatgericht von der Glaubhaftigkeit der Aussage dieses einzigen Belastungszeugen überzeugt ist. Der Tatrichter muss sich dabei bewusst sein, dass die Aussage dieses Zeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen ist, zumal der Angeklagte in solchen Fällen wenige Verteidigungsmöglichkeiten besitzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 – 2 StR 235/16, StV 2017, 367, 368 mwN). Aus den Urteilsgründen muss sich ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. Senat, Urteil vom 22. April 2015 – 2 StR 351/14). Hierbei sind das Gewicht und Zusammenspiel der einzelnen Indizien in einer Gesamtschau zu bewerten (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Juli 2016 – 2 StR 59/16, NStZ-RR 2016, 382; Beschluss vom 4. April 2017 – 2 StR 409/16, StV 2018, 193, 194).

b) Den danach an die Sachdarstellung und die Beweiswürdigung zu stellenden Anforderungen genügt das angefochtene Urteil.

Insbesondere sind keine Lücken in der Beweiswürdigung oder Erörterungsmängel zu verzeichnen. Das sachverständig beratene Landgericht hat nicht übersehen, dass die Äußerungen der Nebenklägerin nach erstmaliger Erhebung von Missbrauchsvorwürfen wechselnd waren, was es jedoch mit den jeweiligen Gegebenheiten in der Familie erklärt hat. Auch hat es erkannt, dass die Nebenklägerin durch verschiedene Personen aus dem familiären Umfeld, Mitarbeitern des Jugendamts und Sachverständigen im familiengerichtlichen Verfahren sowie im Strafverfahren vielfach mit dem Thema des sexuellen Missbrauchs konfrontiert war. Es hat aber eine suggestive Beeinflussung mit der Folge der Erinnerungsverfälschung rechtsfehlerfrei ausgeschlossen. Rechtlich nicht zu beanstanden ist auch, dass das Landgericht dem Aussageverhalten des Bruders der Nebenklägerin im Ergebnis keine Beweisbedeutung beigemessen hat. Die Aussageentstehung und -entwicklung, die Aussagemotivation der Nebenklägerin sowie die Qualität ihrer Angaben hat das Landgericht berücksichtigt. Daraus hat es Hinweise auf die Glaubhaftigkeit der den Angeklagten belastenden Angaben gewonnen, die einzelne Glaubhaftigkeitsbedenken wegen Inkonstanz in Teilbereichen der Angaben sowie Beurteilungsunsicherheiten wegen zwischenzeitlicher Aktenlektüre der Nebenklägerin zurücktreten lassen. Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern.“