Ich habe da mal eine Frage: Kann man die Ladezeit für ein E-Auto als Reisezeit abrechnen?

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Ich hatte ja schon in der vergangenen Woche etwas aus dem Rechtspflegerforum eingestellt. Das mache ich heute, da die Beiträge derzeit aus gegebenem Anlass vorbereitet sind, noch einmal.

Ich bin beim Stöbern auf folgende interessante Frage gestoßen:

„Ich habe hier jemanden, der die Ladezeit für ein Elektroauto als notwendige Reisezeit zum Termin abrechnen will. Ich bin nicht sicher, ob das unter Privatvergnügen fällt oder wegen der gewünschten Umstellung auf E-Mobilität tatsächlich als dem Verfahren zuzuordnender Zeitaufwand zu gelten hat. In Literatur und Rechtsprechung habe ich nichts gefunden. Hat jemand von Euch dazu eine Meinung?“

„Richtige“ Kostenentscheidung in der Berufung?, oder: Kostenteilung nach Teilerfolg?

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Die zweite Entscheidung kommt mit dem BayObLG, Beschl. v. 03.07.2024 – 204 StRR 201/24 – aus Bayern. Sie befasst sich mit der Frage der „richtigen“ Kostenentscheidung im Berufungsverfahren. Die Frage, ob im strafverfahrensrechtlichen Berufungsverfahren ggf. zugunsten des Angeklagten die „richtige“ Kostenentscheidung ergangen ist, spielt ja für eine sich daran anschließende mögliche Teilerstattung der notwendigen Auslagen des Angeklagten aus der Staatskasse eine erhebliche Rolle.

Folgender Sachverhalt: Das AG hatte den Angeklagten mit Urteil vom 11.07.2023 wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 35 EUR verurteilt. Das LG hat mit Urteil vom 11.10.2023 auf die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hin das Urteil des AG insoweit abgeändert, als der Angeklagte wegen fahrlässigen Vollrausches zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40 EUR – unter Bewilligung einer Ratenzahlung – verurteilt wurde. Die weitergehenden Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten hat es als unbegründet verworfen. In Ziffer 4 des Tenors hat das LG entschieden, dass der Angeklagte die Kosten des Berufungsverfahrens und seine notwendigen Auslagen zu tragen habe. Die durch die Berufung der Staatsanwaltschaft entstandenen ausscheidbaren Kosten und ausscheidbaren Auslagen des Angeklagten sind der Staatskasse auferlegt worden.

Am 11.10.2023 haben der Angeklagte und sein Verteidiger gegen die Kostenentscheidung des Berufungsurteils sofortige Beschwerde und gegen das Berufungsurteil Revision eingelegt. Der Verteidiger hat mit Schreiben vom 17.10.2023 die Revision und mit Schreiben vom 02.01.2024 die Kostenbeschwerde begründet. Mit Beschluss vom 06.05.2024 hat das BayObLG gemäß Antrag der Generalstaatsanwaltschaft die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des LG gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Mit Schreiben seines Verteidigers vom 12.05.2024 rügt der Angeklagte eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs, weil sich der Senat in seinem Beschluss vom 06.05.2024 nicht mit der gegen die Kostenentscheidung des LG eingelegten sofortigen Beschwerde auseinandergesetzt habe. Die Anhörungsrüge hatte beim BayObLG Erfolg, die Kostenbeschwerde des Angeklagten war aber nur teilweise erfolgreich.

Das BayObLG hat das umfassend begründet. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Volltext. Hier gibt es nur die Leitsätze der Entscheidung:

  1. Der Strafsenat bleibt für die Entscheidung über die Kostenbeschwerde auch nach Abschluss des Revisionsverfahrens jedenfalls dann zuständig, wenn er die Kostenbeschwerde bei der Revisionsentscheidung übersehen hat und der Angeklagte die Anhörungsrüge gem. § 33a Satz 1 StPO innerhalb der Frist des § 356a Satz 2 StPO erhoben hat.

  2. Der Angeklagte hat nicht die vollen im Berufungsverfahren angefallenen Gerichtskosten und notwendigen Auslagen zu tragen, wenn das Berufungsgericht unter Verwerfung der weitergehenden Berufung des Angeklagten den erstinstanzlichen Schuldspruch von Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen auf fahrlässigen Vollrausch geändert und die erstinstanzlich verhängte Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 35 € auf 60 Tagessätze zu je 40 € ermäßigt sowie eine Ratenzahlung bewilligt hat.

  3. Im Rahmen des § 473 Abs. 4 StPO, einer Regelung mit Ausnahmecharakter, ist nicht allein entscheidend, ob der Angeklagte die angefochtene Entscheidung hingenommen hätte, wenn sie entsprechend der neuen Entscheidung gelautet hätte, sondern wesentlich auch das Maß des erreichten Teilerfolges.

Beseitigung einer gesetzwidrigen Entscheidung, oder: Wer die Musik bestellt, muss sie bezahlen

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Heute in der „Gebührenecke“ zwei kostenrechtliche Entscheidungen.

Die erste kommt mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 25.06.2024 – 3 Ws 204/24 – vom OLG Hamm, das in dem Beschluss zu der Frage Stellung nimmt, wer bei Beseitigung einer gesetzwidrigen Entscheidung die Kosten und Auslagen trägt.

Das AG hatte den Verurteilten am 06.11.2013, rechtskräftig seit dem 22.12.2014, wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Nachdem aus dieser Verurteilung bereits zwei Drittel der Strafe vollstreckt wurden, hat das AG mit Beschluss vom 31.03 2022, rechtskräftig seit dem 13.04.2022, u.a. den Strafrest gemäß § 36 Abs. 1 BtMG zur Bewährung ausgesetzt, nachdem der Verurteilte eine Therapie regulär beendet hatte, und die Bewährungszeit auf 3 Jahre festgesetzt.

Mit Verfügung vom 25. 03.2024 hat die Staatsanwaltschaft beantragt, „die Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit zu erlassen“. Mit Beschluss vom 12.04.2024 hat die StVG „die Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts pp. vom 06.11.2013 nach Ablauf der Bewährungszeit gemäß § 56g StGB erlassen“. Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft am 22.04.2024 „zuungunsten“ des Verurteilten sofortige Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt, die Bewährungszeit laufe noch bis zum 12.04.2025.

Das Rechtsmittel hatte Erfolg. Das OLG hat den Straferlassbeschluss aufgehoben, weil die Voraussetzungen des § 56g Abs. 1 StGB nicht erfüllt waren. Denn ein Straferlass kann erst nach Ablauf der Bewährungszeit erfolgen. Hier lief die Bewährungszeit aber noch bis zum 12.04.2025. Allerdings sind die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Beschwerdeverfahrens der Staatskasse auferlegt worden. Zur Begründung der Kosten- und Auslagenentscheidung führt das OLG aus:

„Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V. mit § 473 Abs. 2 Satz 1 StPO (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. September 1999 – 1 Ws 701/99NStZ-RR 2000, 223 m.w.N., Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage, § 473 Rdnr. 17 m.w.N.). Denn trotz des entgegenstehenden Wortlauts hat die Staatsanwaltschaft Essen die sofortige Beschwerde nach Auffassung des Senats im Ergebnis nicht zuungunsten des Verurteilten eingelegt, sondern in erster Linie unter Wahrnehmung ihrer Aufgabe, gerichtliche Entscheidungen mit dem Gesetz in Einklang zu bringen, zumal sie für die fehlerhafte Entscheidung aufgrund ihres verfrühten Antrags vom 25. März 2024 „mitverantwortlich“ ist. Insoweit gilt, dass der Verurteilte nicht mit Kosten und Auslagen belastet werden darf, die nur dadurch entstanden sind, dass eine auf einem Irrtum des Gerichts beruhende gesetzwidrige Entscheidung beseitigt wird (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.).“

M.E. zutreffend. Letztlich ist das eine konsequente Anwendung des Verursacherprinzips. Denn die Staatsanwaltschaft und ihr folgend die Strafvollstreckungskammer hatten den gesetzwidrigen Zustand, der durch die Entscheidung des OLG beseitigt worden ist, verursacht.

Verkehrsrecht III: Zeitablauf nach FE-Entziehung, oder: Zwei Jahre und ein Monat unvertretbar

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Und dann zum Schluss noch etwas zur (vorläufigen) Entziehung der Fahrerlaubnis

Gegen den Angeschuldigten ist ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung anhängig. In dem ist die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen worden. Das AG hat jetzt im AG Bad Homburg, Beschl. v. 12.08.2024 – 7a Ds 117/24 – aufgehoben. Grund: Unverhältnismäßig:

„Die Beschwerde des Verteidigers vom 23. Juni 2024 (BI. 264 ff. d.A.) war, nachdem nunmehr Anklage erhoben worden ist, umzudeuten in einen Antrag auf Aufhebung der Maßnahme nach § 111a StPO.

Dem zulässigen Antrag des Verteidigers auf Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis war stattzugeben. Zwar liegt nach Aktenlage nach wie vor der von § 111a Abs. 1 StPO geforderte dringende Tatverdacht hinsichtlich der fahrlässigen Tötung bzw. der Gefährdung des Straßenverkehrs vor. Jedoch gebieten der Beschleunigungsgrundsatz sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis.

Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ist wie alle strafprozessualen Zwangsmaßnahmen verfassungsrechtlichen Schranken unterworfen, die sich besonders im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und in dem Beschleunigungsgebot konkretisieren. Die Belastung aus einem Eingriff in den grundrechtlich geschützten Bereich eines Beschuldigten muss in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen stehen. Dieses Übermaßverbot kann im Einzelfall nicht nur der Anordnung und Vollziehung, sondern auch der Fortdauer einer strafprozessualen Maßnahme zeitliche Grenzen setzen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2005 — Az. 2 Ws 15/05 mwN).

Diese zeitliche Grenze ist im vorliegenden Fall nunmehr erreicht.

Zwischen der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis vom 6. Juli 2022 und dem heutigen Tag liegen zwei Jahre und ein Monat. Der zeitliche Abstand zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis ist mittlerweile derart groß, dass unter Berücksichtigung der übrigen Umstände des Einzelfalls eine Fortdauer der vorläufigen Fahrererlaubnisentziehung nicht mehr vertretbar erscheint. Hierbei wurde maßgeblich berücksichtigt, dass der Angeschuldigte zwischenzeitlich weder strafrechtlich- noch straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist und er in der Zeit vom 12. Dezember 2022 bis 17. April 2023 an einer verkehrspsychologischen Intensivmaßnahme beim TÜV teilgenommen hat.

Angesichts dieser Umstände ist trotz des fortbestehenden Vorliegens eines von § 111a StPO geforderten dringenden Tatverdachts die Aufhebung des Beschlusses über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis geboten.“

Verkehrsrecht II: Gefährdung des Straßenverkehrs, oder: Fehlverhalten nach Abschluss des Überholens

Überholen Verkehrs

Im zweiten Beitrag dann noch einmal etwas zur Straßenverkehrsgefährdung, und zwar zum sog. falschen Überholen, also § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB.

Das AG hatte den Angeklagten am 13. März 2023 wegen Nötigung und Beleidigung verurteilt. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das LG das Urteil abgeändert und den Angeklagten wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und Beleidigung verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die mit dem BayObLG, Beschl. v. 22.07.2024 – 203 StRR 287/24 – teilweise Erfolg hatte:

„1. Die Berufungskammer hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Am 16. Dezember 2021 gegen 15.00 Uhr fuhr der Angeklagte, ein mittlerweile pensionierter Polizeibeamter, als Führer eines PKWs auf der Bundesstraße B 8 zwischen Diebach und Neustadt a.d.Aisch. Vor dem Angeklagten war der Geschädigte mit einem etwa 16,5 m langen LKW mit Auflieger in gleicher Fahrtrichtung mit einer Geschwindigkeit von etwa 68 km/h unterwegs. Die zulässige Geschwindigkeit betrug für den Geschädigten 60 km/h. Der Angeklagte überholte den Geschädigten im Bereich einer langgezogenen Rechtskurve, scherte mit einem Abstand von etwa 16 Metern vor dem Geschädigten ein und bremste anschließend sein Fahrzeug ohne verkehrsbedingten Grund von zunächst 100 km/h bis fast zum Stillstand ab, um den Geschädigten ebenfalls zu einem abrupten Abbremsen zu zwingen und ihn dadurch zu maßregeln. Infolge des Bremsvorgangs aktivierte sich im LKW des Geschädigten noch vor dessen Reaktion das Notbremssystem und brachte den LKW zum Stillstand. Als der Geschädigte den Angeklagten kurz darauf an einer Ampel zur Rede stellte, bezeichnete ihn der Angeklagte mit den Worten „Du Wichser“, um ihn in seiner Ehre zu verletzen.“

Rechtlich führt das BayObLG:

„4. Die Feststellungen tragen nicht eine Verurteilung wegen einer Straßenverkehrsgefährdung nach § 315c StGB.

a) In Betracht kommt alleine die Alternative des falschen Überholens. Nach § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB wird bestraft, wer im Straßenverkehr grob verkehrswidrig und rücksichtslos falsch überholt und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet. Überholen im Sinne der Strafvorschrift des § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB meint das Vorbeifahren von hinten an sich in derselben Richtung bewegenden oder verkehrsbedingt haltenden Fahrzeugen auf derselben Fahrbahn oder unter Benutzung von Flächen, die mit der Fahrbahn nach den örtlichen Gegebenheiten einen einheitlichen Straßenraum bilden (BGH, Beschluss vom 15. März 2018 – 4 StR 469/17 –, juris Rn. 8; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl., § 5 StVO Rn. 16 m.w.N.; Jahnke in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 28. Aufl., § 5 StVO Rn. 19 m.w.N; Kudlich in BeckOK StGB, 61. Ed. 1.5.2024, StGB § 315c Rn. 42; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 315c Rn. 6).

Ein falsches Fahren beim Überholen ist gegeben, wenn der Täter eine der in § 5 StVO normierten Regeln verletzt oder einen anderweitigen Verkehrsverstoß begeht, der das Überholen als solches gefährlicher macht, sodass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Verkehrsverstoß und der spezifischen Gefahrenlage des Überholens besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2018 – 4 StR 469/17 –, juris Rn. 8; BGH, Beschluss vom 22. November 2016 – 4 StR 501/16-, juris Rn. 6; OLG Düsseldorf, Urteil vom 28. Juli 1981 – 2 Ss 433/81 – 204/81 II –, juris; Fischer a.a.O. § 315c Rn. 6; König in Hentschel/König/Dauer a.a.O. StGB § 315c Rn. 11; Kudlich a.a.O. § 315c Rn. 43; König in Leipziger Kommentar (LK) zum StGB, 13. Aufl., § 315c StGB Rn. 96, 99; Heger in Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 315c Rn. 14; Hecker in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 315c Rn. 18).

Der Überholvorgang beginnt in der Regel mit dem Ausscheren (Pegel in MüKoStGB, 4. Aufl., § 315c Rn. 53; König in Hentschel/König/Dauer a.a.O. StVO § 5 Rn. 22). Der Überholvorgang ist beendet, wenn das überholende Fahrzeug wieder mit ausreichendem Abstand in den Verkehrsfluss eingegliedert ist (KG, Beschluss vom 28. Juni 2005 – 12 U 62/05 BeckRS 2007, 946; OLG Hamm, Urteil vom 13. Dezember 1999 – 13 U 111/99 BeckRS 2007, 1124; König in Hentschel/König/Dauer a.a.O. § 5 StVO Rn. 23 m.w.N., Rn. 51; Schäfer in BeckOK StVR, 23. Ed. 15.4.2024, StVO § 5 Rn. 67; Jahnke a.a.O. § 5 StVO Rn. 34, 122; Bender in MüKoStVR, 1. Aufl. 2016, StVO § 5 Rn. 10; Gutt/Krenberger, ZfSch 2016, 664 zitiert nach juris; Helle in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 5 StVO (Stand: 09.06.2023) Rn. 83; ähnlich (wenn der Überholte seine Fahrt ungehindert und ungefährdet fortsetzen kann) OLG Hamm, Beschluss vom 11. September 2014 – III-4 RVs 111/14 –, juris Rn. 13; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13. Juni 1988 – 5 Ss 101/88 – 99/88 I –, juris Rn. 21; Hecker a.a.O. § 315c Rn. 17; König in LK a.a.O. § 315c Rn. 95; Bollacher in BeckOK StVR, 23. Ed. 15.4.2024, StGB § 315c Rn. 49; nur auf das Eingliedern abstellend BGH, Beschluss vom 28. September 2011 – 4 StR 420/11 –, juris; Pegel a.a.O. § 315c Rn. 54).  Das Gebot zur Einhaltung eines ausreichenden Abstandes beim Wiedereinordnen zum überholten Fahrzeug ergibt sich aus § 5 Abs. 4 Satz 6 StVO. Der Überholte darf beim Einscheren in die Spur des Überholten nicht behindert und nicht gefährdet werden. Daher fallen Pflichtverstöße beim Einordnen etwa durch Schneiden, Kreuzen oder Abbremsen beim Einscheren unter § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB, da der innere Zusammenhang mit der besonderen Gefährlichkeit des Überholvorgangs in diesen Fällen bejaht werden kann (OLG Hamm, Beschluss vom 11. September 2014 – III-4 RVs 111/14 –, juris Rn. 13; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13. Juni 1988 – 5 Ss 101/88 – 99/88 I –, juris Rn. 21; König in LK a.a.O. § 315c Rn. 95, 97a; Hecker a.a.O. § 315c Rn. 17, 18; Zieschang in NK-StGB, 6. Aufl. 2023, StGB § 315c Rn. 43; Fischer a.a.O. § 315c Rn. 6, 6a; König in Hentschel/König/Dauer a.a.O. StGB § 315c Rn. 12; Niehaus in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke a.a.O. StGB § 315c Rn. 14 f.; Kudlich a.a.O. § 315c Rn. 44.1; zum Schneiden beim Wiedereinscheren BayObLG, Urteil vom 22. August 1986 BeckRS 1986, 112570; Jahnke a.a.O. § 5 StVO Rn. 123).

Demgegenüber wird Fehlverhalten nach Abschluss des Überholens nicht von § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB erfasst (BGH, Beschluss vom 28. September 2011 – 4 StR 420/11 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 11. September 2014 a.a.O. Rn. 13; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11. November 1996 – 1 Ss 154/96 –, juris Rn. 3; im Erg. auch BGH, Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94 –, juris Rn. 20, 21; Heger a.a.O. § 315c  Rn. 14;  Pegel a.a.O. § 315c Rn. 54; König in Hentschel/König/Dauer a.a.O. § 315c Rn. 13; Niehaus a.a.O. § 315c Rn. 14; Bollacher a.a.O. § 315c Rn. 49; König in LK a.a.O. § 315c Rn. 95; Hecker a.a.O.  Rn. 17). Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Norm, da sie nur falsches Überholen, nicht aber sonstiges Behindern erfasst. Nutzt der Überholende nicht die spezifische Überholsituation aus, sondern nimmt den verkehrsfeindlichen Eingriff lediglich bei Gelegenheit des Überholvorgangs vor, indem er sein Fahrzeug nach dem Einscheren zur Disziplinierung oder zu „Strafzwecken“ scharf abbremst, fehlt es an der besonderen Gefährlichkeit des Überholens; ein solcher Vorgang ist an  § 315b StGB und an § 240 StGB zu messen (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94 –, juris Rn. 20, 21; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11. November 1996 – 1 Ss 154/96 –, juris; so auch König in LK a.a.O. § 315c Rn. 95; König in Hentschel/König/Dauer a.a.O. § 315c Rn. 13).

Ob ein bewusst scharfes Abbremsen unter Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO, das wie hier in einem engen zeitlichen und situativen Zusammenhang mit dem Wiedereinscheren in die Fahrspur des Überholten erfolgt, vom Begriff des falschen Überholens im Sinne von § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB noch oder nicht mehr erfasst ist, beurteilt sich danach, ob der Überholer vor dem zu betrachtenden Bremsmanöver zunächst auf die Fahrspur des Überholten mit so ausreichendem Abstand (vgl. dazu Jahnke a.a.O. § 5 StVO Rn. 122, 123) zum überholten Fahrzeug eingeschert ist, dass er den Überholten unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen gefahrenen Geschwindigkeiten (vgl. Jahnke a.a.O.) nicht behinderte (OLG Hamm, Beschluss vom 11. September 2014 a.a.O. Rn. 13; im Erg. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 13. Juni 1988 – 5 Ss 101/88 – 99/88 I –, juris Rn. 21).

b) Nach diesen Vorgaben ist der Tatbestand der Straßenverkehrsgefährdung nach § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB hier nicht erfüllt. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Überholvorgang sei nach dem Einscheren des Angeklagten deshalb noch nicht abgeschlossen gewesen, weil der Überholte aufgrund des Bremsmanövers seine Fahrt nicht ungehindert und ungefährdet fortsetzen konnte, lässt einen Zirkelschluss besorgen. Nach den gutachterlich gestützten Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte mit einer im Vergleich zum Geschädigten deutlich höheren Geschwindigkeit von ca 100 km/h in einem zunächst ausreichenden Abstand (Urteil S. 9) von etwa einer LKW-Länge vor dem mit einer Geschwindigkeit von 68 km/h fahrenden LKW des Geschädigten eingeschert, bevor er sein Bremsmanöver einleitete. Der Überholvorgang war somit vor dem Ausbremsen abgeschlossen. Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass nach obergerichtlicher Rechtsprechung Bedenken bestehen, eine Straßenverkehrsgefährdung zu bejahen, wenn die bestimmungsgemäße Funktion eines Fahrassistenzsystems dazu führt, dass sich eine in einem Kausalverlauf angelegte Gefahr gerade nicht in einem entsprechenden Schadenseintritt realisiert (OLG Koblenz, Beschluss vom 26. Juni 2023 – 2 ORs 4 Ss 88/23 –, juris).

5. Eine Strafbarkeit nach § 315b StGB scheidet ebenfalls aus. Bei einem verkehrsfeindlichen Inneneingriff verlangt die höchstrichterliche Rechtsprechung im Sinne einer einschränkenden Auslegung seit der Entscheidung vom 20. Februar 2003 (BGH, Urteil vom 20. Februar 2003 – 4 StR 228/02 –, BGHSt 48, 233-23), dass der Täter das Fahrzeug mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz als Waffe oder Schadenswerkzeug einsetzt (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 6. Juni 2023 – 4 StR 70/23 –, juris; Fischer a.a.O. § 315b Rn. 9a, 20, 21; Kudlich a.a.O. § 315b Rn. 18; Pegel a.a.O. § 315b Rn. 18; Hecker a.a.O. § 315b Rn. 10). Die Feststellungen des Landgerichts belegen keinen bedingten Schädigungsvorsatz des Angeklagten. Die Strafkammer hat bei dem die Umstände des Bremsvorgangs bestreitenden Angeklagten den Schluss auf das Vorliegen eines bedingten Schädigungsvorsatzes allein aus dem objektiven Hergang geschlossen, sich jedoch für die gebotene Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit und zum Gefährdungsvorsatz nicht mit der Frage beschäftigt, ob der Angeklagte mit dem Eingreifen eines Notbremsassistenten rechnete. Auch eine mögliche Eigengefährdung des Angeklagten im Falle eines Auffahrunfalls hätte es bei seinen Überlegungen zum bedingten Schädigungsvorsatz mit einstellen müssen (vgl. zum Aspekt der Schutzlosigkeit BGH, Urteil vom 31. August 1995 – 4 StR 283/95 –, BGHSt 41, 231-242, zitiert nach juris Rn. 19; Fischer a.a.O. § 315b Rn. 20).

6. Der Angeklagte hat sich jedoch – neben der Beleidigung – wegen einer vollendeten Nötigung nach § 240 StGB strafbar gemacht.

a) Nach der gefestigten Rechtsprechung setzt Gewalt im Sinne von § 240 Abs. 1 StGB eine körperlich vermittelte Zwangswirkung zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstands voraus (vgl. Fischer a.a.O. § 240 Rn. 8). Dazu kann auch ein geringer körperlicher Aufwand genügen, wenn seine Auswirkungen sich physisch wirkend als körperlicher Zwang darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 1995 ? 1 StR 126/95- juris Rn. 14; Fischer a.a.O. 240 Rn. 19). Strafbare Nötigung durch Gewalt kann demnach vorliegen, wenn der Einfluss auf das Opfer bei nur geringem körperlichen Aufwand dergestalt physischer Art ist, dass die beabsichtigte Fortbewegung durch tatsächlich nicht überwindbare Hindernisse unterbunden wird (vgl. BGH a.a.O. Rn. 16; Fischer a.a.O. Rn. 17). Der Verurteilung wegen Nötigung steht nicht entgegen, dass der Angeklagte ohne einen unmittelbaren Kontakt auf den geschädigten Kraftfahrer eingewirkt hat. Der angestrebte Erfolg kann auch dadurch erreicht werden, dass sich der Täter einer Sache bedient, um dem zu Nötigenden ein physisches Hindernis zu bereiten. Auf welche Weise er das tut, spielt im Verhältnis zu dem in der Fortbewegung gehemmten Adressaten keine Rolle. Ausschlaggebend ist allein die vom Täter bezweckte physische Wirkung auf den nachfolgenden Verkehrsteilnehmer (BGH a.a.O. Rn. 17; Fischer a.a.O. Rn. 17).

b) Bremst ein Fahrzeugführer sein eigenes Fahrzeug bewusst aus verkehrsfremden Gründen stark ab, um den hinter ihm fahrenden Fahrer ohne Ausweichmöglichkeit zu einer Vollbremsung, insbesondere zum Stillstand, zu zwingen, ist der Tatbestand der Nötigung in der Gewaltalternative erfüllt (BGH, Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94 –, juris Rn. 20, 21; BayObLG, Urteil vom 6. Juli 2001 – 1St RR 57/01 –, juris; Fischer a.a.O. § 240 Rn. 27, 28 m.w.N.; Valerius in BeckOK StGB 61. Ed. § 240 Rn. 29.3; Sinn in MüKoStGB a.a.O. § 240 Rn. 148; Eisele in Schönke/Schröder a.a.O. § 240 Rn. 24 m.w.N.; König in Hentschel/König/Dauer a.a.O. StGB § 240 Rn. 21). Dass das Fahrzeug des Geschädigten hier mit einem automatischen Bremssystem ausgestattet war und nicht der Fahrer, sondern das System eine elektronische Vollbremsung einleitete, schließt weder den objektiven Tatbestand noch den Vorsatz aus. Der Gewaltbegriff des § 240 StGB erfasst auch Einwirkungen auf die Umwelt des Opfers, wenn sie dessen Handlungsmöglichkeiten beschränken und gerade zu diesem Zweck vorgenommen werden (Altvater/Coen in LK a.a.O. § 240 Rn. 63; Fischer a.a.O. § 240 Rn. 27; Eisele a.a.O. § 240 Rn. 34).“