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Akteneinsicht des Nebenklägervertreters, oder: Welche schutzwürdigen Umstände des Beschuldigten stehen entgegen?

Heute dann keine Entscheidungen zum Karneval, auch wenn im Rheinland die 5. Jahreszeit beginnt. In der übrigen Republik wird ja normal gearbeitet. Gott sei Dank sind die Karnevalstage noch kein gesetzlicher Feiertag, obwohl man, wenn man sich die Fernsehprogramme anschaut, schon den Eindruck hat, dass es derzeit nichts Wichtigeres auf der Welt gibt.

Ich bringe hier heute zunächst den KG, Beschl. v. 21.11.2018 – 3 Ws 278/18 -, der noch einmal Akteneinsicht des Nebenklägervertreters Stellung nimmt, und zwar insbesondere zu den schutzwürdigen Umständen den Beschuldigten betreffend, die nach § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO der Akteneinsicht des Nebenklägervertreters entgegenstehen können. Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs. Die Zeugin, zu deren Lasten die angeklagten Taten begangen sein sollen, ist als Nebenklägerin zugelassen. Zugleich wurde ihr die bereits im Ermittlungsverfahren durch das Amtsgericht Tiergarten zu ihrem Beistand bestellte Rechtsanwältin erneut beigeordnet. Letztere hatte – ebenfalls bereits im Ermittlungsverfahren – Akteneinsicht beantragt; diesbezüglich hat der Vorsitzende dem Angeschuldigten mit Schreiben vom 3. September 2018 über seinen Verteidiger rechtliches Gehör gewährt. Der Angeschuldigte wendet sich gegen die Akteneinsicht.Der Vorsitzende der Strafkammer hat in vollem Umfang Akteneinsicht gewährt. Dagegen die Beschwerde des Angeschuldigten. Die hatte nur hinsichtlich der Hauptakte keinen Erfolg.

„2. Die Beschwerde hat jedoch in der Sache – soweit es die Hauptakte betrifft – keinen Erfolg. Lediglich die im hiesigen Beschlusstenor bezeichnete Beiakte des Amtsgerichts Tiergarten ist von der Gewährung der Akteneinsicht für Rechtsanwältin P. durch den nach § 406e Abs. 4 Satz 1 Hs. 2 StPO zuständigen Vorsitzenden der mit der Sache befassten Strafkammer auszunehmen.

Der Nebenklägerin steht gemäß § 406e Abs. 1 Satz 1 StPO über ihre Rechtsanwältin auch ohne Darlegung eines berechtigten Interesses (vgl. § 406e Abs. 1 Satz 2 StPO) ein Recht auf Akteneinsicht zu, das sich dem Umfang nach grundsätzlich auf den gesamten Akteninhalt erstreckt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 61. Aufl., § 406e Rn. 5). Die Versagungsgründe des § 406e Abs. 2 StPO stehen lediglich der Einsichtnahme in die Beiakte entgegen.

a) Nach § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO ist die Einsicht in die Akten zu versagen, soweit überwiegende schutzwürdige Interessen des Beschuldigten oder anderer Personen entgegenstehen. Bei der Entscheidung über die Gewährung der Akteneinsicht sind daher die Interessen der Betroffenen gegeneinander abzuwägen, um auf diese Weise festzustellen, welches Interesse im Einzelfall schwerer wiegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Dezember 2008 – 2 BvR 1043/08 – [juris]; KG NStZ 2016, 438). Dies gilt auch bei der Akteneinsicht für den Nebenkläger (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO Rn. 9 mwN).

aa) Vorliegend sind – mit Blick auf die Hauptakte – bei der Abwägung insbesondere die Schwere der gegen den Angeschuldigten erhobenen Tatvorwürfe und der Umstand zu berücksichtigen, dass angesichts der bereits erfolgten Anklageerhebung ein erheblicher Verdachtsgrad gegen ihn besteht. Hiernach kommt dem berechtigten Interesse der Nebenklägerin als der mutmaßlich Verletzten, den vollständigen Akteninhalt kennenzulernen, ein hohes Gewicht zu. Besonders sensible Daten des Angeschuldigten, wie sie etwa in medizinischen oder psychiatrischen Gutachten enthalten sein können, sind kein Bestandteil der Hauptakte; auch enthält der den Angeschuldigten betreffende Bundeszentralregisterauszug keine Eintragungen. Die – über die Angaben der Nebenklägerin hinausgehende – Befassung mit Umständen aus dem privaten Lebensbereich und der Intimsphäre des Angeschuldigten ist dem Charakter der ihm zur Last gelegten Straftaten geschuldet. Ein Überwiegen des Geheimhaltungsinteresses des Beschwerdeführers betreffend die Hauptakte (bzw. Teile davon) kommt bei dieser Sachlage nicht in Betracht.

bb) Der Einsichtnahme in die im hiesigen Beschlusstenor aufgeführte Beiakte stehen dagegen sowohl überwiegende schutzwürdige Interessen des Angeschuldigten als auch solche weiterer Personen entgegen. Die Beiakte betrifft ein – in der Hauptakte im polizeilichen Bericht vom 13. Dezember 2017 erwähntes – Strafverfahren gegen den Angeschuldigten, in welchem er mit Urteil des Amtsgerichts Tiergarten – Jugendschöffengericht – vom 30. April 2007 rechtskräftig vom Tatvorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes freigesprochen wurde. Allein schon der Umstand, dass dem Angeschuldigten ein strafbares Verhalten nicht nachzuweisen war, legt es insoweit nahe, sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung höher zu achten als das Interesse der Nebenklägerin an der Erlangung von Informationen aus dem früheren Verfahren. Ob er die Versagung der Akteneinsicht bereits für sich zwingend gebietet (vgl. LG Köln StraFo 2005, 78; einschränkend LG Darmstadt K&R 2009, 211), kann der Senat dahinstehen lassen; denn mit Blick auf einen möglichen Erkenntnisgewinn seitens der Nebenklägerin gilt es vorliegend weiter zu berücksichtigen, dass das damalige Verfahren weder einen Bezug zu ihrer Person und/oder derjenigen ihrer Schwester aufwies noch in den Tatzeitraum fiel. Zu schützen gilt es schließlich auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der damaligen Anzeigeerstatterin, die ausweislich der Urteilsgründe einer kritischen Überprüfung „ihrer Glaubwürdigkeit und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen“ nicht standhielt.

b) Die Akteneinsicht kann weiter – auch noch nach Erhebung der öffentlichen Klage (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO Rn. 11) – nach pflichtgemäßem Ermessen versagt werden, soweit der Untersuchungszweck gefährdet erscheint (§ 406e Abs. 2 Satz 2 StPO). Dies ist dann anzunehmen, wenn zu befürchten ist, dass bei Gewährung der Akteneinsicht die Sachaufklärung beeinträchtigt wird, weil etwa – wie hier vom Beschwerdeführer geltend gemacht – die Kenntnis des Verletzten vom Akteninhalt die Zuverlässigkeit und den Wahrheitsgehalt einer von ihm noch zu erwartenden Zeugenaussage beeinträchtigen kann (vgl. KG aaO; OLG Braunschweig aaO; Meyer-Goßner/Schmitt aaO, jeweils mwN). Hinsichtlich der Beurteilung der Gefährdung besteht ein weiter Entscheidungsspielraum (vgl. etwa BGH NJW 2005, 1519). Dabei ist der Senat als Beschwerdegericht nicht darauf beschränkt, die angefochtene Entscheidung auf Ermessensfehler zu überprüfen, sondern trifft eine eigene Ermessensentscheidung (vgl. OLG Braunschweig aaO; OLG Hamm, Beschluss vom 30. Dezember 2014 – III-1 Ws 518/14 – [juris]; OLG Stuttgart, Beschluss vom 11. Februar 2000 – 1 Ws 13/00 – [juris]).

Nach den dargestellten Grundsätzen ist die Nichtanwendung des § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO vorliegend nicht zu beanstanden. Allein die Rolle der Nebenklägerin als Zeugin in dem anhängigen Strafverfahren und die deshalb durch das Akteneinsichtsrecht grundsätzlich eröffnete Möglichkeit einer „Präparierung“ ihrer Aussage anhand des Akteninhalts reicht für eine Versagung der Akteneinsicht nicht aus (vgl. KG aaO sowie Beschluss vom 24. November 2017 – 2 Ws 178/17 –; Hanseatisches OLG Hamburg aaO; LG Stralsund StraFo 2006, 76). Denn zum einen geht mit der Wahrnehmung des gesetzlich eingeräumten Akteneinsichtsrechts nicht typischerweise eine Entwertung des Realitätskriteriums der Aussagekonstanz einher (vgl. BGH NStZ 2016, 367; OLG Braunschweig aaO mwN). Zum anderen würde durch die generalisierende Annahme, dass mit Akteneinsicht durch den Nebenklägervertreter die Glaubhaftigkeit der Angaben eines Nebenklägers stets in besonderer Weise in Zweifel zu ziehen sei, seine freie Entscheidung, Akteneinsicht zu beantragen, beeinträchtigt werden; gerade denjenigen, die Opfer einer Straftat geworden sind, würden damit die Schutzfunktionen der §§ 406d ff. StPO entzogen (vgl. dazu BGH aaO; KG NStZ 2016, 438). Maßgeblich für die Prüfung der Gefährdung des Untersuchungszwecks ist demzufolge stets eine Würdigung der Verfahrens- und Rechtslage im Einzelfall (vgl. KG aaO; OLG Braunschweig aaO; Hanseatisches OLG Hamburg aaO).

Zwar gilt es vorliegend zu berücksichtigen, dass die Schwestern X und Y im Hinblick auf die erhobenen Tatvorwürfe (jeweils) die beiden einzigen Zeuginnen sind, ohne dass ergänzend auf weitere unmittelbar tatbezogene Beweismittel zurückgegriffen werden kann, weshalb ihren Angaben eine zentrale Bedeutung zukommt. Sie sind zudem aufgrund ihrer familiären Verbundenheit – wie der Beschwerdeführer zutreffend geltend macht – demselben „Lager“ zuzuordnen. Mit Blick auf den sich bisher durch Schweigen verteidigenden Angeschuldigten liegt somit gegenwärtig eine Verfahrenssituation vor, die hinsichtlich der für die durch das Tatgericht vorzunehmende Beweiswürdigung geltenden Grundsätze einer sog. Aussage-gegen-Aussage-Konstellation nahe kommt (vgl. BGH NStZ 2013, 180; OLG Karlsruhe StraFo 2005, 250; OLG Frankfurt am Main StV 2011, 12). Die in derartigen Fällen erforderliche besondere Prüfung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Belastungszeuginnen und die damit verbundene Betrachtung der Aussagekonstanz können dafür sprechen, Teile der Akten – insbesondere die Protokolle ihrer polizeilichen Vernehmungen  – von der Akteneinsicht auszunehmen (vgl. Hanseatisches OLG Hamburg aaO sowie StraFo 2015, 328 [„Ermessen grundsätzlich auf Null reduziert“]; s. auch Senat, Beschluss vom 5. Oktober 2016 – 3 Ws 517/16 –). Auch ist in den Blick zu nehmen, dass es sich – wie in den Fällen der in Bezug genommenen Entscheidungen des Hanseatischen OLG Hamburg – vorliegend um ein Verfahren mit nur einer Tatsacheninstanz handelt, weshalb den besonderen Erkenntnismöglichkeiten des Tatgerichts aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung erhöhte Bedeutung zukommt. 

Gleichwohl erscheint der Grad der Gefährdung des Grundsatzes der Wahrheitsermittlung bei einer umfassenden Akteneinsicht für Rechtsanwältin P. im hier zu prüfenden Einzelfall so gering, dass das Informationsinteresse der Nebenklägerin die für deren Versagung streitenden Gründe überwiegt.

So ist zunächst festzustellen, dass die Befürchtung des Angeschuldigten, die Nebenklägerin werde ihre Angaben aufgrund der Akteneinsicht der bisherigen Beweislage anpassen, nicht auf objektivierbaren Erkenntnissen basiert (vgl. hierzu KG aaO; OLG Düsseldorf StV 1991, 202). Ihre in der polizeilichen Vernehmung geäußerte Einschätzung, vermeintliche Erinnerungen in bestimmten (sexualbezogenen) Situationen als sog. Flashbacks zu bewerten, hinsichtlich derer sie nicht beurteilen könne, ob ihr „Kopf das dann vermixt“, spricht vielmehr für ein hohes Maß an Selbstreflexion und lässt keinen unbotmäßigen Belastungseifer erkennen. Auch der Umstand, dass die Zeugin Z – die Mutter der Nebenklägerin – in ihrer polizeilichen Vernehmung bekundet hat, ihre Tochter habe mit Blick auf das anhängige Strafverfahren bewusst davon abgesehen, ihr nähere Einzelheiten bezüglich der angezeigten Vorfälle zu berichten, spricht nach Aktenlage gegen etwaige Bestrebungen, die Wahrheitsfindung zu manipulieren.

Der Senat geht weiter davon aus, dass Rechtsanwältin P. – wie von ihr vorgetragen – als erfahrene Nebenklagevertreterin mit den erhöhten Anforderungen des Bundesgerichtshofs an die tatrichterliche Beweiswürdigung vertraut ist, wie sie in einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation – bzw. in einer vergleichbaren Fallkonstellation wie hier – auch in Bezug auf die Bedeutung der Konstanzanalyse gelten (vgl. etwa BGH StV 1990, 99). Ihr Vorbringen, dass sie bemüht sein werde, den Beweiswert der Aussage ihrer Mandantin nicht „durch vorherige Lektüre ihrer früheren polizeilichen Aussagen zu schmälern“, erscheint vor diesem Hintergrund nachvollziehbar; obschon – insoweit ist dem Beschwerdeführer zuzustimmen – die Einhaltung einer diesbezüglichen Zusage ebenso wenig erzwungen wie ein Verstoß sanktioniert werden könnte. Zu der Frage, ob/welche Akteninhalte zu ihrer Kenntnis gelangt sind, kann das Tatgericht zudem jedenfalls die Nebenklägerin in ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung befragen; sie ist insoweit als Zeugin zur Wahrheit verpflichtet und muss für den Fall einer Lüge mit einer empfindlichen Strafe rechnen. Auch zur möglichen Weitergabe von Informationen an die Zeugin Y, die sich ihrerseits bisher weder der öffentlichen Klage als Nebenklägerin angeschlossen hat noch anwaltlich vertreten ist, könnte die Zeugin X entsprechend befragt werden. Die mögliche Aktenkenntnis beider Zeuginnen kann hiernach bei der Beweiswürdigung – soweit erforderlich – berücksichtigt werden (vgl. BGH NJW 2005, 1519; s. auch BGH NStZ 2016, 367 [Erörterungspflicht nur im Einzelfall wie etwa bei einer konkreten Falschaussagemotivation des Zeugen oder Besonderheiten in seinen Aussagen]). Dabei dürfte es sich im Ergebnis eher zu Gunsten als zu Lasten des Angeschuldigten auswirken, wenn eine festgestellte Konstanz in der Aussage der Nebenklägerin wegen einer vorherigen Akteneinsicht an Wert für die Beurteilung ihrer Angaben als richtig verliert.

Schließlich gilt es nach Auffassung des Senats in den Blick zu nehmen, dass Rechtsanwältin P. der polizeilichen Vernehmung ihrer Mandantin – der Nebenklägerin – zeitweise, wenn auch nicht vollständig beigewohnt hat. In Teilen sind ihr deren bisherige Angaben hiernach ohnehin bekannt – möglicherweise existieren sogar Mitschriften, wie auch sonst bei der Vernehmung von Zeugen durch das Tatgericht stets zu vergegenwärtigen ist, dass Surrogate zum polizeilichen Vernehmungsprotokoll (insbesondere eigene Notizen) zur Verfügung stehen könnten, auf die in Vorbereitung der späteren Aussage in der Hauptverhandlung zurückgegriffen wurde….“

OWi I: Einsicht in Messunterlagen – der Kampf geht weiter

entnommen wikimedia.org
Urheber KarleHorn

Heute dann seit längerem mal wieder Entscheidungen zur Akteneinsicht im Bußgeldverfahren, über die zum Teil auch schon der Kollege Gratz im VerkehrsrechtsBlog berichtet habe. Ich tue es hier nur noch sporadisch, da die Problematik sich – man kann so viel berichten, wie man will – letztlich doch nicht erledigt. Die Verwaltungsbehörden, zum Teil die AG und noch schlimmer: die OLG, wollen einfach nicht und bleiben zum Teil bei ihren – nicht nur in meinen Augen – falschen Auffassungen.

Aber es gibt auch Lichtblicke, wie die hier heute vorgestellten Entscheidungen zeigen.

So z.B. der AG Dillenburg, Beschl. v. 26.11.2018 – 3 OWi – 2 Js 57859/18 – zur Form der Einsicht in die sog. Falldatei:

„Nach der Rechtsprechung des OLG Frankfurt hat der Betroffene einen Anspruch darauf, dass ihm „seine“ Falldatei vom RP zur Verfügung gestellt wird. Hier hat die Verteidigung die Daten trotz ausdrücklicher Bitte nicht erhalten.

In der maßgeblichen Entscheidung des OLG Frankfurt wird ausgeführt: ,Sie [die Verwaltungsbehörde] ist zumindest verpflichtet, in den Räumen der Verwaltungsbehörde die Einsicht in die vom Messgerät erzeugte digitalisierte Falldatei des Betr. zu gewähren und dort das Auswerteprogramm, mit dem die Auswertung vorgenommen wird, zur Verfügung zu stellen‘.‚ (NStZ-RR 2016, 385, beck-online). Damit soll aber wohl ausgedrückt werden, dass auch dem Betroffenen, der kein Auswerteprogramm zur Verfügung hat, zumindest dies ermöglicht werden muss – nicht aber, dass dieses Vorgehen in jedem Fall ausreichend ist.

Dagegen spricht, dass die vorgesehen Vorgehensweise für Betroffene und Verteidiger unpraktikabel ist und einen unzumutbaren Aufwand erfordert. Es sollte in Zeiten der Digitalisierung möglich sein, einen solch bescheidenen Datentransfer auf die eine oder andere Weise ohne körperliche Anwesenheit des Empfängers im Einklang mit datenschutzrechtlichen Anforderungen zu ermöglichen. Das RPI hat immerhin jahrelang anders Verfahren, ohne dass klar wird, warum dies auf einmal nicht mehr möglich sein soll.“

In die grundsätzlich gleiche Richtung zielt der AG Dillenburg, Beschl. v. 04.01.2019 -3 OWi 80/18, allerdings: Es besteht für den Betroffenen nur ein Recht auf Einsicht in „seine Falldatei“.

Und dann habe ich noch:

Akteneinsicht III: Nur beschränkte Akteneinsicht für den Verletzten bei Aussage-gegen-Aussage

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Und den Abschluss des Tages machen dann zwei Entscheidungen zur Akteneinsicht des Verletzten im Strafverfahren. Es handelt sich um den OLG Hamburg, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 Ws 108/18 – und um den schon etwas älteren AG Münster, Beschl. v. 18.07.2016 – 23 Gs-540 Js 388/16-2780/16. Der OLG Hamburg-Beschluss stammt vom Kollegen Laudon aus Hamburg, der des AG Münster von der Kollegin Knecht aus Münster. Beiden „Einsendern“ herzlichen Dank.

Beide gewähren keine bzw. nur beschränkte Akteneinsicht in einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation. Sie liegen damit auf der Linie der Rechtsprechung aus der letzten Zeit. Die Argumentation ist bekannt. daher hier nur der Leitsatz des OLG Hamburg, Beschluss:

„Die umfassende Einsicht in die Ver­fahrensakten ist dem Verletzten in aller Regel in solchen Konstellationen zu versa­gen, in denen seine Angaben zum Kerngeschehen von der Einlassung des Ange­klagten abweichen und eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt.“

Akteneinsicht II: Keine Akteneinsicht ==> Verfassungsbeschwerde ==> Einstellung des Verfahrens ==> keine Auslagenerstattung?

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Die zweite AE-Entscheidung stammt dann vom BVerfG. Es ist der BVerfG, Beschl., v. 09.08.2018 – 2 BvR 1228/16 – den mir der Kollege Just aus Hamburg vor einiger Zeit übersandt hat. Der Kollege schildert die Vorgeschichte dieser Entscheidung wie folgt:

„Da sich der zugrundeliegende Sachverhalt nicht aus dem Beschluss ergibt:

In einem Steuerstrafverfahren stellte die BuStra diverse Unterlagen des Mandanten sicher. Ich beantragte Akteneinsicht. Es passierte ewig nichts. Sachstandsanfragen wurden lediglich mit „Die Akte ist derzeit anderweitig versandt“ beantwortet. Ich beantragte richterliche Entscheidung über die Sicherstellung (Beschlagnahme wird bestätigt) und dann Beschwerde zum LG. Da uns weder vor der Entscheidung des Amtsgerichts noch vor der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Akteneinsicht gewährt worden war und die Gerichte die Ansicht vertraten, dies müsse man auch nicht, rügten wir nach einer ebenfalls erfolglosen Gehörsrüge die Verletzung des grundgesetzlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör mit einer Verfassungsbeschwerde. Diese dümpelte über ein Jahr vor sich hin. Zwischenzeitlich erreichten wir die Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a StPO. Der Mandant erhielt seine Unterlagen zurück. Damit war dann der Grund für die Verfassungsbeschwerde entfallen und das Bundesverfassungsgericht hatte nur noch über die Kosten der Verfassungsbeschwerde zu entscheiden.

Nachdem das Verfahren fast ein weiteres Jahr in Karlsruhe lag, entschied das Bundesverfassungsgericht nun, dass unserem Mandanten die Auslagen für seine Verfassungsbeschwerde nicht zu erstatten sind. Zwar gebe es diverse Grundsatzfragen, die im Zusammenhang mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfen worden waren, allerdings sei das Verfahren über die Auslagenerstattung nicht dazu geeignet, diese grundsätzlichen Fragen abschließend zu klären.“

Und aus dem BVerfG-Beschluss:

„1. Nach Erledigung der Verfassungsbeschwerde ist über die Erstattung der dem Beschwerdeführer entstandenen Auslagen nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden (§ 34a Abs. 3 BVerfGG). Dabei ist eine Gesamtwürdigung aller be­kannten Umstände vorzunehmen. Mit Blick auf die Funktion und Tragweite verfas­sungsgerichtlicher Entscheidungen kommt eine summarische Prüfung der Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde regelmäßig nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 85, 109 <115 f.>; 87,.394 <398>; 133, 37 <38 Rn. 2>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. März 2017 – 2 BvR 144/17 -, juris, Rn. 2; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 9. Februar 2017 – 1 BvR 309/11 -, juris, Rn. 2). Eine Erstattung von Auslagen kommt allerdings dann in Be­tracht, wenn die Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde unterstellt werden kann oder wenn die verfassungsrechtliche Lage – etwa durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einem gleich gelagerten Fall – bereits geklärt ist (vgl. BVerfGE 85, 109 <114 ff.>; 133, 37 <38 f. Rn. 2>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 9. Februar 2017 – 1 BvR 309/11 -, juris, Rn. 2; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 8. Juni 2016 – 1 BvR 210/09 -, juris, Rn. 4 f.; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Oktober 2013 – 2 BvR 1446/12 -, juris, Rn. 5 m.w.N.).

Bei der erforderlichen Gesamtwürdigung kommt zudem dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zu (vgl. BVerfGE 85, 109 <114 f.>; 87, 394 <397>). Beseitigt die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfas­sungsbeschwerde angegriffenen Akt oder hilft sie der Beschwer auf andere Weise ab, kann – soweit keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind – davon ausgegan­gen werden, dass sie das Begehren des Beschwerdeführers selbst für berechtigt erachtet hat. In diesem Fall ist es billig, die öffentliche Hand ohne weitere Prüfung an ihrer Auffassung festzuhalten und sie zu verpflichten, die Auslagen des Be­schwerdeführers in gleicher Weise zu erstatten, wie wenn der Verfassungsbeschwerde stattgegeben worden wäre (vgl. BVerfGE 85, 109 <115>; 87, 394 <397>).

2. Gemessen daran kommt eine Auslagenerstattung hier nicht in Betracht.

a) Allein dadurch, dass das Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdefüh- 5 rer gemäß § 153a StPO eingestellt wurde, haben die Ermittlungsbehörden nicht zum Ausdruck gebracht, dass sie die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen über die Beschlagnahme für grundrechtswidrig halten.

b) Im Übrigen war die Verfassungsbeschwerde auch nicht in einer Weise of- 6 fensichtlich begründet, die eine Auslagenerstattung rechtfertigen würde.

Ob die zu Haftfällen entwickelte und später auf Wohnungsdurchsuchungen und Anordnungen dinglichen Arrests erstreckte Rechtsprechung des Bundesver­fassungsgerichts zur Akteneinsicht im strafprozessualen Beschwerdeverfahren (vgl. BVerfGK 3, 197; 7, 205; 10, 7; 12, 111) auch auf Beschlagnahmen übertra­gen werden kann, ist umstritten (vgl. Laufhütte/Willnow, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 147 Rn. 16 einerseits und Michalke, NJW 2013, S. 2334 andererseits) und verfassungsrechtlich noch abschließend nicht geklärt (vgl. auch BVerfGK 1, 45 <46>). Aus der Senatsentscheidung vom 9. März 1965 (BVerfGE 18, 399) ergibt sich nichts anderes. Dort hatte das Bundesverfassungsgericht ei­nen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör durch die unterbliebene Akteneinsicht im Beschwerdeverfahrpn nurzleshalb bejaht, weil dem Beschwerde­führer auch Unterlagen vorenthalten worden waren, in die dem Verteidiger die Einsicht gemäß § 147 Abs. 3 StPO in keiner Lage des Verfahrens versagt werden darf, und es nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die angefochtene Ent­scheidung auf diesen Unterlagen beruhte (vgl. BVerfGE 18, 399 <405 f.>). Weiter­gehende Aussagen lassen sich dieser Entscheidung nicht entnehmen (vgl. auch Park, StV 2009, S. 276 <281>). Das Verfahren über die Auslagenerstattung ge­mäß § 34a Abs. 3 BVerfGG bietet weder Möglichkeit noch Anlass, diese Fragen abschließend zu klären.

Entsprechendes gilt, soweit der Beschwerdeführer unter Hinweis auf die ein- 8 schlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf die Möglichkeit hinweist, die Entscheidung über die Beschwerde bis zur Gewährung von Akten­einsicht zurückzustellen. Diese Rechtsprechung steht nur deswegen mit dem Ge­bot effektiven Rechtsschutzes in Einklang, weil dem Feststellungsinteresse des Beschwerdeführers in diesen Fällen nicht mit gleicher Eilbedürftigkeit nachge­kommen werden muss wie einem Anfechtungsbegehren, das sich gegen einen fortdauernden Eingriff richtet (vgl. BVerfGK 10, 7 <11>; 12, 111 <117>). Danach kann diese Rechtsprechung jedenfalls nicht ohne Weiteres auf Fälle einer noch andauernden Beschlagnahme übertragen werden.

Aus der wiederholten Versagung von Akteneinsicht aufgrund anderweitiger 9 Versendung der Akte ergibt sich jedenfalls kein offensichtlicher Gehörsverstoß, auf dem die Beschwerdeentscheidung beruhen würde. Denn bis zu diesem Zeit­punkt wurde die Akteneinsicht jedenfalls auch wegen Gefährdung des Untersu­chungszwecks bis zum Abschluss der Ermittlungen versagt.“

Erweiterte (Akten)Einsicht im Bußgeldverfahren, oder: Wenn das AG München dem VerfG Saarland die Leviten liest

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Heute möchte ich dann mal wieder ein paar Entscheidungen zur Akteneinsicht vorstellen. Darunter auch zwei Entscheidungen zur Akteneinsicht im Bußgeldverfahren bzw. zur Einsicht in Messunterlagen pp. Dazu merke ich an, dass ich nicht mehr alle Entscheidungen, die mir zu der Problematik vorliegen, im Einzelnen vorstellen werde, sondern nur noch in losen Abständen im Block. Die damit zusammenhängenden Fragen sind nämlich „ausgekaut“. Es stehen sich zwei Lager unversöhnlich gegenüber, die OLG mauern. Da bringt es m.E. kaum noch etwas, immer wieder neue Entscheidungen vorzustellen. Zumal der Kollege Gratz aus dem VerkehrsrechtsBlog das ja unermüdlich tut. Bei ihm kann man sich darüber dann (auch) hervorragend informieren. Ich bringe hier nur noch besondere Entscheidungen.

Und eine besondere Entscheidung ist der AG München, Beschl. v. 16.08.2018 – 953 OWi 155/18, über den der Kollege Gratz ja auch schon berichtet hat; bei ihm habe ich mir die Entscheidung geklaut. „Besonders“ ist der Beschluss in meinen Augen vor allem wegen der Diktion des Amtsgerichts.

Das AG lehnt – wie in Bayern kaum anders zu erwarten – die „erweiterte Akteneinsicht“ ab. Seine Nibelungentreue gegenüber dem OLG Bamberg begründet es wie folgt:

„Akteneinsicht ist nur in dem Gericht vorzulegende Unterlagen zu gewähren (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 147 Abs. 1 StPO). Die vom Verteidiger benannten Unterlagen gehören nicht dazu. Denn sie befinden sich nicht in der dem Gericht vorzulegenden Akten und müssen sich mangels Anhaltspunkte für ihre Verfahrensrelevanz darin auch nicht befinden.

Auch aus dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs ergibt sich nichts anderes. Ohne konkrete Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten bei der Messung besteht weder für das Gericht Anlass zu entsprechenden Beweiserhebungen noch für den Betroffenen oder Verteidiger Anlass zu einem generellen und nicht auf Tatsachen gestützten Misstrauen gegen eine für Messungen der verfahrensgegenständlichen Art ordnungsgemäß zugelassenen Messmethode. Demgemäß geht das Recht auf rechtliches Gehör vor Gericht (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht weiter als die Aufklärungspflicht des Gerichts, auf welche erforderlichenfalls durch die Stellung geeigneter Beweisanträge Einfluss genommen werden kann.

Dasselbe gilt für den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 EMRK, sofern diese Vorschrift im Bußgeldverfahren überhaupt gilt, da sie sich nach ihrem Wortlaut nur auf Zivilsachen und Strafsachen bezieht).

Die zur Stützung des Antrags bemühte Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofes ändert an dieser Rechtslage nicht. Das OLG Bamberg hat dazu in dem Beschluss vom 13.06.2018 (3 Ss OWi 626/18) das Nötige gesagt. Allenfalls ergänzend sei noch erwähnt, dass die maßgeblichen Rechtsfragen abschließend durch Bundesrecht geregelt sind. Bundesrecht bricht Landesrecht (Art. 31 GG). Der Prüfungsmaßstab des Saarländischen Verfassungsgerichtshofes war dagegen ausschließlich die Saarländische Landesverfassung, welche nur im Saarland gilt und auch dort in der in Betracht zu ziehenden Normenhierarchie erst nach dem maßgeblichen Bundesrecht kommt. Diesen Gesichtspunkt hat der Saarländische Verfassungsgerichtshof völlig außer Acht gelassen. Es hat seine Kompetenz eindeutig überschritten. Seine Entscheidung stellt sich daher als Ausdruck des allenthalben zu beobachtenden Rückfalls in den Partikularismus dar. Dem ist aus Gründen der Vernunft und mit Rücksicht auf Art. 31 GG nicht zu folgen.“

Das ein AG so einem VerfG eines anderen Bundeslandes „die Leviten liest“ halte ich schon für bemerkenswert/besonders. Zum Teufelskreis ist alles gesagt – interessiert das AG München aber nicht. Das Ganze liest sich ein wenig wie: „Ihr da im Saarland seid einfach zu blöd…., wie hier in Bayern wissen wie es richtig geht.“ Na ja, daran zweifle ich. Ich zweifle auch an den Satz/der Meinung, dass Art. 6 EMRK nach Auffassung des AG im Bußgeldverfahren nicht gelten soll.  Auf die Idee ist noch nicht einmal das OLG Bamberg gekommen. Dass die Gerichte den Betroffenen gegenüber unfair sind, bedeutet doch nicht, dass der Fairnessgrundsatz keine Geltung hat. Man ist erstaunt über diese Ansicht…..