Schlagwort-Archive: amtliche Anordnung

OWi I: Verkehrszeichen ohne amtliche Anordnung, oder: Wenn Beweisanträge Sinn machen

Bild von Felix Müller auf Pixabay

Und dann gibt es hier – endlich (?) – mal wieder OWi-Entscheidungen. Man sieht an den großen Lücken zwischen OWi-Tagen, dass es im Moment aus dem Bereich wenig zu berichten gibt.

Ich beginne mit einer kleinen, aber feinen Entscheidung des AG Landstuhl. Das hat im AG Landstuhl, Urt. v. 03.06.2025 – 2 OWi 4211 Js 4445/25 – zu zwei Fragen Stellung genommen, nämlich zur Gültigkeit eines Verkehrszeichens ohne amtliche Anordnung und zur vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung.

Dem Betroffenen war im Bußgeldbescheid zur Last gelegt worden, die durch Verkehrszeichen 274-70 angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften fahrlässig um 71 km/h überschritten zu haben. Die gemessene Geschwindigkeit habe nach Abzug der Toleranz 141 km/h betragen. Das AG hat den Betroffenen indes nur wegen einer  – allerdings vorsätzlichen – Überschreitung der außerhalb geschlossener Ortschaften gem. § 3 Abs. 3 lit. c Satz 1 StVO zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 41 km/h (nach Toleranzabzug) zu einer Geldbuße von 640 EUR verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

Begründung:

„Die Fahrereigenschaft des Betroffenen sowie die Richtigkeit des Messergebnisses sind vorliegend nicht angezweifelt worden und stehen aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest. Indes kann dem Betroffenen lediglich der Vorwurf einer (allerdings vorsätzlichen) Überschreitung der außerhalb geschlossener Ortschaften gem. § 3 Abs. 3 lit. c Satz 1 StVO zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 41 km/h (nach Toleranzabzug) gemacht werden, weil die im Tatzeitpunkt durch Verkehrszeichen 274-70 angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h nicht befolgungspflichtig war.

Aus einer E-Mail der Kreisverwaltung Kaiserslautern (Fachbereich 3.3, Verkehrswesen) vom 13.05.2025 an das erkennende Gericht ergibt sich, dass für die verfahrensgegenständliche Geschwindigkeitsbegrenzung keine verkehrsbehördliche Anordnung existiert.

Bei Regelungen durch Verkehrszeichen handelt es sich nach mittlerweile allgemeiner Auffassung um Verwaltungsakte in Gestalt von Allgemeinverfügungen (§ 35 Satz 2 VwVfG). Ob es sich bei einem Verkehrszeichen, dem keine verkehrsbehördliche Anordnung zugrundeliegt, mangels Handelns einer Behörde (§ 1 Abs. 4 VwVfG) um einen Nichtakt (Scheinverwaltungsakt) handelt, der schon aus diesem Grund keine Rechtswirkungen entfalten kann, oder „lediglich“ um einen nichtigen Verwaltungsakt i.S.d. § 44 VwVfG, der gern. § 1 Abs. 1 LVwVfG RP i.V.m. § 43 Abs. 3 VwVfG nicht befolgungspflichtig ist, kann vorliegend im Ergebnis dahinstehen. Für einen Nichtakt würde zwar sprechen, dass das aufgestellte Verkehrszeichen nicht den Verwaltungsakt selbst, sondern lediglich dessen Bekanntgabe nach Maßgabe von § 39 Abs. 1, § 45 Abs. 4 StVO darstellt, sodass diese ins Leere geht, wenn es bereits an dem ihr zugrundeliegenden Verwaltungsakt fehlt. Für eine „bloße“ Nichtigkeit könnte andererseits aber sprechen, dass es sich bei einem Verkehrszeichen, das zwar auf behördliche Veranlassung hin aufgestellt, jedoch von dieser nicht wirksam angeordnet wurde, um eine der Straßenverkehrsbehörde zurechenbare Maßnahme handeln könnte, bei der aufgrund der äußeren Gestaltungsform nach dem objektiven Empfängerhorizont vom Vor-liegen der Merkmale des § 35 VwVfG ausgegangen werden kann, sodass diese als (zumindest formeller) Verwaltungsakt angesehen werden muss (vgl. etwa BVerwG, NVwZ 2012, 506 (507)). Da in Rechtsprechung und Literatur anerkannt ist, dass nicht behördlich angeordnete Verkehrs-zeichen nicht befolgungspflichtig sind (vgl. etwa VGH Mannheim, ESVGH 60, 160 (161 ff.) m.w.N.; OLG Zweibrücken, VerkMitt 1977 Nr. 5; VG Koblenz, Urt. v. 16.04.2007 — 4 K 1022/06.KO, juris Rn. 20; Rebler, DAR 2010, 377 (380 f.); Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl. 2020, Rn. 1115), kommt es im Ergebnis auf die genaue Einordnung im vorliegenden Fall nicht an. Das nicht auf einer amtlichen Anordnung beruhende Verkehrszeichen kann unter keinem Gesichtspunkt eine Grundlage für eine bußgeldrechtliche Ahndung darstellen.

Soweit der Betroffene im Hinblick auf die innere Tatseite eingewendet hat, sich seiner Fahrgeschwindigkeit nicht bewusst gewesen zu sein, handelt es sich hierbei zur Überzeugung des Gerichts um eine Schutzbehauptung. Eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 % stellt im Hinblick auf die Wahrnehmung der Fahrgeschwindigkeit regelmäßig ein verlässliches Indiz für zumindest bedingt vorsätzliches Handeln dar (OLG Zweibrücken, ZfSch 2020, 591 (592); DAR 2022, 401 = ZfSch 2022, 592 f.). Das Gericht ist auch nicht nach dem Zweifelssatz verpflichtet, eine nicht eindeutig widerlegbare Einlassung eines Betroffenen ungeprüft zu übernehmen, sondern hat diese anhand der festgestellten objektiven Tatumstände auf ihre Nachvollziehbarkeit zu prüfen und mit dem Beweisergebnis im Übrigen in eine Gesamtwürdigung einzustellen. Angesichts des mit 41 km/h bzw. 41 % der zulässigen Höchstgeschwindigkeit immer noch erheblichen sowohl absoluten als auch relativen Ausmaßes der Geschwindigkeits-überschreitung kann dem Betroffenen aufgrund der Fahrgeräusche, der Fahrzeugvibration und der Schnelligkeit, mit der sich die Umgebung änderte, nicht verborgen geblieben sein, dass seine Fahrgeschwindigkeit jedenfalls oberhalb der außerhalb geschlossener Ortschaften abseits von Autobahnen und Kraftfahrstraßen generell für Pkw gültigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h lag.

Die Rechtfolgenbemessung entspricht dem Regelsatz nach der Bußgeldkatalogverordnung (§ 3 Abs. 4a, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BKatV, Nr. 11.3.7 BKat). Zu einem Abweichen von diesem Regelsatz hat kein Anlass bestanden (§ 17 Abs. 3 OWiG). Insbesondere hat auch kein Anlass bestanden, das hiernach indizierte Fahrverbot in Wegfall zu bringen oder von diesem gegen angemessene Erhöhung der Geldbuße (§ 4 Abs. 4 BKatV) abzusehen.“

Für den Betroffenen ist die Verurteilung „nur“ zu einer Geldbuße von 640 EUR mit einem Fahrverbot von einem Monat – trotz der Annahme von Vorsatz – ein Erfolg. Denn wäre es bei dem ursprünglichen Vorwurf geblieben, hätte ihm nach Nr. 11.3.10 BKat eine Geldbuße von 700 EUR und die Verhängung eines Fahrverbotes von drei Monaten gedroht. Dieser Erfolg beruht, wie der Kollege, der mir die Entscheidung geschickt hat, angemerkt hat, die auf einem – erfolgreichen – Beweisantrag auf Einholung der verkehrsrechtlichen Anordnung des Verkehrszeichens. Das zeigt: Solche Beweisanträge können Sinn machen.