Entziehung der FE I: Falsche Begründung der Behörde, oder: Ermessen und Aufklärungspflicht der Behörde

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Und dann heute „Kessel Buntes“. In dem erneut zwei Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis. Hier zunächst der OVG Saarland, Beschl. v. 22.07.2024 – 1 B 43/24 – mit folgendem Sachverhalt:

Gestritten wird um die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der Entziehung seiner Fahrerlaubnis und der Verpflichtung zur Abgabe seines Führerschein. Die örtliche Polizeiinspektion hatte dem Antragsgegner mit Schreiben vom 01.02.2023 mitgeteilt, über den Antragsteller lägen Informationen über Tatsachen vor, die auf nicht nur vorübergehende Mängel hinsichtlich der Eignung oder auf Mängel hinsichtlich der Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen ließen. Daraufhin bat der Antragsgegner den Antragsteller mit Schreiben vom 09.02.2023, eine Bescheinigung seines behandelnden Arztes vorzulegen, welche fahreignungsrelevanten Krankheiten vorlägen und welche Medikamente regelmäßig verordnet würden. Der Antragsteller legte dem Antragsgegner eine Ärztliche Bescheinigung eine praktischen Arztes vom 20.03.2023 vor, wonach mehrere näher bezeichnete Erkrankungen bestünden und näher bezeichnete Medikamente eingesetzt würden; aufgrund der Angaben des Untersuchten und der von ihm erhobenen Befunde empfehle er „vor Erteilung der Fahrerlaubnis keine weitergehende Untersuchung, da keine Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens festgestellt werden konnten.“

Der Antragsgegner wies den Antragsteller mit Schreiben vom 24.03.2023 darauf hin, dass bei ihm über die in dem Attest vom 20.03.2023 genannten Erkrankungen hinaus ausweislich seiner Fahrerlaubnisakte am 16.01.2023 eine Ataxie diagnostiziert worden sei und er eine psychiatrische Behandlung ablehne, weshalb das Attest „nicht anerkannt“ werden könne und er „erneut aufgefordert“ werde, ein ärztliches Attest seines behandelnden und ggf. seines vorherigen Arztes mit „sämtlichen Diagnosen“ zu den Fragen vorzulegen, welche fahreignungsrelevanten Krankheiten vorlägen, welche Medikamente regelmäßig verordnet würden und seit wann er bei diesem Arzt in Behandlung sei, wobei das Attest „jedoch keine Aussage über Ihre Kraftfahreignung treffen“ solle und der Arzt „schriftlich zu bestätigen“ habe, dass ihm dieses Schreiben vorgelegt worden sei. Eine Fristverlängerung lehnte der Antragsgegner mit Schreiben vom 31.03.2023 ab. Der Antragsteller legte dem Antragsgegner eine Bestätigung des Dr. D. vom 31.03.2023 vor, wonach er seit 20.03.2023 bei ihm in Behandlung sei und ihm das Schreiben der Stadtverwaltung vom 09.02.2023 vorgelegt habe, und reichte das Attest vom 20.03.2023 erneut ein.

Mit Anordnung zur Vorlage eines ärztlichen Gutachtens vom 24.05.2023 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, ein ärztliches Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation bis zum 25.07.2023 zu näher bezeichneten Fragen vorzulegen. Die beigefügte Einverständniserklärung unterzeichnete der Antragsteller nicht. Das ihm aufgegebene Gutachten legte der Antragsteller nicht vor.

Nach entsprechender Anhörung entzog der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 26.09.2023 die ihm erteilte Fahrerlaubnis,  ordnete die sofortige Vollziehung an, drohte widrigenfalls ein Zwangsgeld an und setzte eine Verwaltungsgebühr fest.

Der Antragsteller gab am 27.09.2023 seinen Führerschein beim Antragsgegner ab. Am ß2.10.2023 legte er gegen den Bescheid vom 26.09.2023 Widerspruch ein. Am gleichen Tag beantragte er beim Verwaltungsgericht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs.

Das VG hat den Antrag zurückgewiesen. Dagegen die Beschwerde und der Widerspruch. Beides ohne Erfolg.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung des OVG. Wem es um die Einzelheiten geht: Bitte selbst im verlinkten Volltext nachlesen:

1. Das Schriftlichkeitserfordernis des § 80 Abs 3 Satz 1 VwGO stellt eine rein formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Vollziehbarkeitsanordnung dar, weshalb es unschädlich ist, wenn die dargelegten Gründe sich später im gerichtlichen Verfahren als (materiell) unzutreffend erweisen.

2. Trotz der Formulierung „darf“ in § 11 Abs 8 FeV ist der Fahrerlaubnisbehörde im Rahmen der Frage, ob aus der Nichtvorlage des Gutachtens auf die Fahrungeeignetheit des Betroffenen geschlossen werden kann, kein Ermessen eingeräumt.

3. Fehlt in der Beschwerdebegründung eine Auseinandersetzung mit der entscheidungstragenden Argumentation des Verwaltungsgerichts, so hat dies nach § 146 Abs 4 Sätze 3 und 6 VwGO zur Folge, dass die Beschwerde der Zurückweisung unterliegt.

4. Zur Pflicht der Fahrerlaubnisbehörde, den der Gutachtenanordnung zugrunde liegenden Sachverhalt umfassend aufzuklären und deutlich zu machen.

4. Zur Notwendigkeit der Erkennbarkeit des Anlasses der angeordneten Untersuchung für den Betroffenen.

Eine Ergänzung oder Korrektur der Gutachtenanordnung ist nur relevant, wenn sie vor Erlass des Fahrerlaubnisentziehungsbescheides erfolgt ist.

Die der Verwaltungsgerichtsbarkeit obliegende Funktion der Kontrolle (und nicht der Reparatur) von Verwaltungshandeln schließt eine Heilung einer unzureichenden Begründung einer Gutachtenanordnung durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit aus.

Ich habe da mal eine Frage: Wie rechne ich Reise- und Hotelkosten ab?

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Und dann auch heute: Als drittes Freitagsposting eines „Gebührenfrage“, und zwar:

„Moin,

folgende Abrechnungfragen:

Mein Kanzleisitz ist in Niedersachsen.

Montag hatte ich Termin vor dem LG Karlsruhe als Pflichtverteidiger. Dieser dauerte circa bis 16:00.

Von Karlsruhe nach Köln fuhr ich mir dem Zug.

Danach schlief ich in einem Hotel in Köln.

Dienstag hatte ich Termin am LG Köln als Nebenklagevertreter auf PKH. Der Termin begann allerdings erst am frühen Nachmittag.

  1. Wo ist die Zugfahrt von Karlsruhe nach Köln zur Festsetzung anzumelden?
  2. Bestehen Chancen auf die Erstattung der Hotelübernachtung in Köln oder wäre es mir zuzumuten gewesen, ersteinmal nach Niedersachsen zu fahren, um Dienstagmorgen wieder nach Köln zu fahren?

Besten Dank vorab.“

Ausdruck aus einer elektronischen Verwaltungsakte, oder: Erstattungsfähig, ja oder nein?

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Im zweiten Posting dann etwas zu Auslagen, und zwar den SG Ulm, Beschl. v. 12.07.2024 – S 13 SF 2602/23 E – zur Erstattungsfähigkeit von Ausdrucken aus einer elektronisch überlassenen Verwaltungsakte. Die Entscheidung stammt zwar aus einem sozialgerichtlichen Verfahren, die Problematik kann aber nicht nur da auftreten, sondern auch in Straf- und/oder Bußgeldverfahren.

Die Beteiligten streiten – nur – über die Höhe der dem Kläger zu erstattenden außergerichtlichen Kosten eines – inzwischen erledigten sozialgerichtlichen – Klageverfahrens – hinsichtlich gefertigter Kopien aus einer elektronischen Verwaltungsakte. In dem Verfahren, in dem u.a. um die Höhe eines GdB gestritten worden ist, hatte der Bevollmächtigte des Klägers Akteneinsicht in die ihm elektronisch zur Verfügung gestellte Verwaltungsakte der Behörde genommen; dabei hat es sich um ein PDF-Dokument mit 115 Seiten gehandelt, darunter die Seite 1 mit einem Inhaltsverzeichnis, das explizit Befundunterlagen erwähnt. Die Behörde hatte ein Anerkenntnis erklärt und ein Kostenanerkenntnis abgegeben. Die Anerkenntnisse hatte der Kläger zur Erledigung des Rechtsstreits angenommen.

Der Bevollmächtigte des Klägers hatte dann Kosten nach dem RVG geltend gemacht, darunter eine Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG in Höhe von 27,10 EUR für 64 Kopien und 19% USt. Diese war nach Ansicht der Behörde nicht angefallen. Kosten für Ausdrucke aus der elektronischen Verwaltungsakte seien nur dann zu erstatten, wenn ein Ausdruck der Dokumente für eine sachgerechte Bearbeitung des Mandats notwendig gewesen sei. Dies müsse vom Prozessbevollmächtigten plausibel begründet werden. Ansonsten sei es zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache im Sinne von Nr. 7000 VV RVG nicht geboten, die elektronische Akte, die dem Rechtsanwalt zur dauerhaften Nutzung überlassen worden sei, auszudrucken.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat den Kostenfestsetzungsantrag insoweit dann zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Erinnerung des Klägers hatte keinen Erfolg:

„Streitig ist allein die Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 Nr. 1a) VV RVG. Zunächst stellt dabei Vorbemerkung 7 Abs. 1 Satz 1 VV RVG klar, dass mit den Gebühren auch die allgemeinen Geschäftskosten entgolten sind. Die Pauschale für die Herstellung und Überlassung von Dokumenten beträgt nach Nr. 7000 Nr. 1a) VV RVG für Kopien und Ausdrucke aus Behörden- und Gerichtsakten, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war, für die ersten 50 abzurechnenden Seiten je Seite 0,50 Euro.

Der Gesetzgeber hat mit den Tatbeständen in den Nummern 7000 ff. VV RVG abschließende Regelungen dazu getroffen, wann in den dort aufgeführten Fällen Auslagen für Kopien erstattungsfähig sind. Dies stellt eine auch in Vorbemerkung 7 Abs. 1 Satz 1 VV RVG festgehaltene Ausnahme des Grundsatzes dar, dass die allgemeinen Geschäftskosten einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts durch die Gebühren als abgegolten gelten. Wollte man Auslagen für Mehrfertigungen als erstattungsfähig ansehen, die nicht unter die gesondert geregelten Tatbestände der Nummer 7000 VV RVG fallen, wäre dies eine Durchbrechung dieser gesetzlichen Systematik (BVerfG, Beschluss vom 28.09.2023 – 2 BvR 739/17 –, BVerfGE 166, 347-358, Rn. 19 m.w.N.). Darüber hinaus entspricht eine nur auf „notwendige“, das heißt für die Rechtsverfolgung zweckdienliche Maßnahmen beschränkte Kostenerstattung dem allen Prozessordnungen innewohnenden Gebot der Kostenschonung. Aus diesem Gedanken folgt, dass jeder Verfahrensbeteiligte verpflichtet ist, die Kosten seiner Prozessführung, die er im Falle seines Sieges vom Erstattungspflichtigen erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung seiner berechtigten Belange vereinbaren lässt (BVerfG a.a.O. Rn. 20 m.w.N.).

Ein Ausdruck aus der elektronische Akte des Erinnerungsgegners war nicht zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache unter Berücksichtigung der Kostenminimierungspflicht geboten. Denn dem Bevollmächtigten des Erinnerungsführers ist die 115-seitige Verwaltungsakte per elektronischem Rechtsverkehr dauerhaft als PDF-Datei überlassen worden. Diese ist strukturiert und mit einem Inhaltsverzeichnis versehen, das die zeitliche Anordnung der Akte erkennen lässt und das schnelle Auffinden insbesondere von medizinischen Unterlagen ermöglicht. Mit 115 Seiten ist die Akte von unterdurchschnittlichem Umfang im Vergleich zu sonstigen Verwaltungsakten, die in sozialgerichtlichen Verfahren üblich sind. Auch der angehängte „Altaktenteil“ ist bezeichnet und fortlaufend nummeriert, wenn auch selbstverständlich die damalige handschriftliche Paginierung nicht mehr mit der Paginierung des PDF-Dokuments übereinstimmt. Jedenfalls unter diesen Bedingungen besteht für einen Aktenausdruck, auch nur in Teilen, kein Anlass.

Was zur „Bearbeitung“ einer Sache sachgemäß ist, bestimmt sich nicht nach der subjektiven Auffassung des Rechtsanwalts, sondern nach dem objektiven Standpunkt eines vernünftigen, sachkundigen Dritten (ausführlich Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 26. Auflage 2023, RVG VV 7000 Rn. 62 ff. m.w.N.). Ein solcher Dritter hätte an Stelle des Bevollmächtigten des Erinnerungsführers von einem Ausdruck auch unter Berücksichtig eines bestehenden Ermessensspielraums abgesehen.

Denn die elektronische Aktenbearbeitung ist mittlerweile der Standard (a.A. noch SG Lüneburg, Beschluss vom 29.12.2022 – S 12 SF 33/22 E –, juris, nunmehr aber auch Müller-Rabe a.a.O. Rn. 63b). Jeder Rechtsanwalt ist verpflichtet, ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach zu unterhalten. Damit werden nicht nur einzelne Schriftsätze, sondern seit der Einführung der elektronischen Gerichtsakte am hiesigen Gericht seit nunmehr mehr als vier Jahren auch die Verwaltungsakten (diese sukzessive seit jeweiliger Umstellung der Versicherungsträger und Behörden) standardmäßig in Dateiform elektronisch übermittelt. Es muss also jeder Rechtsanwalt mit elektronischen Akten arbeiten können (VG Hamburg, Beschluss vom 08.01.2024 – 10 KO 5115/23 –, Rn. 13 – 15, juris m.w.N.).

Im Einzelnen ist es dem bearbeitenden Anwalt deshalb überlassen, ob er bei einer – aus seiner subjektiven Sicht unübersichtlichen – Verwaltungsakte mit elektronischen Mitteln (z.B. entsprechender Software zur Ermöglichung elektronischer Annotationen, Kommentare oder farblicher Hervorhebungen) oder einem einfachen handschriftlichen oder digital erstellten Aktenauszug die Übersichtlichkeit der Akte nach eigenen Maßstäben herstellt. Geboten ist jedoch bei der vorliegenden nach objektiven Maßstäben übersichtlichen PDF-Datei weder das Ausdrucken der vollständigen Akte noch der wesentlichen Unterlagen aus der Akte.“

Man wird dazu die Argumentation des SG letztlich nicht von der Hand weisen können, dass die Arbeit mit der elektronischen Akten wohl inzwischen tatsächlich Standard ist und ein Ausdruck nicht erforderlich ist, sondern nur der Arbeitserleichterung des Rechtsanwalts dient und die dadurch entstehenden Kosten daher allgemeine Geschäftskosten sind, die durch die Vorbem. 7 Abs. 1 S. 1 VV RVG abgedeckt sind (s. auch Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a.a.O., VV 7000 Rn 663b m.w.N.). Das gilt sicherlich bei einer – wie hier – doch recht überschaubaren Akten von 115 Seiten, die offenbar auch gut strukturiert war. Ob man das pauschal aber auch bei umfangreichen und/oder unüberschaubaren Akten auch so sehen kann, kann man m.E. bezweifeln. Das wird man eher dazu neigen (müssen), den Anfall der Dokumentenpauschale zu bejahen (vgl. z.B. LSG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 24.11.2020 – L 5 SF 301/20 B E).

Zurückverweisung durch das Revisionsgericht, oder: „Berufungsgebühr“ für Beratung, AG-Richter richtet es

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Ich hatte am vergangenen Freitag über den AG Nürnberg, Beschl. v. 14.02.2024 – 401 Ds 207 Js 8267/22, einen „Rechtspflegerbeschluss“ berichtet (vgl. Zurückverweisung durch das Revisionsgericht, oder: Abwicklungstätigkeiten des Rechtsanwalts?). Gestritten worden ist in dem Verfarhen um die Anwaltsgebühren der „zweiten Bereufungsinstanz“, also die Gebühren nach Aufhebung und Zurückverweisung durch das BayObLG an das LG. Der Pflichtverteidiger war dann dort noch für den Mandanten tätig geworden, dann wurde er entpflichtet. Im Streit war, ob der pflichtverteidiger für seine Informations- und Beratungstätigkeit die Nr. 4124 VV RVG geltend machen kann oder oder die durch die Nr. 4130 VV RVG noch abgedeckt ist. Der Rechtspfleger war von letzterem ausgegangen. Der Pflichtverteidiger hatte dann Erinnerung eingelegt. Und die hatte, wie sich aus dem mir inzwischen übersandten AG Nürnberg, Beschl. v. 02.05.2024 – 401 Ds 207 Js 8267/22 – ergibt, Erfolg:

Der Gebührenanspruch des Verteidigers besteht in beantragter Höhe. Die Kosten sind daher wie tenoriert festzusetzen.

Der Verteidiger war bis zur Entpflichtungsentscheidung des Landgerichts vom 10.01.2024 als Pflichtverteidiger beigeordnet. Das 2. Berufungsverfahren ist gemäß § 21 RVG gegenüber dem Revisionsverfahren, dem 1. Berufungsverfahren und der 1. Instanz eine eigene Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG. Das 2. Berufungsverfahren begann gemäß § 34a StPO mit Ablauf des Tages der Beschlussfassung über die Zurückverweisung an das Landgericht Nürnberg-Fürth, vorliegend mit Ablauf des 23.11.2023.

Voraussetzung für das Anfallen einer Gebühr im 2. Berufungsverfahren ist eine kostenauslösende Tätigkeit des Verteidigers in diesem Berufungsverfahren. Der Verteidiger schildert hierzu, er habe seinen Mandanten mit Schreiben vom 27.11.2023 über das Ergebnis der erfolgreichen Revision und den weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens informiert. Außerdem habe er seinem Mandanten mit Schreiben vom 13.01.2024 die Sach- und Rechtslage im Hinblick auf die Erfolgsaus-sichten einer etwaigen sofortigen Beschwerde gegen die Entpflichtungsentscheidung des Landgerichts erklärt. Das Schreiben des Verteidigers vom 27.11.2023 ist zeitlich dem 2. Berufungsverfahren zuzuordnen, da es nach Ablauf des 23.11.2023 erfolgte. Soweit der Verteidiger erklärt, hierin dem Mandanten den weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens erklärt zu haben, so ist dies als kostenauslösende Tätigkeit zu werten. Die Information des Mandanten zum 2. Berufungsverfahren ist Betreiben des Geschäfts und nicht durch vorherige Gebühren erfasst. Die Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG zuzüglich Pauschale ist somit angefallen.“

Die Entscheidung ist richtig. Warum der Rechtspfleger falsch lag, hatte ich ja schon am letzten Freitag dargelegt.

StPO III: StB-Tagessatz-Entscheidung durch Beschluss, oder: Der „Ankündigungsverteidiger“

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Und dann noch eine Entscheidung aus dem Strafbefehlsverfahren. Das LG Nürnberg-Fürth hat im LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 4. Juli 2024 – 12 Qs 23/24  zu den Grenzen der gerichtlichen Amtsaufklärung bei einem auf die Tagessatzhöhe beschränkten und nicht begründeten Einspruch gegen einen Strafbefehl Stellung genommen.

Das AG hatte gegen die Angeklagte einen Strafbefehl erlassen, in dem es eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 50 EUR verhängte. Die Tagessatzhöhe war geschätzt. Dagegen legte der Verteidiger fristgerecht Einspruch ein, der auf die Tagessatzhöhe beschränkt war. Zugleich schrieb er, es möge im schriftlichen Verfahren entschieden werden, Einkommensnachweise würden vorgelegt werden. Am 19.02.2024 zeigte sich ein neuer Verteidiger an und erhielt umgehend Akteneinsicht. Nachdem nichts einging, monierte das AG am 28.02.2024 die fehlenden Einkommensnachweise beim neuen Verteidiger. Der antwortete nicht.

Am 19.03.2024 übersandte das AG dann die Akte an die Staatsanwaltschaft und bat um eine Stellungnahme zur Tagessatzhöhe. Die Staatsanwältin telefonierte mit dem Verteidiger, der die Übersendung von Einkommensnachweisen avisierte, und das Gericht bat, etwas zuzuwarten. Nachweise übersandte der Verteidiger nicht. Am 11.04.2024 fragte das AG erneut bei der Staatsanwaltschaft an. Diese beantragte die Zurückweisung des Einspruchs.

Mit Beschluss vom 22.04.2024 stellte das AG schließlich fest, dass es bei der Tagessatzhöhe von 50 EUR verbleibe. Hiergegen legte der Verteidiger sofortige Beschwerde ein, deren Begründung innerhalb weiterer 14 Tage er ankündigte. Eine Begründung erfolgte jedoch nicht. Das LG hat die Beschwerde verworfen:

„Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft war die Entscheidung im Beschlusswege nicht zu beanstanden. Gemäß § 411 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 StPO kann das Amtsgericht mit Zustimmung der Verfahrensbeteiligten ohne Hauptverhandlung durch Beschluss entscheiden, wenn der Einspruch auf die Höhe der Tagessätze einer festgesetzten Geldstrafe beschränkt ist. Ob das Gericht von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen, wobei eine Hauptverhandlung sich jedenfalls dann als notwendig erweist, wenn die mündliche Anhörung der Angeklagten zur Aufklärung erforderlich ist.

Die Begründung für die Ausnahmeregelung der Entscheidung im Beschlusswege wird darin gesehen, dass bei Erlass des Strafbefehls die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten oftmals nicht genau bekannt sind und das Gericht, wenn keine Angaben gemacht werden, diese schätzen muss. Vorliegend war die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Klärung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Angeklagten jedoch entbehrlich, da das Amtsgericht davon ausgehen konnte, dass diese durch die Vorlage schriftlicher Unterlagen nachgewiesen würden, wenn der ohnehin niedrig geschätzte Tagessatz von 50 € bei einer Geschäftsführerin, die wegen eines Delikts nach dem GmbHG verfolgt wird, unterschritten werden sollte. Der Verteidiger wies in seinem Einspruchsschreiben namens der Angeklagten selbst darauf hin, dass im schriftlichen Verfahren entschieden werden könne. Weiter kündigte die Verteidigung mehrfach an, Unterlagen zur Einkommenssituation der Angeklagten nachzureichen. Dies geschah dann aber trotz wiederholter Aufforderung nicht. Auch wurde von Seiten der Verteidigung nicht von einer Entscheidung im Beschlussverfahren Abstand genommen oder mitgeteilt, dass entgegen der vorigen Ankündigung doch keine Unterlagen vorhanden seien. Das Amtsgericht hatte mithin keinen Anlass anzunehmen, die im Strafbefehl geschätzte Tagessatzhöhe sei zu hoch gegriffen. Die Entscheidung im Beschlusswege erfolgte nach allem ermessensfehlerfrei.“

In meinen Augen hat der Verteidiger ein bisschen viel angekündigt, ohne dass dann etwas passiert ist.