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Zusammenstoß beim parallelen Abbiegen, oder: Wer haftet wie?

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Und als zweite Entscheidung des Tages dann der KG, Beschl. v. 01.11.2018 – 22 U 128/17. Es handelt sich um einen sog.Hinweisbeschluss, der zur Berufungsrücknahme geführt hat. Problemati: Haftung beim parallelen Abbiegen

Zu entscheiden war folgender Sachverhalt:

Die Klägerin begehrt aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes, des Zeugen M., von dem Beklagten zu 1. als (Bus-) Fahrer und der Beklagten zu 2. als Halterin des Busses Zahlung von Schadenersatz wegen des Unfalls vom 29. Februar 2016 auf der Kreuzung Heerstraße/Sandstraße.

Der Zeuge sowie der Beklagte zu 1. fuhren auf der Heerstraße stadteinwärts. Der Beklagte zu 1. hielt vor der Kreuzung mit der Sandstraße an der dort befindlichen Haltestelle, um Fahrgäste aus- bzw. einsteigen zu lassen. Die stadteinwärts führende Fahrbahn der Heerstraße ist vor der Kreuzung zweispurig. Wegen der Linksabbieger beginnt etwa 60 m vor der Kreuzung ein weiterer (dritter) Fahrstreifen links und wegen der Haltestelle ein weiterer (vierter) Fahrstreifen rechts, die beide nach der Kreuzung in der dann für eine Richtung zweispurigen Heerstraße nicht fortgeführt werden.

Im Gegenverkehr stadtauswärts besteht gegenüberliegend an der Kreuzung die gleiche Sachlage, ohne dass die Haltestelle sich dort im Bereich des rechten Fahrstreifens befinden würde. Sie liegt vielmehr in dem dort (zunächst über etwa 60 m) fortgeführten (dritten) rechten Fahrstreifen auf der Straßenseite gegenüber der hier maßgeblichen Haltestelle.

Der Zeuge näherte sich von hinten auf dem rechten bzw. im Bereich der Haltestelle zweiten Fahrstreifen von rechts und wollte rechts in die Sandstraße abbiegen. Der Beklagte zu 1. fuhr zu dieser Zeit wieder an. Der Bus der Beklagten zu 2. wurde vorne links, der im Eigentum des Zeugen stehende Pkw an der hinteren rechten Fahrzeugseite beschädigt.

Einzelheiten des dem Unfall vorausgegangenen Geschehens sind zwischen den Parteien streitig, u.a. ob am Pkw oder dem Bus der Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt war.

Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Hauptanträge vollständig (zu 1. bis 3.) sowie teilweise die Hilfsanträge (zu 1. und 2., nicht mehr zu 3.) sowie teilweise den Hilfshilfsantrag zum Hilfsantrag zu 2. weiter. Sie meint u.a. sinngemäß, der Zeuge hätte sich nicht vor dem Abbiegen rechts in den Fahrstreifen vor dem Bus einordnen müssen, und greift das Ergebnis der Beweisaufnahme an.“

Das KG hat „mitgeteilt“, dass es die Berufung zurückweisen wird. Es hat seinem Beschluss folgende Leitsätze vorangestellt:

1. Beim parallelen Abbiegen nach rechts spricht ein Anscheinsbeweis für einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 1 Satz 1, 2 und 4 StVO gegen den aus der linken Spur Abbiegenden, wenn dort keine die Markierungen vorhanden sind, die ebenfalls ein Abbiegen nach rechts anordnen.

2. Die Darlegungs- und Beweislast für das (rechtzeitige) Setzen des Fahrtrichtungsanzeigers trägt der Abbiegende.

3. Die aus § 20 Abs. 5 StVO folgende Pflicht anderer Verkehrsteilnehmer, einem Linienbus das Abfahren von Haltestellen zu ermöglichen und notfalls zu warten, begründet für den Bus einen Vorrang vor dem Fließverkehr und nicht nur ein “Recht zur Behinderung”. Die Regelung geht § 10 Satz 1 StVO vor.

4. Das Vorrecht entsteht aber erst mit dem Erfüllen der Pflichten aus § 10 Satz 2 StVO, ohne dass für die Verletzung der Pflichten ein Anscheinsbeweis gilt.

Auffahrunfall an der Ampel, oder: Der Auffahrende haftet allein

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Es ist Samstag, und da öffne ich ja immer den „Kessel Buntes“. Und in dem findet man heute als erste Entscheidung den OLG Celle, Beschl. v. 07.05.2018 – 14 U 60/18 – zum Sorgfaltsmaßstab beim Abbremsen anlässlich des Umspringens einer Ampel von Grün- auf Gelblicht. Zugrunde liegt der Entscheidung ein Unfallgeschehen, das nicht allzu ungewöhnlich ist. Der Beklagte nähert sich einer Lichtzeichenanlage. Er bremst, als die für ihn von grün auf gelb umschaltet. Zum Stehen kommt der Beklagte 1,5 m hinter der Haltelinie. Der Kläger fährt auf.

Das LG ist von alleiniger Haftung des Klägers ausgegangen. Das OLG bestätigt das in seinem Beschluss:

….Es ist nicht zu beanstanden, dass die Einzelrichterin für das Unfallgeschehen vom 30. November 2015 in W. auf der H. in Höhe der Einmündung zur H. Straße eine alleinige Haftung des Klägers angenommen hat. Der Senat teilt die Erwägungen der Einzelrichterin, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, nach einer eigenen kritischen Überprüfung vollends. Anders als der Kläger meint, ist der gegen ihn sprechende Anscheinsbeweis nicht erschüttert (im Folgenden 1.). Es war im Rahmen der Abwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG auch geboten, die Betriebsgefahr für das Beklagtenfahrzeug vollständig hinter den Verkehrsverstößen des Klägers gemäß §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 1 und 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 5 StVO zurücktreten zu lassen (im Folgenden 2.). Verfahrensfehler sind der Einzelrichterin nicht vorzuwerfen; insbesondere war ein Ergänzungsgutachten nicht zwingend erforderlich (im Folgenden 3.).

1. Der gegen den Kläger als Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis ist vorliegend nicht dadurch erschüttert, dass dem Beklagten zu 1) vorgeworfen werden müsste, gegen §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 2 StVO verstoßen zu haben. Das Gegenteil ist der Fall. Nach dem Ergebnis der von der Einzelrichterin der 12. Zivilkammer des LG Hannover durchgeführten Beweisaufnahme ist bewiesen, dass der Beklagte zu 1) noch vor der Haltelinie der Ampelanlage zu bremsen begonnen hat, weil diese von grün auf gelb umgesprungen war. Dem steht nicht entgegen, dass das Beklagtenfahrzeug erst 1,5 m hinter der Haltelinie bis zum Stillstand abgebremst worden ist. Gemäß § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 5 StVO ordnet Gelblicht an, vor der Kreuzung auf das nächste Zeichen zu warten. Der Kreuzungsbereich beginnt jedoch nicht an der Haltelinie, sondern erst dort, wo sich die Fahrspuren der Geradeausfahrenden mit denjenigen der Abbiegenden kreuzen [OLG Celle <1 Ss (OWi) 625/77>, Beschluss vom 02.11.1977, Orientierungssatz, zitiert nach juris; OLG Hamm, VRS 56, 383]. Der gesamte innerhalb der Haltelinien liegende Verkehrsraum ist vom Schutzbereich der Norm erfasst [Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage, Bearbeiter König zu § 37 StVO Rn. 8]. Vorliegend hat der Beklagte zu 1) deutlich vor dem gefährlichen Kreuzungsbereich angehalten, nämlich noch vor dem Ende der Linksabbiegerspur (siehe Skizze auf Seite 8 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. M. vom 29. August 2017, Anlage zur Akte). Da der Beklagte zu 1) folglich den eigentlichen (gefährlichen) Kreuzungsbereich noch nicht erreicht hatte, war sein Bremsmanöver bis zum Stillstand gemäß § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 5 StVO geboten [vgl. OLG Celle <1 Ss (OWi) 625/77>, Beschluss vom 02.11.1997, Orientierungssatz; KG Berlin <12 U 2354/87>, Urteil vom 23.11.1987, Orientierungssatz; beide zitiert nach juris]. Ihm ist auch kein Verstoß gegen §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 2 StVO anzulasten, weil bei einem Umschalten der Ampel von grün auf gelb der Hintermann mit einem plötzlichen abrupten Bremsen des Vorausfahrenden rechnen muss [Hentschel/König/Dauer-König zu § 4 StVO Rn. 16] und der Kraftfahrer bremsen muss, solange der Anhalteweg spätestens bis zum Kreuzungsbereich (siehe oben) ausreicht [ders. zu § 37 StVO Rn. 24 m. w. N.]. Eine nicht gebotene Gefahrenbremsung oder eine in dieser Situation unzulässige besonders starke Bremsung hat der Beklagte zu 1) schon nach dem Vorbringen des Klägers nicht durchgeführt, worauf ihn die Einzelrichterin in dem angefochtenen Urteil (Seite 8 LGU) bereits hingewiesen hat. Es durfte vorliegend dem Beklagten zu 1) nicht zugemutet werden, bei Gelblicht in den Kreuzungsbereich einzufahren, nur um auf die mögliche Unaufmerksamkeit nachfolgender Kraftfahrer Rücksicht zu nehmen.

2. Die Abwägung der Einzelrichterin im Rahmen des § 17 Abs. 1 StVG dahin, dass der Kläger allein haftet und die Betriebsgefahr für das Beklagtenfahrzeug (§ 7 Abs. 1 StVG) vollends hinter den Verkehrsverstößen des Klägers zurücktritt, ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat gegen §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 1, 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 5 StVO verstoßen, während dem Beklagten zu 1) aus den unter Ziffer 1. gemachten Ausführungen kein Verkehrsverstoß trifft. Der Kläger musste beim Umspringen der Ampel von grün auf gelb mit einem plötzlichen abruptem Abbremsen des Vordermannes rechnen [siehe oben unter Ziffer 1.; BGH, NJW-RR 2007, 680; OLG Karlsruhe, NJW 2013, 1968; KG Berlin, NZV 2003, 42]. Da der Kläger auf eine Ampelanlage zusteuerte, die ausweislich der Lichtbilder im Sachverständigengutachten gut einsehbar gewesen ist, hätte er mit erhöhter Aufmerksamkeit fahren müssen, weil mit einem Umschalten der Lichtzeichenanlage jederzeit zu rechnen war. Da der im vorausfahrende Beklagte zu 1) es noch geschafft hat, sein Fahrzeug ohne Gefahrenbremsung vor dem eigentlichen Kreuzungsbereich anzuhalten, als die Ampel von grün auf gelb umsprang, wäre dies für den Kläger bei der nötigen Aufmerksamkeit gleichfalls möglich gewesen, da er noch weiter von der Lichtzeichenanlage entfernt war. Der Kläger hätte folglich selbst die Pflicht gehabt, vor der Ampel anzuhalten. Unter diesen Umständen erscheint es auch dem Senat gerechtfertigt, die Betriebsgefahr für das Beklagtenfahrzeug hinter dem Sorgfaltspflichtverstoß des Klägers vollends zurücktreten zu lassen [vgl. auch Rechtsprechungsnachweis bei Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 15. Auflage, Rn. 118; OLG Karlsruhe <10 U 208/86>, Urteil vom 09.01.1987, Leitsatz, zitiert nach juris].

Reißverschlussverfahren I: Spurwechsel, oder: Es gilt der Anscheinsbeweis

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Im „Kessel Buntes“ stelle ich heute dann zwei Entscheidungen zum sog. Reißverschlussverfahren vor. Da ist zunächst das OLG München, Urt. v. 21.04.2017 – 10 U 4565/16. Es ist ergangen zu einem Zusammenstoß zwischen einem Lkw, der vom Beklagten gesteuert wurde, und einem vom Klägr gesteuerten Pkw. Zum Zusammenstoß ist es nach einem Spurwechsel des Klägers gekommen, bei dem das sog. Reißverschlussverfahren galt. Das LG München II war von einer Haftungsverteilung von 50:50 ausgegangen. Es hatte keinen gegen den Kläger geltenden Anscheinsbeweis angenommen. Das OLG München sieht das anders. Nach seiner Auffassung ist der Anscheinsbeweis anwendbar. Es hat ihn angewendet und lässt auf der Grundlage den Kläger allein haften:

„bb) Entgegen der Ansicht der Klägerin fehlt es auch im Falle eines Spurwechsels im Reißverschlussverfahren regelmäßig nicht an der für die Annahme eines Anscheinsbeweises erforderlichen Typizität (vgl. auch Eggert in Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 6. Aufl., § 2, Rdnr. 648 m.w.N.).

Keine einzige der von der Klägerin zitierten Entscheidungen besagt etwas anderes:

So hat das Kammergericht mit Beschluss (nicht „Urteil“) vom 19.10.2009, Az.: 12 U 227/08, juris, insb. Folgendes ausgeführt (vgl. bei juris Rdnr. 7 und 10): „Soweit der Kläger meint, der Anscheinsbeweis würde im Hinblick auf das „Reißverschlussverfahren“ nicht gelten, verhilft dies der Berufung nicht zum Erfolg. (…) Eine Mithaftung der Beklagten käme nur dann in Betracht, wenn feststünde, dass der Erstbeklagte die Gefahr der Kollision auf sich hätte zukommen sehen müssen, er also hätte erkennen müssen, dass die Zeugin B. ihm (…) den Vortritt nicht gewähren würde.“

Das AG Dortmund wiederum hat mit Urteil vom 23.02.2010, Az.: 423 C 12873/09, juris, insb. Folgendes ausgeführt (vgl. bei juris Rdnr. 24): „Bei der nach § 17 I StVG gebotenen Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile am Unfallgeschehen ist zunächst zu berücksichtigen, dass gegen den Kläger der Beweis des ersten Anscheins einer schuldhaften Verletzung der Pflichten des Verkehrsteilnehmers beim Fahrspurwechsel streitet und daher davon auszugehen ist, dass der Kläger das Unfallgeschehen verursacht und verschuldet hat.“

Das LG Darmstadt schließlich hat mit Urteil vom 15.03.2001, Az.: 6 S 464/00, VRS, Bd. 100, S. 430/432, insb. Folgendes (vgl. S. 431) ausgeführt: „Der Fahrspurwechsel der Kl. war daher ersichtlich zum Zeitpunkt der Kollision nicht abgeschlossen; der Beweis des ersten Anscheins spricht deshalb bereits dafür, dass die Kl. den Unfall durch ihre Vorfahrtsverletzung sowie dadurch verursacht und verschuldet hat, dass jede Gefährdung anderer ausgeschlossen gewesen wäre.“

cc) Es bleibt dabei, dass es der Klägerin nicht gelungen ist, den für einen Verstoß des Zeugen Dr. T. gegen 7 V 1 StVO sprechenden Anscheinsbeweis zu erschüttern.

Soweit die Klägerin nunmehr – ohne nähere Erläuterung – behauptet, der Zeuge Dr. T. sei in einem ausreichend großen Abstand vor dem Beklagten-Lkw auf die rechte Spur gewechselt, widerspricht dies den – im Übrigen auch im Einklang mit der Protokollierung der Aussage des Zeugen in der erstinstanzlichen Sitzung vom 14.10.2016 (vgl. S. 3 des Sitzungsprotokolls = Bl. 22 d.A.) stehenden – Feststellungen des Erstgerichts, wonach der Zeuge Dr. T. nur bekundet hat, dass der vor ihm Fahrende etwa 3 bis 5 Meter entfernt gewesen sei, während er nichts dazu aussagen konnte, in welchem Abstand sich der Lkw zu seinem Pkw befand, als er den Spurwechsel einleitete.

Schließlich vermag auch der Umstand, dass der Fahrer des Beklagten-Lkws nach dem Unfall vor Ort die vom klägerischen Fahrer formulierte und von der Klägerin als Anlage K1 vorgelegte Sachverhaltsdarstellung unterzeichnet hat, wonach der Porsche vom Lkw „übersehen“ wurde, den Anscheinsbeweis nicht zu erschüttern. Denn das Wort „übersehen“ bedeutet, dass der Pkw für den Lkw-Fahrer rechtzeitig beim Spurwechsel zu erkennen gewesen wäre, aber nicht erkannt worden ist. Wenn der Lkw-Fahrer den Pkw aber nicht gesehen hat, dann kann er auch nicht beurteilen, ob er ihn rechtzeitig hätte erkennen können. Angemerkt sei im Übrigen, dass eine Vernehmung des Lkw-Fahrers seitens der Klägerin nicht beantragt worden war.

dd) Schließlich bleibt es auch dabei, dass hier nur eine Alleinhaftung der Klägerin in Betracht kommt.

Soweit die Klägerin ihre Ansicht, in Fällen des Reißverschlussverfahrens trete die allgemeine Betriebsgefahr des bevorrechtigten Fahrzeugs nicht unter dem Gesichtspunkt eines deutlich überwiegenden Verschuldens des Spurwechslers zurück, sondern nur dann, wenn seitens des Bevorrechtigten der Nachweis der Unvermeidbarkeit geführt worden ist, auf das o.g. Urteil des LG Darmstadt stützt, ist darauf hinzuweisen, dass eine solche Rechtsauffassung vom LG Darmstadt ausweislich der Entscheidungsgründe, soweit sie unter VRS Bd. 100, S. 431/432, abgedruckt sind, keineswegs vertreten wird. Vielmehr hat das LG lediglich darauf hingewiesen, dass die Klägerin, die Halterin des die Fahrspur wechselnden Pkws, mit den bereits gezahlten 50% „mehr als gut bedient“ sei.

Zwar vertritt das AG Dortmund in seinem o.g. Urteil vom 23.02.2010 (vgl. bei juris insb. die Rdnr. 30) tatsächlich die Meinung der Klägerin. Dies entspricht aber nicht der herrschenden und vorzugswürdigen Meinung, wonach, wie bereits oben ausgeführt, in Fällen des Verstoßes gegen äußerste Sorgfalt fordernde Vorschriften wie § 7 V StVO die allgemeine Betriebsgefahr regelmäßig zurücktritt. Auch wenn sich der Verstoß des Spurwechslers gegen § 7 V 1 StVO im Zusammenhang mit dem Reißverschlussverfahren ereignet, bleibt es bei einem Verstoß gegen diese äußerste Sorgfalt fordernde Vorschrift. Wie etwa vom Kammergericht mit dem o.g. Beschluss vom 19.10.2009 und in der Folge auch vom OLG Düsseldorf mit Urteil vom 22.07.2014, Az.: 1 U 152/13, juris, jeweils überzeugend ausgeführt, kommt eine Mithaftung des Bevorrechtigten zwar dann in Betracht, wenn er die Gefahr einer Kollision auf sich zukommen sehen musste und unfallverhütend hätte reagieren können. Die Beweislast trägt diesbezüglich aber der Spurwechsler; eine automatische Mithaftung in Höhe der allgemeinen Betriebsgefahr wird nicht vertreten.“

Zwei Punkte sind „schön“ an der Entscheidung:

Zunächst ist hinzuweisen auf die Zusammenstellung der Rechtsprechung des OLG zu der Frage.

Und: „Besonders schön“ ist das Zitat von/der Hinweis auf:“Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 6. Aufl.“. Kann man hier bestellen 🙂 🙂 🙂 . Gibt es im Moment als Mängelexemplar.

Auffahrunfall auf BAB, Spurwechsel und Anscheinsbeweis, oder: Alleinige Haftung

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Der samstägliche „Kessel Buntes“ ist derzeit gut gefüllt. Daher dauert es manchmal etwas länger, bis ich auf „passende“ Entscheidungen hinweise. So dann heute auf das BGH, Urt. v. 13.12.2016 – VI ZR 32/16 – mit der Thematik: Spurwechsel, Auffahrunfall, Anscheinsbeweis. Die Thematik hat die Rechtsprechung in der letzten Zeit ja häufiger beschäftigt.

Und ich mache es mir mit dem BGH-Urteil heute einfach und stelle nur die vom BGH stammenden Leitsätze zu der Entscheidung ein. Die lauten:

  1. Bei Auffahrunfällen kann, auch wenn sie sich auf Autobahnen ereignen, der erste Anschein dafür sprechen, dass der Auffahrende den Unfall schuldhaft dadurch verursacht hat, dass er entweder den erforderlichen Sicherheitsab-stand nicht eingehalten hat (§ 4 Abs. 1 StVO), unaufmerksam war (§ 1 StVO) oder mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Ge-schwindigkeit gefahren ist (§ 3 Abs. 1 StVO) (Fortführung Senatsurteil vom 13. Dezember 2011 – VI ZR 177/10, BGHZ 192, 84 Rn. 7).
  2. Der Auffahrunfall reicht als solcher als Grundlage eines Anscheinsbeweises aber dann nicht aus, wenn weitere Umstände des Unfallereignisses bekannt sind, die – wie etwa ein vor dem Auffahren vorgenommener Spurwechsel des vorausfahrenden Fahrzeugs – als Besonderheit gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen (Fortführung Senatsurteil vom 13. Dezember 2011, aaO).
  3. Bestreitet der Vorausfahrende den vom Auffahrenden behaupteten Spur-wechsel und kann der Auffahrende den Spurwechsel des Vorausfahrenden nicht beweisen, so bleibt – in Abwesenheit weiterer festgestellter Umstände des Gesamtgeschehens – allein der Auffahrunfall, der typischerweise auf ei-nem Verschulden des Auffahrenden beruht. Es ist nicht Aufgabe des sich auf den Anscheinsbeweis stützenden Vorausfahrenden zu beweisen, dass ein Spurwechsel nicht stattgefunden hat.“

Nochmals Parkplatzunfall, oder: Anscheinsbeweis beim Rückwärtsfahren

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Author Harald Wolfgang Schmidt at de.wikipedia

Schon etwas länger hängt in meinem Blogordner das BGH, Urt. v. 11.10.2016 – VI ZR 66/16. Immer ist etwas anderes dazwischen gekommen, heute bringe ich es aber dann. Es handelt sich um eine der Entscheidungen, die der BGh im vergangenen Jahr zu den „Parkplatzunfällen“ gemacht hat.

Es geht um Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall auf einem Parkplatz. Der Beklagte fuhr mit seinem Pkw auf dem Fahrweg zwischen zwei im rechten Winkel dazu angeordneten Parkbuchten. Dabei fuhr er vorwärts in eine – aus seiner Fahrtrichtung gesehen rechts vom Fahrweg gelegene – Parkbucht ein, um sogleich wieder in entgegengesetzter Richtung rückwärts aus der Parkbucht auszufahren. Die Klägerin befand sich zu diesem Zeitpunkt mit ihrem Pkw in einer Parkbucht, die auf der gegenüberliegenden Seite des Fahrwegs gelegen war. Sie fuhr, nachdem sie gesehen hatte, dass der Beklagte in die Parkbucht eingefahren war, mit ihrem Fahrzeug rückwärts aus ihrer Parkbucht und brachte ihr Fahrzeug auf dem Fahrweg zum Stehen.

Noch ehe die Klägerin den Vorwärtsgang eingelegt und ihr Fahrzeug in Richtung Ausfahrt in Bewegung gesetzt hatte, kam es zur Kollision zwischen dem Pkw der Klägerin und dem Heck des Pkw des Beklagten, der ebenfalls rückwärts aus der gegenüberliegenden Parkbucht ausgefahren war. Durch die Kollision wurde das Fahrzeug der Klägerin an der Fahrerseite beschädigt. Die Haftpflichtversicherung des Beklagten hat den Schaden der Klägerin auf Grundlage einer Haftungsquote von 50 % reguliert. AG und LG haben die Klage auf weitergehenden Schaden abgewiesen. Der BGH hat aufgehoben und zurückverwiesen.

Er hat dabei zu den Grundsätzen des Anscheinsbeweises bei Kollisionen während des Rückwärtsfahrens Stellung genommen, und zwar mit folgenden Leitsätzen:

  1. Steht fest, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignete, der Rück-wärtsfahrende zum Kollisionszeitpunkt selbst also noch nicht stand, so spricht auch bei Parkplatzunfällen ein allgemeiner Erfahrungssatz dafür, dass der Rückwärtsfahrende seiner Sorgfaltspflicht nach § 1 StVO in Verbindung mit der Wertung des § 9 Abs. 5 StVO nicht nachgekommen ist und den Unfall dadurch (mit)verursacht hat.
  2. Dagegen liegt die für die Anwendung eines Anscheinsbeweises gegen einen Rückwärtsfahrenden erforderliche Typizität des Geschehensablaufs regel-mäßig nicht vor, wenn beim rückwärtigen Ausparken von zwei Fahrzeugen aus Parkbuchten eines Parkplatzes zwar feststeht, dass vor der Kollision ein Fahrzeugführer rückwärts gefahren ist, aber zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass sein Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits stand, als der andere rückwärtsfahrende Unfallbeteiligte mit seinem Fahrzeug in das
    Fahrzeug hineingefahren ist.
  3. Unabhängig vom Eingreifen eines Anscheinsbeweises können die Betriebsgefahr der Fahrzeuge und weitere sie erhöhende Umstände im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 1, 2 StVG Berücksichtigung finden.

Zu den Fragen schon: BGH, Urt. v. 15.12.2015 – VI ZR 6/15 und dazu BGH zum Rückwärtsfahren: Wenn der andere steht, kein Anscheinsbeweis und BGH, Urt. v. 26.01.2016 – VI ZR 179/15.