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OWi I: Wenn beim Rotlichtverstoß Angaben des Polizeibeamten nicht reichen, oder: Augenblicksversagen

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Heute und morgen dann noch „normale Berichterstattung“, bevor dann Weihnachtsruhe eintritt. Ein sicherlich anderes Weihnachten als in den vergangenen Jahren, aber: Ruhe dann eben doch.

Ich stelle dann heute hier noch einmal OWi-Entscheidungen vor, und zwar zunächst den BayObLG, Beschl. v. 04.08.2020 – 201 ObOWi 927/20, der sich mit einem Rotlichtverstoß befasst. Das BayObLG hat die Verurteilung des Betroffenen, bei dem das AG von einem Fahrverbot abgesehen hatte, auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hin, aufgehoben. Begründung:

Zunächst: Die Urteilsgründe waren anch Auffassung des BayObLG lückenhaft:

„2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht hinreichend gerecht. Der Beweis-würdigung fehlt hinsichtlich der festgestellten Rotlichtdauer von „über“ 1 Sekunde eine tragfä-hige Grundlage. Das Amtsgericht trifft im Rahmen der Beweiswürdigung u.a. folgende Fest-stellungen:

„Auf Grund der Aussage von POMin L., die der Betroffenen folgte und sie unmittelbar danach anhielt – steht zum ein fest, dass der Pkw zum Tatzeitpunkt von der Betroffenen geführt wurde und zum anderen, dass die von ihr überfahrene Rotphase länger als 1 Sekunde andauerte. Insoweit gab die Zeugin glaubwürdig an, sicher zu sein, dass die von der Betroffenen passierte Ampel schon deutlich länger als 1 Sekunde rot zeigt. Die Betroffene, die den Rotlichtverstoß nicht in Abrede stellen wollte […]“

Das Amtsgericht hat sich zur Feststellung des qualifizierten Rotlichtverstoßes somit allein auf die Bekundungen der Polizeibeamtin und die Angabe der Betroffenen, sie wolle den Verstoß nicht in Abrede stellen, gestützt. Zwar können für den Beweis eines – auch eines qualifizierten – Rotlichtverstoßes grundsätzlich auch Schätzungen von Zeugen, insbesondere von Polizei-beamten, herangezogen werden. Hier ist aber nicht erkennbar, ob die Aussage der Beamtin das Ergebnis richtig ermittelter objektiver Anknüpfungstatsachen und deren richtiger Verknüp-fung aufgrund verkehrsanalytischer Erfahrungssätze ist, oder ob es sich lediglich um eine freie Schätzung handelt. Zur Feststellung von Zeitintervallen im Sekundenbereich sind freie Schät-zungen aufgrund gefühlsmäßiger Erfassung generell ungeeignet, da erfahrungsgemäß hierbei ein erhebliches Fehlerrisiko besteht (BayObLGSt 2002, 100, 101). Tatsächliche Anhaltspunkte, die die Richtigkeit der Schätzung überprüfen ließen, etwa die Geschwindigkeit der Betroffenen und ihr Abstand von der Haltelinie beim Umschalten auf Rotlicht, werden im Urteil nicht mitge-teilt. Es wird auch nicht mitgeteilt, ob es sich um eine gezielte Rotlichtüberwachung, bei der die Wahrnehmung der hierbei tätigen Polizeibeamten entsprechend geschärft ist (vgl. OLG Hamm NZV 2010, 44f.), oder aber lediglich um eine zufällige Rotlichtüberwachung, bei der die wahr-nehmenden Polizeibeamten in der Regel weniger aufmerksam sind, gehandelt hat. Feststel-lungen, mit welcher Methode die Zeugin den Rotlichtverstoß gemessen hat, fehlen im Urteil.

Die Feststellung, die Betroffene habe den Rotlichtverstoß nicht in Abrede stellen wollen, belegt den qualifizierten Rotlichtverstoß ebenfalls nicht tragfähig, denn daraus ergibt sich zum einen nicht, dass die Dauer des Rotlichts eingeräumt wurde, und zum anderen führt das Amtsgericht auch nichts dazu aus, ob die Betroffene überhaupt Angaben zur konkreten Dauer machen konnte.“

Und:

„2. Die Feststellungen im angefochtenen Urteil sind auch hinsichtlich des Rechtsfolgenaus-spruchs lückenhaft. Die Feststellungen des Amtsgerichts hinsichtlich eines sog. Augenblicks-versagens zeigen durchgreifende Rechtsfehler auf.

Hierzu führt die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 07.07.2020 wie folgt aus: „Das angegriffene Urteil enthält keine konkreten Feststellungen zur genauen Dauer der Rotlichtphase beim Überfahren der Haltelinie bzw. Einfahrt in den Kreuzungsbereich durch die Betroffene, dem Fahrverhalten der Betroffenen bei Annäherung und Erreichen der Lichtzei-chenanlage, der Beobachtungsposition der den Rotlichtverstoß feststellenden Polizeibeamten, der Methode zur Feststellung des qualifizierten Rotlichtverstoßes und sonstigen Umständen zur Tatsituation, beispielsweise Verkehrsdichte, vorausfahrenden sowie nachfolgenden Fahr-zeugen oder Haltemöglichkeiten für den Fall einer Fahrzeugpanne, die Rückschlüsse darauf ermöglichen, ob das von der Betroffenen geltend gemachte Ereignis des plötzlichen Aufleuch-tens einer Warnleuchte geeignet war, […] ein Augenblicksversagen anzunehmen, das ein Ab-sehen vom Regelfall des Fahrverbots zu begründen vermag. Das Ereignis des plötzlichen Auf-leuchtens von Warnleuchten müsste einem unübersichtlichen, besonders schwierigen, überra-schenden oder verwirrenden Verkehrsgeschehen gleichstehen. Dies erfordert zumindest Fest-stellungen dazu, welche konkreten Warnleuchten aufleuchteten, ob und ggf. welche sonstigen Auffälligkeiten am Fahrzeug der Betroffenen plötzlich auftraten, in welcher zeitlichen Phase der Annäherung an die Ampelanlage dies erfolgte und wie sich das sonstige Verkehrsgeschehen darstellte. Zudem erscheinen die Urteilsgründe insofern widersprüchlich, als das Tatgericht einerseits zwar von einer Verunsicherung der Betroffenen ausgeht, andererseits aber zugleich annimmt, dass bei einer blinkenden Kontrollleuchte nicht sofort ein schwerwiegender Defekt zu erwarten sei, sondern die Weiterfahrt problemlos möglich sei. Dadurch ist aber die angenom-mene Verunsicherung der Betroffenen nicht nachvollziehbar begründet, zumal Fehlfunktionen des Fahrzeugs nicht festgestellt sind. Bei vorliegenden Defekten erscheint demgegenüber ein Anhalten aus Sorge um Schäden am Fahrzeug die naheliegende Reaktion im Gegensatz zu einer Weiterfahrt. Damit setzen sich die Urteilsgründe nicht auseinander.“

Der Senat tritt diesen Ausführungen bei. Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass das Tatge-richt keine eigenen, die Annahme eines Ausnahmefalls rechtfertigenden Feststellungen getrof-fen, sondern im Wesentlichen die Ausführungen der Betroffenen übernommen hat.“

OWi I: Dreimal Rotlichtverstoß, oder: Urteilsfeststellungen und Fahrverbot

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Heute dann mal wieder ein Owi-Tag, also verkehrsrechtliche Entscheidungen.

Und ich starte mit drei KG-Entscheidungen zum Rotlichtverstoß, und zwar einmal zu den erforderlichen Feststellungen und zwei Entscheidungen zum Fahrverbot – Stichwort u.a.: Augenblicksversagen.

Es reichen bei allen drei Entscheidungen die Leitsätze, die da lauten

  • Jedenfalls bei einem innerhalb geschlossener Ortschaft begangenen Rotlichtverstoß sind Urteilsausführungen zur Dauer der Gelbphase, der zulässigen und vom Betroffenen eingehaltenen Geschwindigkeit sowie seines Abstands zur Ampel regelmäßig entbehrlich (KG, Beschl. v. 24.07.2019 – 3 Ws (B) 243/19).
  • Von einem Kraftfahrzeugführer, der in den durch Wechsellichtzeichen geschützten Bereich einer belebten innerstädtischen Kreuzung mit mehreren Fahrspuren einfährt, ist eine gesteigerte Aufmerksamkeit zu verlangen. Missachtet er das Rotlicht dennoch, so kommt in aller Regel die Annahme nur leichter Fahrlässigkeit im Sinne eines Augenblicksversagens und ein Absehen vom Fahrverbot nicht in Betracht (KG, Beschl. v. 24.07.2019 – 3 Ws (B) 217/19).
  • Eine komplexe und gefährliche Kreuzung (hier zweier Magistralen) erfordert von jedem Fahrzeugführer erkennbar hohe Aufmerksamkeit, so dass das Übersehen eines Ampelregisters mit einem Augenblicksversagen oder anderweitig leichter Fahrlässigkeit nicht in Einklang zu bringen ist (KG, Beschl. v. 20.06.2019 – 3 Ws (B) 208/19).

OWi I: „Nässe“(Schild) übersehen, oder: Kein Augenblicksversagen

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Nach längerer Zeit heute dann drei OWi-Entscheidungen.

Den Reigen eröffne ich mit der „Nässeentscheidung“ des KG, also dem KG, Beschl. v. 18.02.2019 – 3 Ws (B) 30/19, in dem das KG zur Frage des Augenblicksversagens bei „bei Nässe“ geltendem Streckenverbot Stellung genommen hat.

Das KG hat ein Augenblicksversagen und damit das Absehen vom Fahrverbot verneint: Begründung:

„Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Augenblicksversagens liegen entgegen der Auffassung des Betroffenen nicht vor. Zutreffend hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 21. Januar 2019 darauf hingewiesen, dass der vorliegende Fall nicht dadurch gekennzeichnet ist, dass der Betroffene ein Verkehrsschild übersehen hat, sondern auch den Zusatz „bei Nässe“ wahrgenommen, die tatsächlichen Witterungsverhältnisse aber falsch eingeschätzt hat. Ein derartiges Versagen geschieht nicht in einem „Augenblick“, sondern bedarf einer zeitlich darüber hinausgehenden Beobachtung des Verkehrsgeschehens.“

„Wanderer kommst du zum AG Potsdam, dann hast du Glück mit dem Fahrverbot….“

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Ich hatte in der vorigen Woche über das AG Potsdam, Urt. v. 07.02.2017 – 88 OWi 4135 Js-OWi 27897/16 (468/16) berichtet (vgl. AG Potsdam: Nur einmal „Beginn einer Tempo 30-Zone“-Schild passiert – kein Fahrverbot). Dazu hat mir dann der Kollege Stach aus Potsdam ein weiteres Urteil des AG Potsdam übersandt, in dem ebenfalls von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot abgesehen worden ist. Es handelt sich um das AG Potsdam, Urt. v. 23.01.2017 – 88 OWi 4131 Js 34510/16 (590/16). Die Begründung für das Absehen vom Fahrverbot in diesem Fall:

„Das maßgebliche Verkehrszeichen 274-57 mit der Anordnung „70″ steht bei km 3,290 der B 2, das ist gerichtsbekannt. Über dem Zeichen 274 ist ein Verkehrszeichen 141-10 „Wildwechsel“ angebracht, unter dem Zeichen 274 ein Zusatzzeichen 1001-30, „800 m“, darunter ein Zusatzzeichen 1040-30, „20-6 h“. Die auf der B 2 zuvor bestehende Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h wird bei km 3.259 durch ein linksseitig angebrachtes Verkehrszeichen 278 aufgehoben, das heißt 31 m vor der neuen Anordnung.

Das Gericht kann es nicht ausschließen, dass der Betroffene nach der Wahrnehmung der Aufhebung der Geschwindigkeitsanordnung nicht mit der alsbaldigen Anordnung einer weiteren verschärften Geschwindigkeitsbeschränkung rechnete und deshalb die rechtsseitig aufgestellten zwei Verkehrszeichen und zwei Zusatzzeichen nicht vollständig beachtete.

Auch das Überholen eines anderen Fahrzeugs und die zeitweilige Verdeckung des nur rechts einmal aufgestellten Geschwindigkeitszeichens kann nicht ausgeschlossen werden. Das einmalige Übersehen eines einseitig aufgestellten Verkehrszeichens, möglicherweise auch in der Folge zeitweiliger Verdeckung ist als ein sogenanntes Augenblicksversagen zu erkennen, als das Ergebnis einer einmaligen kurzen Unaufmerksamkeit, wie sie jedermann gelegentlich erleidet. Der im Moment eines solchen Augenblicksversagen begangenen Fehlhandlung fehlt die vorwerfbare Gesinnung, die die Anordnung eines Fahrverbotes gebieten würde, damit ein Betroffener dessen Besinnungs- und Denkzettelwirkung nutzt, uni sein Verhalten dem Grunde nach zu überdenken.“

Auch die Entscheidung geht m.E. schon recht weit……in Bamberg hätte das nicht gehalten 🙂 .

 

AG Potsdam: Nur einmal „Beginn einer Tempo 30-Zone“-Schild passiert – kein Fahrverbot

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Heute dann (zunächst) ein wenig Verkehrsrecht. Und das Opening macht das AG Potsdam, Urt. v. 07.02.2017 – 88 OWi 4135 Js-OWi 27897/16 (468/16), das mir der Kollege M. Gregor aus Aken übersandt hat. Das AG hat in dem Urteil von einem an sich bei der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung zu verhängenden Regelfahrverbot „abgesehen“. Begründung:

„Von dieser Anordnung des Fahrverbots hat das Gericht hier abgesehen, weil nach der Darstellung der Tat durch den Verteidiger und nach den örtlichen Umständen der Tat, die Fahrt aus einem Bereich mit der innerorts gem. § 3 Abs.3 StVO vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h heraus nur einmal ein einseitig rechts aufgestelltes Verkehrszeichen 274.1 — „Beginn einer Tempo 30-Zone“ passiert, bevor seine Geschwindigkeit gemessen wurde. Dieses Verkehrszeichen befindet sich ca. 30 m hinter dem Kreuzungsbereich mit der Nedlitzer Straße. Als Zonenverbot wird dieses Verkehrszeichen innerhalb der Zone nicht wiederholt. Bis zur Messstelle, die sich in der Nähe der Biosphären-Halle befand, war es von der Nedlitzer Straße noch weit. Es ist nicht auszuschließen, dass der Betroffene schon alleine durch die Kurvenfahrt etwas abgelenkt war, so dass er am Ende der Kurve im Kreuzungsbereich mit der üblichen Routine fortfuhr, nämlich nach der Kurve wieder zu beschleunigen. Die Georg-Herrmann-Allee zeigt sich als gut ausgebaute breite Straße mit besonderem Gleisbett für die Straßenbahn. Es gibt nach dem Durchfahren des Kreuzungsbereichs keinen Anhaltspunkt für eine 30er Zone, sodass sich hier eine einmalige kurze Unaufmerksamkeit besonders leicht in einer dann zu hohen Geschwindigkeit auswirken kann. Auch der Umstand, dass im Rahmen der Umleitung von der Nedlitzer Straße der ganze aus dem Norden kommende Verkehr in den Bereich der 30er Zone eingeleitet wurde, ist, so darf vermutet werden, nicht jedem Fahrzeugführer bewusst gewesen. Die Ausschilderung ist jedenfalls angesichts der Umleitung des gesamten Durchfahrtsverkehrs von der Hauptverkehrsstraße nicht erheblich vermehrt worden und gar nicht bezüglich der Geschwindigkeit.

Das Gericht erkennt hier eine einmalige kurze Unaufmerksamkeit als Ursache der Geschwindigkeitsüberschreitung, eine Ursache, die nicht als grober Verstoß gegen die Pflichten eines Fahrzeugführers erkannt werden kann.2

Der Kollege war über das – rechtskräftige – Urteil hocherfreut – der Mandant natürlich auch. Können sie m.E. auch sein. Denn das AG geht doch recht weit mit dem „Absehen“ vom Fahrverbot bzw. der Annahme eines Augenblicksversagens. Ob das Urteil beim OLG Brandenburg gehalten hätte, wage ich zu bezweifeln. Wenn es ein bayerisches AG gewesen wäre, wäre es Urteil gar nicht erst rechtskräftig geworden. 🙂