„Sie, Herr Angeklagter, gehen sie ruhig, wir brauchen Sie nicht.“, so oder so ähnlich hat offenbar der Vorsitzende einer Berufungskammer beim LG Berlin darauf reagiert, als er bemerkt hat, dass der Dolmetscher, der wegen der Sprachunkundigkeit des Angeklagten erforderlich war, in der Hauptverhandlung fehlte. Jedenfalls kann man das in etwa dem Verfahrensablauf entnehmen, den das KG seinem KG, Beschl. v. 10.04.2015 – (2) 121 Ss 58/15 (26/15) – zugrunde gelegt hat:
„Der Angeklagte ist, nachdem er zur Anklage vernommen war, zum Fortsetzungstermin am 7. November 2014 erschienen. Nachdem das Gericht das Fehlen eines Dolmetschers bemerkt hatte, wurde der der deutschen Sprache nicht mächtige Angeklagte vom Vorsitzenden gefragt, ob er nicht bereit wäre, den Saal zu verlassen. Da der Angeklagte dies nicht verstand, wandte sich – mit Einverständnis des Vorsitzenden – die Nebenklagevertreterin in spanischer Sprache an den Angeklagten, der daraufhin den Saal verließ. Die Sitzung wurde um 8.59 Uhr ohne den Angeklagten fortgesetzt. Sodann wurde ein Gutachten (zu etwaigen Spermaspuren an der Kleidung der Nebenklägerin) auszugsweise verlesen. Danach ergänzte die Nebenklägerin ihren Adhäsionsantrag um einen weiteren Feststellungsantrag. Im Anschluss daran wurde die Sitzung um 9.05 Uhr beendet.“
Und es kommt, was kommen muss(te): Die Verfahrensrüge, die dann – was m.E. auch auf der Hand liegt – auch Erfolg hatte. Denn:
„a) Eine Fortsetzung ohne den Angeklagten gemäß § 231 Abs. 2 StPO war vorliegend nicht möglich. Denn dann hätte der Angeklagte der Hauptverhandlung eigenmächtig fern geblieben sein müssen. Das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der „Eigenmacht“ liegt vor, wenn der Angeklagte wissentlich und ohne Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe der weiteren Hauptverhandlung fern bleibt (vgl. BGH NJW 2011, 3249, 3252). Ein eigenmächtiges Ausbleiben ist dagegen zu verneinen, wenn der Angeklagte in dem Glauben ist, nicht zum Termin erscheinen zu müssen, etwa weil das Gericht ihm das Ausbleiben entweder gestattet oder den Anschein hervorgerufen hat, es sei mit seiner Abwesenheit einverstanden (vgl. BGHSt 37, 249, 252; 3, 187, 190; OLG Celle StraFo 2012, 140).
Angesichts des unwidersprochenen Vortrags der Revision ist vorliegend davon auszugehen, dass der Vorsitzende das Ausbleiben des Angeklagten nicht nur hingenommen, sondern – durch seine in Gestalt einer Frage formulierte Bitte – sogar selbst initiiert hat. Grund hierfür war offenkundig, dass an diesem Verhandlungstag kein Dolmetscher zugegen war und der Vorsitzende – zu Recht – eine Fortsetzung der Verhandlung scheute, da dies mit dem Anspruch des Angeklagten aus § 187 Abs. 1 Satz 1 GVG unvereinbar gewesen wäre. Ebenso gesetzwidrig war es jedoch, die erforderliche Heranziehung eines Dolmetschers dadurch zu umgehen, den Angeklagten zu bitten, den Saal zu verlassen. Zwar war, nachdem der Angeklagte den Saal verlassen hatte, die Bestellung eines Dolmetschers überflüssig geworden. Doch war das Vorgehen des Vorsitzenden in keiner Weise mit dem Recht und der Pflicht des Angeklagten zur fortdauernden Anwesenheit in der Hauptverhandlung (§§ 230 ff. StPO) in Einklang zu bringen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Angeklagte der „Anregung“ des Vorsitzenden letztlich widerspruchslos gefolgt ist und auch keiner der anderen Verfahrensbeteiligten – namentlich der Verteidiger und die Staatsanwältin –gegen eine solche Vorgehensweise Bedenken erhoben hätte. Es kann offen bleiben, ob – was indes fernliegt – darin eine stillschweigende Übereinkunft gesehen werden kann, ohne den Angeklagten zu verhandeln. Denn die Anwesenheitspflicht des Angeklagten steht grundsätzlich nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten; sie ist – vorbehaltlich einzelner, hier nicht einschlägiger Ausnahmeregelungen wie etwa §§ 231c, 233 StPO – einer „konsensualen Regelung“ von vornherein nicht zugänglich (vgl. BGH NJW 1973, 522; OLG Brandenburg StraFo 2015, 70; OLG Hamm StV 2007, 571).“
Sollte man als Vorsitzender einer Berufungsstrafkammer vielleicht auch selbst drauf kommen, oder: Muss ich mich so vom Revisionsgericht belehren lassen? Ich verstehe nun wirklich nicht. Man kann sich doch „seine StPO“ nicht selbst stricken.