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Einstellung I: Klageerzwingungsverfahren, oder: Nichts Neues aus Karlsruhe

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Heute ist in einigen Bundesländern Feiertag – Fronleichnam. Hier oben wird durchgearbeitet. Daher arbeite ich hier auch durch und es kommen ganz normal drei Postings. Thematik heute: Einstellung und alles, was damit zusammenhängt.

Und ich eröffne mit dem BVerfG, Beschl. v. 31.01.2020 – 2 BvR 2592/18 -, der mal wieder zu den Anforderungen an einen (zulässigen) Klageerzwingungsantrag Stellung nimmt. Die Entscheidung hat folgenden Sachverhalt:

Nochmals: Die Urteilsunterschrift, oder: Welche Anforderungen müssen erfüllt sein?

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Die 8. KW. – für einige Landesteile sehr wichtig, denn in dieser Woche fällt der Beginn des „Straßenkarnevals“ 🙂 – eröffne ich mit einem OLG Brandeburg, Beschluss. Ergangen ist der OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.12.2109 – (1 B) 53 Ss-OWi 675/19 (398/19)  – zwar im Bußgeldverfahren. Die behandelte Problematik: Ausreichende Unterschrift unter dem Urteil?, hat aber nicht nur dort, sondern insbesondere auch im  Strafverfahren Bedeutung.

Der Betroffene hatte mit seiner Rechtsbeschwerde gerügt, dass das schriftliche Urteil nicht mit einer den Anforderungen des § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG genügenden richterlichen Unterschrift versehen war. Dem hatte sich die GStA angeschlossen. Das OLG hat das aber anders gesehen:

„a) Entgegen der Rechtsauffassung des Betroffenen und der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg genügt die richterliche Unterschrift unter dem angefochtenen Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 4. September 2019 noch den gesetzlichen Anforderungen. Die Unterzeichnung des Urteils genügt insbesondere den Anforderungen, die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung an eine ordnungsgemäße Unterschrift gestellt werden. Die entsprechende Rüge der Verletzung des § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO iVm. § 71 OWiG ist nicht begründet.

Es entspricht – wie die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 14. November 2019 zutreffend dargelegt hat – ständiger höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung, dass eine Unterschrift der handschriftlich angebrachte bürgerliche Name ist, wobei der Schriftzug zwar nicht lesbar sein aber doch noch als „Schriftzug“ – als ein aus Buchstaben bestehendes Gebilde – erkennbar sein muss. Bloße Striche oder geometrische Figuren genügen nicht. Es muss ein Mindestmaß an Ähnlichkeit mit dem ausgeschriebenen Namen jedenfalls in der Weise vorhanden sein, dass ein Dritter, der den Namen des Unterzeichnenden kennt, dessen Namen aus dem Schriftbild noch herauslesen kann (vgl. BGHSt 12, 317; OLG Oldenburg MDR 1988, 253; Brandenburgisches Oberlandesgericht, 2. Strafsenat, Beschluss vom 27. März 2012, (2 B) 53 Ss-OWi 37/12 (30/12); ständige Senatsrechtsprechung, vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 16. Februar 2019, (1 B) 53 Ss-OWi 608/18 (320/18)).

Was unter einer Unterschrift zu verstehen ist, ergibt sich zudem aus dem Sprachgebrauch und dem Zweck der Formvorschrift. Die Unterschrift soll gewährleisten, dass das Schriftstück auch tatsächlich vom Unterzeichner herrührt. Deshalb reicht es aus, dass ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender, individuell gestalteter Namenszug vorliegt, der die Absicht erkennen lässt, eine volle Unterschrift zu leisten, das Schriftstück also nicht nur mit einem abgekürzten Handzeichen zu versehen (vgl. statt vieler: BGH NJW 1985, 1227; BGH NJW 1997, 3380, 3381; OLG Köln NStZ-RR 2011, 348, 349; BayObLG NStZ-RR 2003, 305, 306; OLG Oldenburg NStZ 1988, 145). Der Bundesgerichtshof hat ergänzend – im Zusammenhang mit einer Unterschrift unter einem bestimmenden anwaltlichen Schriftsatz – darauf hingewiesen, dass zumindest in Fällen, in denen kein Zweifel an der Urheberschaft bestünde, ein „großzügiger Maßstab“ anzulegen sei (BGH NJW 1997, 3380, 3381; ebenso BGH NJW 2000, 607). Diese Grundsätze gelten auch für die Unterzeichnung eines Urteils durch den Bußgeldrichter.
Die hier zu beurteilende Unterschrift ist jedenfalls in einer Gesamtschau ausreichend, um von einer wirksamen Unterzeichnung gemäß § 275 Abs. 2 Satz 1 auszugehen:
Der Schriftzug ist hinreichend individuell gestaltet und geht über die Verwendung bloßer geometrischer Formen oder einfacher (gerader) bzw. geschlängelter Linien, die in keinem erkennbaren Bezug zu den Buchstaben des Namens stehen und daher für eine wirksame Unterzeichnung nicht genügen (vgl. nur OLG Köln, a.a.O.), hinaus. Der Anfangsbuchstabe ist als „G“ ebenso noch hinreichend zu erkennen wie der Folgebuchstabe „o“. Ohne Zweifel stammt das Urteil von der Richterin, die die Hauptverhandlung geleitet hat. Das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 4. September 2019, alle während des Verfahrens gefassten Beschlüsse sowie die Ladungs- und Zustellungsverfügungen sind in ähnlicher Weise unterzeichnet, auch die von dem Betroffenen im Anwaltsschriftsatz vom 17. Dezember 2019 zitierte Terminsverfügung, Entbindungsverfügung, Umladung usw. Der Schriftzug der Unterzeichnenden ist dem Senat darüber hinaus auch aus zahlreichen anderen Straf- und Bußgeldverfahren bekannt und kann eindeutig der erkennenden Tatrichterin – Richterin am Amtsgericht Gpp. – zugeordnet werden. Auch spricht nichts dafür, sie habe das Urteil nur für den inneren Betrieb mit einer Abkürzung ihres Namens abzeichnen („paraphieren“) wollen.
Unter Zugrundelegung des von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten großzügigen Maßstabes sind insgesamt die Voraussetzungen einer wirksamen Unterzeichnung gegeben.“

Wie der BGH die Urteilsgründe lesen möchte, oder: Handwerkliche Fehler

Und als dritte Entscheidung zu dem Themenkreis „Urteilsgründe“ dann der BGH, Beschl. v. 22.10.2019 – 4 StR 37/19. Das ist mal wieder eine Entscheidung, in der der BGH grundsätzlich zu den Anforderungen an die Urteilsgründe Stellung nimmt. Allerdings dieses Mal nicht nur mit einem erhobenen Zeigefinger „Passt auf!“ und dann mit einem „reich gerade noch für die Anforderungen“, sondern dieses mal wird das Urteil des LG Kaiserslautern, das den Angeklagten nach 104 Hauptverhandlungstagen wegen Betruges verurteilt hatte wegen handwerklicher Fehler aufgehoben:

„1. Das Urteil hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.

a) Das – nach 104 Hauptverhandlungstagen und einer Hauptverhandlungsdauer von über drei Jahren ergangene – Urteil leidet bereits an grundlegenden Mängeln in der Darstellung und entspricht nicht den Anforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO. Eine revisionsrechtliche Nachprüfung der Verurteilung des Angeklagten ist dem Senat anhand der vorgelegten Urteilsgründe nicht möglich.

aa) Zur Abfassung von Urteilsgründen hat der Bundesgerichtshof bereits vielfach entschieden (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 30. Mai 2018 – 3 StR 486/17), dass nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben müssen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Für die revisionsrichterliche Überprüfbarkeit ist eine geschlossene und nachvollziehbare Darstellung des strafbaren Verhaltens erforderlich; diese Darstellung muss erkennen lassen, welche Tatsachen der Tatrichter als seine Feststellungen über die Tat seiner rechtlichen Bewertung zugrunde gelegt hat (BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2008 – 2 StR 424/08). Die Sachverhaltsschilderung soll kurz, klar und bestimmt sein und alles Unwesentliche fortlassen (BGH, Beschlüsse vom 30. Mai 2018 – 3 StR 486/17; vom 23. Januar 2018 – 3 StR 586/17; Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 29. Aufl., Rn. 271). Insoweit obliegt dem Tatrichter die Aufgabe, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden und die Entscheidung so zu fassen, dass der Leser die wesentlichen, die Entscheidung tragenden tatsächlichen Feststellungen und die darauf fußenden rechtlichen Erwägungen ohne aufwändige eigene Bemühungen erkennen kann. Das Revisionsgericht ist nicht gehalten, sich aus einer Fülle erheblicher und unerheblicher Tatsachen diejenigen herauszusuchen, in denen eine Straftat gesehen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2002 – 3 StR 132/02, NStZ-RR 2002, 263). Vielmehr liegt ein Mangel des Urteiles vor, der auf die Sachrüge zu dessen Aufhebung führt, wenn aufgrund einer unübersichtlichen Darstellung der Urteilsgründe unklar bleibt, welchen Sachverhalt das Tatgericht seiner rechtlichen Würdigung zugrunde gelegt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. Januar 2017 – 4 StR 597/16, juris Rn. 3; vom 5. Dezember 2008 – 2 StR 424/08, juris Rn. 2; Urteil vom 12. April 1989 – 3 StR 472/88; KK-StPO/Kuckein/Bartel, 8. Aufl., § 267 Rn. 8). Auch ein unübersichtlicher Aufbau sowie an verschiedenen Stellen verstreute Feststellungen können einen durchgreifenden Mangel des Urteils darstellen, wenn sich hieraus Unklarheiten oder Widersprüche ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2008 – 2 StR 424/08, juris Rn. 7 ff.). Ein durchgreifender materiellrechtlicher Mangel ist ferner dann gegeben, wenn bei der Darstellung der Urteilsgründe nicht klar zwischen Tatsachenfeststellung zum strafbaren Verhalten und der Beweiswürdigung unterschieden wird und infolgedessen unklar bleibt, welche Tatsachen der Tatrichter seiner rechtlichen Würdigung zugrunde gelegt hat (vgl. BGH, Urteil vom 12. April 1989 – 3 StR 472/88, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 3; Beschluss vom 27. September 1983 – 4 StR 550/83, DRiZ 1989, 422).

Bei dieser Rechtsprechung handelt es sich nicht etwa nur um unverbindliche Empfehlungen zur stilistischen Abfassung eines Urteils, sondern – nicht anders als bei den Anforderungen an die Darstellung eines freisprechenden Urteils (vgl. BGH, Urteile vom 22. Mai 2019 – 5 StR 36/19, NStZ-RR 2019, 254; vom 14. September 2017 – 4 StR 303/17; vom 6. Mai 1998 – 2 StR 57/98, NStZ 1998, 475) – um gesetzliche Vorgaben des § 267 Abs. 1 bis 3 StPO, die es einzuhalten gilt.

bb) Die Urteilsgründe werden diesen Vorgaben des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht im Ansatz gerecht. Sie offenbaren schwerwiegende handwerkliche Mängel.

Eine in sich geschlossene Darstellung des Sachverhaltes, die die Verurteilung des Angeklagten wegen Betruges nachvollziehen lässt, enthält das Urteil nicht.

Die schriftlichen Urteilsgründe bestehen aus insgesamt 548 Seiten, wovon allein die Sachverhaltsschilderung 262 Seiten umfasst. Dies ist keineswegs der Komplexität des Sachverhalts geschuldet, da lediglich eine einzige Betrugstat, ein Eingehungsbetrug, Gegenstand der Verurteilung ist. Nach den Ausführungen des Landgerichts zur rechtlichen Würdigung der ausgeurteilten Tat soll der Angeklagte als Inhaber der Firma R. Dr. K. (R. ) den ehemaligen Mitangeklagten als Vorstand der M AG (M. AG) am 23./24. September 2008 bei Abschluss eines Vertrags über die Lieferung von 25.000 Solarmodulen zu einem Preis von 14.756.000 € über seine Lieferwilligkeit und Lieferfähigkeit getäuscht und die M. AG bereits durch die Eingehung dieser Verbindlichkeit entsprechend geschädigt haben. Der Angeklagte habe nicht vorgehabt, die M. AG zu beliefern. Die M. AG habe auf die zugesagte Lieferung binnen sechs Wochen nach Eingang einer vereinbarten Anzahlung und eines unwiderruflichen Zahlungsversprechens vertraut und sukzessive Zahlungen in Höhe von insgesamt 13.561.467 € erbracht.

Anhand der ausufernden Sachverhaltsdarstellung lässt sich diese rechtliche Wertung nicht nachvollziehen, da sich das Landgericht in der Mitteilung einer Fülle überflüssiger und für die Entscheidung gänzlich belangloser Einzelheiten verliert, weshalb die Identifikation der für den Schuldspruch maßgeblichen Tatsachen nicht mehr gelingt. Statt die Feststellungen zum Sachverhalt anhand der Merkmale des Betrugstatbestands zu entwickeln, hat sich das Landgericht, ohne eine tatbezogene Strukturierung vorzunehmen, darauf beschränkt, die Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung undifferenziert zu dokumentieren. Bestätigung findet dies nicht zuletzt darin, dass auch die Einlassung des Angeklagten auf 89 Seiten wiedergegeben wird.

(1) Die Sachverhaltsdarstellung krankt bereits an einem missglückten Aufbau, aus dem sich nicht erschließt, welche Tatsachen das Landgericht als Feststellungen zur Tat verstanden wissen will. Zwar werden von UA 15 bis UA 41 Feststellungen zum „Tatgeschehen“ getroffen, anschließend findet sich aber von UA 41 bis UA 277 ein mit „weitere Feststellungen“ überschriebener Abschnitt, in welchem teilweise Feststellungen aus dem ersten Abschnitt ergänzt oder vertieft werden. Der zweite Abschnitt enthält indes überwiegend eine Vielzahl an Informationen etwa zur Unternehmensgeschichte der angeblich geschädigten AG, zum Firmengeflecht der R. Gruppe des Angeklagten, deren Produktionsplanungen und vertraglichen Beziehungen zu Kunden, deren Relevanz für die ausgeurteilte Tat sich – entgegen der einleitenden Bemerkung des Landgerichts, die Darstellung der „weiteren Feststellungen“ (UA 46 bis UA 275) sei „zum Verständnis des Tatgeschehens unabdinglich“ – nicht erschließt.

Beispielsweise werden in dem Abschnitt „weitere Feststellungen“ unter der Unterüberschrift „weiteres geschäftliches Handeln, Versicherungen, Firmenpolitik, Marketing, Anpreisungen“ der vom Angeklagten gegründeten Firmen von UA 163 bis UA 276 ausgesprochen kleinteilig Projekte des Angeklagten beschrieben (etwa der Vertragsschluss über die Errichtung eines stratosphärischen Luftschiffs in China, UA 163 ff.), zu eingestellten Verfahrensteilen („Projekt T. „) Feststellungen getroffen und Firmenpräsentationsunterlagen dargestellt, ohne einen Bezug zum Schuldspruch herzustellen. Soweit in diesem den Schuldspruch nicht betreffenden Komplex etwa auch umfangreiche E-Mail-Korrespondenz des bzw. mit dem Angeklagten wörtlich mitgeteilt bzw. überwiegend einkopiert wird, erschließt sich nicht, ob und gegebenenfalls inwieweit das Landgericht ihr doch Bedeutung für den Sachverhalt beimessen wollte oder diese in irgendeiner Weise als Indiztatsachen für die Beweiswürdigung des Tatgeschehens oder die Strafzumessung Relevanz entfalten können. Das Landgericht kommt im Rahmen der Beweiswürdigung nicht darauf zurück.

Die aus Sicht des Landgerichts für das ausgeurteilte Tatgeschehen notwendigen Tatsachen aus dem Konvolut des zweiten Abschnitts herauszufiltern und aus den beiden Feststellungsblöcken den den Schuldspruch tragenden Sachverhalt zusammenzustellen, ist nicht die Aufgabe des Senats.

(2) Dem Verständnis und der Lesbarkeit des Urteils gänzlich abträglich ist zudem die den Fließtext zur Sachverhaltsdarstellung fortlaufend unterbrechende Fülle von insgesamt etwa 200 einkopierten Schriftstücken, Abbildungen u.a., deren Bedeutung für den Schuldspruch ebenfalls nicht erkennbar ist.

Insbesondere bleibt aufgrund der gewählten collageartig anmutenden Sachverhaltsdarstellung unklar, ob oder inwieweit die in die Sachverhaltsdarstellung einkopierten Schriftstücke ihrem Inhalt nach festgestellt sein sollen oder ob sie nur der Beweiswürdigung dienen. Die gebotene Trennung zwischen Feststellungen zur Tat und der Beweiswürdigung findet nicht statt. Zwar hat die Strafkammer insoweit einleitend darauf hingewiesen, dass „zur erleichterten Darstellung der festgestellten Tatsachen einige der die Feststellungen belegenden und im Wege des Selbstleseverfahrens eingeführten Urkunden bereits hier – im Vorgriff auf III. (die Beweiswürdigung) – jeweils auszugsweise dargestellt“ werden, was für eine bloß beweiswürdigende Funktion der einkopierten Passagen spricht. Allerdings ergäben sich bei Auslassung einiger einkopierter Passagen offensichtliche Lücken in der Sachverhaltsdarstellung, so dass ihnen – zumindest zum Teil – auch Feststellungscharakter zugesprochen werden könnte. Dies gilt etwa für den Inhalt der für den Schuldspruch elementar wichtigen Auftragsbestätigung der M. AG vom 24. September 2008 (Zeitpunkt des Vertragsschlusses), deren Inhalt – anders bei anderen Passagen – gerade nicht im Fließtext nochmals wiedergegeben wird. Auch insoweit vermag der Senat nicht nachzuvollziehen, ob und gegebenenfalls welche Feststellungen vom Tatrichter getroffen wurden.

b) Aufgrund dieser den gesetzlichen Anforderungen nicht gerecht werdenden, unklaren und ausufernden Sachverhaltsdarstellung hat sich das Landgericht zudem den Blick für Rechtsfragen verstellt, die – soweit dies dem Urteil entnommen werden kann – der Fall aufweist. Das Urteil hielte daher auch unabhängig von den durchgreifenden Darstellungsmängeln sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.

…….“

Also. Gereicht hätte es eh nicht…. aber die Arbeit von über drei Jahren ist schon wegen der mangelhaften Urteilsgründe dahin.

 

Beweiswürdigung II: Beweise sind zu würdigen, oder: Warnschuss vom BGH

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Die zweite Entscheidung zur Beweiswürdigung kommt auch vom 4. Strafsenat des BGH. Der BGH, Beschl. v. 10.09.2019 – 4 StR 398/19 – ist im Grunde ein Klassiker, denn es ist mal wieder einer dieser „versteckten Hilfeschreie“ des BGH betreffend unübersichtliche und zu lange Beweiswürdigungen:

„Die sehr unübersichtliche und zu weiten Teilen aus einer nicht auf die getroffenen Feststellungen bezogenen Aneinanderreihung von Zeugenaussagen bestehende Beweiswürdigung stellt den Bestand des Urteils noch nicht in Frage (vgl. dazu Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 29. Aufl., Rn. 351 und 814). Denn der Senat kann dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe noch hinreichend entnehmen, auf welche Beweisgründe die Strafkammer ihre Überzeugung gestützt und wie sie die mitgeteilten Beweisergebnisse gewürdigt hat. Die sehr knapp gehaltenen Ausführungen zum bedingten Tötungsvorsatz, insbesondere zu dessen voluntativem Element (vgl. zu den Darlegungserfordernissen BGH, Urteil vom 14. August 2014 – 4 StR 163/14, NStZ 2015, 266, 267 mwN), sind mit Rücksicht auf die Besonderheiten des Falles (mehrere von oben ausgeführte Würfe mit Stühlen auf den an der Fassade eines Hauses in großer Höhe kletternden Geschädigten) noch ausreichend. Soweit das Landgericht davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte (auch) in seiner Einsichtsfähigkeit „im Sinne des § 21 StGB beeinträchtigt“ war, ohne ausdrücklich darüber zu befinden, ob bei ihm in den Tatsituationen tatsächlich eine Unrechtseinsicht vorhanden war (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 5. Juli 2016 – 4 StR 215/16, Rn. 6 mwN), ergeben die Urteilsgründe noch ausreichend, dass die Strafkammer mit Rücksicht auf das Leistungsverhalten des Angeklagten und den allenfalls für möglich erachteten „mittelschweren Rausch“ das Fehlen einer Unrechtseinsicht im Ergebnis ausgeschlossen hat.“

Ich weiß, es ist nicht einfach den Anforderungen des BGH an die Beweiswürdigung gerecht zu werden. Einerseits darf nicht zu wenig geschrieben werden, andererseits aber auch nicht zu viel. Eins ist aber sicher: Die Betonung liegt auf „….. würdigung“, nicht auf „…. mitteilung des Beweisergebnisses“.

Die nur „naheliegende“ Borderline-Störung, oder: Wie man einen „Beweisantrag“ nicht begründen sollte

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Und zum Tagesschluss kommt dann noch der BGH, Beschl. v. 15.08.2019 – 4 StR 292/19. Der nimmt zu den Voraussetzungen eines ordnungsgemäßen Beweisantrages Stellung. Deren Vorliegen hat der BGH verneint:

„Das Landgericht hat die Beweisanträge auf Einholung eines psychiatrischen und eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens im Ergebnis zu Recht nicht als Beweisanträge, sondern als Beweisermittlungsanträge behandelt. Es fehlt jeweils an der bestimmten Behauptung einer Beweistatsache. Auch bei Auslegung der Antragsbegründung ist darin nicht bestimmt behauptet, sondern nur als „naheliegend“ (vgl. S. 7 der Revisionsbegründung) in den Raum gestellt, dass die Geschädigte an einer Borderline-Störung leide. Die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens soll der Aufklärung dienen, „inwieweit das psychiatrische Störungsbild […] deren Wahrnehmungs-, Erinnerungs- und Wiedergabefähigkeit beeinflusst“.

Eine Aufklärungsrüge ist nicht in einer den Darlegungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise erhoben.“

Die Entscheidung gehört dann für den Verteidiger in die Rubrik: Wie man es nicht machen soll.