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Führt die Übersendung von Entscheidungen an Fachzeitschriften und der Erhalt einer Aufwandsentschädigung hierfür zur Befangenheit?

Das KG hatte sich – in einem Zivilverfahren – mit der (interessanten) Frage auseinanderzusetzen, ob die Übersendung von Entscheidungen an Fachzeitschriften und der Erhalt einer Aufwandsentschädigung hierfür zur Befangenheit der Richters führt. Geltend gemacht war von der Beklagten, „es bestehe die Besorgnis, dass der Richter am Kammergericht xxx befangen sei. Er sei seit langer Zeit dem Kläger vertraglich verbunden, in dem er der Vereinsschrift der Beklagten „xxx“ Beiträge zur Verfügung stelle und hierfür Geld erhalte. Der „xxx“ sei keine gewöhnliche Fachzeitschrift, sondern ein „Parteiorgan“. Der Richter zitiere auch, „wohl wissend, dass die allermeisten Prozessbeteiligten diese Zeitschrift nicht abonniert haben“, in von ihm verfassten Urteilen nicht selten aus der Zeitschrift „xxx “ (xxx). Auch dadurch versuche er, die Interessen des Klägers zu fördern. Selbst wenn die vom Kläger an den Richter gezahlten Aufwandsentschädigungen geringfügig gewesen seien, handle es sich um im Hinblick auf eine Korruptionsgefahr bedenkliche Anbahnungszuwendungen. Der Richter sei im Übrigen verpflichtet gewesen, seine besonderen Beziehungen zum Kläger gemäß § 48 ZPO anzuzeigen.

Der KG, Beschl. v. 20.01.2012 – 5 U 125/11 – verneint die Frage:

„Auch die Tatsache, dass die Richter gelegentlich über die hierfür zuständige Verwaltungsstelle des Kammergerichts Entscheidungen des Senats zum Zwecke der Veröffentlichung an die einschlägigen Fachzeitschriften, darunter auch an den vom Kläger herausgegebenen „xxx“, versenden lassen und hierfür in geringer Höhe die üblichen Aufwandsentschädigungen erhalten, vermag bei vernünftiger Betrachtung ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Richter nicht zu rechtfertigen. Mit der Veröffentlichung von Entscheidungen wirken die Richter an der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe mit, bei der die Gerichte an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden sind (Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 19. Dezember 1995 – 10 L 5059/93; BVerwG Urteil vom 26. Februar 1997 – 6 C 3/96). Es steht somit nicht im Belieben der Gerichte, welchen von mehreren einschlägigen Fachzeitschriften Entscheidungen zum Zwecke der Veröffentlichung zugänglich gemacht werden. Der vom Kläger herausgegebene „xxx“ ist eine wettbewerbsrechtliche Fachzeitschrift, die in der einschlägigen Kommentarliteratur zitiert wird (vgl. nur Münchener Kommentar, Lauterkeitsrecht, Bd. 1, § 4 Nr. 11 UWG Fußnote 1272 und Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 27. Aufl., § 12 Rdn. 3.15). Auf diesem Hintergrund werden die zur Veröffentlichung ausgesuchten Entscheidungen des Senats zu wettbewerbsrechtlichen Fragen auch dem „xxx“ übersandt. Die Übersendung von Entscheidungen an den „xxx“ begründet ein Näheverhältnis zwischen den die Veröffentlichung veranlassenden Richtern und dieser Fachzeitschrift nicht. Auch kann in der Übersendung an den „Magazin Dienst“ als einer wettbewerbsrechtlichen Fachzeitschrift keine Förderung der Belange des Klägers gesehen werden. Dass der Herausgeber der Fachzeitschrift xxx“ kein Verlag ist, ändert hieran nichts. Denn für die Veröffentlichungspraxis kommt es darauf an, ob es sich um eine für die jeweilige Fachöffentlichkeit relevante Zeitschrift handelt und nicht darauf, wer die Zeitschrift herausgibt.“

Die eigene Sachkunde der Strafkammer – man kann nicht alles wissen

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Strafkammer trauen sich häufig viel zu, manchmal auch zu viel. Das spielt vor allem eine Rolle, wenn es um die Ablehnung eines Beweisantrages auf Einholung eines Sachverständigengutachten geht (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO). Das ist dann nicht selten ein Punkt, bei dem eine Revision erfolgreich ansetzen kann. Wenn die Kammer nämlich zu Unrecht eigene Sachkunde angenommen bzw. nicht ausreichend begründet hat, warum und wieso sie Sachkunde zur Beurteilung der Beweisfrage hat. So auch im BGH, Beschl. v. 23.05.2012 – 5 StR 172/12. Da hat die Strafkammer in einem Vergewaltigungsverfahren die Aussagetüchtigkeit/Glaubwürdigkeit des Opfers, bei dem ggf. eine paranoide Persönlichkeitsstörung vorlag, „in eigener Kompetenz“ entschieden. Das rügt der BGH:

 bb) Nichts anderes ergibt sich, wenn man – dem Generalbundesanwalt folgend – eine nur missverständlich formulierte Zurückweisung des Be-weisbegehrens unter Inanspruchnahme eigener Sachkunde annimmt (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO). Zwar kann sich das Gericht bei der Beurteilung von  Zeugenaussagen grundsätzlich eigene Sachkunde zutrauen; etwas anderes gilt aber, wenn besondere Umstände vorliegen, deren Würdigung eine spezielle Sachkunde erfordert, die dem Gericht nicht zur Verfügung steht (BGH, Beschlüsse vom 1. März 1994 – 5 StR 62/94, StV 1994, 634, vom 29. Oktober 1996 – 4 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 106, vom 28. Oktober 2008 – 3 StR 364/08, NStZ 2009, 346, 347, und vom 28. Oktober 2009 – 5 StR 419/09, NStZ 2010, 100, 101). Solche Umstände liegen hier vor. Die Diagnose einer paranoiden Persönlichkeitsstörung und deren Auswirkungen auf die Aussagetüchtigkeit erfordert spezifisches Fachwissen, das nicht Allgemeingut von Richtern ist; demgemäß hätte die eigene Sachkunde näherer Darlegung bedurft (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1958 – 4 StR 211/58, BGHSt 12, 18, 20; Beschluss vom 21. Dezember 1983 – 3 StR 437/83, StV 1984, 232). Eine solche ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Vielmehr stellt die Strafkammer unter Heranziehung der im ICD-10 für die paranoide Persönlichkeitsstörung aufgeführten Symptome einen Erfahrungs-satz zu generellen Wechselwirkungen der Störung mit der Aussagetüchtig-keit her, der wissenschaftlicher Absicherung entbehrt (vgl. etwa zu möglichen Übergängen der Störung Nedopil, Forensische Psychiatrie, 3. Aufl., S. 180).

Dürfte wohl richtig sein. Man kann nicht alles (wissen).

 

 

Ablehnung (beim BGH) – zeitlich beschränkt

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Der 1. Strafsenat des BGH hat jetzt im BGH, Beschl. v. 02.05.2012 – 1 StR 152/11 (noch einmal) darauf hingewiesen, dass für die Ablehnung der Richter wegen Besorgnis der Befangenheit bei der Entscheidung im Beschlussweg (§ 349 Abs. 2 StPO), die heute die Regel ist, die zeitliche Schranke des § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO gilt. Ablehnung also nur so lange, wie die Entscheidung nicht ergangen ist. Und das kann man auch nicht damit umgehen, dass das Ablehnungsgesuch mit einer Anhörungsrüge (§ 356a StPO) verbunden wird, wenn eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht vorliegt:

„1. Das Ablehnungsgesuch des Verurteilten ist verspätet und daher unzulässig. Entscheidet das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung im Beschlusswege (hier gemäß § 349 Abs. 2 StPO), so kann ein Ablehnungsgesuch in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO nur so lange statthaft vorgebracht werden, bis die Entscheidung ergangen ist (BGH, Beschluss vom 13. Februar 2007 – 3 StR 425/06, BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 17; BGH, Beschluss vom 7. August 2007 – 4 StR 142/07, NStZ 2008, 55; BGH, Beschluss vom 19. August 2010 – 4 StR 657/09). Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn die Ablehnung mit einem Antrag nach § 356a StPO verbunden wird, der sich, wie auch im vorliegenden Fall (s. unten 2.), deswegen als unbegründet erweist, weil die gerügte Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG nicht vorliegt, so dass insoweit nicht mehr in eine erneute Sachprüfung einzutreten ist.“

Gilt natürlich nicht nur beim BGH, sondern auch in allen anderen vergleichbaren Fällen.

 

„Gut Ding will Weile haben“ oder „Eile mit Weile“ – so schliddert man in die Ablehnung

Nicht aus dem Strafverfahren, sondern mal aus einem Zivilverfahren stammt der OLG Brandenburg, Beschl. v. 23.03.2012 – 1 W 5/12-, der eine Ablehnungsfrage behandelt. Es geht um die mehrfach zögerliche Behandlung von Anträgen udn Stellungnahmen der Parteien durch einen Richter. Dieser hatte mehrmals Zeitspannen von bis drei Monaten und mehr verstreichen lassen, bevor er auf sachliche Eingaben einer Partei reagiert hat, wohl nach dem Satz „Gut Ding will Weile haben. Die Partei hatte damit die Besorgnis der Befangenheit begründet. Und sie hat beim OLG Brandenburg Recht bekommen. Aus den Gründen:

Die Verfahrensdauer des seit dem 05.04.2005 rechtshängigen Prozesses ist ein nachvollziehbarer Anlass für die Besorgnis des in eigener Sache auftretenden Klägers. Dazu gehört die Leitung des Verfahrens zwischen der Übersendung des Gutachtens am 27.04.2006 an die Parteien und dem Beweisbeschluss vom 18.12.2006. Die Parteien hatten zuvor bis 12.09.2006 Stellung genommen, erst am 18.12.2006 erging jedoch ein weiterer Beweisbeschluss. Entgegen dem Vorbringen des Klägers sind zwar nicht 8 Monate ohne eine Tätigkeitwerden des Richters bis zum Erlass eines weiteren Beweisbeschlusses vergangen, da der Richter den Parteien das rechtliche Gehör zu den Ausführungen des Sachverständigen ordnungsgemäß eingeräumt hat, sondern 3 Monate. Dies mag zunächst seine Ursache in dem Umfang und auch der Schwierigkeit der Sache gehabt haben. In der Folgezeit setzte sich diese Vorgehensweise jedoch fort. Der Schriftsatz des Klägers vom 27.11.2008 führte nach den im Laufe des Dezember 2008 eingegangenen Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten zu einem Beschluss über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs gegen den Sachverständigen am 08.04.2009, mithin ebenfalls nach 3 Monaten. Zur Gegenvorstellung des Klägers vom 01.10.2009 gegen den Beweisbeschluss vom 14.09.2009 haben die Parteien bis 19.10.2009 Stellung genommen. Am 11.12.2009 erfolgte ein telefonischer Hinweis des Richters zu beabsichtigten weiteren Vorgehensweise an den Kläger, mithin nach annähernd 2 Monaten.“

Wenn man weiter: Auch der weitere Zeitablauf passt dem OLG nicht:

„Insoweit sind die weiteren Umstände der Verfahrensverzögerung in Übereinstimmung mit der Ansicht des Klägers zwar zu kritisieren, begründen jedoch nicht das Vorliegen von Ablehnungsgründen.“

Immerhin ist inzwischen aber terminiert :-).

Anfängerfehler IV – von der Wahrunterstellung zur Bedeutungslosigkeit

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Das Umgehen mit Beweisanträgen macht den Tatgerichten immer wieder Schwierigkeiten. Das zeigt sich auch in dem dem BGH, Beschl. v.27.03.2012 – 3 StR 31/12 – zugrunde liegenden Verfahren beim Oldenburg. Da hatte die Verteidigung drei Beweisanträge gestellt, die das LG mit einer sog. Wahrunterstellung zurückgewiesen hatte. Im Urteil hat die Strafkammer dann aber ausgeführt, sie halte die Beweisbehauptungen nach Urteilsberatung nunmehr für „unerheblich“. Aus den diesbezüglichen Darlegungen im Urteil ergab sich dann, dass das LG die Beweistatsachen als aus tatsächlichen Gründen für die Entscheidung ohne Bedeutung gewertet hat.

Die Revision hatte Erfolg. Der BGH führt – zur insoweit ständigen Rechtsprechung – aus:

„a) Nach ständiger Rechtsprechung ist das Tatgericht zwar nicht gehalten, die als wahr unterstellte Tatsache noch im Urteil als bedeutsam anzusehen und sie als solche in die Beweiswürdigung einzustellen; es ist daher nicht gehindert, eine zunächst als wahr unterstellte Behauptung im Urteil als aus tat-sächlichen Gründen bedeutungslos zu behandeln (BGH, Urteile vom 15. Mai 1979 – 5 StR 746/78, NStZ 1981, 96; vom 2. November 1982 – 5 StR 308/82, NStZ 1983, 357; vom 24. Januar 2006 – 5 StR 410/05, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung 37; Beschlüsse vom 23. Juli 2008 – 5 StR 285/08, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung; vom 24. Februar  9 – 5 StR 605/08, NStZ-RR 2009, 179). Danach soll auch eine Verpflichtung, die Verfahrensbeteiligten vor der Urteilsverkündung auf die geänderte Rechtsauffassung des Gerichts hinzuweisen, grundsätzlich nicht bestehen (aA mit beachtlichen Gründen etwa KK-Fischer, 6. Aufl., § 244 Rn. 187; LR-Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 310 jeweils mwN). Auf einen dahingehenden Hin-weis darf jedoch bereits nach der bisherigen Rechtsprechung jedenfalls dann nicht verzichtet werden, wenn es naheliegt, dass der Angeklagte wegen der Wahrunterstellung davon absieht, Beweisanträge zu einem Thema zu stellen, das mit der als wahr unterstellten Tatsache im Zusammenhang steht und das – im Gegensatz zu dieser Tatsache – für die Entscheidung möglicherweise von Bedeutung ist (BGH, Beschluss vom 18. Februar 1982 – 2 StR 798/81, BGHSt 30, 383, 385).

b) Ein derartiger Fall liegt hier vor. Der die Beweisanträge im Wege der Wahrunterstellung zurückweisende Beschluss enthält – für sich rechtsfehlerfrei (LR/Becker aaO Rn. 305 mwN) – keine nähere Begründung. Hätte die Strafkammer die gestellten Beweisanträge in der Hauptverhandlung wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der vorgebrachten Beweistatsachen zurückgewiesen, hätte sie dagegen deren Bedeutung für die Entscheidung in freier Würdigung des bisherigen Beweisergebnisses zu beurteilen gehabt und diese Würdigung im Ablehnungsbeschluss im Einzelnen darlegen müssen (LR/Becker aaO Rn. 225 mwN). Da sie die Änderung ihrer Beurteilung in der Hauptverhandlung nicht offengelegt hat, hat sie entsprechende Ausführungen erst in den schriftlichen Urteilsgründen nachgeschoben. Die Revision legt plausibel dar, dass sich im vorliegenden Fall aufgrund der bestehenden Beweislage und der in Betracht kommenden weiteren Beweisaufnahme bei Kenntnis der in den Urteilsgründen für die Bedeutungslosigkeit der Beweistatsachen angeführten Gründe weitere Verteidigungsmöglichkeiten ergeben hätten. Diese Möglichkeiten – insbesondere, auf zusätzliche, hier nicht fernliegende Beweiserhebungen anzutragen – war  der Verteidigung aufgrund des Verfahrensablaufes genommen. Die Verfahrensbeteiligten haben auch aus dem weiteren Geschehen in der Hauptverhandlung nicht schließen können, dass sich die Ansicht der Strafkammer geändert hatte; denn eine weitere Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden und das Tat-gericht ist ausweislich der Urteilsbegründung erst in der Urteilsberatung zu sei-ner neuen Auffassung gelangt. Unter diesen Umständen war eine effektive, die berechtigten Interessen des Angeklagten wahrende Verteidigung nicht möglich.“

In meinen Augen auch ein (Anfänger)fehler, der einer Strafkammer nicht passieren dürfte.