Die zweite Entscheidung kommt vom LG Dortmund. Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren, in dem dem Angeklagten ein tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit (einfacher) Körperverletzung zur Last gelegt wird. Das LG nimmt in dem LG Dortmund, Beschl. v. 21.03.2019 – 35 Qs 9/19– zur Frage der Bestellung eines Pflichtverteidigers Stellung, wenn in dem Verfahren gegen einen Ausländer, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, polizeiliche Belastungszeugen eine Rolle spielen. Das LG ordnet bei:
„Gemäß § 140 Abs. 2 S. 1 StPO wird dem Angeklagten ein Verteidiger bestellt, wenn dessen Mitwirkung wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Angeklagte nicht selbst verteidigen kann.
Der Angeklagte kann sich dann nicht selbst verteidigen, wenn aus Gründen, die in seiner Person liegen oder die sich aus den Umständen ergeben, nicht gesichert erscheint, dass er in der Lage ist, der Verhandlung zu folgen, seine Interessen zu wahren und alle seiner Verteidigung dienenden Handlungen vorzunehmen. Eine Pflichtverteidigerbestellung ist schon dann notwendig, wenn an der Fähigkeit zur Selbstverteidigung erhebliche Zweifel bestehen (OLG Frankfurt StV 1984, 370; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Auflage, § 140 Rn. 30). Das wird vielfach bei Ausländern, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, der Fall sein (OLG Frankfurt StV 2008, 291; OLG Stuttgart NStZ-RR 2004, 338; LG Kiel StraFo 2004, 381; KG StV 1985, 184: wenn Dolmetscher nicht ausreichend).
Die Hinzuziehung eines Dolmetschers zur Hauptverhandlung genügt als Ausgleich jedenfalls nicht, wenn mehrere Zeugen vernommen werden sollen, widersprüchliche Aussagen zu erwarten sind und es daher auch auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen ankommt. Hier kann der Angeklagte auch mit Hilfe eines Dolmetschers nicht die Zeugenaussagen kritisch hinterfragen und etwaige Widersprüche aufzeigen (LSK 1998, 60623, beck-online; KK-StPO/LaufhüttelWillnow, 7. Aufl. 2013, StPO § 140 Rn. 24).
So liegt es hier. Der Angeklagte hat in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 19.11.2018 (Blatt 22 – 23 der Akte) die ihm zur Last gelegten Tatvorwürfe vollumfänglich bestritten und angegeben, es habe in der Tatnacht eine Auseinandersetzung zwischen seinen zwei Begleitern gegeben. Er habe die beiden trennen wollen und deswegen den „Wir (Anm.: gemeint ist der Zeuge pp.) weggeschubst. Dieser sei jedoch — wie er selbst – betrunken gewesen und hingefallen. Er habe über dem all gestanden, aber „nichts gemacht“. Plötzlich habe er eine Hand auf seiner Schulter gespürt, er habe die Polizei aber vorher nicht herankommen hören. Er habe sich dann umgedreht und nur „die Arme oben“ gehabt, auf Schulterhöhe. Dann habe er auch schon auf dem Boden gelegen und Pfefferspray im Gesicht gehabt. Er habe „nicht mehr reagiert“. Er sei nicht aggressiv gewesen, sondern habe nur Schmerzen wegen des Pfeffersprays gehabt. Der Zeuge pp. hat diese Angaben des Angeklagten zum äußeren Tatgeschehen in seiner Vernehmung vom 20.12.2018 (Blatt 29— 30 der Akte) weitestgehend bestätigt.
Der den Angeklagten belastende Zeuge PKW.. hat in seiner Strafanzeige vom 30.07.2017 (Blatt 1 — 4 der Akte) der Einlassung des Angeklagten und der Aussage des Zeugen pp., diametral entgegenstehende Angaben gemacht und bekundet, von dem Angeklagten mit der Außenseite des linken Armes gegen den Schulter-/Halsbereich geschlagen und weggestoßen worden zu sein. Zuvor habe der
Angeklagte ihn — den Zeugen — von hinten umklammert und gegen eine Hauswand gedrückt. Ein weiteres Mal habe der Angeklagte in Richtung seines Gesichts geschlagen und ihn nur verfehlt, weil er zurück gewichen sei. Die Zeugen PK pp. und PK pp. haben sich in ihren dienstlichen Äußerungen vom 21.12.2018 und 22.12.2018 (Blatt 31, 32 der Akte) der Sachverhaltsschilderung des Zeugen PK pp. angeschlossen.
Ferner ist die Hinzuziehung eines Dolmetschers nicht ausreichend, wenn die Annahme verminderter Schuldfähigkeit in Betracht kommt (KG Berlin, Beschluss vom 15. März 1990 — 1 AR 153/90 – 4 Ws 42/90 —, juris). Aufgrund des Umstandes, dass der Angeklagte am Tattag um 01:26 Uhr eine Atemalkoholkonzentration von 0,80 mg/I (entspricht ca. einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 %o) aufwies, kann ¬vorbehaltlich der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung — nicht ausgeschlossen werden, dass die Annahme verminderter Schuldfähigkeit in Betracht kommt. Denn bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit dürfen festgestellte BAK-Werte nicht schematisch auf die Schuldfähigkeits-Grade übertragen werden. Entscheidend ist vielmehr eine Gesamtbewertung der objektiven und subjektiven Umstände des Tatgeschehens und der Persönlichkeitsverfassung des Täters vor, während und nach der Tat (Meyer-Goßner/Schmitt aaO, § 20 Rn. 17). So kann verminderte Schuldfähigkeit schon bei Werten unter 2 %o zu bejahen oder jedenfalls zu prüfen sein, so z.B. bei alkoholbedingten Ausfallerscheinungen (BGH MDR/H 90, 678; Schönke/Schröder/Perron/Meißer, 30. Aufl. 2019, StGB § 20 Rn. 16c-16e).“