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Aussage-gegen-Aussage, oder: Ein „leichtsinniges Verhalten“ hat nicht ohne weiteres Auswirkungen auf die Zeugenqualität

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In der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, spielen auch Fragen der Beweiswürdigung eine Rolle. Angeklagt war eine sexuelle Nötigung. Das AG Bremerhaven hatte die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Die ablehnende Entscheidung hat das AG insbesondere damit begründet, dass die Nebenklägerin widersprüchliche Angaben gemacht habe, unabhängige Beweismittel zur Tat nicht existieren würden und daher aufgrund der Aussage gegen Aussage- Konstellation eine Verurteilung des die Tat bestreitenden Angeschuldigten nicht zu erwarten sei.

Das sieht das LG Bremen im LG Bremen, Beschl. v. 28.11.2018 – 60 Qs 384/18 (913 Js 25102/18) – anders. Es bejaht den hinreichenden Tatverdacht und macht für das AG schon mal die Beweiswürdigung:

„Bei seiner Prüfung kann das Gericht schon aufgrund der Aktenlage den einzigen Belastungszeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung unterziehen (OLG Nürnberg, NJW 2010, 3793) und den hinreichenden Verdacht bei einer Sachlage, die von sich im Kernbereich widersprechenden Aussagen dieses Zeugen geprägt ist, mit der Begründung verneinen, dass sich wegen der strengen Anforderungen an die Beweiswürdigung in einer Aussage-gegen-Aussage-Situation eine Prognose, wonach der Angeschuldigte wahrscheinlich verurteilt werde, nicht stellen lasse (OLG Karlsruhe, StV 2012, 459). Jedoch ist bei ungefähr gleicher Wahrscheinlichkeit von Verurteilung und Nichtverurteilung das Hauptverfahren zu eröffnen. wenn zweifelhafte Tatfragen in der Hauptverhandlung geklärt werden und zu einer die Verurteilung tragenden tatsächlichen Grundlage führen können (OLG Stuttgart, NStZ-RR 2011, 318; OLG Koblenz NJW 2013. 98; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 203 Rdn. 2). Dabei ist das Gericht gehalten. seine Beurteilung einerseits aufgrund des gesamten Ermittlungsergebnisses vorzunehmen, andererseits aber auch die besseren Aufklärungsmöglichkeiten der Hauptverhandlung, insbesondere auch durch den persönlichen Eindruck des Gerichts hinsichtlich der Glaubwürdigkeit eines Hauptbelastungszeugen, in Rechnung zu stellen (OLG Koblenz, a.a.O.)

Nach diesem Prüfungsmaßstab ist ein hinreichender Tatverdacht für die hier in Rede stehende Straftat gegeben.

Die Kammer verkennt nicht, dass es sich vorliegend um eine Beweiskonstellation handelt, in der im Wesentlichen die belastende Aussage der Nebenklägerin gegen die Einlassung des Angeschuldigten streitet, und dass deshalb die Aussage dieser einzigen Belastungszeugin — wie bei der amtsgerichtlichen Entscheidung auch geschehen — einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen ist. Allerdings weichen die von der Nebenklägerin gleich nach dem Vorfall und später bei ihrer polizeilichen Zeugenvernehmung gemachten Angaben nicht derart voneinander ab. dass sie von vornherein als unglaubhaft bezeichnet werden könnten. Jedenfalls im Kernbereich hat die Nebenklägerin im Laufe des Ermittlungsverfahrens gleichbleibende Aussagen zum Tatgeschehen gemacht.

So hat sie jeweils detailliert geschildert. wie sie zunächst Intimitäten verweigert habe und dann vom Angeschuldigten auf das Bett gezogen, dort fixiert und zur Duldung von Küssen und dem Streicheln ihrer Brüste gezwungen worden sei.

Dass die Nebenklägerin aus Sicht des Amtsgerichts nicht plausibel zu erläutern vermag, warum sie sich wieder in die Wohnung des Angeschuldigten begeben hat. wenn dieser doch bereits beim ersten Mal versucht hat, sie zu küssen. macht ihre diesbezüglichen Angaben nicht widersprüchlich. Dass es zumindest aus Sicht der Nebenklägerin plausible Gründe gab, den Angeschuldigten wiederholt aufzusuchen. folgt daraus. dass sie sich davon versprach, einen Betrag i.H.v. € 200,00 geliehen zu bekommen. Darüber hinaus konnte sie in dessen Wohnung Kokain konsumieren.

Dass die Nebenklägerin zum Angeschuldigten in das Schlafzimmer ging und sich auf dessen Bettkante freiwillig setzte, obwohl sie zuvor hätte gewarnt sein können, wirft Fragen auf, deren Klärung allerdings der Hauptverhandlung vorbehalten bleibt. Ein unter Umständen als leichtsinnig zu bezeichnendes Verhalten der Geschädigten wirkt sich jedenfalls nicht ohne weiteres auf ihre Qualität als Zeugin aus.

Für eine tatsachenfundierte Schilderung spricht ihre Aussage. das Verhalten des Angeschuldigten nicht dramatisiert zu haben. Bei einer Falschbelastung hätte es nahe gelegen. das Ausmaß an Gewalt drastischer darzustellen, um so die ausweglose Zwangslage noch plausibler erscheinen zu lassen. Auf die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin weist zudem ihre schlechte psychische Verfassung sowohl gegenüber ihrer Freundin als auch gegenüber ihrer Tante hin.

Hingegen ist die Einlassung des Angeschuldigten, er habe die Nebenklägerin weder angefasst noch sie geküsst und sei nur angezeigt worden, weil die Nebenklägerin auf ihn eifersüchtig und enttäuscht gewesen sei. weil er ihr das Geld nicht gegeben habe, nicht nachvollziehbar. Aus dem zwischen beiden am 25.06.2017 gewechselten Chatverkehr ergibt sich, dass die Nebenklägerin dem Angeschuldigten auf dessen Mitteilung, sie könne arbeiten und er wolle ihr nur helfen. geschrieben hat, sie glaube, er habe etwas ganz anderes vor. sie „wieder zu zwingen“, mit ihr zu schlafen; „wie letztes Mal“. Sie habe nicht gewollt. er habe sie nicht in Ruhe gelassen.

Der Angeschuldigte erwidert darauf: „Ja hast recht okay ich mach das nicht wieder“.

Mich würde man interessieren, in wie viel Fälle sich solche Chats für die Beschuldigten/Angeklagten im Laufe eines Strafverfahrens als nachteilig herausgestellt haben.

Aussage-gegen-Aussage, oder: Lagertheorie

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Author Bagnuk

Heute dann mal Entscheidungen zu Beweisfragen.

Und da stelle ich zunächst den KG, Beschl. v. 12.12.2018 – (2) 161 Ss 150/18 (53/18) – vor, der sich zur Konstellation „Aussage-gegen-Aussage“ verhält. Es geht um die Anwendung/das Vorliegen der sog. Lagertheorie. Das KG hat die aber die strengen Anforderungen an die Beweiswürdigung in den Fällen nicht herangezogen:

„Zu Unrecht geht der Beschwerdeführer hier von einer „Aussage-gegen Aussage-Konstellation“ aus. Er ist der Auffassung, dass eine solche auch gegeben sei, wenn die einzigen Belastungszeugen in einem Lager stünden (hier zwei Passanten, die von dem angeklagten Taxifahrer nach einer verbalen Auseinandersetzung jeweils geschlagen wurden); dies sei „im Ergebnis nicht anders zu werten als die klassische ‚Eins-gegen-Eins-Situation‘, vgl. OLG Frankfurt a.M.“ Soweit ersichtlich hat das OLG Frankfurt a.M. eine solche Ansicht im Beschluss vom 6. November 2009 – 1 Ss 390/08 (= StV 2011, 12 = BeckRS 2011, 328) vertreten. Dort war der Angeklagte vom Tatgericht u.a. wegen Widerstandes gegen (vier) Vollstreckungsbeamte verurteilt worden; insoweit hatte das OLG lediglich ausgeführt: „Im vorliegenden Verfahren wird die Überführung des Angeklagten letztlich allein auf die Aussagen der Polizeibeamten … gestützt, die sämtlich demselben Lager zuzuordnen sind, so dass Aussage gegen Aussage steht“. In der Folge wendet das OLG Frankfurt dann die vom BGH (allein) für die Konstellation „Aussage gegen Aussage“ entwickelten besonders strengen Beweiswürdigungsregeln an (vgl. zu letzterem BGHSt 44, 153; 44, 257; BGH NStZ-RR 2016, 87; NStZ-RR 2018, 188; vgl. zudem mwN Schmandt StraFo 2010, 446). Das OLG Karlsruhe (StraFo 2015, 250) und der 3. Strafsenat des Kammergerichts (Beschluss vom 21. November 2018 – 3 Ws 278/18 –, juris) vertreten die Ansicht, dass eine Beweissituation, in der die einzigen Belastungszeugen „einem Lager“ angehören, den Fällen nahekomme, in denen Aussage gegen Aussage stehe und in denen deshalb erhöhte Anforderungen an die Beweiswürdigung zu stellen seien. Dem ist nicht zu folgen.

Die Annahme der Revision, dass eine Aussage-gegen-Aussage Konstellation vorliegt, trifft hier schon deshalb nicht zu, da hier – worauf die Generalstaatsanwaltschaft überzeugend hinweist – weitere die Zeugenaussagen stützende sachliche Beweismittel vorlagen, wie etwa Lichtbilder und ein Arztbericht, die die Angaben der Zeugen bestätigten. Ungeachtet dessen stehen der Aussage des Angeklagten nicht nur eine einzelne Aussage, sondern die Angaben zweier Zeugen gegenüber. Die offenkundige Annahme deren – wie auch immer geartete – Verbindung führe letztlich zu der „Verschmelzung“ zweier Aussagen zu einer und der Anwendbarkeit der oben genannten Grundsätze überzeugt nicht (so auch KK-StPO/Ott, 7. Aufl. § 261 Rn. 29b). Zwar wird der Tatrichter bedenken müssen, dass bei Beweispersonen, die eng miteinander in Verbindung stehen, im Vorfeld ihrer Vernehmungen ein Austausch stattgefunden haben kann oder gar eine Absprache erfolgt ist (vgl. instruktiv dazu Eisenberg, Beweisrecht 10. Aufl. Rn. 1456 ff. unter dem Stichwort „Gruppenaussagen“). Doch ändert dies nichts daran, dass es sich um zwei oder mehr eigenständige Aussagen handelt, die jeweils für sich kritisch hinterfragt und gegenüber gestellt werden können. Sie bilden – soweit sie sich im Wesentlichen entsprechen – grundsätzlich ein verlässlicheres Fundament für die Ermittlung der materiellen Wahrheit als die Aussage nur einer Beweisperson. Anlass auch für diese Konstellation dem Grundsatz der „freien“ Beweiswürdigung aus § 261 StPO grundsätzlich widersprechende Beweisregeln (vgl. BGHSt 29, 18; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 61. Aufl. § 261 Rn. 11 mwN) aufzustellen, besteht nicht.“

Akteneinsicht III: Nur beschränkte Akteneinsicht für den Verletzten bei Aussage-gegen-Aussage

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Und den Abschluss des Tages machen dann zwei Entscheidungen zur Akteneinsicht des Verletzten im Strafverfahren. Es handelt sich um den OLG Hamburg, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 Ws 108/18 – und um den schon etwas älteren AG Münster, Beschl. v. 18.07.2016 – 23 Gs-540 Js 388/16-2780/16. Der OLG Hamburg-Beschluss stammt vom Kollegen Laudon aus Hamburg, der des AG Münster von der Kollegin Knecht aus Münster. Beiden „Einsendern“ herzlichen Dank.

Beide gewähren keine bzw. nur beschränkte Akteneinsicht in einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation. Sie liegen damit auf der Linie der Rechtsprechung aus der letzten Zeit. Die Argumentation ist bekannt. daher hier nur der Leitsatz des OLG Hamburg, Beschluss:

„Die umfassende Einsicht in die Ver­fahrensakten ist dem Verletzten in aller Regel in solchen Konstellationen zu versa­gen, in denen seine Angaben zum Kerngeschehen von der Einlassung des Ange­klagten abweichen und eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt.“

Akteneinsicht des Verletzten, oder: Nur teilweise bei Aussage-gegen-Aussage

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Und als dritte „Akteneinsichtsentscheidung“ dann der AG Hamburg-Barmbek, Beschl. v.13.07.2018 – 846 Ds 92/17. Er hat mal nicht die erweiterte (Akten)Einsicht im Bußgeldverfahren zum Gegenstand, also kein Aufreger aus dem Bereich. Sondern es geht mal wieder um die Akteneinsicht bzw. den Umfang der Akteneinsicht des Nebenklägers/des Verletzten in den Fällen der Aussage-gegen-Aussage-Konstellation, und zwar hier bei einem Beleidigungsvorwurf.

Und dazu meint das AG: Grudnsätzlich besteht ein Akteneinsichtsrecht, aber das ist eingeschränkt:

„Zwar steht der Nebenklägerin und Verletzten nach §§ 406e Abs. 1, 395 StPO über ihre Rechtsanwältin auch ohne Darlegung eines berechtigten Interesses Akteneinsicht zu. Dieses Recht war ihr vorliegend jedoch nach § 406e Abs. 2 StPO nur mit den aus dem Tenor ersichtlichen Einschränkungen zu gewähren, da bei einer umfassenden Akteneinsicht der Untersuchungszweck gefährdet wäre.

Der Untersuchungszweck im Sinne dieses gesetzlichen Versagungsgrundes ist gefährdet, wenn durch die Aktenkenntnis der Verletzten eine Beeinträchtigung der gerichtlichen Sachaufklärung zu besorgen ist (OLG Hamburg, Beschluss vom 24.10.2014 – 1 Ws 110/14, BeckRS 2014, 20813, m.w.N.; siehe auch OLG Hamburg, Beschluss vom 15.01.2018 – 5 Ws 1/18).

Der Verletzten ist eine umfassende Einsicht in die Verfahrensakten regelmäßig in solchen Konstellationen zu versagen, in denen ihre Angaben zum Kerngeschehen von der Einlassung des Angeklagten abweichen und eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt (siehe nur OLG Hamburg, a.a.O.).

So liegt es hier. Die Kenntnis der Verletzten vom gesamten Akteninhalt könnte die Zuverlässigkeit und die Wahrheitsfindung einer von ihr noch zu erwartenden Zeugenaussage beeinträchtigen. Die Verletzte hat die körperlichen Misshandlungen durch den Angeklagten beschrieben. Der Angeklagte hat sich zur Sache eingelassen und die behaupteten Misshandlungen bestritten. Nach vorläufiger Würdigung liegen weitere unmittelbar tatbezogene Beweismittel nicht vor; lediglich die Verletzungsfolgen sind durch Urkunden und Lichtbilder teilweise dokumentiert. Die Verletzte ist einziger Zeuge des unmittelbaren Tatgeschehens.

Eine unbeschränkte Akteneinsicht der Verletzten ist damit mit der gerichtlichen Pflicht zur bestmöglichen Sachaufklärung unvereinbar. Die Kenntnis vom Akteninhalt begründet die Gefahr einer gezielten Vorbereitung auf etwaige neuralgische Punkte in der Aussage und eines strategischen Aussageverhaltens. Entsprechend waren die Akteninhalte von der begehrten Akteneinsicht auszunehmen, deren Kenntnisnahme geeignet ist, die Angaben der Verletzten in der Hauptverhandlung zu beeinflussen. Dies ist bei Angaben in früheren Vernehmungen oder weiteren dokumentierten Sachverhaltsschilderungen der Fall. Eine Würdigung der Aussagekonstanz kann bei Kenntnis von Inhalten früherer Aussagen nicht mehr vollständig erfolgen.

Im Übrigen ist Akteneinsicht zu gewähren.“

Die Argumentation gilt natürlich auch bei anderen Tatvorwürfen.

Und dann <<Werbemodus an>>: Die mit der Akteneinsicht zusammenhängenden Frage, auch die der Akteneinsicht des Verletzten, sind – natürlich – umfassend dargestellt in Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, dessen 8. Auflage vor der Tür steht. Das Werk ist fast schon auf dem Weg in die Druckerei – es wird im Oktober erscheinen. Vorbestellung – auch des Pakets zusammen mit dem Handbuch für die Hauptverhandlung, dessen 9. Auflage alsbald folgen wird, ist hier möglich. <<Werbemodus aus >>.

AG I: Akteneinsicht des Nebenklägervertreters, oder: Beschränkung bei Aussage-gegen-Aussage

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Heute dann mal drei AG-Entscheidungen – ein bunter Reigen durch Straf- und Bußgeldverfahren.

Ich eröffne diesen Reigen mit dem AG Cloppenburg, Beschl. v. 25.05.2018 – 24 Ls 511 Js 51486/17 (6/18) – zur Akteneinsicht des Nebenklägervertreters in den Fällen von Aussage-gegen-Aussage. Das wird immer wieder diskutiert. Das AG Cloppenburg sagt dazu: Dem Beistand des Nebenklägers steht zwar grundsätzlich gem. § 406e Abs. 1 StPO das Recht zur Akteneinsicht zu. In den Fällen der sog. Aussage-gegen-Aussage-Konstellation kann dieses jedoch beschränkt werden:

„Dem Beistand der Nebenklägerin steht zwar grundsätzlich gem. § 406e Abs. 1 StPO das Recht zur Akteneinsicht zu. Allerdings liegt dem Angeklagten Vergewaltigung der Nebenklägerin zur Last, hat der Angeklagte sich nicht eingelassen und außerhalb einer förmlichen Vernehmung die Tat bestritten und ist nach Aktenlage einziges unmittelbar tatbezogenes Beweismittel die Nebenklägerin, liegt also eine Aussage-gegen-Aussage­Konstellation vor. Die Aussagekraft des für die Beweiswürdigung in dieser Beweiskonstellation wesentlichen Realitätskriteriums der Aussagekonstanz wird jedoch durch die vollständige Akteinsicht der einzigen Belastungszeugin entwertet. Vollständige Akteneinsicht gefährdet daher eine den aussageanalytischen Vorgaben des Bundesgerichtshofs entsprechende gerichtliche Beweiswürdigung und somit den Untersuchungszweck, § 406e Abs. 2 S. 2. Akteneinsicht war daher — andererseits allerdings auch: nur — in diejenigen Teile der Akte zu versagen, die Vernehmungen der Nebenklägerin und hieran jeweils anschließende Ermittlungsberichte und -vermerke der Polizei enthalten (vgl. zu alledem grundlegend OLG Hamburg, NStZ 2015, 105 mit zust. Anm. Radtke (1. Senat); dies sind vorliegend die im Tenor genannten Aktenteile. Sofern demgegenüber die Ausführungen des BGH (5. Senat) in NStZ 2016, 367 dahingehend zu verstehen sein sollten, einem Nebenklägervertreter sei auch in einer Aussage-gegen­Aussage-Konstellation unbeschränkte Akteneinsicht zu gewähren, solange nicht konkrete Umstände wie etwa Hinweise auf eine konkrete Falschaussagemotivation des einzigen Belastungszeugen oder Besonderheiten in seinen Aussagen bereits Anlass zu konkreten Zweifel an der Glaubhaftigkeit seiner Aussage geben, würde dem nicht gefolgt werden können (dagegen bereits die Gesetzgebungsmaterialien: „Dieser Versagungsgrund [der Gefährdung des Untersuchungszwecks] kann deshalb auch dann herangezogen werden, wenn die Kenntnis des Verletzen vom Akteninhalt die Zuverlässigkeit und den Wahrheitsgehalt einer von ihm noch zu erwartenden Zeugenaussage beeinträchtigten könnte.“ (BT-Dr 10/5305 S. 18, Hervorhebung nur hier); s. a. BVerfG, NJW 2017, 1164 (Rn. 17 a. E.); gegen die Auffassung des 5. Senats, mit Gewährung von Akteneinsicht an den Verfahrensbevollmächtigten des Verletzten gehe nicht typischerweise eine Entwertung des Realitätskriteriums der Aussagekonstanz einher, jetzt — berücksichtigt man den Umstand, dass der anwaltliche Beistand rechtlich nachgerade dazu verpflichtet ist, die durch die Akteneinsicht erlangten Kenntnisse mit der Mandantschaft zu teilen (vgl. dazu etwa BVerfG NJW 2007, 1052) — auch BGH (2. Senat) StV 2017, 7 (Rn. 14)).“

Passt.

Danke an den Kollegen Acar aus Weener für die Übersendung der Entscheidung.