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Urteilsunterschrift II: „Handschriftliches Gebilde“, oder: Inviduelle Züge erkennbar?

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Die zweite Entscheidung zu den Anforderungen an die richterliche Urteilsunterschrift kommt mit dem KG, Beschl. v. 23.03.2020 – 3 Ws (B) 53/20 – aus Berlin. Auch hier war die nicht ausreichende Unterschrift der Amtsrichterin gerügt worden. Ohne Erfolg:

„a) Die Rüge der Verletzung des §§ 71 Abs. 1 OWiG, 275 Abs. 2 StPO, das Urteil sei durch die Richterin nicht ordnungsgemäß unterzeichnet worden, bleibt erfolglos.

Der vorliegende Schriftzug genügt entgegen der Rechtsauffassung des Betroffenen noch den gesetzlichen und insbesondere den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an die ordnungsgemäße Unterschrift eines Richters unter die Urteilsgründe.

Nach § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO hat die erkennende Richterin das von ihm verfasste schriftliche Urteil zu unterschreiben. Weitere Anforderungen an das Schriftbild der Unterschrift sieht das Gesetz nicht vor. Was unter einer Unterschrift zu verstehen ist, ergibt sich demnach aus dem Sprachgebrauch und dem Zweck der Formvorschrift. Mit der Unterschrift beurkundet der Berufsrichter die Übereinstimmung der Urteilsgründe mit dem Beratungsergebnis (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 61. Aufl., § 275 Rn. 19). Entsprechend diesem Normzweck kommt es maßgeblich darauf an, dass der Unterschrift auch die Urheberschaft zu entnehmen ist. Auch wenn die Unterschrift, die aus dem Familiennamen des Unterzeichnenden zu bestehen hat, nicht lesbar sein muss, so muss sie ihren Urheber erkennen lassen. Steht dies – wie im vorliegenden Fall – außer Frage, ist zur Akzeptanz der unleserlichen Unterschrift ein großzügiger Maßstab – so der BGH (vgl. BGH NJW 1997, 3380, 3381; ebenso BGH NJW 2000, 607) –  anzuwenden und zwar auch wegen der Variationsbreite, die selbst Unterschriften ein und derselben Person aufweisen. So ist es ausreichend, dass jemand, der den Namen des Unterzeichnenden und dessen Unterschrift kennt, den Namen aus dem Schriftbild herauslesen kann (ständige Rspr. des Senats vgl. Beschlüsse vom 2. April 2019 – 3 Ws (B) 81/19 -, 2. Februar 2016 –  3 Ws (B) 60/16 jeweils juris m.w.N.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschlüsse vom 27. Dezember 2019 – (1 B) 53 Ss-OWi 675/19 (398/19) –, 16. Februar 2019 – (1 B) 53 Ss-OWi 608/18 (320/18) -, beide juris; OLG Köln, Beschluss vom 19. Juli 2011 – III-1 RVs 166/11 –, Rn. 6, juris m.w.N.; OLG Düsseldorf JMinBl. NW 2002, 54 [55]). Das setzt allerdings voraus, dass mindestens einzelne Buchstaben zu erkennen sind, weil es sonst am Merkmal einer Schrift überhaupt fehlt (BGH NJW 1985, 1227; Senat aaO, OLG Köln aaO; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Einleitung Rdnr. 129 bezogen auf die Unterschrift eines Rechtsanwaltes bei bestimmenden Schriftsätzen m. w. N.). Diese Grenze individueller Charakteristik ist insbesondere bei der Verwendung bloßer geometrischer Formen oder einfacher (gerader oder nahezu gerader) Linien eindeutig überschritten (Senat aaO, BayObLG  NStZ-RR 2003, 305).

Unter Zugrundelegung des von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten großzügigen Maßstabes, der auch Anwendung auf die Unterzeichnung eines Urteils durch den Bußgeldrichter findet, sind die Voraussetzungen einer wirksamen Unterzeichnung gegeben.

Das handschriftliche Gebilde, mit dem die erkennende Richterin das Urteil unterschrieben hat, steht für ihren Namen. Die Unterschriftsleistung trägt individuelle Züge und zeigt charakteristische Merkmale auf, die für jemanden, der den Namen der Unterzeichnenden und deren Unterschrift kennt, ihren Namen aus dem Schriftbild herauslesen kann. Die ersten beiden geschwungenen Linien lassen sich als Anfangsbuchstaben „T“ und die weiteren nach oben geschwungenen Auf- sowie die kürzeren schräg nach unten verlaufenden Abstriche als die weiteren Buchstaben für den Rest des Familiennamens deuten. Auch ergeben sich bei der Zusammenschau der Umstände keine belastbaren Hinweise darauf, dass die Richterin die Urschrift der Urteilsgründe nur mit einem Kürzel für den inneren Betrieb unterzeichnen wollte.

Dies gilt umso mehr, als auch nicht unberücksichtigt gelassen werden darf, dass unter dem geschwungenen Schriftzug der Name der erkennenden Richterin in Druckbuchstaben eingefügt war (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Oktober 1991 – XI ZB 6/91 –; BGH, Urteil vom 10. Juli 1997 – IX ZR 24/97 -, jeweils juris, beide für die Unterschrift eines Rechtsanwaltes in bestimmenden Schriftsätzen).“

Nun ja…. 🙂 . Bisschen mehr als eine gerade Linie scheint es gewesen zu sein 🙂 .

Urteilsunterschrift I: Lesbarkeit der Unterschrift, oder: Namenszug muss erkennbar sein

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Heute starten wir in die 20. KW.; es ist, wenn ich richtig gerechnet habe, der 49. Tag des Kontaktverbots und einiger weiterere Beschränkungen. Heute treten dann auch die nächsten Lockerungen in Kraft. Mal sehen, wo wir am Ende der Woche und/oder in zwei Wochen stehen. Hoffentlich nicht am Anfang des nächsten Lockdown. Ausgeschlossen ist das m.E. nicht, wenn man die Unvernunft, die an vielen Stellen herrscht, sieht. Ich frage mich, warum ich eigentlich ohne Maske gegen die angebliche Beschränkung meiner Grundrechte demonstrieren muss? Will man erreichen, dass die Grundrechte wirklich beschränkt werden? Dann nur zu.

So aber genug davon und zu den Entscheidungen des Tages. Heute stelle ich zwei OLG-Beschlüsse vor, die sich mit den Anforderungen an die richterliche Unterschrift unter dem Urteil befassen. Beide Beschlüsse stammen aus Bußgeldverfahren, die Problematik gilt aber natürlich auch für das Strafverfahren.

Ich starte mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.12.2019 – (1 B) 53 Ss-OWi 675/19 (398/19) -; ergangen ist er in einem Bußgeldverfahren, in dem der Betroffene wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt worden ist. Der Betroffene hatte mit seiner Rechtsbeschwerde u.a. geltend gemacht, dass die Unterschrift des Amtsrichters nicht den Anforderungen an die Erkennbarkeit/Lesbarkeit entspricht. Dem war die GStA beigetreten, hatte also auch für die Aufhebung des Urteils plädiert. Das OLG sieht das – fast hätte ich geschrieben: natürlich – anders:

a) Entgegen der Rechtsauffassung des Betroffenen und der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg genügt die richterliche Unterschrift unter dem angefochtenen Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 4. September 2019 noch den gesetzlichen Anforderungen. Die Unterzeichnung des Urteils genügt insbesondere den Anforderungen, die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung an eine ordnungsgemäße Unterschrift gestellt werden. Die entsprechende Rüge der Verletzung des § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO iVm. § 71 OWiG ist nicht begründet.

Es entspricht – wie die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 14. November 2019 zutreffend dargelegt hat – ständiger höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung, dass eine Unterschrift der handschriftlich angebrachte bürgerliche Name ist, wobei der Schriftzug zwar nicht lesbar sein aber doch noch als „Schriftzug“ – als ein aus Buchstaben bestehendes Gebilde – erkennbar sein muss. Bloße Striche oder geometrische Figuren genügen nicht. Es muss ein Mindestmaß an Ähnlichkeit mit dem ausgeschriebenen Namen jedenfalls in der Weise vorhanden sein, dass ein Dritter, der den Namen des Unterzeichnenden kennt, dessen Namen aus dem Schriftbild noch herauslesen kann (vgl. BGHSt 12, 317; OLG Oldenburg MDR 1988, 253; Brandenburgisches Oberlandesgericht, 2. Strafsenat, Beschluss vom 27. März 2012, (2 B) 53 Ss-OWi 37/12 (30/12); ständige Senatsrechtsprechung, vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 16. Februar 2019, (1 B) 53 Ss-OWi 608/18 (320/18)).

Was unter einer Unterschrift zu verstehen ist, ergibt sich zudem aus dem Sprachgebrauch und dem Zweck der Formvorschrift. Die Unterschrift soll gewährleisten, dass das Schriftstück auch tatsächlich vom Unterzeichner herrührt. Deshalb reicht es aus, dass ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender, individuell gestalteter Namenszug vorliegt, der die Absicht erkennen lässt, eine volle Unterschrift zu leisten, das Schriftstück also nicht nur mit einem abgekürzten Handzeichen zu versehen (vgl. statt vieler: BGH NJW 1985, 1227; BGH NJW 1997, 3380, 3381; OLG Köln NStZ-RR 2011, 348, 349; BayObLG NStZ-RR 2003, 305, 306; OLG Oldenburg NStZ 1988, 145). Der Bundesgerichtshof hat ergänzend – im Zusammenhang mit einer Unterschrift unter einem bestimmenden anwaltlichen Schriftsatz – darauf hingewiesen, dass zumindest in Fällen, in denen kein Zweifel an der Urheberschaft bestünde, ein „großzügiger Maßstab“ anzulegen sei (BGH NJW 1997, 3380, 3381; ebenso BGH NJW 2000, 607). Diese Grundsätze gelten auch für die Unterzeichnung eines Urteils durch den Bußgeldrichter.

Die hier zu beurteilende Unterschrift ist jedenfalls in einer Gesamtschau ausreichend, um von einer wirksamen Unterzeichnung gemäß § 275 Abs. 2 Satz 1 auszugehen:

Der Schriftzug ist hinreichend individuell gestaltet und geht über die Verwendung bloßer geometrischer Formen oder einfacher (gerader) bzw. geschlängelter Linien, die in keinem erkennbaren Bezug zu den Buchstaben des Namens stehen und daher für eine wirksame Unterzeichnung nicht genügen (vgl. nur OLG Köln, a.a.O.), hinaus. Der Anfangsbuchstabe ist als „G“ ebenso noch hinreichend zu erkennen wie der Folgebuchstabe „o“. Ohne Zweifel stammt das Urteil von der Richterin, die die Hauptverhandlung geleitet hat. Das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 4. September 2019, alle während des Verfahrens gefassten Beschlüsse sowie die Ladungs- und Zustellungsverfügungen sind in ähnlicher Weise unterzeichnet, auch die von dem Betroffenen im Anwaltsschriftsatz vom 17. Dezember 2019 zitierte Terminsverfügung, Entbindungsverfügung, Umladung usw. Der Schriftzug der Unterzeichnenden ist dem Senat darüber hinaus auch aus zahlreichen anderen Straf- und Bußgeldverfahren bekannt und kann eindeutig der erkennenden Tatrichterin – Richterin am Amtsgericht Gpp. – zugeordnet werden. Auch spricht nichts dafür, sie habe das Urteil nur für den inneren Betrieb mit einer Abkürzung ihres Namens abzeichnen („paraphieren“) wollen.

Unter Zugrundelegung des von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten großzügigen Maßstabes sind insgesamt die Voraussetzungen einer wirksamen Unterzeichnung gegeben.“

Eben: Sehr großzügiger Maßstab, den das OLG hier anwendet. Und wenn man schon liest: „Gesamtschau“ und/oder „noch ausreichend“, dann weiß man wie großzügig….

 

Nochmals: Die Urteilsunterschrift, oder: Welche Anforderungen müssen erfüllt sein?

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Die 8. KW. – für einige Landesteile sehr wichtig, denn in dieser Woche fällt der Beginn des „Straßenkarnevals“ 🙂 – eröffne ich mit einem OLG Brandeburg, Beschluss. Ergangen ist der OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.12.2109 – (1 B) 53 Ss-OWi 675/19 (398/19)  – zwar im Bußgeldverfahren. Die behandelte Problematik: Ausreichende Unterschrift unter dem Urteil?, hat aber nicht nur dort, sondern insbesondere auch im  Strafverfahren Bedeutung.

Der Betroffene hatte mit seiner Rechtsbeschwerde gerügt, dass das schriftliche Urteil nicht mit einer den Anforderungen des § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG genügenden richterlichen Unterschrift versehen war. Dem hatte sich die GStA angeschlossen. Das OLG hat das aber anders gesehen:

„a) Entgegen der Rechtsauffassung des Betroffenen und der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg genügt die richterliche Unterschrift unter dem angefochtenen Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 4. September 2019 noch den gesetzlichen Anforderungen. Die Unterzeichnung des Urteils genügt insbesondere den Anforderungen, die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung an eine ordnungsgemäße Unterschrift gestellt werden. Die entsprechende Rüge der Verletzung des § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO iVm. § 71 OWiG ist nicht begründet.

Es entspricht – wie die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 14. November 2019 zutreffend dargelegt hat – ständiger höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung, dass eine Unterschrift der handschriftlich angebrachte bürgerliche Name ist, wobei der Schriftzug zwar nicht lesbar sein aber doch noch als „Schriftzug“ – als ein aus Buchstaben bestehendes Gebilde – erkennbar sein muss. Bloße Striche oder geometrische Figuren genügen nicht. Es muss ein Mindestmaß an Ähnlichkeit mit dem ausgeschriebenen Namen jedenfalls in der Weise vorhanden sein, dass ein Dritter, der den Namen des Unterzeichnenden kennt, dessen Namen aus dem Schriftbild noch herauslesen kann (vgl. BGHSt 12, 317; OLG Oldenburg MDR 1988, 253; Brandenburgisches Oberlandesgericht, 2. Strafsenat, Beschluss vom 27. März 2012, (2 B) 53 Ss-OWi 37/12 (30/12); ständige Senatsrechtsprechung, vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 16. Februar 2019, (1 B) 53 Ss-OWi 608/18 (320/18)).

Was unter einer Unterschrift zu verstehen ist, ergibt sich zudem aus dem Sprachgebrauch und dem Zweck der Formvorschrift. Die Unterschrift soll gewährleisten, dass das Schriftstück auch tatsächlich vom Unterzeichner herrührt. Deshalb reicht es aus, dass ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender, individuell gestalteter Namenszug vorliegt, der die Absicht erkennen lässt, eine volle Unterschrift zu leisten, das Schriftstück also nicht nur mit einem abgekürzten Handzeichen zu versehen (vgl. statt vieler: BGH NJW 1985, 1227; BGH NJW 1997, 3380, 3381; OLG Köln NStZ-RR 2011, 348, 349; BayObLG NStZ-RR 2003, 305, 306; OLG Oldenburg NStZ 1988, 145). Der Bundesgerichtshof hat ergänzend – im Zusammenhang mit einer Unterschrift unter einem bestimmenden anwaltlichen Schriftsatz – darauf hingewiesen, dass zumindest in Fällen, in denen kein Zweifel an der Urheberschaft bestünde, ein „großzügiger Maßstab“ anzulegen sei (BGH NJW 1997, 3380, 3381; ebenso BGH NJW 2000, 607). Diese Grundsätze gelten auch für die Unterzeichnung eines Urteils durch den Bußgeldrichter.
Die hier zu beurteilende Unterschrift ist jedenfalls in einer Gesamtschau ausreichend, um von einer wirksamen Unterzeichnung gemäß § 275 Abs. 2 Satz 1 auszugehen:
Der Schriftzug ist hinreichend individuell gestaltet und geht über die Verwendung bloßer geometrischer Formen oder einfacher (gerader) bzw. geschlängelter Linien, die in keinem erkennbaren Bezug zu den Buchstaben des Namens stehen und daher für eine wirksame Unterzeichnung nicht genügen (vgl. nur OLG Köln, a.a.O.), hinaus. Der Anfangsbuchstabe ist als „G“ ebenso noch hinreichend zu erkennen wie der Folgebuchstabe „o“. Ohne Zweifel stammt das Urteil von der Richterin, die die Hauptverhandlung geleitet hat. Das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 4. September 2019, alle während des Verfahrens gefassten Beschlüsse sowie die Ladungs- und Zustellungsverfügungen sind in ähnlicher Weise unterzeichnet, auch die von dem Betroffenen im Anwaltsschriftsatz vom 17. Dezember 2019 zitierte Terminsverfügung, Entbindungsverfügung, Umladung usw. Der Schriftzug der Unterzeichnenden ist dem Senat darüber hinaus auch aus zahlreichen anderen Straf- und Bußgeldverfahren bekannt und kann eindeutig der erkennenden Tatrichterin – Richterin am Amtsgericht Gpp. – zugeordnet werden. Auch spricht nichts dafür, sie habe das Urteil nur für den inneren Betrieb mit einer Abkürzung ihres Namens abzeichnen („paraphieren“) wollen.
Unter Zugrundelegung des von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten großzügigen Maßstabes sind insgesamt die Voraussetzungen einer wirksamen Unterzeichnung gegeben.“

Urteilsunterschrift, oder: Kann nicht unterschreiben, bin in Elternzeit

Ich eröffne dann die 52. und letzte KW. des Jahres 2019 mit zwei BGH-Beschlüssen. Vielleicht ist ja doch noch der ein oder andere „vor Ort“ = in der Kanzlei/Büro und liest die Postings noch vor Weihnachten.

Der erste Beschluss, den ich vorstelle, ist der BGH, Beschl. v. 31.10.2019 – 3 StR 261/19. Dem könnte man den Leitsatz geben: Die Elternzeit ist geeignet, den mitwirkenden Richter an der Unterschrift zu hindern (§ 275 StPO):

„Die auf § 338 Nr. 7 StPO i.V.m. § 275 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 StPO gestützte Verfahrensrüge ist unbegründet. Das Urteil des Landgerichts ist ordnungsgemäß unterschrieben worden. Der innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO angebrachte Verhinderungsvermerk weist aus, dass Richter am Landgericht K.     wegen der am 1. Februar 2019 angetretenen Elternzeit an der Unterschrift gehindert war. Damit genügt der Vermerk den Anforderungen des § 275 Abs. 2 Satz 2 StPO. Insoweit gilt:

Wurde eine Verhinderung fristgerecht beurkundet und auf einen diese grundsätzlich tragenden Grund gestützt, kann das Revisionsgericht diese Entscheidung lediglich daraufhin überprüfen, ob dabei der eingeräumte Spielraum in rechtsfehlerhafter Weise überschritten ist oder die Annahme der Verhinderung auf sachfremden Erwägungen beruht und sie sich deshalb als willkürlich erweist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 11. Mai 2016 – 1 StR 352/15, NStZ-RR 2016, 286 mwN). Gemessen hieran ist das Urteil des Landgerichts ordnungsgemäß unterschrieben worden.

Der Verhinderungsvermerk des Vorsitzenden benennt einen generell tragenden Verhinderungsgrund. Die Elternzeit ist geeignet, den mitwirkenden Richter an der Unterschrift zu hindern. Erwerbstätige Eltern, die ihr Kind selbst betreuen und erziehen, haben Anspruch auf Elternzeit nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (für niedersächsische Richterinnen und Richter vgl. § 2 Abs. 1 NRiG i.V.m. § 81 NBG i.V.m. § 6 MuSchEltZV). Dienstgeschäfte, zu denen auch die Unterzeichnung eines Strafurteils zählt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2010 – 2 StR 331/10, NStZ 2011, 358; KK-Greger, StPO, 8. Aufl., § 275 Rn. 29), können dem Richter in der Elternzeit nicht abverlangt werden, denn ihre Inanspruchnahme hat eine Befreiung von der Dienst- bzw. Arbeitspflicht – ohne Fortzahlung der Bezüge – zur Folge (vgl. ErfK/Gallner, 19. Aufl., BEEG § 15 Rn. 10, 25). Die Elternzeit mit ihren intensiven Aufsichts- und Betreuungspflichten bei Kindern in den ersten Lebensjahren ist damit ein vorübergehender rechtlicher und tatsächlicher Hinderungsgrund und – ebenso wie genehmigter Erholungsurlaub (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 1998 – 1 StR 88/98, StV 1998, 477, 478; MüKoStPO/Valerius, 1. Aufl., § 275 Rn. 30; BeckOK StPO/Peglau, § 275 Rn. 31) – generell geeignet, den Richter von der Unterschriftsleistung abzuhalten, zumal die Unterschrift regelmäßig das Lesen, unter Umständen das Überarbeiten und gegebenenfalls eine Fassungsberatung voraussetzt. Die theoretische Möglichkeit einer Teilzeiterwerbstätigkeit nach § 15 Abs. 4 BEEG ändert daran nichts, zumal eine solche weder nach dem Vermerk des Vorsitzenden des Landgerichts ersichtlich ist, noch von der Revision behauptet wird.“

Dürfte zutreffen 🙂 .

Urteilsunterschift: „BE ist in Urlaub“, reicht, oder: Da kommt man kaum ran….

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Streit gibt es in der Praxis häufig um den sog. Verhinderungsvermerk des Vorsitzenden, wenn einer/der Beisitzer das schriftich begründete Urteil „wegen Verhinderung“ nicht selbst innerhlab des sich aus § 275 StPO ergebenden Frist hat unterzeichnen können. Dann geht es (immer) darum, ob eigentlich ein ausreichender Grund für die Verhinderung vorlag/festgestellt worden ist. Damit befasst sich der BGH, Beschl. v. 11.05.2016 – 1 StR 352/15. Der Beisitzer war in Urlaub und deshlab – so die Auffassung des Vorsitzenden – an der Unterschriftleistung gehindert. Die Revision hatte die Annahme des Vorsitzenden beanstandet. Ohne Erfolg, denn:

(1) Nach in der Sache übereinstimmender Rechtsprechung des Bunde-gerichtshofs steht dem Vorsitzenden ein Spielraum hinsichtlich der Annahme der Verhinderung eines Beisitzers aus tatsächlichen Gründen zu (vgl. BGH, Urteile vom 18. Januar 1983 – 1 StR 757/82, BGHSt 31, 212, 215; vom 23. Ok-tober 1992 – 5 StR 364/92, NStZ 1993, 96; BGH, Beschluss vom 14. Septem-ber 2011 – 5 StR 331/11, BGHR StPO § 275 Abs. 2 Satz 2 Verhinderung 8 sowie Beschluss vom 27. Oktober 2010 – 2 StR 331/10, NStZ 2011, 358 f.). Teils wird dieser Spielraum als Ausübung pflichtgemäßen Ermessens verstanden (BGH, Urteile vom 18. Januar 1983 – 1 StR 757/82, BGHSt 31, 212, 215; vom 23. Oktober 1992 – 5 StR 364/92, NStZ 1993, 96), teils als Beurteilungsspielraum gedeutet (BGH, Beschlüsse vom 14. September 2011 – 5 StR 331/11, BGHR StPO § 275 Abs. 2 Satz 2 Verhinderung 8 und vom 27. Oktober 2010 – 2 StR 331/10, NStZ 2011, 358 f.). Ungeachtet der Unterschiede in den Formulierungen besteht in der Sache Einigkeit darüber, dass der im Verhinderungsvermerk genannte Grund generell geeignet sein muss, den Richter von der im Gesetz als Grundsatz vorgesehenen Unterschriftsleistung (§ 275 Abs. 2 Satz 1 StPO) abzuhalten (BGH, Urteile vom 18. Januar 1983 – 1 StR 757/82, BGHSt 31, 212, 215 und vom 23. Oktober 1992 – 5 StR 364/92, NStZ 1993, 96). Durch Urlaub eines Richters bedingte Abwesenheit stellt einen solchen Grund dar (siehe nur BGH, Beschluss vom 14. September 2011 – 5 StR 331/11, BGHR StPO § 275 Abs. 2 Satz 2 Verhinderung 8; Greger in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 275 Rn. 33 mwN; Frister in Systematischer Kommentar zur StPO, 4. Aufl., Band V, § 275 Rn. 35). Ob im konkreten Fall ein generell geeigneter Grund zur Verhinderung eines an der Urteilsfindung beteiligten Richters führt, obliegt der Beurteilung des Vorsitzenden (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1983 – 1 StR 757/82, BGHSt 31, 212, 215).

Wurde – wie vorliegend – eine Verhinderung fristgerecht beurkundet und auf einen diese grundsätzlich tragenden Grund gestützt, kann das Revisionsgericht die Entscheidung des Vorsitzenden lediglich daraufhin überprüfen, ob dabei der eingeräumte Spielraum in rechtsfehlerhafter Weise überschritten ist oder die Annahme der Verhinderung auf sachfremden Erwägungen beruht und sie sich deshalb als willkürlich erweist (BGH, aaO BGHSt 31, 212, 214; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1992 – 5 StR 364/92, NStZ 1993, 96; BGH, Beschluss vom 8. Juni 2011 – 3 StR 56/11 Rn. 13; Greger in Karlsruher Kommentar zur StPO, aaO, § 275 Rn. 70; Frister in Systematischer Kommentar zur StPO, aaO, § 275 Rn. 47 i.V.m. Rn. 33). Diese Voraussetzungen sind auf der Grundlage der von den Revisionen vorgetragenen tatsächlichen Umstände nicht gegeben.

(2) Soweit die von Rechtsanwältin Be. begründete Revision des Angeklagten B. geltend macht, bereits bei einer anderen Gestaltung der Hauptverhandlungstermine hätte die Vorsitzende eine Unterschriftsleistung durch den urlaubsabwesenden Richter ermöglichen können, zeigt sie damit sachfremde Erwägungen oder eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums nicht auf. Die Vorsitzende war auch nicht gehalten, mit der Anbringung eines Verhinderungsvermerks bis zum Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist zu warten, um gegebenenfalls dem zu diesem Zeitpunkt urlaubsabwesenden Beisitzer noch eine Unterschriftsleistung zu ermöglichen. Es handelt sich um eine Höchstfrist, deren Zweck darin besteht, der „Erfahrung nachlassender Erinne-rung“ zu begegnen und eine möglichst frische Erinnerung an die Ergebnisse der Hauptverhandlung und der Beratung zu sichern (BGH, Beschluss vom 21. April 2015 – 1 StR 555/14 Rn. 12 mwN). Dies darf in die Entscheidung, einen Ver-hinderungsvermerk vor Ausschöpfung der Absetzungsfrist anzubringen, einbezogen werden.“

Also: Weites Ermessen/weiter Beurteilungsspielraum des Vorsitzenden, an den/das man mit der Revision nur schwer „ran kommt“.