Schlagwort-Archive: AG Nürnberg

Zurückverweisung durch das Revisionsgericht, oder: „Berufungsgebühr“ für Beratung, AG-Richter richtet es

Bild von OpenClipart-Vectors auf Pixabay

Ich hatte am vergangenen Freitag über den AG Nürnberg, Beschl. v. 14.02.2024 – 401 Ds 207 Js 8267/22, einen „Rechtspflegerbeschluss“ berichtet (vgl. Zurückverweisung durch das Revisionsgericht, oder: Abwicklungstätigkeiten des Rechtsanwalts?). Gestritten worden ist in dem Verfarhen um die Anwaltsgebühren der „zweiten Bereufungsinstanz“, also die Gebühren nach Aufhebung und Zurückverweisung durch das BayObLG an das LG. Der Pflichtverteidiger war dann dort noch für den Mandanten tätig geworden, dann wurde er entpflichtet. Im Streit war, ob der pflichtverteidiger für seine Informations- und Beratungstätigkeit die Nr. 4124 VV RVG geltend machen kann oder oder die durch die Nr. 4130 VV RVG noch abgedeckt ist. Der Rechtspfleger war von letzterem ausgegangen. Der Pflichtverteidiger hatte dann Erinnerung eingelegt. Und die hatte, wie sich aus dem mir inzwischen übersandten AG Nürnberg, Beschl. v. 02.05.2024 – 401 Ds 207 Js 8267/22 – ergibt, Erfolg:

Der Gebührenanspruch des Verteidigers besteht in beantragter Höhe. Die Kosten sind daher wie tenoriert festzusetzen.

Der Verteidiger war bis zur Entpflichtungsentscheidung des Landgerichts vom 10.01.2024 als Pflichtverteidiger beigeordnet. Das 2. Berufungsverfahren ist gemäß § 21 RVG gegenüber dem Revisionsverfahren, dem 1. Berufungsverfahren und der 1. Instanz eine eigene Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG. Das 2. Berufungsverfahren begann gemäß § 34a StPO mit Ablauf des Tages der Beschlussfassung über die Zurückverweisung an das Landgericht Nürnberg-Fürth, vorliegend mit Ablauf des 23.11.2023.

Voraussetzung für das Anfallen einer Gebühr im 2. Berufungsverfahren ist eine kostenauslösende Tätigkeit des Verteidigers in diesem Berufungsverfahren. Der Verteidiger schildert hierzu, er habe seinen Mandanten mit Schreiben vom 27.11.2023 über das Ergebnis der erfolgreichen Revision und den weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens informiert. Außerdem habe er seinem Mandanten mit Schreiben vom 13.01.2024 die Sach- und Rechtslage im Hinblick auf die Erfolgsaus-sichten einer etwaigen sofortigen Beschwerde gegen die Entpflichtungsentscheidung des Landgerichts erklärt. Das Schreiben des Verteidigers vom 27.11.2023 ist zeitlich dem 2. Berufungsverfahren zuzuordnen, da es nach Ablauf des 23.11.2023 erfolgte. Soweit der Verteidiger erklärt, hierin dem Mandanten den weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens erklärt zu haben, so ist dies als kostenauslösende Tätigkeit zu werten. Die Information des Mandanten zum 2. Berufungsverfahren ist Betreiben des Geschäfts und nicht durch vorherige Gebühren erfasst. Die Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG zuzüglich Pauschale ist somit angefallen.“

Die Entscheidung ist richtig. Warum der Rechtspfleger falsch lag, hatte ich ja schon am letzten Freitag dargelegt.

Zurückverweisung durch das Revisionsgericht, oder: Abwicklungstätigkeiten des Rechtsanwalts?

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und als zweite Entscheidung dann hier der AG Nürnberg, Beschl. v. 14.02.2024 – 401 Ds 207 Js 8267/22. Der liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Rechtsanwalt ist dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet worden  nd hat ihn seither im ersten, zweiten sowie dritten Rechtszug vertreten. Die Revision des Angeklagten gegen das landgerichtliche Berufungsurteil war teilweise erfolgreich und die Sache wurde mit Beschluss des BayObLG vom 23.11.2023 im Umfang der erfolgten Aufhebung an eine andere Strafkammer des LG Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.

Dort ging die Sache am  29.12.2023 wieder ein und wurde mit dortiger Verfügung vom 03.01.2024 an die 15. Strafkammer übertragen. Als erste Verfahrenshandlung dieser Kammer wurde mit Beschluss vom 10.01.2024 die Pflichtverteidigerbestellung gemäß § 143 Abs. 2 StPO aufgehoben.

Der Rechtsanwalt hat in seinem Kostenfestsetzungsantrag vom 13.01.2024 die Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG samt einer Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG geltend. Der Rechtspfleger des AG hat die Gebühr nicht festgesetzt:

„Grundsätzlich können mehrere Angelegenheiten im Falle einer Verweisung entstehen. Zu unterscheiden ist dabei danach, ob an ein Gericht desselben oder eines niedrigeren Rechtszugs verwiesen wird. Bei einer Verweisung an das Gericht desselben Rechtszugs zählt das weitere Verfahren noch zur selben gebührenrechtlichen Angelegenheit (§ 20 S. 1 RVG). Wird dagegen – wie vorliegend – an ein Gericht eines niedrigeren Rechtszugs verwiesen, handelt es sich bei dem weiteren Verfahren nach Verweisung um eine neue Angelegenheit i. S. d. § 15 RVG (§ 20 S. 2 RVG).

Damit die Gebühr nach VV Nr. 4124 RVG entsteht, muss allerdings auch eine entsprechende, die Gebühr auslösende Tätigkeit des Anwalts erfolgt sein. In seinen Ausführungen gibt Rechtsanwalt pp. auf Nachfrage des Gerichts hierzu an, er habe seinem Mandanten mit Schreiben vom 13.01.2024 die Sach- und Rechtslage im Hinblick auf die Erfolgsaussichten einer etwaigen sofortigen Beschwerde gegen die Entpflichtungsentscheidung erläutert. Er habe seinen Mandanten weiterhin mit Schreiben vom 27.11.2023 auch über das Ergebnis der erfolgreichen Revision und den weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens informiert.

Grundsätzlich gilt für die Gebühr VV-Nr. 4124 RVG, dass die Einlegung einer Berufung und die Besprechung der erstinstanzlichen Entscheidung noch durch die Verfahrensgebühr der ersten Instanz abgedeckt sind. Analog auf das Verfahren nach Zurückverweisung angewendet ist demnach die im Schreiben vom 27.11.2023 entfaltete Tätigkeit noch von der – bereits am 23.01.2024 aufgrund eines anderen Kostenfestsetzungsantrages des Antragstellers – festgesetzten Verfahrensgebühr der dritten Instanz abgedeckt. Eine allgemeine Information über den grundsätzlichen weiteren Verlauf der neuen Berufungsinstanz vor der eigentlichen Anhängigkeit bei der 15. Strafkammer löst ebenfalls noch keine neue Verfahrensgebühr aus. Es ist üblich, dass sich nach der Kenntnisnahme einer Entscheidung der Prozessbevollmächtigte gegenüber dem Mandanten mündlich oder schriftlich äußert. Diese Tätigkeit ist jedoch noch der gerade zu Ende gegangenen Instanz zuzurechnen.

Die Erläuterung der Sach- und Rechtslage im Hinblick auf die Erfolgsaussichten einer etwaigen sofortigen Beschwerde gegen die erfolgte Entpflichtung erfolgte zeitlich nach der Entpflichtungsentscheidung. Allein deshalb ist bereits keine Grundlage mehr für eine Festsetzung gegen die Staatskasse gegeben. Zudem ist jedoch anzumerken, dass die im Schreiben vom 13.01.2024 entfaltete Tätigkeit m.E. an der Stelle in der neuen Berufungsinstanz die Gebühr VV-Nr. 4124 RVG generell auch noch nicht ausgelöst hat: Die von Rechtsanwalt pp. Fundstelle „Burhoff, Nr. 4124 VV, Rn. 13″ listet zwar unter den von VV-Nr. 4124 RVG erfassten, allgemeinen Tätigkeit u.a. „Pflichtverteidigerbestellung und damit ggf. zusammenhängende Rechtsmittel“, meint m.E. damit aber auch explizit Tätigkeiten in Bezug nur auf eine Bestellungs- und eben gerade nicht auf eine Entpflichtungsentscheidung. Die Prüfung von Erfolgsaussichten dazu sind m.E. vielmehr zunächst nach den VV-Nr. 2100 ff RVG durch den Mandanten selbst zu tragen. Wäre ein Rechtsmittel eingelegt worden, würden dafür dann die üblichen Anrechnungsmodalitäten auf später entstehenden Gebühren gelten.

Die Post- und Telekommunikationspauschale war ebenfalls abzusetzen, da diese grundsätzlich nur entstehen kann, wenn auch eine Gebühr in einer Angelegenheit entstanden war.“

M.E. falsch. Die Argumentation ähnelt der, die wir bei der Frage nach der Erstattung der Gebühren kennen, wenn die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel vor Begründung zurücknimmt. Zudem ist die Revisionsinstanz mit der Entscheidung des Revisionsgerichts beendet und es liegt eine neue Angelegenheit vor, die eben nicht mehr von der Gebühr für das Revisionsverfahren honoriert wird. Die Tätigkeiten des Rechtsanwalts gehen m.E. auch erheblich über bloße Abwicklungstätigkeiten hinaus. Also: Die Gebühr hätte festgesetzt werden müssen.

HV-Terminsgebühr in den Verbindungsfällen …., oder: Terminsgebühr ohne förmlichen Aufruf?

Bild von mohamed Hassan auf Pixabay

Und dann als zweite Entscheidung der AG Nürnberg, Beschl. v. 05.02.2024 – 404 Ds 411 Js 54734/23. Auch hier ist Anlass für das Posting, dass die Problematik. Terminsgebühr bei Verbindung erst in der Hauptverhandlung, auch in den vergangenen Tagen in der FB-Gruppe Strafverteidiger diskutiert worden ist.

Folgender Sachverhalt: Gegen den Angeklagten waren mehrere Strafverfahren anhängig. Mit Verfügung vom 07.06.2023 wurde dann im Verfahren Az_1 ein ursprünglich auf den 14.07.2023 bestimmte Termin verlegt auf den 11.07.2023 um 9.00 Uhr. Mit Verfügung vom 14.6.2023 wurde im Verfahren AZ_2 dann Termin zur Hauptverhandlung bestimmt ebenfalls auf den 11.07.2023 um 9.00 Uhr.

Im Hauptverhandlungstermin vom 11.07.2023 wurde nach Feststellung der Anwesenheit, Vereidigung eines Dolmetschers und Erhebung der Personalien des Angeklagten durch den Vorsitzenden festgestellt, dass die Anklage vom 05.05.2023 aus dem Verfahren Az_1 mit Eröffnungsbeschluss vom 06.06.2023 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet worden war. Weiter stellte der Vorsitzende fest, dass im Verfahren Az_2 ein Strafbefehl vom 9.03.2023, zugestellt am 13.03.2023, vorliege und am 21.04.2023 form- und fristgerecht Einspruch eingelegt worden war. Sodann verlas die Vertreterin der Staatsanwaltschaft den Anklagesatz und den Strafbefehl. Im Anschluss wurde das Verfahren Az_2 zum führenden Verfahren Az_1 durch Beschluss verbunden.

Nach Beendigung des Verfahrens hat der als Pflichtverteidiger bestellte Kollege, der mir die Entscheidung  geschickt hat, beantragt, die im Verfahren Az_2 angefallenen Gebühren und Auslagen festzusetzen. Neben der Grundgebühr nach Nr. 4101 VV RVG, der Verfahrensgebühr nach Nr. 4107 VV RVG und der Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG beantragte er auch die Festsetzung einer Terminsgebühr nach Nr. 4109 VV RVG. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die Festsetzung der Terminsgebühr nach Nr. 4109 VV RVG abgelehnt, weil diese mangels Aufrufes des Verfahrens Az_2 nicht angefallen sei. Das Verfahren sei im Termin vom 11.07.2023 durch Beschluss zum führenden Verfahren Az_1 verbunden worden, wodurch ebenfalls kein Aufruf erfolgt sei.

Hiergegen wendet sich der Kollegemit seiner Erinnerung.  Er meint, der unterbliebene Aufruf, der keine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens darstelle, schade nicht. Zumindest sei von einem konkludenten Aufruf auszugehen. Die Erinnerung hatte Erfolg:

„Die zulässige Erinnerung ist in der Sache auch begründet.

Die Terminsgebühr nach RVG VV 4109 ist ebenfalls festzusetzen, weil sie mit (zumindest konkludent erfolgtem) Aufruf der Sache auch im Verfahren 404 Cs 411 Js 52376/23 angefallen ist.

Unabhängig von der Frage, ob der Aufruf der Sache eine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens darstellt, liegt ein solcher hier jedenfalls vor. Zwar enthält das von der Hauptverhandlung unter dem Aktenzeichen 404 Ds 411 Js 54734/23 gefertigte Protokoll lediglich den undifferenzierten Vermerk, dass die Hauptverhandlung mit dem Aufruf zur Sache begonnen habe.

Nach Feststellung der Anwesenheit, Vereidigung des Dolmetschers und Erhebung der Personalien des Angeklagten wurde durch den Vorsitzenden festgestellt, dass die Anklage vom 05.05.2023 mit Eröffnungsbeschluss vom 06.06.2023 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet worden war. Weiter stellte der Vorsitzende fest, dass ein Strafbefehl vom 09.03.2023, zugestellt am 13.03.2023, vorliege und am 21.04.2023 form- und fristgerecht Einspruch eingelegt worden war. Sodann verlas die Vertreterin der Staatsanwaltschaft den Anklagesatz und den Strafbefehl. Erst im Anschluss wurde das Verfahren 404 Cs 411 Js 52376/23 zum führenden Verfahren 404 Ds 411 Js 54734/23 durch Beschluss verbunden.

Damit hatte der Vorsitzende bereits vor Verbindung der Verfahren unmissverständlich kundgetan, dass er nicht nur über die Anklage im Verfahren 404 Ds 411 Js 54734/23, sondern auch über den Strafbefehl im Verfahren 404 Cs 411 Js 52376/23 verhandeln wolle. Sodann wurden sowohl die Anklageschrift als auch der Strafbefehl verlesen. Im Zeitpunkt der Verbindung war damit mit der Verhandlung in beiden Verfahren bereits begonnen worden und die Terminsgebühr bereits angefallen.“

Die Entscheidung ist zutreffend. Auf zwei Punkte will ich hinweisen:

1. Die entstandene Hauptverhandlungsterminsgebühr ist nicht dadurch wieder entfallen, dass nach Beginn der Hauptverhandlung auch im Verfahren Az_2 dieses Verfahren zum Verfahren Az_1 hinzuverbunden worden ist. Denn bis dahin haben zwei selbständige Strafverfahren vorgelegen, in denen alle Gebühren, also auch die Terminsgebühr im Verfahren Az_2, entstehen konnten (vgl. dazu und ähnlich LG Kiel, Beschl. v. 21.6.2023 – 2 Qs 41/23 ). Auch die fast zeitgleiche Terminierung der beiden Verfahren hat nicht zu einer Verbindung mit der Folge, dass danach nur noch ein Verfahren vorgelegen hätte und im (früheren) Verfahren AZ-2 keine eigenständigen Gebühren mehr entstehen konnten, geführt (LG Hanau RVGreport 2005, 382; LG Potsdam JurBüro 2013, 587 = RVGreport 2014, 68).

Durch die später erfolgte Verbindung der beiden Verfahren ist die im Verfahren Az-2 bereits entstandene Terminsgebühr auch nicht nachträglich wegfallen. Das folgt aus dem Rechtsgedanken des § 15 Abs. 4 RVG. Die spätere Verbindung hat auf bereits entstandene Gebühren keinen Einfluss (zu den Verbindungsfragen auch mein Beitrag in AGS 2022, 433).

2. Auch wenn ein förmlicher Aufruf für das Entstehen der Terminsgebühr nicht erforderlich ist, sollte der Verteidiger den gebührenrechtlich sichersten Weg gehen und darauf achten und den Vorsitzenden erinnern, dass er ggf.  förmlich aufruft und das auch im Protokoll der Hauptverhandlung festhält. Das erspart unnütze Diskussionen und Rechtsmittel wie die vorliegende Erinnerung. Allerdings ist insoweit anzumerken, dass hier mal wieder unverständlich ist, dass die Urkundsbeamtin die Terminsgebühr nicht festgesetzt hat. Die bereits zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung vorliegende (obergerichtliche) Rechtsprechung ließ m.E. keinen Zweifel daran zu, dass die Terminsgebühr festzusetzen war.

U-Haft II: In der JVA Laptop für die Akteneinsicht, oder: „Kurze“ Fahrt zur Vorführung vor zuständigen Richter

© cunaplus – Fotolia.com

Und im zweiten Posting dann zwei Entscheidungen betreffend das „U-Haft-Verfahren“.

Zunächst der Hinweis auf den LG Nürnberg, Beschl. v. 07.11.2023 – 13 Qs 56/23 – zur Frage der Form der Akteneinsicht in Akten mit besonders großem Aktenumfang, wenn der Beschuldigte inhaftiert ist. Dazu das LG (im Leitsatz):

Dem Beschuldigten ist in Strafverfahren mit besonders großem Aktenumfang zur effektiven Vorbereitung auf die Hauptverhandlung Akteneinsicht auch in Form von elektronischen Dokumenten, die auf einem Laptop eingesehen werden können, zu gewähren: Die Staatsanwaltschaft hat der JVA ggf. eine verschlüsselte CD-ROM mit der Akte im pdf-Format zu übersenden und die JVA dem Beschuldigten sodann einen Laptop mit der aufgespielten elektronischen Akte in einem besonderen Haftraum zur Verfügung stellen.

Und dann der AG Nürnberg, Beschl. v. 31.10.2023 – 58 Gs 12014/23 -, mit dem das AG einen Haftbefehl aufgehoben hat. Begründung:

„Der Haftbefehl war aus den folgenden Gründen aufzuheben:

1. Dem Vollzug des Haftbefehls steht der Spezialitätsschutz des § 83h Abs. 1 Nr. 1 IRG entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 19.12.2012, Aktenzeichen: 1 StR 165/12) entfällt ein wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Spezialität bestehendes Verfahrenshindernis gemäß Art. 14 Absatz 1 Buchst. b des Euro-päischen Auslieferungsübereinkommens jedenfalls dann, wenn der Ausgelieferte auf die Rechtsfolgen hingewiesen wurde oder diese Rechtsfolgen aus anderen Gründen kannte. Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Braunschweig (Beschluss vom 26.08.2019, Aktenzeichen: 1 Ws 154/19) entspricht die Vorschrift des § 83h Abs. 2 Nr. 1 IRG derjenigen des Art. 14 Absatz 1 Buchst. b des Europäischen Auslieferungsübereinkommens.

Der vorliegenden Akte kann nicht entnommen werden, dass der Beschuldigte auf die Rechtsfolgen des § 83h Abs. 2 Nr. 1 IRG hingewiesen wurde oder die Rechtsfolgen ander-weitig kannte.

2. Die Vorführung vor den nächsten Richter des Amtsgerichts Fulda verstieß gegen § 115 StPO. Der Beschuldigte wurde am 17.10.2023 um 19:20 Uhr aufgrund des vorliegenden Haftbefehls ergriffen. Eine Pkw-Fahrt von Fulda nach Nürnberg dauert laut Google-Maps etwa drei Stunden, sodass eine Vorführung vor den zuständigen Richter des Amtsgerichts Nürnberg am 18.10.2023 möglich gewesen wäre.2

Interessant m.E. vor allem wegen der Ausführungen des AG unter 2.

Ist die Grundgebühr mit Haftzuschlag entstanden?, oder: Ist es egal, wann der Mandant inhaftiert war?

© beermedia.de -Fotolia.com

Und im Gebührenrecht heute zwei AG-Entscheidungen. Beide falsch, bei so so richtig falsch. Die eine ist m.E. ganz schlimm.

Fangen wir mit der nicht ganz so schlimmen an. Das ist der AG Nürnberg, Beschl. v. 31.07.2023 – 54 Ls 805 Js 19083/18 – zum Haftzuschlag bei der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG. Das AH hat ihn gewährt:

„Zwischen dem Pflichtverteidiger und der Staatskasse ist streitig, ob der Zuschlag zur Grundgebühr Ziffer 4100 VV RVG im Sinne der Ziffer 4101 VVRVG angefallen ist.

Hinsichtlich der widerstreitenden Rechtsauffassungen wird auf die Erinnerung des Verteidigers vom 21.06.2023 einerseits und die Stellungnahme des Bezirksrevisors beim Amtsgericht Nürnberg vom 13.07.2023 andererseits Bezug genommen.

Laut Ziffer 4100 VV RVG entsteht die Grundgebühr gemäß dessen Unterabschnitt 1 neben der Verfahrensgebühr für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall nur einmal, unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt sie erfolgt.

Unstreitig lagen hier Zuschlagsvoraussetzungen in der Weise vor, dass der Angeklagte sich im Verfahren in Haft befand. Fraglich ist einzig und allein, ob trotz vorheriger Einarbeitung des Verteidigers, als sich der Angeklagte noch nicht in Haft befand, sondern auf freiem Fuß war, der Zuschlag auch dann anfällt, wenn der Angeklagte sich zu einem späteren Zeitpunkt des Verfahrens als zur Zeit der Einarbeitung des Verteidigers in Haft befand.

Nach Auffassung des Gerichts ist dies der Fall. Hierfür spricht bereits der Wortlaut von Ziffer 4100 VV RVG Unterabschnitt 1, der für die Grundkonstellation die Entstehung der Verfahrensgebühr als einmalig für die erstmalige Einarbeitung definiert, und zwar unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt sie erfolgt. Spiegelbildlich dazu kann nach der Systematik des Gesetzes für den Zuschlag im Sinne der Ziffer 4101 VV RVG nichts anderes gelten – auch diese fällt an, und zwar unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt sie erfolgt. Mithin ist es nicht erforderlich, dass die Zuschlagsvoraussetzungen zeitgleich zum Zeitpunkt der Einarbeitung vorgelegen haben, sondern nur, dass diese in irgendeinem Verfahrensabschnitt gegeben waren. Nur so ergibt der Zuschlag Sinn. Denn der Aufwand bei Bearbeitung einer Haftsache ist ungleich höher als er einer Nicht-Haftsache; es kann daher nicht von rein zufälligen zeitlichen Konstellationen abhängen, ob der Zuschlag gewährt wird. Genau dies sagt im Grundsatz schon Ziffer 4100 VV RVG aus, indem deren Unterabschnitt 1 gerade unabhängig von der zeitlichen Einordnung die Grundgebühr auslöst. Ziffer 4101 VV RVG ist genau in diesem Lichte zu lesen, weshalb es gerechtfertigt ist, dass ein etwaiger Mehraufwand, der einen Zuschlag rechtfertigt, unabhängig von seiner zeitlichen Komponente rechtlich immer als Teil der Ersteinarbeitung zählt.

Das ist hier der Fall, sodass die Grundgebühr im Sinne der Ziffer 4101 VV RVG mit 192,00 Euro anfiel und nicht wie im Ausgangsbeschluss mit nur 160,00 Euro.“

Die Entscheidung wird den Kollegen PeisL, der sie mir geschickt hat, freuen. Nur: Sie ist falsch. Das AG hatte schon einmal so falsch entschieden, und zwar im AG Nürnberg, Beschl. v. 13.07.2020 – 403 Ds 604 Js 58985/15 .  Ich habe schon damals zu der Entscheidung darauf hingewiesen, dass die amtsgerichtliche Sicht „– mit Verlaub – gebührenrechtlicher Nonsens“ ist. Dabei bleibt es. Denn die Entscheidung des AG ist widersprüchlich. Sie vermischt die Kriterien des Entstehens der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG mit den Kriterien für einen Haftzuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG, bei deren Vorliegen dann die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG mit Zuschlag nach Nr. 4101 VV RVG entsteht. Im Übrigen auch noch hier: Grundgebühr mit Haftzuschlag?, oder: Egal, wann der Mandant inhaftiert war?

Ich hatte dazu ja auch im RVGreport Stellung genommen. Hat ersichtlich nicht genutzt. Abteilung unbelehrbar.