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OWi I: OLG Oldenburg, das VerfG Saarland und das „unfaire standardisierte Messverfahren“, oder: „Absurd“

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Und es gibt den nächsten OLG-Beschluss zum VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.2018 – Lv 1/18 (vgl. dazu Paukenschlag beim (Akten)Einsichtsrecht, oder: Der Rechtsstaat lebt…). Er kommt aus Niedersachsen vom OLG Oldenburg. Das hat sich – wie zu befürchten und nicht anders zu erwarten – dem Verdikt aus Bayern (vgl. den OLG Bamberg, Beschl. v. 13.06.2018 – 3 Ss OWi 626/18 und dazu Antwort vom OLG Bamberg: Das VerfG Saarland hat keine Ahnung, oder: Von wegen der Rechtsstaat lebt) im OLG Oldenburg, Beschl. v. 23.07.2018 – 2 Ss (OWi) 197/18 – angeschlossen.

Die Begründung? Letztlich keine eigene, sondern:

„Der Senat folgt vielmehr dem OLG Bamberg (3 Ss OWI 626/18, Beschluss vom 13.6.2018, juris), das sich ausführlich mit der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes auseinandergesetzt hat.

Soweit das OLG Bamberg darauf hinweist, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach höchstrichterlicher Rechtsprechung von vornherein ausscheidet, ist dem nichts hinzuzufügen.2

Nun ja, stimm nichtt ganz, denn man hat dann doch noch etwas Eigenes „gefunden“, besser „erfunden“. denn man ist auf die Idee gekommen, dass das VerfG Saarland mit seiner Argumentation „das standardisierte Verfahren als unfair ansieht“:

„Wenn der Verfassungsgerichtshof von einer Beibringungs- bzw. Darlegungslast spricht, dürfte damit gemeint gewesen sein, dass es aus Sicht eines Betroffenen für seine Verteidigung hilfreich sein kann, wenn er -unabhängig von der Aufklärungspflicht des Gerichtes- Anhaltspunkte für mögliche Messfehler darlegen kann.

Wenn der Verfassungsgerichtshof hieraus folgernd einen Anspruch auf Herausgabe der Rohmessdaten unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung eines fairen Verfahrens für gegeben hält, bedeutet das im Ergebnis letztlich nichts anderes, als dass er das standardisierte Verfahren als unfair ansieht:

Das OLG Bamberg hat bereits in seinem Beschluss vom 4.4.2016 (DAR 2016, 337 ff.), der dem Senat Anlass gegeben hatte, seine Rechtsprechung zu überprüfen, auf die Konsequenzen aus der Rechtsprechung des BGH zum standardisierten Messverfahren hingewiesen. Ein Tatrichter muss sich nur dann von der Zuverlässigkeit der Messungen überzeugen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind. Das OLG Bamberg hat weiter zutreffend ausgeführt, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung nur dahingehend interpretiert werden könne, dass im Falle eines standardisierten Messverfahrens keine vernünftigen Zweifel mehr an dem Geschwindigkeitsverstoß gegeben seien, wenn und soweit das amtlich zugelassene Messgerät, das im Tatzeitpunkt geeicht gewesen sei, unter Beachtung der Bedienungsanleitung des Zulassungsinhabers durch einen geschulten Messbeamten verwendet worden sei, sich auch sonst keine von außen ergebenden Hinweise auf etwaige Messfehler gezeigt hätten und der Tatrichter die vorgeschriebene Messtoleranzen berücksichtigt habe.

Es komme nach einer durchgeführten Beweisaufnahme, in der sich der Tatrichter zweifelsfrei von der Einhaltung der Prämissen für ein standardisiertes Messverfahren überzeugt habe, im Ergebnis zum Gleichlauf von Aufklärungspflicht und fairtrial- Grundsatz. Denn es würde einen nicht auflösbaren Wertungswiderspruch darstellen, wenn einerseits der durch ein standardisiertes Messverfahren ermittelte Geschwindigkeitswert ausreichende Grundlage für eine Verurteilung des Betroffenen sein solle, andererseits aber gleichwohl einem Antrag auf Überlassung der Messdatei, der allein das Ziel habe, die Richtigkeit des so ermittelten Messwertes zu erschüttern, unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens stattgegeben werden müsste.

Mit seiner Entscheidung entzieht der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes der vom BGH festgestellten Folge aus der amtlichen Zulassung von Geräten und Methoden demgegenüber die Grundlage. Wäre nämlich davon auszugehen, dass sich aus den Rohmessdaten Anhaltspunkte für ein fehlerhaftes Messergebnis ergeben können, wäre letztlich auch das Amtsgericht von Amts wegen verpflichtet, die entsprechenden Daten beizuziehen und sachverständig auswerten zu lassen. Das soll jedoch nach der Rechtsprechung des BGH ohne Vorliegen konkreter Anhaltspunkte aber gerade nicht erforderlich sein.

Da sich das Amtsgericht nach Durchführung der Beweisaufnahme davon überzeugt hat, dass derartige Anhaltspunkte nicht vorliegen, konnte es auch den gestellten Beweisantrag rechtsfehlerfrei ablehnen.“

Das ist – wie der Kollege Deutscher in seiner für den VRR vorgesehenen Anmerkung zutreffend schreibt – „gelinde gesagt absurd. Dieses vom BGH anerkannte und auch vom VerfGH Saarland als solches nicht angezweifelte Rechtsinstitut ist ein wichtiges Mittel, um dem Massengeschäft der Verkehrsordnungswidrigkeiten in der Praxis Herr zu werden. Unfair ist nicht das ihm innewohnende Regel-Ausnahme-System, sondern die auf der Rechtsprechung der OLG Bamberg und Oldenburg beruhende Verweigerung auch nur der Chance, im konkreten Fall Mängel der Messung und des Messverfahrens nicht nur ins Blaue zu behaupten, sondern konkret herausarbeiten und vorbringen zu können. Der VerfGH Saarland entzieht diesem Rechtsinstitut also weder die Grundlage noch zieht sein Ansatz eine generelle Beiziehungspflicht des AG nach sich.“

Man könnte auch sagen Teufelskreis 3.0, oder: Inzwischen ist kein Argument zu dumm, um nicht verwendet zu werden.

AG I: Akteneinsicht des Nebenklägervertreters, oder: Beschränkung bei Aussage-gegen-Aussage

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Heute dann mal drei AG-Entscheidungen – ein bunter Reigen durch Straf- und Bußgeldverfahren.

Ich eröffne diesen Reigen mit dem AG Cloppenburg, Beschl. v. 25.05.2018 – 24 Ls 511 Js 51486/17 (6/18) – zur Akteneinsicht des Nebenklägervertreters in den Fällen von Aussage-gegen-Aussage. Das wird immer wieder diskutiert. Das AG Cloppenburg sagt dazu: Dem Beistand des Nebenklägers steht zwar grundsätzlich gem. § 406e Abs. 1 StPO das Recht zur Akteneinsicht zu. In den Fällen der sog. Aussage-gegen-Aussage-Konstellation kann dieses jedoch beschränkt werden:

„Dem Beistand der Nebenklägerin steht zwar grundsätzlich gem. § 406e Abs. 1 StPO das Recht zur Akteneinsicht zu. Allerdings liegt dem Angeklagten Vergewaltigung der Nebenklägerin zur Last, hat der Angeklagte sich nicht eingelassen und außerhalb einer förmlichen Vernehmung die Tat bestritten und ist nach Aktenlage einziges unmittelbar tatbezogenes Beweismittel die Nebenklägerin, liegt also eine Aussage-gegen-Aussage­Konstellation vor. Die Aussagekraft des für die Beweiswürdigung in dieser Beweiskonstellation wesentlichen Realitätskriteriums der Aussagekonstanz wird jedoch durch die vollständige Akteinsicht der einzigen Belastungszeugin entwertet. Vollständige Akteneinsicht gefährdet daher eine den aussageanalytischen Vorgaben des Bundesgerichtshofs entsprechende gerichtliche Beweiswürdigung und somit den Untersuchungszweck, § 406e Abs. 2 S. 2. Akteneinsicht war daher — andererseits allerdings auch: nur — in diejenigen Teile der Akte zu versagen, die Vernehmungen der Nebenklägerin und hieran jeweils anschließende Ermittlungsberichte und -vermerke der Polizei enthalten (vgl. zu alledem grundlegend OLG Hamburg, NStZ 2015, 105 mit zust. Anm. Radtke (1. Senat); dies sind vorliegend die im Tenor genannten Aktenteile. Sofern demgegenüber die Ausführungen des BGH (5. Senat) in NStZ 2016, 367 dahingehend zu verstehen sein sollten, einem Nebenklägervertreter sei auch in einer Aussage-gegen­Aussage-Konstellation unbeschränkte Akteneinsicht zu gewähren, solange nicht konkrete Umstände wie etwa Hinweise auf eine konkrete Falschaussagemotivation des einzigen Belastungszeugen oder Besonderheiten in seinen Aussagen bereits Anlass zu konkreten Zweifel an der Glaubhaftigkeit seiner Aussage geben, würde dem nicht gefolgt werden können (dagegen bereits die Gesetzgebungsmaterialien: „Dieser Versagungsgrund [der Gefährdung des Untersuchungszwecks] kann deshalb auch dann herangezogen werden, wenn die Kenntnis des Verletzen vom Akteninhalt die Zuverlässigkeit und den Wahrheitsgehalt einer von ihm noch zu erwartenden Zeugenaussage beeinträchtigten könnte.“ (BT-Dr 10/5305 S. 18, Hervorhebung nur hier); s. a. BVerfG, NJW 2017, 1164 (Rn. 17 a. E.); gegen die Auffassung des 5. Senats, mit Gewährung von Akteneinsicht an den Verfahrensbevollmächtigten des Verletzten gehe nicht typischerweise eine Entwertung des Realitätskriteriums der Aussagekonstanz einher, jetzt — berücksichtigt man den Umstand, dass der anwaltliche Beistand rechtlich nachgerade dazu verpflichtet ist, die durch die Akteneinsicht erlangten Kenntnisse mit der Mandantschaft zu teilen (vgl. dazu etwa BVerfG NJW 2007, 1052) — auch BGH (2. Senat) StV 2017, 7 (Rn. 14)).“

Passt.

Danke an den Kollegen Acar aus Weener für die Übersendung der Entscheidung.

OWi I: Rechtsprechungsmarathon zur Einsicht in Messunterlagen, oder: Der Kampf geht weiter

Ich hatte gehofft, nach dem VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.2018 würde sich im Recht der Einsicht in Mussunterlagen ggf. die restriktive Rechtsprechung, vorwiegend der OLG, ändern. Das war ein Fehlschluss und man muss wohl leider davon ausgehen, dass sich wahrscheinlich nicht allzu viel ändern wird, es sei denn der BGH oder sogar das BVerfG greifen ein. Denn anders kann man die Entscheidung des OLG Bamberg, Beschl. v. 13.06.2018 – – 3 Ss OWi 626/18

, in dem das OLG dem VerfG Saarland eine wortgewaltige Abfuhr erteilt, nicht verstehen. Deshalb habe ich mich entschlossen, doch mal wieder Entscheidungen zur Einsicht in Messunterlagen zu bringen. Im Zweifel wird der Verteidiger sie auch in Zukunft benötigen. Also dann:

Der Verteidiger kann, soweit dies zur Überprüfung des standardisierten Messverfahrens erforderlich ist, grundsätzlich auch in solche Unterlagen Einsicht nehmen, die sich nicht bei den Akten befinden (vgl. BGHSt 39, 291; 28, 239). Denn die Verteidigung wird ohne Kenntnis aller Informationen, die den Verfolgungsbehörden zur Verfügung stehen, nicht beurteilen können, ob Beweisanträge gestellt oder Beweismittel vorgelegt werden sollen. Das Informations- und Einsichtsrecht des Verteidigers kann daher deutlich weiter gehen als die Amtsaufklärung des Gerichts). Solch weitreichende Befugnisse stehen dem Verteidiger im Vorfeld der Hauptverhandlung auch und gerade bei standardisierten Messverfahren zu.

Es wird daran festgehalten, dass die Nichtüberlassung der Messreihe und der Lebensakte betreffend eine Messung im Straßenverkehr keine Gehörsverletzung darstellt, welche eine Zulassung der Rechtsbeschwerde rechtfertigen würde.

Die Verwaltungsbehörde ist verpflichtet, dem Verteidiger die komplette Messreihe der verfahrensgegenständlichen Messung in elektronischer Form auf einem von diesem zur Verfügung zu stellenden Datenträger (z.B. CD-R, DVD-R, USB-Stick) zu überlassen. Weiterhin ist die Verwaltungsbehörde verpflichtet, dem Verteidiger Auskunft zu erteilen, ob seit der letzten Eichung des Messgerätes Wartungen, Reparaturen oder sonstige Eingriffe, einschließlich solcher durch elektronisch vorgenommene Maßnahmen, vorgenommen wurden. Bejahendenfalls sind dem Verteidiger die entsprechenden Nachweise in Kopie zu überlassen.

Der Verteidiger hat Anspruch auf die gesamte Messbildreihe in digitaler Form auf einem von der Verteidigung bereitgestellten Datenträger. Das folgt aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens, welcher im gesamten Verfahren zu beachten ist.

Dem Verteidiger ist nach einer Geschwindigkeitsmessung Einsicht in Messdaten (Messreihe, Token) sowie den Beschilderungsplan zu gewähren. Zudem hat die Verwaltungsbehörde Auskunft über Wartungen und Reparaturen am Messgerät sowie der Beteiligung von Privatpersonen an der Messung und Auswertung zu erteilen.

Die Messdatei ist aus Gründen des Datenschutzes nur autorisierten Benutzern zugänglich zu machen.

  • AG Landau in der Pfalz, Beschl. v. 19.04.2018 – 1 OWi 143/18

Es besteht ein Recht auf Erhalt der Messreihe in anonymisierter Form inklusive Statistikdatei und Public Key. Dies folgt aus dem Gebot der Waffengleichheit. Ein Recht auf Einsicht in die Lebensakte besteht nicht, da eine solche nicht geführt werden muss und die Unterlagen von der Verteidigung auch nicht benötigt werden.

Der Verteidiger hat Anspruch auf die gesamte Messbildreihe in digitaler Form auf einem von der Verteidigung bereitgestellten Datenträger. Das folgt aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens, welcher im gesamten Verfahren zu beachten ist.

Rohmessdaten, Token, Passwort und Statistikdatei sind auf Antrag heraus zu geben. Die Herausgabe muss der Verteidiger jedoch zunächst im behördlichen Verfahren versuchen, ggf. ist der Antrag nach § 62 OWiG zu stellen. Erst, wenn der nicht erfolgreich ist, kann im gerichtlichen Verfahren Aussetzung der Hauptverhandlung verlangt werden.

Dem Verteidiger eines Betroffenen ist Einsicht in Messdaten und Messunterlagen zu gewähren. Dazu gehört außer der Messreihe auch die „Gerätebegleitkarte“, welche ggf. geführt und die eine Auflistung von Defekten oder Reparaturen an einem Messgerät enthält.

  • AG Oranienburg, Beschl. v. 25.06.2018 – 13 (b) OWi 31/18

Der Verteidiger hat auch ein Recht auf Einsicht in den Beschilderungsplan. Er ist vom Recht auf Akteneinsicht umfasst, weil die vorhandene Beschilderung Grundlage für den Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung ist.

Befinden sich diese Unterlagen, insbesondere die Bedienungsanleitung des standardisierten Messverfahrens nicht bei der Gerichtsakte, ist das Tatgericht grundsätzlich auch nicht verpflichtet, derartige Unterlagen vom Hersteller oder der Polizei auf Antrag der Verteidigung beizuziehen.

Wird ein vom Betroffenen gestellter Antrag nach § 62 OWiG wegen nicht ausreichender Einsicht in Messunterlagen von der Verwaltungsbehörde  ignoriert und das Verfahren an die Staatsanwaltschaft abgegeben, ist das Verfahren wegen offensichtlich ungenügender Sachverhaltsaufklärung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft an die Verwaltungsbehörde gemäß § 69 Abs. 5 OWiG zurückverwiesen, damit die Behörde den Antrag ordnungsgemäß behandeln kann.

Die Verwaltungsbehörde ist zur Herausgabe folgender Unterlagen verpflichtet: digitale Falldatensätze inklusive unverschlüsselter Rohmessdaten der gesamten Messserie, Statistikdatei, Wartungs- und Instandsetzungsnachweise des Messgeräts seit dem Tattag sowie alle Eichscheine des genannten Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme.

Dazu nur:

Ist eine ganze Menge, was da in der letzten Zeit „aufgelaufen“ ist. Und eben wegen der Menge habe ich es mir – entgegen der sonstigen Gepflogenheit hier im Blog – „verkniffen“, alle o.a. Entscheidungen zu verlinken. Zum Teil stehen sie bereits online und/oder sind auch beim Kollegen Gratz vom VerkehrsrechtsBlog veröffentlicht, wo ich sie mir zum Teil „ausgeliehen habe. Das Verlinken war – das räume ich ein – mir für dieses Posting zu viel Arbeit. Man möge es mir nachsehen.

Und: Ich danke pauschal allen Kollegen, die mir Entscheidungen, die sie erstritten hatten, übersandt haben.

Und weil das heute so viel war, gibt es hier dann ein wenig Werbung, nämlich für unser Verkehrsrechtspaket, das aus dem Buch „Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 4. Auflage“ und aus dem Buch „Burhoff (HRsg.) Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Auflage“ besteht. Beide zusammen im Paket für 199 €, Ersparnis gegenüber dem Einzelbezug: 29 €. Zur Bestellung geht es hier.

OLG Hamm zur Akteneinsicht im Bußgeldverfahren, oder: Das haben wir immer schon so gemacht

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Inzwischen gibt es einen Beschluss des OLG Hamm zum Einsichtsrecht in Messunterlagen, der zeitlich nach dem VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.2018 – Lv 1/18 (vgl. dazu Paukenschlag beim (Akten)Einsichtsrecht, oder: Der Rechtsstaat lebt…) ergangen ist. Es ist der OLG Hamm, Beschl. v. 20.06.2018 – 4 RBs 163/18. Wer allerdings meint, dass sich das OLG zu den vom Verfg Saarland angesprochenen Fragen äußert, der sieht sich getäuscht. Nichts. Kein Wort des OLG. Noch nicht einmal ein verdikt, wie wir es aus Bamberg lesen durften (OLG Bamberg, Beschl. v. 13.06.2018 – 3 Ss OWi 626/18, vgl. dazu Antwort vom OLG Bamberg: Das VerfG Saarland hat keine Ahnung, oder: Von wegen der Rechtsstaat lebt).

Getreu dem Satz: „Das haben wir schon immer so gemacht“ heißt es im Beschluss:

„Zu ergänzen ist, dass der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör im Rahmen eines gerichtlichen Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahrens nicht dadurch verletzt wird, dass ihm die Rohmessdaten, die sich -wie hier- nicht in der Verfahrensakte, sondern bei der Verwaltungsbehörde befinden, nicht überlassen werden (vgl. OLG Bamberg, Beschlüsse vom 05.09.2016, Az. 3 Ss OWi 1050/16, und vom 04.04.2016, Az. 3 Ss OWi 1444/15; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.07.2015, Az. IV-2 RBs 63/15). Durch den Grundsatz des rechtlichen Gehörs soll garantiert werden, dass einer Entscheidung nur Tatsachen zugrunde gelegt werden, zu denen der Betroffene Stellung nehmen konnte; einen Anspruch auf Aktenerweiterung vermittelt der Anspruch auf rechtliches Gehör demgegenüber nicht. Da das Amtsgericht hier aber ausschließlich auf der Grundlage des in der Hauptverhandlung ausgebreiteten und abgehandelten Tatsachenstoffs entschieden und der Betroffene insoweit hinreichende Gelegenheit hatte, sich zu diesem Tatsachenstoff umfassend zu äußern, ist durch die Nichtüberlassung der Rohmessdaten und sonstiger Unterlagen, die das Gericht zu seiner Überzeugungsbildung gerade nicht herangezogen hat, ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht gegeben.

Letztlich vermochte der Senat über die Sache zu entscheiden, ohne vorab die Sache – wie vom Verteidiger angeregt – dem Bundesgerichtshof gemäß § 121 GVG vorzulegen, da die Frage einer Gehörsverletzung bereits geklärt ist (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 05.09.2016, Az. 3 Ss OWi 1050/16).“

Man fragt sich: Warum das Schweigen? Kannte das OLG Hamm den Beschluss aus dem Saarland nicht, was ich mir kaum vorstellen kann. Und wenn es stimmt, wäre das erschreckend. Aber vielleicht ist es ja einfacher zu schweigen als sich mit dem VerfG Saarland auseinander zu setzen. Das hat das OLG Bamberg zumindest getan, wenn auch in meinen Augen mit dem falschen Ergebnis

Entbindung II: Entbindungsantrag – Akteneinsicht – Aussetzung, oder: Fair trial

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Karlsruhe, und zwar ist es der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.01.2018 – 2 Rb 8 Ss 839/17. Eine Kombi-Entscheidung: Entbindung und Akteneinsicht, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:

„Das Regierungspräsidium Karlsruhe setzte mit Bußgeldbescheid vom 13.02.2017 gegen den Betroffenen wegen Abstandsunterschreitung im Straßenverkehr ein Bußgeld in Höhe von 180 € fest.

Auf den fristgerecht eingelegten Einspruch des Betroffenen hin beraumte das Amtsgericht zunächst Termin für die Hauptverhandlung auf den 25.07.2017 an. Mit Beschluss vom 10.07.2017 wurde der Betroffene auf seinen über seine Verteidigerin gestellten Antrag hin von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen „zum Termin am 25.07.2017“ entbunden. Danach wurde der Termin zwei Mal, zuletzt auf den 25.09.2017, 10:00 Uhr, verlegt. In einem am 22.09.2017 eingereichten Schriftsatz äußerte die Verteidigerin die Auffassung, dass die Entbindung von der Verpflichtung des Betroffenen zum persönlichen Erscheinen auch für den neu anberaumten Termin gelte, und bat anderenfalls um erneute Beschlussfassung. Mit weiterem am 25.09.2017 um 07:20 Uhr beim Amtsgericht eingekommenem Schriftsatz beantragte die Verteidigerin, die zuvor mit Schriftsätzen vom 07.07.2017 und vom 22.09.2017 beantragt hatte, ihr Einsicht in die Bedienungsanleitung des verwendeten Messgerätes zu gewähren, die Aussetzung der Hauptverhandlung im Hinblick auf die bis dahin noch nicht gewährte Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung.

Mit Beschluss vom 25.09.2017 verwarf das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG, nachdem zum Termin weder der Betroffene noch seine Verteidigerin erschienen waren.

Das OLG sagt: So nicht:

„2. Nach diesen Maßstäben ist die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vorliegend dargetan.

In diesem Zusammenhang bedarf es keiner abschließenden Entscheidung der in der obergerichtlichen Entscheidung umstrittenen Frage, ob die Befreiung des Betroffenen von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen auch nach Verlegung des Hauptverhandlungstermins fortgilt (bejahend OLG Karlsruhe – Senat – NStZ-RR 2015, 258; OLG Bamberg NStZ-RR 2017, 25; verneinend OLG Jena VRS 117, 342; KG VRS 99, 372), weil dies auf die Entscheidung keinen Einfluss hat.

a) Auf der Grundlage der verneinenden Auffassung liegt das Übergehen erheblichen Vorbringens in der Nichtbescheidung des im Schriftsatz der Verteidigerin vom 22.09.2017 erneut gestellten Entbindungsantrags (OLG Dresden a.a.O.), wobei die für die Stellung des Entbindungsantrags durch den Verteidiger erforderliche besondere Vertretungsmacht vorliegend dargelegt (dazu OLG Hamm, Beschluss vom 13.07.2011 – III-4 RBs 193/11, juris; OLG Köln NStZ 2002, 268) und durch die dem Amtsgericht vorgelegte Vollmacht nachgewiesen wurde.

b) Die auch vom Senat vertretene Auffassung knüpft demgegenüber an die gesetzliche Formulierung in § 73 Abs. 1 und 2 OWiG an, wonach Bezugspunkt der Anwesenheitspflicht des Betroffenen und der Befreiung hiervon nicht ein bestimmter einzelner Termin, sondern die Hauptverhandlung ist. Wegen dieser gesetzlichen Vorgabe ist es nach der Auffassung des Senats zunächst unerheblich, dass die Befreiung durch das Amtsgericht vorliegend terminbezogen erteilt wurde. Danach war der Betroffene durch den Beschluss vom 10.07.2017 auch von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen im verlegten Hauptverhandlungstermin entbunden.
Davon ausgehend liegt der Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör darin, dass infolge der unter Verstoß gegen § 74 Abs. 1 Satz 1 OWiG erfolgten Einspruchsverwerfung der am Morgen des 25.09.2017 gestellte Aussetzungsantrag des Betroffenen unberücksichtigt geblieben ist, dem ansonsten stattzugeben gewesen wäre. Denn Ausfluss des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) ist es, dass dem Betroffenen auf seinen Antrag hin auch nicht bei den Akten befindliche amtliche Unterlagen, die er für die Prüfung des Tatvorwurfs benötigt, zur Verfügung zu stellen sind. Dazu gehört in Verkehrsordnungswidrigkeitensachen auch die Bedienungsanleitung des verwendeten Messgeräts (OLG Naumburg DAR 2013, 37; KG DAR 2013, 211; Cierniak/Neuhaus DAR 2014, 2, 4 f.; a.A. – nicht tragend – OLG Frankfurt NStZ-RR 2013, 223). Kommt das Gericht dem trotz eines – vorliegend in der Begründungsschrift dargelegten und aus den Akten nachvollziehbaren – rechtzeitig gestellten Antrags nicht nach, rechtfertigt dies den Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung (BGH NStZ 1985, 87; Cierniak/Neuhaus a.a.O.).“