Schadensersatz nach einer falschen Verdächtigung?, oder: AG Brandenburg auf mehr als 30 Seiten: Nein.

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Und dann das AG Brandenburg, Ur. v. 08.01.2024 – 30 C 138/23. Es geht um Schadensersatz nach einer (behaupteten) falschen Verdächtigung. Die Parteien streiten darum nach einer Strafanzeige. Der Kläger begehrt von dem Beklagten insofern die Zahlung von Schadenersatz für Rechtsanwaltskosten, die ihm in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren entstanden sind.

Das AG hat die Klage abgewiesen und das auf mehr als 30 (!) Seiten begründet. Das kann man nun wirklich hier nicht einstellen. Daher nur der Leitsatz:

Derjenige, der nicht „wider besseren Wissens“ jemanden einer rechtswidrigen Tat verdächtigt handelt grundsätzlich auch noch nicht rechtswidrig, wenn er durch diese Strafanzeige das hierfür gesetzlich geregelte Verfahren in Gang bringt (§ 826 BGB unter Beachtung von § 164 StGB).

Rest dann bitte im Volltext selbst lesen. Viel Spaß 🙂 .

Ersatz von Sachverständigenkosten als Unfallschaden, oder: Unbrauchbares Sachverständigengutachten

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Und dann mal wieder etwas Zivilrecht, und zwar zunächst zur Unfallschadenregulierung. Dazu das OLG Saarbrücken, Urt. v. 03.05.2024 – 3 U 13/23.

Gestritten wird um den Ersatz von Unfallschäden. Das LG hat die Klage insgesamt abgewiesen. Das OLG spricht dann auf die Berufung teilweise zu. Die durch den Unfall entstandenen SV-Kosten gibt es aber auch vom OLG nicht. Denn:

    1. Durch einen Verkehrsunfall entstandene Sachverständigenkosten sind nicht ersatzfähig, wenn das Gutachten infolge nicht berücksichtigter Vorschäden unbrauchbar ist und der Geschädigte dies zu vertreten hat. Die Grundsätze zum Sachverständigenrisiko ändern hieran nichts.
    2. Der Geschädigte hat die Unbrauchbarkeit des Gutachtens zu vertreten, wenn er es nach dem Erhalt des Gutachtens versäumt hat, den Sachverständigen auf einen von diesem nicht berücksichtigten Vorschaden hinzuweisen und auf eine Berichtigung bzw. Ergänzung des Gutachtens hinzuwirken, obwohl die Berücksichtigung des Vorschadens sich aus seiner Sicht aufdrängen musste.

Ich habe da mal eine Frage: Wie ist das mit den Auslagen aus dem OWi-Zwischenverfahren?

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Und dann noch die Gebührenfrage, und zwar:

„Sehr geehrter Herr Kollege Burhoff,

ich erlaube mir, Ihnen in der Anlage die Kopie des Beschlusses des Amtsgerichtes Frankenthal vom 21. Februar 2024 beizufügen. Auch wenn ich „nicht ganz neu“ in dieser Materie bin, so muss ich gestehen, dass ich erstmalig einen Beschluss erhalte, in dem die Kosten des Zwischenverfahrens der Landeskasse auferlegt werden.

Dass meine Tätigkeit in Zusammenhang mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 OWI-Gesetz dem bußgeldrechtlichen Zwischenverfahren im Sinne des §§ 69 OWI-Gesetz und (noch) nicht dem gerichtlichen Verfahren zuzuordnen ist, vermag ich noch nachzuvollziehen, dann mit der Folge, dass es noch als zum „Verfahren vor der Verwaltungsbehörde“ zu betrachten ist. Alle anwaltlichen Tätigkeiten im Zwischenverfahren würden dann durch die Regelung in Vorbemerkung 5.1.2 Abs. 1 VV RVG abzugelten sein?

Könnte ich insoweit diese Kosten dann gegen die Landeskasse festsetzen lassen?“

Und in dem beigefügten AG Frankenthal, Beschl. v. 21.02.2024 – 4 OWi 66/23 – heißt es:

„Mit Antrag vom 19.04.2023 begehrte der Verteidiger pp. eine umfassende Akteneinsicht, die ihm von der Bußgeldbehörde verweigert wurde. Mit Schriftsatz vom 10.05.2023 stellte er einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung wegen der verwehrten Akteneinsicht. Mit Verfügung vom 04.07.2023 forderte das Gericht die Bußgeldbehörde auf, dem Verteidiger die geforderten Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Mithin wurde dem Antrag des Verteidigers stattgegeben, was zur Folge hat, dass die Landeskasse die Kosten des Zwischenverfahrens gem. § 62 Abs. 2 S. 2 iVm § 473a StPO zu tragen hat.“

Und nun?

Angemessene Gebühren im Bußgeldverfahren?, oder: Gebührenrechtliche Diaspora in Osnabrück

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Und als zweite Entscheidung dann der LG Osnabrück, Beschl. v. 17.11.2023 – 15 Qs 39/23 – schon etwas älter, aber leider jetzt erst eingegangen. Auch unschön, wie meist vom LG Osnabrück.

Gestritten wird um die Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG, insoweit waren 176,00 EUR geltend gemacht und um die Terminsgebühr Nr. 5110 VV RVG, insoweit hatte die Rechtsanwältin  280,50 EUR als angemessen angesehen. Festgesetzt hat der AG, das der Bezirksrevisorin gefolgt ist, für die Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG 120,00 EUR und für die Terminsgebühr Nr. 5110 VV RVG 130,00 EUR. Das LG ist dem gefolgt:

„Mit dem Bezirksrevisor ist die Kammer der Auffassung, dass die vom Verteidiger geltend gemachten und auch vom Amtsgericht Osnabrück festgesetzten Gebühren (Verfahrensgebühr Nr. 5109 und Terminsgebühr Nr. 5110 VV RVG) im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 4 RVG unbillig hoch und damit unverbindlich sind.

Die Gebühren waren jeweils nur in der festgesetzten Höhe gerechtfertigt. Nach § 14 RVG bestimmt ein Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände. Solche sind v. a. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit sowie Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers.

Zunächst ist festzustellen, dass die Gebührenfestsetzung unabhängig von der Kostenstruktur und des Kostendeckungsgrades des Anwalts erfolgt. Das anwaltliche Gebührenrecht ist gerade so konzipiert, dass es Fälle geben kann, in denen die Vergütung nicht kostendeckend ist, was aber dadurch ausgeglichen wird, dass im Gegensatz dazu in anderen Fällen im Hinblick auf den Arbeitsaufwand eine unverhältnismäßig hohe Vergütung erfolgt (ständige Rechtsprechung des LG Osnabrück, vgl. nur LG Osnabrück, Beschluss vom 21.03.2012 -15 Qs 12/12; zur Mischkalkulation auch OLG München, Urteil vom 11.11.2004 – 1 U 4066/04 zum damals geltenden § 12 BRAGO). Dies findet seine Stütze in der Vorschrift des § 14 RVG selbst, in dem der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit als eines der beispielhaft benannten Kriterien zur Bestimmung der Gebühr genannt ist. Die Vorschrift räumt dem Rechtsanwalt das Recht; aber auch die Pflicht ein, sämtliche persönlichen und sachlichen Umstände miteinander im Einzelfall abzuwägen und die Gebühr nach billigem Ermessen zu bestimmen (v. Seltmann in BeckOK RVG, 35. Edition, § 14 Rn. 6).

1. Die Verfahrensgebühr nach Nr. 5109 VV RVG war in Höhe von lediglich 120 Euro anzusetzen. Für diese Gebühr gilt ein vorgegebener Gebührenrahmen von 33 bis 319 Euro für Geldbußen zwischen 60 und 5.000 Euro mit bzw. ohne Verhängung eines Fahrverbots.
Der vorliegende Fall ist unter Abwägung aller nach § 14 RVG maßgeblichen Kriterien als unterdurchschnittlich einzustufen.

Verfahrensgegenstand war hier eine Verkehrsordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße in Höhe von 200 Euro. Die indirekte Heranziehung der Höhe der Geldbuße unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung der Angelegenheit für den Beschwerdeführer stellt auch keine unzulässige „Doppelverwertung“ dar, da gerade die Höhe der finanziellen Belastung durch« den Bußgeldbescheid eines der ausschlaggebenden Kriterien dafür ist, welche Bedeutung die Angelegenheit für den Beschwerdeführer hat.

Auch im Übrigen ist die Bedeutung der Angelegenheit für den Beschwerdeführer als unterdurchschnittlich anzusehen. Insbesondere drohte ihm kein Fahrverbot. Punkte waren für ihn bislang nicht beim Kraftfahrt-Bundesamt eingetragen.

Auch der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist hier als unterdurchschnittlich anzusehen. Die Akte umfasste bis zum Akteneinsichtsgesuch der Verteidigerin 66 Seiten. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Beschwerdeführer bereits selbst Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt, den Einspruch mit Schreiben vom 27.03.2022 damit begründet, die Geschwindigkeitsüberschreitung nicht begangen zu haben und nicht die im Bußgeldbescheid abgebildete Person zu sein, und mit Schreiben vom 30.05.2022 eine Kopie seines Passbildes zwecks Einholung eines Sachverständigengutachtens an das Amtsgericht Osnabrück übersandt. Als die Verteidigerin sich mit Schriftsatz vom 30.09.2022 zur Akte meldete und um Akteneinsicht bat, war bereits eine Bewertung der Qualität des Messbildes durch den Sachverständigen Prof. Dr. med. Huckenbeck erfolgt und ein Hauptverhandlungstermin anberaumt. Mit weiterem Schriftsatz vom 06.10.2022 übersandte die Verteidigerin eine Vollmacht und mit Schriftsatz vom 02.11.2022 beantragte sie die Einstellung des Verfahrens gemäß § 47 Abs. 2 OWiG. Diesen Antrag begründete sie damit, dass der Bruder des Beschwerdeführers zugegeben habe, das Tatfahrzeug zum Tatzeitpunkt geführt zu haben. Dessen Vernehmung wurde beantragt und angekündigt, diesen als präsenten Zeugin zum Hauptverhandlungstermin mitzubringen. Es wurde ferner beantragt, ein mitgesandtes Bild vom Personalausweis des Zeugen im Hauptverhandlungstermin in Augenschein zu nehmen und dem Sachverständigen vorzulegen. Dieser Vortrag wurde mit Ausführungen zu Unterscheidungsmerkmalen zwischen den Brüdern untermauert. Schließlich wurde darauf hingewiesen, dass die Aussagekraft eines anthropologischen Gutachtens im Hinblick auf Betroffene, die keiner mitteleuropäischer Ethnie angehörten, beschränkt sei, und die Mutter des Beschwerdeführers und des Zeugen von den Philippinen stamme. Ein konkreter Zeitaufwand für die Tätigkeit im amtsgerichtlichen Verfahren einschließlich der Vorbereitung der Hauptverhandlung ist nicht dargelegt. Angesichts des Aktenumfangs und des Akteninhalts ist – auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme vom 02.11.2022 -ein noch unterdurchschnittlicher Zeitaufwand zu schätzen.

Auch die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ist als einfach gelagert anzusehen. Letztlich ging es um die Frage, ob der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt der Fahrer war. Daran ändert auch der Umstand, dass ein anthropologisches Sachverständigengutachten eingeholt wurde. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens ist in Verkehrsordnungswidrigkeiten mit anwaltlicher Verteidigung inzwischen nahezu Standard geworden. Ein gerichtliches Verfahren, in welchem lediglich die Frage der Fahrereigenschaft mit Hilfe eines Sachverständigen geklärt werden muss, stellt deshalb an die Tätigkeit des Verteidigers nur unterdurchschnittliche Anforderungen (vgl. LG Flensburg, Beschluss vom 27.08.2015 – 1 Qs 40/15, BeckRS 2016, 9578; LG Detmold, Beschluss vom 03.02.2009 – 4 Qs 172108, BeckRS 2009, 7360; LG Potsdam, JurBüro 2013, 640).

In einer Gesamtschau aller für die Bestimmung der Gebühr zu berücksichtigenden. vorgenannten Kriterien ist die Angelegenheit insgesamt als unterdurchschnittlich zu werten. Die Verteidigerin hat mit Abrechnung der Mittelgebühr den Ermessensspielraum überschritten, so dass das Gericht befugt ist, die billige Gebühr festzusetzen. 120 Euro, wie von der Bezirksrevisorin vorgeschlagen und vom Amtsgericht festgesetzt, erscheinen angemessen.

2. Aufgrund des Vorgenannten ist auch die Terminsgebühr gemäß Nr. 5110 VV RVG lediglich mit 130 Euro festzusetzen. Für diese Gebühr gilt ein vorgegebener Gebührenrahmen von 44 bis 517 Euro für Geldbußen zwischen 60 und 5.000 Euro mit bzw. ohne Verhängung eines Fahrverbots.

Auch hier gelten die obigen Ausführungen zur Bedeutung der Angelegenheit für .den Beschwerdeführer und zur Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage fort.

Der Hauptverhandlungstermin am 09.11.2022 begann um 09:55 Uhr und endete bereits 15 Minuten später um 10:10 Uhr. Auch wenn die Verhandlungsdauer alleine nicht über die Gebührenhöhe entscheidet, ist sie ein nicht unbedeutender mitbestimmender Faktor. Schließlich entgilt die Termingebühr auch langandauernde, sich über einen ganzen Tag hinziehende, Hauptverhandlungen. Eine solche könnte nicht mehr vernünftig in den Gebührenrahmen eingeordnet werden, wenn bereits kurze Hauptverhandlungen, die – wie hier – auch keine schwierigen Besonderheiten aufweisen, die Mittelgebühr auslösen würden. Es wurde lediglich bis 10:05 Uhr ein Sachverständiger vernommen, der zu dem Ergebnis kam, dass nicht der Beschwerdeführer, sondern sein Bruder auf dem Messfoto abgebildet war. Unter Beachtung der Termindauer und der vorgenannten Umstände ist die Festsetzung der Termingebühr durch das Amtsgericht mit 130. Euro mehr als angemessen anzusehen.“

Könnte man manches zu sagen. Tue ich aber nicht. Lohnt sich beim LG Osnabrück eh nicht. Das ist dort eine gebührenrechtliche Diaspora. 130 EUR für einen Termin? Ohne weitere Worte.

Gebühren im Bußgeldverfahren + Befriedungsgebühr, oder: Das LG Leipzig kann es – leider – nicht

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Und am Gebührenfreitag heute dann zwei LG-Entscheidungen, u.a. zu § 14 RVG und – die eine – zu Nr. 5115 VV RVG.

Ich starte mit dem LG Leipzig, Beschl. v. 09.04.2024 – 13 Qs 118/24. Gegen den Betroffenen war ein Bußgeldbescheid wegen des Vorwurfs eines Verstoßes gegen § 24a Abs. 2 StVG erlassen und dabei als Rechtsfolge eine Geldbuße in Höhe von 1.000,00 EUR sowie ein Fahrverbot für die Dauer von drei Monaten ausgesprochen worden. Nach Einspruch des Betroffenen fand am 30.11.2022 eine Hauptverhandlung statt, bei der die Frage thematisiert wurde, welcher Zeitabstand zwischen letzter Alkoholaufnahme und Messung durch ein entsprechendes Messgerät erforderlich sei. Nach Einholung der entsprechenden Auskünfte stellte das AG das Verfahren durch Beschluss vorn 10.5.2023 gem. § 47 Abs. 2 OWiG ein, die Kosten und die notwendigen Auslagen des Betroffenen wurde der Landeskasse auferlegt.

Der Betroffene hat gegenüber der Landeskasse die Erstattung folgender notwendiger Auslagen verlangt: Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG in Höhe von 140,00 EUR, Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG in Höhe von 250,00 EUR, Verfahrensgebühr Nr 5109 in Höhe von 250,00 EUR, Terminsgebühr Nr. 5110 RVG 450,00 EUR und Verfahrensgebühr Nrn. 5115, 5103 VV RVG in Höhe von 176,00 EUR. Abweichend von dem Antrag hat das AG geringere Beträge, und zwar nur in Höhe der Mittelgebühr, festgesetzt. Zur Begründung für die Abweichung wurde darauf verwiesen, dass es sich nur um ein „durchschnittliches“ Verfahren gehandelt habe, bei dem auch unter Beachtung der Folgen für den Betroffenen im Falle einer Verurteilung ausschließlich von der Mittelgebühr auszugehen sei. Die von dem Betroffenen begehrte Befriedungsgebühr gern. Nr. 5115 VV RVG könne nicht festgesetzt werden, da eine Hauptverhandlung durchgeführt wurden sei.

Dagegen hat sich der Betroffene mit der sofortigen Beschwerde gewendet und geltend gemacht, dass das Verfahren schon aufgrund der Bedeutung für den Betroffenen überdurchschnittlichen Charakter gehabt habe. Auch sei die Befriedungsgebühr im Hinblick auf eine Entscheidung des BGH vom 14.4.2011 angefallen. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

Wegen der Ausführungen des LG Leipzig zu § 14 RVG stelle ich nur den Sachverhalt ein. Das muss genügen. Denn die Ausführungen sind , wie immer dazu aus Leipzig, wenn nicht falsch, so zumindest doch fraglich. Das muss man nicht noch breit treten. Der Leitsatz:

Auch bei Verkehrsordnungswidrigkeiten ist grundsätzlich von der Mittelgebühr auszugehen ist. Allerdings sind oft weder Aktenumfang, Schwierigkeit der Sach- und/oder Rechtslage oder mögliche Rechtsfolgen nach den Kriterien des § 14 RVG so ausgestaltet sind, die Mittelgebühr erreicht oder gar überschritten werden könnte.

Dazu aber: M.E. auch der Ton der Argumentation des LG zu beanstanden. Man hat den Eindruck, dass die Kammer davon ausgeht, dass dem Verteidiger ein Geschenk gewährt wird, wenn man seine Gebühren festsetzt. Wie anders soll man sonst die Formulierung das AG sei „in Übereinstimmung mit dem Bezirksrevisor den Belangen des Betroffenen durch die Zubilligung der Mittelgebühr bereits wohlwollend entgegengekommen“ verstehen? Es kommt doch für die angemessene Bemessung der Rahmengebühren nicht auf das „Wohlwollen“ des Bezirksrevisors und/oder des Richters an. Beide sind an Gesetz und Rechtsprechung gebunden und haben die geltenden Regeln anzuwenden. „Wohlwollen“ hin oder her. Im Grunde ist diese Formulierung des LG erschreckend, denn sie zeigt ein Verständnis vom anwaltlichen Gebührenrecht, das dem des Gesetzgebers bei Schaffung des RVG diametral entgegensteht.

Zur Nr. 5115 VV RVG führt das LG aus:

„b) Entgegen der Auffassung des Betroffenen ist dem Verteidiger auch die Befriedungsgebühr gem. Nr. 5115 VV RVG nicht zuzubilligen. Auch unter Berücksichtigung der von dem Verteidiger zitierten Entscheidung vom 14.04.2011 (Az.: IX ZR 153/10) ist diese Gebühr vorliegend nicht angefallen.

Zwar hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung durchaus darauf hingewiesen, dass der Rechtsauffassung, wonach die Befriedungsgebühr niemals anfalle, wenn eine Hauptverhandlung schon begonnen habe, nicht möglich sei, eine Absage erteilt werde.

Insoweit wurde argumentiert, dass gerade auch bei Einstellung nach Aussetzung der Haupt-verhandlung durchaus die Möglichkeit bestehe, dass die Befriedungsgebühr entstehen könne, wenn durch neues Handeln/Vorbringen die neue Hauptverhandlung entbehrlich werde (vgl. BGH, a.a.O., Rz. 12).

Der Bundesgerichtshof hat aber auch ausgeführt, dass der Normzweck des dort thematisierten Nr. 4141 (bzw. hier entsprechend 5115) VV RVG entscheidend dafür spreche, dass eine Einstellung, die innerhalb der Hauptverhandlung erfolge, eine Befriedungsgebühr nicht mehr auszulösen vermag. Dabei ist es gleichgültig, ob die Einstellung am Tag der Hauptverhandlung, oder an einem späteren Terminstag geschieht, insbesondere ob hierdurch Fortsetzungstermine vermieden werden.

Selbst wenn man wohlwollend überlegen wollte, dass vorliegend eine neue Hauptverhandlung (nach Aussetzung) erforderlich sein könnte, muss jedoch berücksichtigt werden, dass der Verteidiger – wie von dem Bezirksrevisor zutreffend ausgeführt – seine Tätigkeit, die zur Ver-meidung einer Hauptverhandlung erforderlich sein könnte, ausschließlich im Rahmen der durchgeführten Hauptverhandlung erbracht hat, für die er auch eine Terminsgebühr beantragt hat und in angemessener Höhe erhält. Eine weitere Tätigkeit ist schlichtweg nicht zu erkennen.

Insoweit würden die Überlegungen der Verteidigung gerade den Gedanken des Bundesgerichtshofes zur Einheitlichkeit der Hauptverhandlung widersprechen, weshalb gerade auch unter Berücksichtigung der von dem Verteidiger zitierten Rechtsprechung – soweit auf Nr. 5115 VV RVG anwendbar – eine Absage zu erteilen wäre.“

Auch hier also „wohlwollend“, was aber nicht darüber hinweg täuscht, dass die Ansicht des LG falsch ist. Denn:

  • Aus der angeführten BGH-Entscheidung folgt zwar, dass die Gebühr Nr. 4141 Anm. 1 Satz 1 Nr. 1 VV RVG nicht anfällt, wenn ein Strafverfahren in der Hauptverhandlung nach § 153a StPO vorläufig eingestellt wird und nach Erbringung der Auflage die endgültige Einstellung erfolgt, was für die ähnliche Nr. 5115 VV RVG entsprechend gilt. Entsprechend gilt  auch, dass das auch angenommen wird, wenn es sich um die Verhinderung von Fortsetzungsterminen handelt (so wohl auch BGH, a.a.O. ).
  • Aber: Mit der Problematik haben wir es hier überhaupt nicht zu tun. Der Hauptverhandlungstermin hat am 30.11.2022 statt gefunden. In dem ist die Frage des Beweisverwertungsverbotes thematisiert worden, was dazu geführt hat, dass der Termin nicht beendet, sondern ausgesetzt worden ist. Es hätte also auf jeden Fall, eine neue Hauptverhandlung stattfinden müssen bzw. hat sich so ergeben. Denn im Hinblick auf die Fristen des § 229 StPO kann es sich, wenn am 10.5.2023, als das Verfahren eingestellt worden ist, nicht um einen Fortsetzungstermin gehandelt haben. Dafür spricht auch, dass der Verteidiger nur eine Terminsgebühr (für den Hauptverhandlung am 30.11.2022) geltend gemacht hat. Damit ist durch die Einstellung eine neue Hauptverhandlung vermieden worden, was ausreicht. Denn für den Anfall der Befriedungsgebühren Nrn. 4141, 5115 VV RVG reicht es, wenn ein weiterer Hauptverhandlungstermin vermieden wird, es kommt nicht darauf an, dass überhaupt eine Hauptverhandlung vermieden wird (BGH, a.a.O.; u.a. OLG Bamberg StraFo 2007, 130 = AGS 2007, 138; OLG Hamm AGS 2008, 228; OLG Köln StraFo 2018, 43 = AGS 2018, 12; LG Arnsberg StraFo 2017, 131 = AGS 2017, 216; LG Düsseldorf AGS 2007, 36 = JurBüro 2007, 83; LG Oldenburg, Beschl. v. 21.7.2008 – 5 Qs 268/08; AGS 2011, 598). Das sollte eine Beschwerdekammer wissen, wenn man über Anwaltsgebühren entscheidet.
  • Und wissen sollte man als LG auch, dass es unerheblich ist, in welchem Verfahrensabschnitt die Mitwirkung erbracht wird. Es genügt für das Entstehen der Nrn. 4141, 5115 VV RVG, dass ein früherer Beitrag des Verteidigers zur Erledigung in einem späteren Verfahrensabschnitt, in dem es dann zur Erledigung des Verfahrens kommt, noch fortwirkt. Der Verteidiger muss die Mitwirkung nicht noch einmal wiederholen bzw. erneut mitwirken. Das wäre „reine Förmelei“ (zutreffend BGH AGS 2008, 491 = JurBüro 2008, 639; OLG Stuttgart AGS 2010, 202 = RVGreport 2010, 263; LG Cottbus RVGreport 2017, 108 = AGS 2017, 186 [für Nr. 5115 VV RVG]; LG Düsseldorf AGS 2007, 36 = JurBüro 2007, 83; LG Hamburg AGS 2008, 59 = DAR 2008, 611; LG Köln AGS 2007, 351 = StraFo 2007, 305; LG Stralsund AGS 2005, 442 = RVGreport 2005, 272; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG. 26. Aufl., 2023, VV 4141 Rn 12; AnwKomm-RVG/N. Schneider, 9. Aufl. 2921VV 4141 Rn 55, 68). Ausreichend war also das Geltendmachung des Beweisverwertungsverbotes im Hauptverhandlungstermin, da offenbar das nach Einholung der Auskünfte zur Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG geführt hat.

Manchmal versteht man es nicht.