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„durch die Diskussion mit seinem impertinenten Vater“, oder: Die „Gesamtschau reicht für Besorgnis der Befangenheit

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So ganz häufig sind ja Entscheidungen des BGH zur Besorgnis der Befangenheit nicht. Und wenn der BGH entscheidet, haben die in der Instanz gestellten Ablehnungsanträge meist Erfolg. Der BGH scheint, was die Fragen des § 24 StPO angeht, dann doch etwas sensibler als die Tatgerichte zu sein. Ein „schönes“ Beispiel ist der BGH, Beschl. v. 28.02.2018 – 2 StR 234/16. Ergangen ist er auf die Revision eines Angeklagten gegen ein Urteil des LG Frankfurt/Main. Das LG hat den Angeklagten wegen Mordes in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition und Besitz von Munition, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Außerdem hat es die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Also schon ein richtiger Hammer.

Aber: Die Revision hat mit der Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 3 StPO – Mitwirkung eines abgelehnten Richters – Erfolg. Dazu stellt der BGH – man muss etwas weiter ausholen – Folgendes fest:

„1. a) Den abgeurteilten Taten war eine „Vortat“ vorausgegangen:

Der aus Afghanistan stammende Angeklagte war am 11. November 2007 in einen Streit mit seinem Landsmann P. um die Nutzung eines Fahrzeugstellplatzes geraten. Sie hatten ein Treffen vereinbart und waren jeweils davon ausgegangen, dass es zu einer Auseinandersetzung kommen würde. P. hatte deshalb seinen Schwager A. mitgenommen; beide hatten sich mit Schlagwerkzeugen und zumindest einem Messer bewaffnet. Der Angeklagte hatte seinen Sohn Y. S. , einen Boxsportler, sowie seinen Bruder A. S. , der „stark sehbehindert und kriegsversehrt“ war, zum Tatort mitgebracht. Dort war es zu Tätlichkeiten gekommen, bei denen A. S. durch einen Messerstich tödlich verletzt worden war und der Angeklagte sowie sein Sohn Stichverletzungen davongetragen hatten. P. und A. waren deshalb strafrechtlich verfolgt worden. Der Angeklagte hatte widersprüchliche Zeugenaussagen gemacht und auf das Aussageverhalten seines Sohnes Einfluss genommen. Auch deshalb waren P. und A. vom Landgericht – unter Mitwirkung des im vorliegenden Verfahren abgelehnten Vorsitzenden – durch Urteil vom 9. September 2008 freigesprochen worden, weil Notwehr oder Nothilfe nicht ausgeschlossen werden konnte.

Die Familie des Angeklagten ging von dessen Mitverschulden am Tod seines Bruders aus. Er versuchte sich zu entlasten, indem er P. und A. die ganze Schuld zuschob. Solange sich diese in Untersuchungshaft befanden, „stützte dies die Darstellung des Angeklagten.“ Dieses Bild änderte sich durch die Freisprechung von P. und A. und deren Entlassung aus der Untersuchungshaft. Danach geriet der Angeklagte zunehmend in Misskredit.

b) Durch Urteil des Senats vom 17. Juni 2009 – 2 StR 105/09 – wurde das freisprechende Urteil wegen Rechtsfehlern in der Beweiswürdigung aufgehoben. Die Sache wurde an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. Diese war überlastet, weshalb die neue Hauptverhandlung erst am 9. Dezember 2014 begann.

c) Vor diesem Hintergrund beschloss der Angeklagte, „Selbstjustiz“ zu üben, um sich in seinem sozialen Umfeld in ein besseres Licht zu rücken. Er beschaffte sich eine Selbstladepistole nebst Munition; außerdem verfügte er über ein Jagdmesser. Er wollte P. und A. am zweiten Verhandlungstag vor dem Gebäude des Landgerichts abpassen und dort töten. „Für eine Begehung der Tat vor dem Gerichtsgebäude sprach zuletzt, dass die Tat hierdurch noch den Charakter einer öffentlichen Hinrichtung erhielt.“ Die Tötung sollte ihn „retrospektiv wieder ins Recht setzen.“

Die erneute Hauptverhandlung gegen P. und A. begann am 22. Januar 2014. Dem als Zeugen geladenen Angeklagten wurde mitgeteilt, dass er am nächsten Verhandlungstag, dem 24. Januar 2014, nicht erscheinen müsse. P. und A. kamen an jenem Tag gegen 8.45 Uhr vor dem Gerichtsgebäude an und rechneten nicht mit einem Angriff auf ihr Leben. Der Angeklagte hielt sich unter einer Vielzahl von wartenden Besuchern verborgen. Dann gab er in rascher Folge Schüsse auf P. ab, der zu Boden ging. Der Angeklagte verfolgte den fliehenden A. in den Eingangsbereich des Gerichtsgebäudes, wo er diesen mit Schüssen und Messerstichen tötete, um danach den schwerverletzten P. mit Messerstichen zu töten.

2. Darin hat das Landgericht einen Heimtückemord in zwei Fällen gesehen. Es ist auch von einer Tötung aus niedrigen Beweggründen ausgegangen. „Selbstjustiz“ könne „nicht nur deshalb als besonders verwerflich eingestuft werden, weil der Täter aus einem Kulturkreis stammt, in dem der Gesichtspunkt der „Blutrache“ bis heute relevant ist.“ Jedoch sei bei einer Gesamtbetrachtung, auch mit Blick auf das „Gewicht und nähere Umstände der Vortat“, davon auszugehen, dass die Beweggründe des Angeklagten auf tiefster Stufe stünden. „Auch die Umstände der justiziellen Aufarbeitung“ sprächen „entschieden gegen den Angeklagten.“ Er aber habe „der Justiz die Behandlung der Sache durch seine Tat ganz bewusst aus der Hand“ genommen.

II.

Die Revision hat mit der Verfahrensrüge Erfolg. Das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer wegen Besorgnis der Befangenheit gemäß § 24 Abs. 2 StPO ist mit Unrecht verworfen worden (§ 338 Nr. 3 StPO).

1. Dem liegt Folgendes zu Grunde:

a) Zu Beginn der Hauptverhandlung lehnte der Angeklagte den Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit ab.

Dies stützte er auf dessen frühere Mitwirkung an dem Freispruch von P. und A. , weiterhin auf Rechtsfehler in jenem Urteil und dem zugrunde liegenden Verfahren, außerdem auf eine mittelbare Verursachung des Tatentschlusses des Angeklagten durch den Freispruch, ferner auf Bemerkungen des Vorsitzenden in einem anderen Verfahren über „Selbstjustiz“ sowie vor allem auf abwertende Bemerkungen über seine Persönlichkeit im freisprechenden Urteil vom 9. September 2008.

Dabei ging es im Einzelnen um Folgendes:

Bei der Urteilsbegründung in einer anderen Strafsache hatte der abgelehnte Vorsitzende kurz nach der Tat des Angeklagten unter anderem geäußert: „Selbstjustiz ist durch die Tat vom vergangenen Freitag nicht salonfähig geworden und wem das nicht passt, der soll dahin gehen, wo das anders ist.“ Diese Äußerung wurde in einem Zeitungsartikel der F. unter der Überschrift „Formen der Selbstjustiz“ zitiert.

In dem Urteil, mit dem P. und A. freigesprochen worden waren, hatte die Schwurgerichtskammer unter Mitwirkung des abgelehnten Vorsitzenden zu der Zeugenaussage des Angeklagten angemerkt: „Den Angaben von H. S. kann nicht gefolgt werden, weil diese ebenfalls teilweise widerlegt und im Übrigen widersprüchlich sind … .“ Im Zusammenhang mit der Zeugenaussage seines Sohnes wurde angemerkt: „Hierbei kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Erinnerung des Y. S. – ohne böse Absicht – durch die Diskussion mit seinem impertinenten Vater so verfremdet hat, dass er die Ereignisse nicht mehr so wiedergeben kann, wie sie tatsächlich geschehen sind.“

Außerdem hatte das Urteil auf das Verhalten des Angeklagten in einem früheren Gerichtsverfahren wie folgt verwiesen: „Dass H. S. andere zu falschen Aussagen zu bestimmen versucht, ist diesem ebenfalls nicht persönlichkeitsfremd. Er hatte nämlich bereits 2003 vor dem Frankfurter Amtsgericht einen gedungenen Zeugen für sich falsch aussagen lassen.“ Das in Bezug genommene Urteil des Amtsgerichts hatte die Zeugenaussage eines Verwandten des Angeklagten infrage gestellt und dazu bemerkt: „Es drängt sich daher der zwingende Verdacht auf, dass es sich hier um einen Zeugen handelt, der die Unwahrheit vor Gericht gesagt hat.“

b) Der abgelehnte Vorsitzende erklärte dienstlich zu dem Ablehnungsgesuch, dass die Äußerungen im freisprechenden Urteil zugunsten von P. und A. nicht mit der Absicht einer Herabsetzung des Angeklagten verbunden gewesen seien. Seine in der Zeitung – für sich genommen zutreffend – zitierte Äußerung sei aus dem Zusammenhang gerissen worden. Sie sei auf das damalige Verfahren bezogen gewesen und habe nichts mit einer ethnopolitischen Einstellung zu tun. Da es hiernach um eine „bloße Vorbefassung“ mit der Sache gehe, habe er von einer Anzeige nach § 30 StPO abgesehen.

c) Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch als unbegründet verworfen.

Dem BGH reicht es. Er bejaht die Besorgnis der Befangenheit – mehr muss nicht vorliegen! Denn: Erforderlich ist eine Gesamtschau aller vom Angeklagten vorgetragenen Umstände. Die Aspekte seien zwar nicht isoliert, aber in ihrem Zusammenwirken geeignet, die Richterablehnung zu rechtfertigen. Dem kann/ist m.E. nichts hinzuzufügen.

„Wie bescheuert darf man als Vorsitzende Richterin am BFH sein?“, oder: Aber so was von befangen…

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Starten wir in die Woche mit dem BGH, Beschl. v. 17.01.2018 – RiZ 2/16. Ja, das Aktenzeichen ist so richtig, denn es handelt sich um einen Beschluss, der in einem Prüfungsverfahren nach § 62 DRiG ergangen ist. Also etwas ungewöhnlich. Es ist aber auch ein „ungeöhnlicher“ Beschluss. Er gehört für mich in die Kategorie: Soll ich lachen, soll ich weinen, oder zu den Beschlüssen, bei denen man sich beim Lesen fragt: Wie bescheuert muss mal eigentlich sein, wenn man sich als Richter so verhält, wie es hier eine Vorsitzende Richterin am Bundesfinanzhof (!), also keine Anfängerin, getan hat?

In dem beim BGH als Dienstgericht des Bundes anhängigen Prüfungsverfahren – man erfährt leider nicht worum es in dem Verfahren geht – gibt es gegen diese Vorsitzende Richterin am Bundesfinanzhof – der BGH „anonymisiert“ mit Prof. Dr. J. – ein Ablehnungsgesuch der Antragstellerin des Verfahrens. Die wird wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und die Antragstellerin beruf s ich auf das Zeugnis der abgelehnten Richterin berufen. Die nimt zum Ablehnungsgesuch Stellung. Den letzten Absatz ihrer Äußerung hat sie mit dem Satz eingeleitet, die Antragstellerin sei ihr „schon aus dem Studium“ bekannt, „wo sie stets in der ersten Reihe“ gesessen habe. Die Antragstellerin hat dann ihr Ablehnungsgesuch ergänzend auf die Ausführungen der abgelehnten Richterin in ihrer dienstlichen Stellungnahme gestützt.

Und – ich denke – es überrascht nicht: Das Ablehungsgesuch hat Erfolg:

„II.
Das Ablehnungsgesuch gegen Vorsitzende Richterin am Bundesfinanzhof Prof. Dr. J. , über das der Senat unter Beteiligung ihres ersten Vertreters entscheidet (BVerwG, Beschluss vom 24. März 2017 – 2 WD 13/16, juris Rn. 4), ist begründet.

Auf die Ablehnung eines Richters im Prüfungsverfahren sind nach § 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG, § 54 Abs. 1 VwGO die §§ 41 bis 49 ZPO entsprechend anzuwenden. Wegen Besorgnis der Befangenheit findet nach § 42 Abs. 2 ZPO die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Ein solcher Grund ist gegeben, wenn aus der Sicht eines Verfahrensbeteiligten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Dezember 2015 – RiZ(R) 1/15, – RiZ(R) 2/15 und – RiZ(R) 3/15, jeweils juris Rn. 3 mwN). Nicht erforderlich ist dagegen, dass tatsächlich eine Befangenheit vorliegt. Vielmehr genügt es, dass die aufgezeigten Umstände geeignet sind, einem Verfahrensbeteiligten Anlass zu begründeten Zweifeln zu geben; denn die Vorschriften über die Befangenheit von Richtern bezwecken, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. März 2012 – V ZB 102/11, NJW 2012, 1890 Rn. 10, vom 20. August 2014 – AnwZ 3/13, NJW-RR 2014, 1469 Rn. 5 und vom 18. Dezember 2014 – V ZR 84/14, NJW-RR 2015, 445 Rn. 5; BVerfGE 108, 122, 126/129).

Danach liegt ein Ablehnungsgrund vor. Die dienstliche Stellungnahme, die eine mit den bis dahin vorgetragenen Ablehnungsgründen nicht in Zusammenhang stehende wertende Schilderung von Jahrzehnte zurückliegenden Vorgängen enthält, gibt aus Sicht der Antragstellerin – mehr ist für den Erfolg des Ablehnungsgesuchs nicht erforderlich – Anlass zu begründeten Zweifeln an der Unparteilichkeit der abgelehnten Richterin.“

Erfrischend kurz. Aber mehr braucht der BGH nun wirklich nicht zu schreiben. Jedes weitere Wort wäre bei dieser an der Stelle völlig unnötigen – noch nicht mal witzigen – Bemerkung – zu viel gewesen. Das Ablehnungsgesuch ist nämlich so was begründet.

Man fragt sich dann allerdings, was das soll. Entweder ist die abgelehnte Richterin wikrlich „bescheuert“ oder hat kein Feeling“, beides wäre fatal, denn immerhin ist sie Vorsitzende Richterin am BFH. Da sollte man wissen, dass man sich so nicht äußert. Oder, was auch sein kann, aber auch nicht darf: Sie hat einen Weg gesucht, sich selbst aus dem Verfahren herauszuschießen. Nun, den hat sie gefunden.

Gutachten in einem anderen Prozess, oder: Wann ist der Sachverständige – im Zivilverfahren – befangen?

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Zivilprozessrecht habe ich bisher im Blog wenig gemacht, was damit zu tun hat, dass die m.E. geeigneten Entscheidungen fehlen und ich da noch weniger Ahnung habe als im „materiellen“ Zivilrecht. Da halte ich mich dann lieber bedeckt. Jetzt habe ich aber vom Kollegen Nugel aus Essen einen Beschluss bekommen, der ganz gut passt. Es handelt sich um den OLG Köln, Beschl. v. 05.02.2018 – 9 W 4/18 -, in dem das OLG zu Ablehnungsfragen Stellung genommen hat. Der Kläger, der von der Beklagten Versicherungsschutz für die durch einen Verkehrsunfall vom 7.10.2013 in Köln verursachten Schäden an seinem versicherten PKW verlangt, wendet sich mit seiner sofortigen Beschwerde gegen einen Beschluss des LG, mit dem sein Antrag auf Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt wurde. Dem jetzigen Verfahren ging ein anderer Rechtsstreit des Klägers vor dem LG Köln voraus, in welchem der Sachverständige ein Gutachten zum Unfallhergang erstellt hatte. Das LG hat die Erhebung des Beweises angeordnet über die Frage der Kompatibilität der Schäden betreffend den streitgegenständlichen Unfall durch Verwertung dieses Gutachtens des Sachverständigen  sowie durch dessen Anhörung vor der Kammer. Mit Beschluss vom 27.11.2017 ordnete das Landgericht die Verwertung dieses Gutachtens gem. § 411a ZPO an. Das LG hat den Antrag abgelehnt. Das OLG folgt dem und sagt: Unzulässig, aber auch unbegründet. Dazu dann folgende Leitsätze:

  • Die zweiwöchige Frist für einen Ablehnungsantrag gegen einen Sachverständigen beginnt bereits, wenn die Ernennung auch nur formlos mitgeteilt wurde.

 

  • Der Sachverständige überschreitet nicht seinen Gutachterauftrag, wenn er den Hergang eines Verkehrsunfalls aufklären soll und zu diesem Zweck auch überprüft, ob die geltend gemachten Schäden der Fahrzeuge zueinander kompatibel sind.

 

  • Selbst wenn ein Sachverständiger seinen Gutachterauftrag überschreitet, vermag allein dieser Umstand nicht die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, sondern es muss hinzutreten, dass er aus Sicht einer Partei damit den Eindruck der Voreingenommenheit erweckt.

Zumindest die Ausführungen zur Begründetheit kann man auch mal im Strafverfahren gebrauchen.

Formelhafte Ablehnung eines Beweisantrages, oder: Was zur Erforschung der Wahrheit alles nicht erforderlich ist

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Das OWiG sieht in § 77 Abs. 2 OWiG für das Bußgeldverfahren gegenüber dem Strafverfahren erweiterte Möglichkeiten für die Ablehnung von Beweisanträge vor. Davon wird von den Amtsgerichten gern Gebrauch gemacht. Das gilt vor allem für die Möglichkeit der Zurückweisung, weil zur „Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich“ in Nr. 1. Damit hat sich vor einiger Zeit noch einmal das KG befasst (vgl. KG, Beschl. v. 25.01.2017 – 3 Ws (B) 25/17).

Der Betroffene hatte in der Hauptverhandlung wegen des Vorwurfs eines Rotlichtverstoßes einen Beweisantrag zu einem Ampelschaltplan gestellt, und zwar unter ausdrücklicher Bezugnahme auf ein dem Ampelschaltplan widersprechendes Video. Beantragt worden war die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass der in Augenschein genommene Ampelschaltplan nicht die Schaltung zum Unfallzeitpunkt wiedergibt. Das AG hat den Beweisantrag nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zurückgewiesen, „da das Gericht den Sachverhalt nach dem bisherigen Ergebnis der Hauptverhandlung für geklärt ansieht und nach seinem pflichtgemäßen Ermessen die Beweisaufnahme zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist“. Das KG hat im in seinem Beschluss diese formelhafte Ablehnung des Antrages als unzulässig angesehen:

„b) Die Rüge ist auch begründet. Das Amtsgericht hat den Beweisantrag nicht mit zulässiger Begründung zurückgewiesen. Es kann offen bleiben, ob das in Augenschein genommene Video tatsächlich „ampelschaltplanwidrig“ das gleichzeitige Aufleuchten dreier Ampelregister (K1 bis K3) zeigte. War dies nämlich der Fall, so durfte das Amtsgericht den Beweisantrag nicht zurückweisen, und ganz gewiss durfte es nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass der Ampelschaltplan für den nach Norden abbiegenden Verkehr (Zeuge F.) fehlerhaft ist, aber für den Zeugen M. und den Betroffenen zutreffende Schaltungen wiedergibt. In diesem Fall musste sich das Erfordernis der Klärung nachgerade aufdrängen (vgl. Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 21. Juni 2012 – 2B – 155/12 – [juris]). Zeigte das Video hingegen nicht, dass die Ampelregister K1 und K2 (geradeaus nach Osten) und K3 (links nach Norden) gleichzeitig leuchteten, so hätte das Amtsgericht dies im Gerichtsbeschluss oder spätestens im Urteil darlegen müssen. Denn nur in diesem Fall hätten keine greifbaren Anhaltspunkte dafür bestanden, dass der Ampelschaltplan nicht die Schaltung zur Unfallzeit wiedergibt, und das Amtsgericht hätte von der durch § 77 OWiG ermöglichten Befreiung vom Verbot der Beweisantizipation Gebrauch machen dürfen.“

Klassischer Verteidigerfehler I, oder: Wann wurde der Beweisantrag gestellt? Das muss man sagen.

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Einen klassischen Verteidigerfehler in Zusammenhang mit der Begründung der Verfahrensrüge, mit der die rechtsfehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrages – hier im Bußgeldverfahren – geltend gemacht wird, behandelt der OLG Hamm, Beschl. v. 24.01.2017 – 4 RBs 7/17. Denn aus dem Rügevorbringen des Verteidigers (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) ergab sich nicht, dass der entsprechende Beweisantrag in der Hauptverhandlung gestellt wurde und nicht etwa nur schriftsätzlich vor der Hauptverhandlung. Das OLG erledigt das in einem Zusatz:

„Der Senat weist darauf hin, dass hinsichtlich der gerügten fehlerhaften Ablehnung dreier Beweisanträge insoweit ebenfalls Bedenken im Hinblick auf die Anforderungen der §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 StPO bestehen, da nach der Rechtsbeschwerdebegründung, aus der allein der gerügte Rechtsfehler für das Rechtsbeschwerdegericht erkennbar werden muss (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 344 Rdn. 20 f.), unklar bleibt, ob die Beweisanträge in der Hauptverhandlung   gestellt wurden oder nur zuvor schriftsätzlich angekündigt worden waren. Nur für in der Hauptverhandlung gestellte Beweisanträge gilt das Regelwerk des § 244 Abs. 3 bis Abs. 6 StPO (BGH, Beschl. v. 21.12.2010 – 3 StR 462/10 – juris; BGH, Beschl. v. 18.05.1995 – 1 StR 247/95 – juris; VerfGH Brandenburg, Beschl. v.  14.10.2016 – 84/15 – juris m.w.N.).

Dafür, dass es sich lediglich um schriftsätzlich angekündigte Anträge handelt, könnte sprechen, dass formuliert ist: „Der Unterzeichner hat als Verteidiger des Betroffenen zuvor folgende Hauptbeweisanträge […] überreicht“. Auch heißt es in dem Zitat dieser Beweisanträge: „Weitere Beweisantritte müssen wir uns für die Hauptver-handlung vorbehalten“. Zwar wird in dem angefochtenen Urteil mitgeteilt, dass Beweisanträge auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Tätereigen-schaft des Betroffenen  und Vernehmung zweier Zeugen dazu, dass ein Dritter der Fahrzeugführer war, gestellt wurden. Die danach beantragten Beweiserhebungen entsprechen denen, die deren Vornahme auch nach der Rechtsbeschwerde-begründung angestrebt war. Indes ergibt sich weder aus den Urteilsgründen noch aus der Rechtsbeschwerdebegründung, dass es sich exakt um dieselben Anträge handelte und nicht etwa z.B. die Antragsbegründung inhaltlich abweichend war. Dies ist umso bedeutender, als auch der in der Rechtsbeschwerdebegründung zitierte Beweisantrag auf Akteninhalte Bezug nimmt, welche weder in der Rechtsbe-schwerdebegründung mitgeteilt werden, noch sich (auch nicht über einen zulässigen Verweis nach § 267 Abs. 1 StPO) aus dem angefochtenen Urteil selbst ergibt. Es handelt sich um den Verweis auf Bl. 6 und 8 d.A. sowie Bl. 16 („Anhalteprotokoll“) und Bl. 15 d.A. („Messprotokoll“). Auch diese Versäumnisse wecken Bedenken gegen die Zulässigkeit der Verfahrensrüge.“

Tja, das darf man natürlich nicht vergessen, wenn man vor der Hauptverhandlung einen Beweisantrag stellt/ankündigt. Den muss man dann als Verteidiger auch in der Hauptverhandlung stellen und den Umstand, wenn der Antrag abgelehnt worden ist, dann auch später zur Begründung der Verfahrensrüge vortragen. Sonst bleibt nur die Aufklärungsrüge. Und wenn die durchgeht, fallen „Ostern und Weihnachten“ auf einen Tag 🙂 .