VR I: Mal wieder zur Straßenverkehrsgefährdung, oder: Wie oft denn noch der Gefährdungsschaden?

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Heute dann drei OLG-Entscheidungen zu verkehrsrechtlichen Fragen.

Zum Warmwerden hier zunächst der KG, Beschl. v. 12.04.2024 – 3 ORs 31/24 – 161 SRs 21/24 – zu den erforderlichen Urteilsfeststellungen zum Gefährdungsschaden bei § 315c StGB.

Das AG hat den Angeklagten u.a. wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit verurteilt. Nach den Urteilsfeststellungen wollte der infolge einer Blutalkoholkonzentration von zumindest 0,61 Promille (relativ) fahrunsichere Angeklagte am Tattag ausparken, wobei er gegen einen hinter ihm parkenden PKW stieß. Von der anwesenden Fahrerin dieses Fahrzeugs angesprochen, soll der Angeklagte erwidert haben, sie sei selbst schuld, wenn sie so „bescheuert und so nah“ parke. Hiernach soll der Angeklagte, nunmehr mit bedingtem Schädigungsvorsatz, noch zwei weitere Male gegen das Fahrzeug gefahren sein, ohne dass es durch einen der Anstöße zu einem Schaden gekommen sei. In einer neuen selbstständigen Tat soll der Angeklagte, seine Fahrunsicherheit sorgfaltswidrig missachtend, nach dem Ausparken auf eine mit ihrem Kleinkind auf der Fahrbahn stehende Zeugin zugefahren sein, um diese zu einem ruckartigen Verlassen der Fahrbahn zu veranlassen.

Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hat in Bezug auf den Schuldspruch mit der allgemeinen Sachrüge und zudem hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs mit einer ausgeführten Verfahrensrüge Erfolg.

Zum Schuldspruch führt das KG aus:

3. Die allgemeine Sachrüge dringt durch, weil die Feststellungen den zum Fall 1 getroffenen Schuldspruch der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB) nicht tragen. Sie belegen nicht, dass der Angeklagte die Tat vorsätzlich begangen hat (a), und sie zeigen auch nicht auf, dass einer fremden Sache von bedeutendem Wert ein bedeutender Schaden gedroht hat (b).

a) Das Amtsgericht hat den Angeklagten nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB, also wegen alkoholbedingter vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, verurteilt. Nach den Feststellungen hätte der Angeklagte aber seine Fahrunsicherheit „erkennen können und müssen“ (UA S. 3). Dies belegt nur Fahrlässigkeit.

b) § 315c StGB erfordert zum sog. Gefährdungsschaden zwei Prüfschritte, zu denen im Strafurteil in aller Regel Feststellungen zu treffen sind: Zunächst ist zu fragen, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine solche von bedeutendem Wert gehandelt hat, was etwa bei älteren oder bereits vorgeschädigten Fahrzeugen fraglich sein kann. Handelt es sich um eine Sache von bedeutendem Wert, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob ihr auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, wobei ein tatsächlich entstandener Schaden geringer sein kann als der allein maßgebliche „überschießende“ Gefährdungsschaden. Der Wert der Sache ist hierbei nach dem Verkehrswert und die Höhe des (drohenden) Schadens nach der am Marktwert zu messenden Wertminderung zu berechnen (vgl. BGH NStZ 2019, 677 m. w. N.).

Hier ist schon nicht festgestellt, dass es sich bei dem gefährdeten Fahrzeug um einen Gegenstand von bedeutendem Wert gehandelt hat, wobei die Wertgrenze noch immer bei 750 Euro liegen dürfte (vgl. BGH NStZ-RR 2019, 125; NJW 2017, 743; zuletzt BayObLG, Beschluss vom 27. November 2023 – 203 StRR 381/23 – [juris]). Dass das im Urteil lediglich als PKW Audi bezeichnete Fahrzeug (UA S. 3) überhaupt diesen Wert hatte, mag naheliegen, versteht sich aber nicht von selbst. Selbst wenn man diesen Wert unterstellte, fehlten Ausführungen zum zweiten Prüfschritt, ob dem Fahrzeug nämlich ein bedeutender Schaden gedroht hat. Dies liegt bei dem festgestellten Fahrverhalten keinesfalls nahe: Es ging um einen Ausparkvorgang mit ersichtlich üblich geringer Geschwindigkeit, bei dem trotz dreifachen Anstoßes kein Schaden entstanden ist. Die Feststellungen belegen daher die konkrete Gefährdung nicht.

Auch die Beweiswürdigung und die rechtliche Würdigung enthalten keine Ausführungen dazu, warum das Tatgericht bei dem festgestellten Sachverhalt von einer konkreten Gefährdung und einem drohenden bedeutenden Schaden ausgegangen ist.“

Man fragt sich, wie oft die Obergerichte zu der Frage noch entscheiden müssen. Das, worauf es an der Stelle ankommt, sollte man wissen.

Mit der Verfahrensrüge war eine Verletzung des § 267a Abs. 3 Satz 4 StPO gerügt. Dazu der Leitsatz des KG:

Befassen sich die Urteilsgründe entgegen § 267 Abs. 3 Satz 4 StPO nicht mit der vom Verteidiger beantragten Möglichkeit der Verwarnung mit Strafvorbehalt, so liegt eine mit der Verfahrensrüge geltend zu machende Verletzung dieser Vorschrift auch dann vor, wenn das sachliche Recht die Prüfung des § 59 StGB keinesfalls nahelegt (Anschluss OLG Hamm Beschlüsse vom 4. September 2008 – 3 Ss 370/08 – und vom 9. November 1985 – 4 Ss 1328/85).

OWI III: Beschluss ohne Gründe im Beschlussverfahren, oder: Nachholung der Begründung

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Und im dritten Posting dann noch etwas Verfahrensrechtliches, nämlich etwas zum Beschlussverfahren (§ 72 OWiG). Entschieden hat das OLG Oldenburg über einen AG-Beschluss im Verfahren nach § 72 OWiG, der keine Gründe hatte. Das OLG hat im OLG Oldenburg, Beschl. v. 14.11.2023 – 2 ORbs 194/23  – aufgehoben:

„Durch den angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 1200,- € verurteilt und ein Fahrverbot für die Dauer von zwei Monat gegen ihn festgesetzt.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

Der Beschluss der dem Betroffenen am 29.8.2023 zugestellt worden ist, hat keine Gründe aufgewiesen. Gemäß § 72 Abs. 6 Satz 2 OWiG kann das Amtsgericht nur dann von eigenen Ausführungen in den Gründen seines Beschlusses absehen und auf den Inhalt des Bußgeldbescheides verweisen, wenn gemäß § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG die am Verfahren Beteiligten auf eine Begründung verzichtet haben. Ein solcher Verzicht ist zwar durch den Verteidiger erklärt worden. Allerdings wären die Gründe nach Einlegung der Rechtsbeschwerde gemäß § 72 Abs. 6 Satz 3 OWiG auch in diesem Fall nachzuholen gewesen, was nicht geschehen ist.

Die fehlenden Gründe sind vom Senat bei erhobener Sachrüge zu berücksichtigen; einer Verfahrensrüge bedarf es insoweit nicht (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 9.5.2019, 4 RBs 144/19; KG, Beschluss vom 16.1.2019, 3 Ws(B) 312/18; BayObLG, Beschluss vom 25.9.2019, 202 ObOwi 1845/19, jew. juris).

Es fehlt mithin an einer tragfähigen Grundlage, die es dem Rechtsbeschwerdegericht ermöglicht, den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch zu überprüfen, so dass der Beschluss keinen Bestand haben kann. Anders wäre es bei einer hier nicht gegebenen Zulassungsrechtsbeschwerde.“

OWi II: Keine allgemeine Erkundigungspflicht, oder: Ausnahmsweise muss man schauen, was gilt

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt aus Berlin. Das KG hat sich im KG, Beschl. v. 28.05.2024 – 3 ORbs 83/24 – 122 SsBs 13/24 – mit der Frage auseinandergesetzt, ob für den Ort des Antritts der Fahrt mit einem Kraftfahrzeug temporär eine Geschwindigkeitsbegrenzung gilt. Das KG sagt: Nein, aber…:

„Das Gericht hat festgestellt, dass der Betroffene am Tattag innerorts in 13053 Berlin die S-straße Richtung Buschallee aus Unachtsamkeit unter Überschreitung der dort nach § 41 Abs. 1 StVO i.V.m. Anlage 2 Abschnitt 7 Nr. 49 geltenden Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h befahren hat und hierbei mit einem Lasermessgerät Riegl FG 21-P angemessen wurde.

Aus der Beweiswürdigung ergibt sich, dass sich der Betroffene dahin eingelassen hat, er habe das Fahrzeug aus der S-straße abgeholt, nachdem seine Ex-Frau es dort am Abend zuvor habe stehenlassen. Er sei mit dem Bus gekommen, durch einen Park gelaufen und dann in den Wagen gestiegen, der zwischen der Kreuzung S-straße/Am F. S. und S-straße/E-straße gestanden habe. Er sei nicht ortskundig und auf der von ihm befahrenen Strecke – bis zu der Messung –  hätten keine regelnden Verkehrsschilder gestanden.

Nachdem das Urteil zunächst – ohne weitere Erläuterung – ausführt, die Einlassung des Betroffenen sei als Schutzbehauptung zu werten, legt es weiter dar, dass dessen Angaben zwar möglich seien, ihn aber – als Ortsunkundigen – die Pflicht getroffen habe, sich bezüglich der geltenden Geschwindigkeitsregelung kundig zu machen. Angesichts vorhandener Straßenschäden – derentwegen überhaupt die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h erfolgt sei –  habe das auch nahegelegen, so dass der Betroffene nicht gutgläubig von einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h habe ausgehen dürfen. Hinter der Kreuzung S-straße/Am F. S. sei tatsächlich keine Beschilderung mehr vorhanden gewesen, dem Betroffenen sei es aber möglich gewesen, von dieser nur wenige Hundert Meter entfernten Anordnung Kenntnis zu nehmen.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge – zumindest vorläufig – Erfolg. Die bisher getroffenen Feststellungen tragen nicht die Verurteilung wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung um 31 km/h.

1. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich entnehmen, dass das Amtsgericht davon ausgegangen ist, dass dem Betroffenen das regelnde Verkehrsschild nicht bekannt gewesen sein könnte, weil sein Fahrzeug möglicherweise einige Hundert Meter hinter diesem stand und kein weiteres Schild an der befahrenen Strecke vorhanden war. Soweit das Gericht zuvor von einer Schutzbehauptung ausgeht, wird dies nicht weiter ausgeführt und auch nicht zur Grundlage der Entscheidung und der tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen gemacht.

2. Nach den insoweit maßgeblichen Feststellungen hat der Betroffene daher weder bei seiner Anfahrt mit dem Bus, noch in der S-straße selbst oder auf seiner anschließenden Fahrt vom Parkplatz bis zur Geschwindigkeitsmessstelle ein die Geschwindigkeit regelndes Verkehrszeichen passiert.

a) Der Senat folgt in dieser Konstellation nicht der Auffassung des Amtsgerichts, dass der Betroffene sich vor Fahrtantritt – gegebenenfalls durch Aufsuchen der nächstgelegenen Kreuzung – über die zulässige Höchstgeschwindigkeit hätte erkundigen müssen. Eine derartige allgemeine Erkundigungspflicht besteht nicht; dies ist obergerichtlich für diejenigen Fälle entschieden, in denen ein Kraftfahrzeugführer eine Fahrt innerhalb einer geschwindigkeitsbeschränkten Zone (Tempo 30-Zone) antreten will (vgl. OLG Hamm, Beschlüsse vom 18. Juni 2014 – III-1 RBs 89/14 – und vom 27. Dezember 2012 – III-3 RBs 249/12 –, jeweils juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. April 1997 – 5 Ss (OWi) 75/97-(OWi) 43/97 I –, juris; vgl. auch Krenberger in BeckOK StVR 23. Ed., § 39 Rn. 100-103). Ähnlich verhält es sich für den Beifahrer, den nach einem Fahrerwechsel nicht die allgemeine Verpflichtung trifft, sich nach einer etwaigen Beschilderung zu erkundigen (vgl. hierzu OLG Hamm, Beschluss vom 18. Juni 2014, a.a.O.)

Dieser Bewertung schließt sich der Senat für die hiesige Fallkonstellation an. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb bei einer Sachlage wie der vorliegenden eine andere Bewertung hinsichtlich der Erkundigungsverpflichtungen des Fahrzeugführers gelten sollte. Denn eine anders gelagerte (erheblichere) Gefahrensituation, die eine weitergehende Prüfungsobliegenheit als in den vorgenannten Fällen nach sich ziehen könnte, ist jedenfalls im Regelfall nicht gegeben. Auch dass hier – anders als in den Fällen, in denen die Geschwindigkeit in einer verkehrsberuhigten Zone lediglich durch Schilder an deren Grenze gekennzeichnet wird, wodurch der Sichtbarkeitsgrundsatz eine Einschränkung erfährt – an zwei Kreuzungen vor und nach der gefahrenen Strecke eine sichtbare Verkehrsbeschilderung angebracht war, ändert nichts an dem konkreten Umstand, dass der Betroffene diese in der spezifischen Situation nicht wahrnehmen konnte.

b) Ungeachtet dessen kann sich im Einzelfall einem Kraftfahrer selbstverständlich aufgrund bestimmter Umstände die Erkenntnis aufdrängen, dass es sich um eine geschwindigkeitsregulierte Straße oder Zone handelt. Dies kann – insbesondere in Tempo 30-Zonen – angesichts durchgehender Bebauung, enger Straßen, Aufpflasterungen, Verkehrsschikanen oder besonderer Fahrbahnmarkierungen der Fall sein. Auch das Vorhandensein von Straßenschäden – wie hier – ist grundsätzlich geeignet, eine derartige Erkenntnis auszulösen. Dies ergibt sich schon aus § 1 Abs. 1 StVO, der ein grundsätzliches Vorsichts- und Rücksichtnahmegebot enthält, sowie aus § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO, der die Grenze von 50 km/h innerorts als Maximalgeschwindigkeit unter günstigsten Umständen normiert. Soweit das Urteil hier das Lichtbild Bl. 63 d.A. (versehentlich als Bl. 65 bezeichnet) unter Hinweis auf dort sichtbare Fahrbahnschäden in Bezug nimmt, kann sich hieraus aber vorliegend eine Nachforschungspflicht nicht ergeben. Die Aufnahme zeigt die Kreuzung S-straße/Am F. S., die der Betroffene nach den Feststellungen jedoch gerade nicht passiert hatte, so dass er – ungeachtet der tatsächlichen Erheblichkeit dieser Schäden – hiervon keine Kenntnis hatte. Auch die in § 39 Abs. 1a StVO enthaltene Bestimmung, wonach innerhalb geschlossener Ortschaften abseits von Vorfahrtstraßen mit der Anordnung von Tempo 30-Zonen zu rechnen sei, führt zu keinem anderen Ergebnis. Abgesehen davon, dass es sich vorliegend nicht um eine solche Zone handelt und die Norm daher ohnehin nur eingeschränkt herangezogen werden kann, handelt es sich bei der S-straße um eine Vorfahrtstraße. Dies ergibt sich aus dem in Bezug genommenen Lichtbild, welches Bestandteil der Urteilsurkunde geworden ist (vgl. Stuckenberg in Löwe-Rosenberg StPO 27. Aufl., § 267 Rn. 17 m.w.N.) Weitere Umstände, aus denen sich ein „Aufdrängen“ hinsichtlich der Geschwindigkeitsbeschränkung ergeben könnte, finden sich in dem Urteil nicht.“

OWi I. Messprotokoll ohne eigenhändige Unterschrift, oder: Standardisiertes Messverfahren?

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Und dann auf in einen OWi-Tag, den ich mit dem OLG Saarbrücken, Beschl. v. 13.05.2024 – 1 (Ss) OWi Ws 12/24 – eröffne. Es geht u.a. um die Verlesung eines Messprotokolls ohne Unterschrift.

Das AG hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb einer geschlossenen Ortschaft eine Geldbuße in Höhe von 150 EUR festgesetzt. Dabei stützt sich das AG auf die Annahme einer mittels standardisiertem Messverfahren festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung.

Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wurde verworfen. Ein Zulassungsgrund i.S.d. § 80 Abs. 1 OWiG liegt nach Auffassung des OLG nicht vor. Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen einer vom Verteidiger des Betroffenen ausdrücklich geltend gemachten Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) sei nicht geboten. Dazu führt das OLG u.a. aus:

„Soweit die Verteidigung vorbringt, das Messprotokoll enthalte keine Angaben zur Eichung des Messgerätes, ist dies, wie bereits dargelegt, unzutreffend.

Auch darin, dass die bei der Verfahrensakte befindliche Ausfertigung des Messprotokolls elektronisch erstellt wurde und keine eigenhändigen Unterschriften der mit Namenswiedergabe benannten Messbeamten trägt, liegt keine durchgreifende Abweichung von der Betriebsanleitung oder sonstigen, gar gesetzlichen Vorgaben, die die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens und der damit verbundenen Beweis- und Darlegungserleichterungen hätte entfallen lassen oder zur Vernehmung der Messbeamten hätte Anlass geben können.

Der Senat vermag dem mit der Rechtsmittelbegründung vorgetragenen Inhalt der Betriebsanleitung bereits nicht sicher zu entnehmen, dass die danach zwingenden Angaben nicht bloß die in dem in der Betriebsanleitung abgedruckten Muster enthaltenen inhaltlichen Daten und Informationen umfassen. Zweifel daran, dass allein der Darstellung eines mit „Unterschrift“ unterschriebenen Platzhalters im Musterprotokoll der Betriebsanleitung zu entnehmen ist, dass die Betriebsanleitung zwingend eine eigenhändige Unterschrift auch bei elektronischer Erstellung des Messprotokolls fordert, sind bereits deshalb veranlasst, weil die Form des Protokolls ausweislich des von der Verteidigung zitierten Inhalts der Betriebsanleitung ausdrücklich freigestellt ist. Im Übrigen stellen Abweichungen von Vorgaben der Betriebsanleitung des Geräteherstellers das Vorliegen eines sog. standardisierten Messverfahrens jedenfalls dann nicht in Frage, wenn die Möglichkeit einer fehlerhaften Messung ausgeschlossen ist (vgl. BayObLG NZV 2023, 271). Inwieweit die elektronische Erstellung eines Messprotokolls ohne eigenhändige Unterzeichnung durch die Messbeamten die Korrektheit der Messung berühren soll, ist nicht ersichtlich.

Auch die für den hilfsweise gestellten Antrag auf Vernehmung des Messbeamten maßgebliche Eignung des Messprotokolls zu seiner eine solche Vernehmung ersetzenden Verlesung ist allein dadurch, dass das Messprotokoll nicht unterschrieben, sondern elektronisch mit Wiedergabe der Namen der zuständigen Messbeamten erstellt ist, nicht in Zweifel gezogen. Ein Messprotokoll stellt eine Erklärung über eine Ermittlungshandlung dar, die gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO verlesen werden kann (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 22. März 2018 – 1 OWi 6 SsRs 27/18 –, juris Rn. 12 m.w.N.). Eine besondere (Unterschrifts-)Form erfordert § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2018 – 5 StR 330/18 –, juris). Da aufgrund der Namenswiedergabe der zuständigen Messbeamten in dem elektronisch erstellten Protokoll erkennbar ist, auf wessen Erkenntnissen und Auswertungen die in dem Protokoll niedergelegten Daten und Erkenntnisse beruhen, bestehen keine Zweifel an der Urheberschaft und der Authentizität.  Beweis-, Garantie- und Identifizierungsfunktion sind insoweit gewahrt, dass erkennbar ist, dass es sich um ein von dem nach der inneren Organisation der Behörde zuständigen Amtswalter mit Wissen und Wollen in den Rechtsverkehr gebrachtes Dokument handelt.

Eine fachgesetzliche Regelung, die darüber hinaus eine eigenhändige Unterzeichnung verlangt, ist nicht ersichtlich. Ein Unterschrifterfordernis folgt insbesondere nicht aus dem Verwaltungsverfahrensrecht. Anderes folgt im vorliegenden Verfahren auch nicht daraus, dass das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. ein Unterschrifterfordernis aus dem hessischen Verwaltungsverfahrensrecht abgeleitet und angenommen hat, dass Messprotokolle, die entgegen § 37 Abs. 3 Satz 1 HVwVfG nicht vom Messbeamten eigenhändig unterzeichnet sind, nicht geeignet sein sollen, die Vernehmung des Messbeamten zum Beweis der Tatsache eines den Vorgaben des Gesetzes, der Betriebsanleitung und den Verwendungsvorgaben der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt entsprechenden Messvorgangs durch Verlesung des Messprotokolls zu ersetzen, ohne den Anspruch eines die fehlende Unterzeichnung rügenden Betroffenen auf rechtliches Gehör zu verletzten (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 20. Dezember 2023 – 3 Orbs 289/23 –). Dem hessischen Landesrecht kommt keine Bedeutung für den vorliegenden Fall zu, weshalb weder der Einzelrichter zur Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und Übertragung der Sache auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern im Hinblick auf die Zuständigkeitsregelung des § 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG, noch der Senat zu einer Vorlage gem. § 121 GVG gehalten war.

Dabei kann dahinstehen, ob einem Messprotokoll inhaltlich überhaupt eine Regelungswirkung innewohnt und damit dem Grunde nach Verwaltungsaktcharakter zukommt (vgl. kritisch Kreiner, jurisPR-StrafR 6/2024 Anm. 3). Stellt sich die Erstellung des Messprotokolls bereits als Tätigkeit der Verwaltungsbehörde zur Ahndung und Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 35 OWiG dar, handelt es sich nicht um die verwaltungsmäßige Ausführung von Bundes- und Landesgesetzen, sondern um die Anwendung des Gesetzes auf einen „Unrechts- oder Pflichtwidrigkeitstatbestand“ (vgl. BVerfGE 4, 74, 92?f.; KK-OWiG/Rogall, 5. Aufl. 2018, OWiG § 2 Rn. 5). Diese ist dem Anwendungsbereich der Verwaltungsverfahrensgesetze von vornherein entzogen. In Übereinstimmung damit nimmt § 2 Abs. 2 Nr. 2 SVwVfG ebenso wie es § 2 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG auch für den Bereich des Bundesrechts anordnet, die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten, mithin die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden nach § 35 OWiG deklaratorisch von der Anwendung des Saarländischen Verwaltungsverfahrensgesetzes aus; es gilt allein die Verfahrensordnung des Ordnungwidrigkeitengesetzes und der Strafprozessordnung (vgl. zum Bundesrecht Schmitz in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl., § 2 Rn. 78). Für diese gilt aber, wie bereits dargelegt, nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung bei der Verlesung von Erklärungen über eine Ermittlungshandlung gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO kein Unterschriftserfordernis (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2018 – 5 StR 330/18 –, juris). Ist die Erstellung des Messprotokolls hingegen noch als Teil präventiv-polizeilicher Verkehrsüberwachung einzuordnen (zur Zuordnung der Einrichtung von Geschwindigkeitsmessstellen als Teil präventiv-polizeilicher Verkehrsüberwachung vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 20. Februar 1992 – 2 Ws (B) 91/92 OWiG –, juris; OLG Stuttgart, NZV 1990, 439) und damit dem Anwendungsbereich der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes bzw. des Landes unterworfen (vgl. Schmitz in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl., § 2 Rn. 80 und 113), bedürfte ein solcher Verwaltungsakt nach hier maßgeblichem Landesrecht, für dessen Inhalt und Auslegung dem hessischen Landesrecht ebenfalls keine Bedeutung zukommt, einer eigenhändigen Unterschrift des Messbeamten gleichfalls nicht. Nach § 37 Abs. 3 Satz 1 SVwVfG muss ein schriftlicher oder elektronischer Verwaltungsakt die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten. Damit steht die bloße Namenswiedergabe, die typischerweise im Computerausdruck erfolgt und nicht mit Beglaubigungsvermerk oder Dienstsiegel versehen werden muss, der Unterschrift gleich, sofern das Fachrecht, was hier nicht der Fall ist, nicht ausdrücklich eine Unterschrift verlangt (vgl. U. Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl., § 37 Rn. 104; Tiedemann, BeckOK VwVfG, 62. Ed. Stand 01.10.2023, § 37 Rn. 48). Einer elektronischen Signatur bedarf es gemäß § 37 Abs. 3 Satz 2 SVwVfG nur, wenn für einen Verwaltungsakt, für den durch Rechtsvorschrift die Schriftform angeordnet ist, die elektronische Form verwendet wird. Eine durch Rechtsvorschrift angeordnete Schriftform besteht für ein im Ordnungswidrigkeitenverfahren erstelltes Messprotokoll nicht.

Die spezifisch landesrechtlich bestimmte Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. kann in beiden Fällen keine rechtserhebliche Divergenz begründen. ….“

Den Rest dann bitte im verlinkten Volltext selbst lesen.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Akte verloren gegangen, und was ist mit meinen Gebühren?

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Und hier die Lösung zum Rätsel vom Freitag. Gefragt hatte ich: Ich habe da mal eine Frage: Akte verloren gegangen, und was ist mit meinen Gebühren?.

Geantwortet habe ich dem Kollegen:

„Da die Akte bei der Justiz verloren gegangen ist, sind Sie ohne Zustimmung des  Mandanten nicht berechtigt (und schon gar nicht verpflichtet), Ihre Ablichtungen pp. zur Rekonstruktion zur Verfügung zu stellen. Und schon gar nicht auf so eine pampige Anforderung.

Wenn überhaupt und dann nur mit Zustimmung und gegen Kostenerstattung. Eine Gebühr entsteht allerdings nicht.

Wer hat Ihnen so geschrieben? Ich würde ggf. Dienstaufsichtsbeschwerde erheben. Und vor allem: Denken Sie an die Verzögerungsrüge (§§ 198, 199 GVG).“

Mann, Mann, Mann. Wenn ich so etwas lese, springt mir der sprichwörtliche Drath aus der Mütze. Was meinen eigentlich Geschäftsstellenbeamte (?) was und wie sie etwas verlangen können. So erreicht man sicherlich nichts. Insbesondere wenn man (= die Justiz) selbst Fehler gemacht hat, backt man doch kleine Brötchen.