Durchsuchung II: Gültigkeitsdauer der Anordnung, oder: Weniger als 6 Monate nur in Ausnahmefällen

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Als zweite Entscheidung habe ich dann hier den LG Potsdam, Beschl. v. 29.01.2025 – 23 Qs 1/25. Er verhält sich zur Ungültigkeit einer Durchsuchungsanordnung durch Zeitablauf, der sich wie folgt gestaltet hat: Die Durchsuchungsanordnung stammt vom 10.11.2023, durchsucht wird dann am 19.03.2024. Der Beschuldigte macht mit seiner Beschwerde/seinem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit geltend, dass der Durchsuchungsbeschluss wegen des Ablaufs eines Zeitraums von über vier Monaten seit seinem Erlass seine rechtfertigende Wirkung verloren hatte; dies sei in der Regel nach einem Monat der Fall.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Zur „Gültigkeitsdauer“ führt das LG recht umfangreich aus:

„Entgegen dem Vorbringen des Verteidigers des Beschuldigten stellt die Anordnung mit Beschluss vom 10.11.2023 eine wirksame Grundlage für die Durchsuchung am 19.03.2023 dar; die Wirksamkeit ist durch den Zeitablauf zwischen Anordnung und Vollzug – von etwas über vier Monaten – nicht entfallen.

aa) Zunächst ist im Hinblick auf Wortlaut und Systematik des Gesetzes festzustellen, dass der Gesetzgeber für die richterliche Anordnung von Durchsuchungen keine Gültigkeitsdauer vorgesehen hat, anders als für die richterliche Anordnung anderer Ermittlungsmaßnahmen, wie insbesondere in § 100e Abs. 2, S. 4 i.V.m. §§ 100b, 100c StPO (einen Monat); § 163d Abs. 3 S. 4 StPO (drei Monate) oder auch – weitaus häufiger – für (vorläufige) Anordnungen durch die Staatsanwaltschaft (und ggf. ihre Ermittlungspersonen bzw. Beamte des Polizeidienstes).

Den zuständigen Behörden steht daher grundsätzlich ein weiter Spielraum bei der Entscheidung über den Zeitpunkt der Durchsuchung zu. Dieser ist auch aus teleologischen Gründen geboten. Dies gewährleistet nicht nur, dass kriminaltaktische Erwägungen bei der Entscheidung über den Vollzugszeitpunkt einfließen können, vielmehr wird hierdurch auch gewährleistet, dass eine gewissenhafte Vorbereitung und Personalplanung von (Durchsuchungs-)Maßnahmen möglich ist, insbesondere bei konzertierten Maßnahmen an verschiedenen Orten; dies gilt auch im Hinblick auf Abstimmungs- und Planungsbedarf mit anderen Behörden und Dienststellen, ein sog. „Action Day“ kann daher im Grundsatz flexibel bestimmt werden. Hinzu tritt, mit besonderer Bedeutung, dass Strafverfolgungsbehörden die Priorisierung des Einsatzes von (Human-)Ressourcen bestimmen können müssen, sodass Maßnahmen, die besonders drängend sind, vorgezogen werden können. Dies gebieten ferner auch verfassungsrechtliche Wertungen, da die Verzögerung bestimmter eilbedürftiger polizeilicher Amtshandlungen zwangsläufig mit der Fortdauer oder Vertiefung der Grundrechtsbeschränkungen von Beschuldigten einhergeht – wie etwa im Falle von Untersuchungshaft von Beschuldigten bezüglich der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG). Insofern lassen das einfache Recht und auch Art. 13 Abs. 2 GG es – auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – grundsätzlich zu, von dem Vollzug einer Durchsuchungsanordnung vorläufig abzusehen (BVerfG NJW 1997, 2165, 2166).

bb) Der demnach weite Beurteilungsspielraum gilt aufgrund teleologischer und verfassungsrechtlicher Wertungen jedoch nicht völlig uneingeschränkt.

Denn Grundlage der richterlichen Entscheidung – die dem Richter als unabhängige und neutrale Instanz insbesondere überantwortet ist, damit dieser die (grundrechtlichen) Interessen der von der Durchsuchung Betroffenen gebührend berücksichtigt und schützt – ist naturgemäß die Sachlage nach dem Stand der Ermittlungen im Zeitpunkt der Beschlussfassung, die sich im Laufe der Zeit verändern kann, wodurch die Voraussetzungen der Durchsuchung zu einem späteren Zeitpunkt entfallen sein könnten.

Eine Durchsuchung kann vor diesem Hintergrund nicht mehr auf einen Durchsuchungsbeschluss gestützt werden, wenn die Strafverfolgungsbehörden zum Zeitpunkt der Durchsuchung die Kenntnis, konkrete Anhaltspunkte oder die begründete Erwartung haben, dass die Anordnungsvoraussetzungen zwischenzeitlich entfallen sind/werden, etwa durch das Auftauchen entlastender Beweismittel, aufgekommener Zweifel am Tatverdacht (Gercke in: Gercke/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 7. Aufl. 2023, § 105 StPO, Rn. 67) oder zwischenzeitlich eingetretener Verjährung.

Der Vollzug eines Durchsuchungsbeschlusses kann im Übrigen auch dann rechtswidrig sein, wenn sachfremde oder gar missbräuchliche Gründe der Entscheidung über den verzögerten Vollzug zugrunde liegen, etwa in dem Fall, dass – kriminaltaktisch nicht geboten – erst während der urlaubsbedingten Abwesenheit des Betroffenen durchsucht werden soll oder bei Betroffenheit eines Politikers eine bevorstehende Wahlentscheidung beeinflusst werden soll.

cc) Aber auch abseits dieser Sonderkonstellationen kann nicht ausgeschlossen werden, dass es aufgrund Zeitablaufs zu einer wesentlichen Veränderung der Ermittlungslage kommt. Auch soll vermieden werden, dass „der Staatsanwalt sich eine Durchsuchungsanordnung gewissermaßen auf Vorrat besorgt oder diese doch vorrätig hält“ (BVerfG NJW 1997, 2165, 2166). Das BVerfG hat daher entschieden, dass eine Durchsuchungsanordnung nach dem Ablauf von spätestens sechs Monaten seine Gültigkeit verliert.

(1) Vor dem Hintergrund des weiten Beurteilungsspielraums, wie er aus dem Wortlaut, der Gesetzessystematik und der Interessenlage folgt – wie vorstehend unter aa) skizziert und abseits von Sonderkonstellationen, wie unter bb) –, kann die Ungültigkeit einer richterlichen Durchsuchungsanordnung unterhalb dieser sechsmonatigen Schwelle wegen bloßen Zeitablaufs nur sehr eingeschränkt angenommen werden.

Dem entspricht auch die gerichtliche Praxis. So wurde in den veröffentlichten Entscheidungen – soweit ersichtlich – Rechtswidrigkeit bisher nur angenommen, wenn die Sechs-Monats-Frist um wenige Tage unterschritten wurde (LG Braunschweig StraFo 2007, 288 [zwei Tage]; LG Kiel StraFo 2023, 138 [ein Tag]). Weitergehende Verkürzungen der Geltungsdauer von richterlichen Durchsuchungsanordnungen hat auch der Gesetzgeber (bisher) nicht für notwendig erachtet – dies zeigt der vergleichende Blick auf § 163d Abs. 3 S. 4 StPO, der eine ebensolche Geltungsdauer für richterlich angeordnete Maßnahmen – konkret: von drei Monaten – vorsieht. In eine solche Richtung mag auch die (neuere) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deuten; so hat es im Falle des Vollzugs von Durchsuchungsbeschlüssen auch bei der Überschreitung der absoluten Geltungsdauer – konkret: acht Monate nach deren Anordnung – zwar die Rechtswidrigkeit festgestellt, ein verfassungsrechtlich gebotenes Beweisverwertungsverbot hingegen mit der Begründung abgelehnt, dass die Überschreitung unerheblich sei (BVerfG, Beschl. vom 16.03.2006 – 2 BvR 954/02, Rn. 28 – juris). Im Übrigen ist zu konstatieren, dass seit der maßgebenden bundesverfassungsrechtlichen Entscheidung (BVerfG NJW 1997, 2165, 2166) – vor über 27 Jahren – die Komplexität von (insbesondere wirtschaftsstrafrechtlichen) Straf- und Ermittlungsverfahren in nicht unerheblichem Maße zugenommen hat, sodass es im Allgemeinen bedenkenswert erscheint, die starre Sechs-Monats-Grenze zu verlängern oder zu flexibilisieren.

(2) Nach Auffassung der Kammer kommt die Ungültigkeit einer Durchsuchungsanordnung durch Zeitablauf – abseits von Sonderkonstellationen, wie vorstehend unter bb) – daher grundsätzlich allenfalls bei einem Unterschreiten der Sechs-Monats-Frist um wenige Wochen in Betracht.

Innerhalb dieses Rahmens gilt es zum einen zu beachten, inwieweit die Ermittlungslage im Anordnungszeitpunkt volatil und ein (teilweiser) Wegfall der Voraussetzungen mit Zeitablauf abstrakt wahrscheinlich erscheint. Bei dieser Bewertung dürfte regelmäßig auch eine Rolle spielen, wie deutlich – oder knapp – die Voraussetzungen (Anfangsverdacht, Auffindevermutung und Verhältnismäßigkeit) im Anordnungszeitpunkt vorlagen. Zum anderen sind die Umstände und die Komplexität der Ermittlungen und der damit verbundene Bedarf an Vollzugsvorbereitungen zu berücksichtigen, wobei insbesondere die Anzahl der Beschuldigten, Art und Umfang der gesuchten Beweismittel und die sonstigen Besonderheiten des Falles (BVerfG NJW 1997, 2165, 2166) sowie Anzahl und Größe der zu durchsuchenden Objekte zu berücksichtigen sind.

cc) Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, ist der Vollzug der Durchsuchung vier Monate und neun Tage nach Erlass des Durchsuchungsbeschlusses als rechtmäßig anzusehen.

(1) Zunächst liegt keine Sonderkonstellation vor, die die Rechtswidrigkeit des Vollzugs aufgrund des (späten) Vollzugszeitpunkts begründet.

Es konnte im Zeitpunkt der Anordnung nicht erwartet werden, dass die Anordnungsvoraussetzungen innerhalb von Wochen oder wenigen Monaten entfallen. Auch ist nicht ersichtlich, dass vor der Durchsuchung Erkenntnisse aufkamen, die auf einen Wegfall der Anordnungsvoraussetzungen hindeuteten. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der Auffindevermutung, da weiterhin zu vermuten war, dass sich digital oder in Papierform Hinweise auf den Umgang mit der Kundenliste – auch im Wohnbereich – finden könnten.

Im Übrigen gab es auch keine Hinweise dafür, dass die Wahl des Vollzugszeitpunkts durch die Polizeibehörde auf sachfremden Gründen beruhte oder auch, dass die Durchsuchung „auf Frist“ gelegt wurde (LG Braunschweig StraFo 2007, 288).

(2) Nach der dargelegten Auffassung – die aus Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck bzw. der Interessenlage, auch unter Berücksichtigung der bekannten Rechtsprechung schöpft – ist den Strafverfolgungsbehörden bezüglich der Wahl des Vollzugszeitpunkts im Übrigen ein weiter Beurteilungsspielraum zuzuerkennen, der dazu führt, dass ein Durchsuchungsbeschluss seine rechtfertigende Wirkung frühestens dann verlieren kann, wenn er die Sechs-Monats-Ablaufrist um wenige Wochen unterschreitet. Es kann dahinstehen, ob ein solcher Verlust bei einem Ablauf von vier Monaten und neun Tagen seit Beschlussfassung – wie hier – im Allgemeinen bereits in Betracht kommt, wenn keine (vor allem der vorgenannten) Sonderkonstellationen vorliegt. Jedenfalls unter Berücksichtigung der maßgeblichen Kriterien liegt es aus Sicht der Kammer vorliegend auf der Hand, dass der beschwerdegegenständliche Durchsuchungsbeschluss seine rechtfertigende Wirkung im Zeitpunkt der Durchsuchung nicht verloren hatte.

Dies beruht zunächst darauf, dass es sich um keinen besonders volatilen Sachverhalt handelte, bei dem eine wesentliche Veränderung der Ermittlungslage mit höherer Wahrscheinlichkeit zu erwarten war. Den Umständen nach drängte es sich nicht auf, dass Anfangsverdacht, Auffindevermutung oder Verhältnismäßigkeit zwischenzeitlich entfallen sind, die Voraussetzungen lagen im Anordnungszeitpunkt insbesondere nicht im Grenzbereich.

Auch kann von keiner geringen Komplexität der Ermittlungen ausgegangen werden. Vorliegend richtet sich das Verfahren gegen drei Beschuldigte, es wurde in vier Durchsuchungsräumlichkeiten durchsucht, die sich an drei verschiedenen geographischen Orten befanden, teils über die brandenburgischen Landesgrenzen hinweg. Die Maßnahmen mussten dabei konzertiert erfolgen und haben im größeren Umfang Personal gebunden. Sie gingen daher mit einem nicht unerheblichen Planungs- und Vorbereitungsaufwand seitens der Polizeibehörden einher. Dass der Umfang der gesuchten Gegenstände – namentlich: verfahrensbedeutsame Gegenstände, insbesondere die Kunden- und Zulieferliste der C. GmbH – überschaubar war, fällt dabei nicht erheblich aufwandsmindernd ins Gewicht.

(3) Damit hat der Beschluss vom 10.11.2023 durch den Zeitablauf bis zu seinem Vollzug am 19.03.2024 seine rechtfertigende Wirkung nicht verloren, vielmehr war er wirksame Grundlage der Durchsuchung.“

Durchsuchung I: Durchsuchung im Kipo-Verfahren, oder: 16-Jähriger bittet 13-Jährige um Nacktbilder

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Heute gibt es dann StPO-Entscheidungen. Alle drei haben mit Durchsuchung und/oder Beschlagnahme zu tun.

Ich fange „ganz oben“ an, nämlich beim BVerfG. Das hat sich im BVerfG, Beschl. v. 29.01.2025 – 1 BvR 1677/24 – in erster Linie zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde geäußert, aber dann auch in einem obiter dictum zur Verhältnismäßigkeit einer Durchsuchung in einem KiPo-Verfahren und zur Auffindevermutung Stellung genommen

Der Entscheidudng liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Staatsanwaltschaft führte gegen den zum Tatzeitpunkt (§ 155 StPO) jugendlichen Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Besitzes kinderpornographischer Inhalte. Ausgangspunkt war ein Chat des damals knapp 16-jährigen Beschuldigten mit einem 11-jährigen Mädchen, das sein Alter ihm gegenüber wahrheitswidrig mit 13 Jahren angegeben hatte. In dem sehr kurzen Chatverlauf erkundigte sich der Beschuldigte, ob das Mädchen ihm Nacktbilder schicken würde. Dies lehnte das Mädchen auch auf Nachfrage hin ab. Daraufhin endete der Chatverlauf.

Auf dieser Grundlage ordnete das AG die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten an. Aus dem Chat ergebe sich ein offensichtliches Interesse an kinderpornographischem Material, weshalb auch der Verdacht bestehe, dass der Beschuldigte im Besitz anderer solcher Inhalte sei. Die Durchsuchung wurde vollzogen, wobei mehrere elektronische Geräte des Beschuldig-ten sichergestellt wurden.

Die vom Beschuldigten gegen den Durchsuchungsbeschluss eingelegte Beschwerde hat das LG als unbegründet verworfen. Dagegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde des Beschuldigten. Er sieht sich durch die gerichtlichen Entscheidungen unter anderem in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG verletzt. Die Durchsuchung sei wegen des eher schwachen Anfangsverdachts, der aufgrund seines Alters geringen Tatschwere und der nur schwachen Auffindewahrscheinlichkeit unverhältnismäßig gewesen.

Das BVerfG hat die Verfassungsbe-schwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie unzulässig sei.

Insoweit stelle ich nur (meine) Leitsätze zu der Entscheidung ein und verweise im Übrigen auf den verlinkten Volltext mit der „Bitte“ um Beachtung der Ausführungen des BVerfG:

1. Die allgemeine Begründungslast des § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG umfasst grds auch die – fristgerechte – Darlegung, dass die Frist des § 93 Abs 1 S 1 BVerfGG eingehalten ist, sofern sich dies nicht ohne Weiteres aus den Unterlagen ergibt.

2. Bei einer gegen eine strafprozessuale Zwangsmaßnahme gerichteten Verfassungsbeschwerde muss dafür mitgeteilt werden, wann die für die Fristberechnung maßgebliche Instanzentscheidung sowohl der Verteidigung als auch den Beschwerdeführenden bekannt gemacht wurde.

Es gibt dann aber auch noch ein obiter dictum des BVerfG, aus dem m.E. sehr deutlich wird, was das BVerfG von der Durchsuchungsmaßnahme hält, nämlich nichts:

„2. Aufgrund der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde kann offenbleiben, ob sich die Durchsuchungsanordnung und die Entscheidung über die Beschwerde in der Sache noch als verfassungsgemäß erweisen. Zweifel bestehen allerdings in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit der Anordnung.

a) Die Anordnung der Durchsuchung bedarf wegen des erheblichen Eingriffs in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Beschwerdeführers einer Rechtfertigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 20, 162 <186 f.>; 96, 44 <51>). Die Durchsuchung muss insbesondere in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 20, 162 <186 f.>; 59, 95 <97>; 96, 44 <51>). Hierbei sind auch die Bedeutung des potentiellen Beweismittels für das Strafverfahren sowie der Grad des auf die verfahrenserheblichen Informationen bezogenen Auffindeverdachts zu bewerten (vgl. BVerfGE 115, 166 <197>).

b) Danach begegnet die Angemessenheit der Durchsuchungsanordnung verfassungsrechtlichen Bedenken. Angesichts der schwer wirkenden Eingriffsintensität einer Durchsuchung ist zu besorgen, dass der aufgrund des kurzen Chats eher schwache Anfangsverdacht sowie die daher nur geringe Auffindevermutung nicht ausreichen, um die Durchsuchungsanordnung zu rechtfertigen. So weist der vorliegende Chatverlauf lediglich auf das Interesse des erst knapp 16 Jahre alten Beschwerdeführers am Besitz von Nacktbildern eines (vermutlich) 13-jährigen Mädchens hin. Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer ein weitergehendes Interesse an dem Besitz anderer strafbarer Inhalte als an Nacktbildern pubertierender Mädchen vorzuwerfen sein könnte, sind aus den vorgelegte Unterlagen nicht ersichtlich.“

M.E. ist das mehr als deutlich. Denn danach wird man davon ausgehen können, dass die Verfassungsbeschwerde, wenn sie zulässig gewesen wäre, Erfolg gehabt hätte. Und das mit Recht. Denn man wird kaum daraus schließen können, dass ein (wahrscheinlich auch noch pubertierender) 16-Jähriger, der ein pubertierendes Mädchen von (vermeintlich) 13 Jahren nach Nacktbildern fragt, ein (weitergehendes) Interesse an dem Besitz kinderpornographischer Inhalte hat. Jedenfalls wird man davon nicht ohne weitere Anhaltspunkte ausgehen können (vgl. zur Durchsuchung im KiPo-Bereich BVerfG, Beschl. v. 21.10.2024 – 1 BvR 2215/24 und auch den schönen Beitrag des Kollegen Urbancyk in StRR 2/2025, 6). Mich hätte im Übrigen mal die Begründung des AG für die Anordnung der Durchsuchung und die Begründung des Beschwerdeentscheidung des LG interessiert. Viel kann da jedenfalls nicht an Begründung gestanden haben. Sonst wäre das BVerfG nicht doch so deutlich geworden.

BtM/KCanG III: Besitz lebender Cannabispflanzen, oder: Einstellung aus tatsächlichen Gründen

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Und dann habe ich hier noch zwei Entscheidungen des LG Kaiserslautern, die an sich auch an einem „Gebührentag“ hätten Gegenstand der Berichterstattung sein können.

Ausgangspunkt ist der LG Kaiserslautern, Beschl. v. 24.04.2024 – 3 NBs 6214 Js 2740/23. Mit dem hat das LG ein Verfahren wegen des strafbaren Besitzes lebender Cannabispflanzen aus tatsächlichen Gründen eingestellt, aber davon abgesehen, die notwendigen Auslagen der Landeskasse aufzuerlegen:

„Das Strafgesetz, das bei Beendigung der Tat galt (Anlagen zu § 29 BtMG), wurde geändert. Die Strafbarkeit des Besitzes lebender Cannabispflanzen richtet sich nunmehr nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 c) KCanG, wonach nur der Besitz von mehr als drei lebenden Cannabispflanzen strafbar ist. Zwar wurden im vorliegenden Fall vier Cannabispflanzen bei den Angeklagten gefunden. Inwiefern sich die Besitzverhältnisse hinsichtlich dieser Cannabispflanzen gestalten, kann jedoch nicht mehr aufgeklärt werden. Zugunsten der Angeklagten muss daher unterstellt werden, dass getrennter Besitz vorlag und keiner der beiden Angeklagten mehr als drei Pflanzen besessen hat. Eine solche Tat ist jedoch nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 c) KCanG nicht mehr strafbar, weshalb das Verfahren gemäß § 206b StPO einzustellen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 464, 467 Abs. 1 und 3 StPO. Unter Würdigung aller entscheidungserheblichen Umstände des Einzelfalls wird daher davon abgesehen, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.

Die Kostenentscheidung gefällt dem Verteidiger nicht. Er legt Beschwerde ein und hat mit der Erfolg. Das LG hilft ab und legt mit dem LG Kaiserslautern, Beschl. v. 08.05.2025 – 3 NBs 6214 Js 2740/23 – auch die notwendigen Auslagen der Landeskasse auf:

„Die Angeklagten hätten – wäre es zu einer Berufungshauptverhandlung gekommen – aus den Gründen des Beschlusses vom 24.04.2024 (Bl. 392 d.A.) freigesprochen werden müssen, woraufhin der Staatskasse neben den Verfahrenskosten auch die notwendigen Auslagen der Angeklagten aufzuerlegen gewesen wären. Da die Einstellung des Verfahrens nach § 206b StPO insofern den Freispruch ersetzt, erscheint es angezeigt, hier eine entsprechende Kostenentscheidung zu treffen.“

BtM/KCanG II: Neuer Grenzwert/ „alte“ Drogenfahrt, oder: Freispruch auch nach Verwerfungsurteil

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Als zweite Entscheidung dann der BayObLG, Beschl. v. 23.12.2024 – 201 ObOWi 1138/24.

Das AG hat mit Urteil v.15.07.2024 den Einspruch gegen einen wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen § 24a Abs. 2 StVG gegen den Betroffenen erlassenen Bußgeldbescheid gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Nach dem Bußgeldbescheid steuerte der Betroffene am 10.12.2023 einen Klein-LKW im Straßenverkehr unter Wirkung eines berauschenden Mittels. Zum Zeitpunkt der Fahrt hatte der Betroffene in seinem Blut Tetrahydrocannabinol (THC) in einer Konzentration von 1,2 ng/ml.

Hiergegen wendet sich der Betroffene nach Zustellung des Urteils am 18.07.2024 indem er zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (nach § 74 Abs. 4 OWiG) beantragt und Rechtsbeschwerde eingelegt hat. Der Betroffene macht geltend, ihn treffe kein Verschulden an der Versäumung des Termins. Die GStA hat beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des AG vom 15.07.2024 aufzuheben, den Betroffenen freizusprechen. Es liege ein Verfahrenshindernis vor, weil die Tat nach Inkrafttreten des 6. Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (BGBl. I 2024 Nr. 266) nicht mehr geahndet werden könne.

Das BayObLG folgt dem Antrag:

„c) § 354a StPO i.V.m. §§ 4 Abs. 3 OWiG, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG ist auch hier anwendbar, obwohl ein Urteil vorliegt, durch das der Einspruch des Betroffenen gegen einen Bußgeldbescheid ohne Verhandlung zur Sache gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen worden ist, und damit ein reines Prozessurteil, das keine Feststellungen materiell-rechtlicher Art zur Schuld- und Rechtsfolgenfrage enthält. § 354a StPO ist anwendbar, wenn die Sache irgendwie beim Revisions-/Rechtsbeschwerdegericht anhängig ist, und sei es nur durch einen Antrag nach § 346 Abs. 2 StPO oder durch die zulässige Revision gegen ein Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO bzw. die zulässige Rechtsbeschwerde gegen ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG (LR/Franke StPO 26. Aufl. § 354a Rn. 9).

Es ist davon auszugehen, dass die nach § 4 Abs. 3 OWiG bedeutsame Gesetzesänderung in jeder Verfahrenslage, vom Rechtsbeschwerdegericht jedenfalls auf die hier erhobene allgemeine Sachrüge zu berücksichtigen ist, wenn die dem Betroffenen zur Last gelegte Sachverhalt nach dem zum Zeitpunkt der Rechtsbeschwerdeentscheidung geltenden Recht nicht mehr ordnungswidrig ist (vgl. BayObLG, Beschl. v. 17.10.1969 – RReg. 4a St 78/69, NJW 1970, 262, 263 = BayObLGSt 1969, 142).

Die Generalstaatsanwaltschaft führt dazu aus:

„Die § 206b StPO zugrundeliegende Wertentscheidung des Gesetzgebers, wonach der vollständige Wegfall der Bußgelddrohung in jeder Lage des Verfahrens zu beachten ist, muss vielmehr auch bei der Auslegung des § 354a StPO Berücksichtigung finden. Der Wortlaut des § 354a StPO steht nicht entgegen; dieser enthält insoweit für den Fall des mit der allgemeinen Sachrüge anfechtbaren Verwerfungsurteils keine Einschränkung. Zudem stünde im Fall eines Sachurteils nach allgemeiner Meinung, etwa im Fall der beschränkten Anfechtung, selbst dessen Teilrechtskraft im Schuldspruch der Berücksichtigung der Rechtsänderung nicht entgegen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 01.12.1964 – 3 StR 35/64; BGHSt 20, 116, 118f.; BayObLG, Urt. v. 19.01.1961 – RReg. 4 St 9/61, NJW 1961, 688; Beschl. v. 17.07.2024 – 204 StRR 215/24, StraFo 2024, 353, 354f.; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.05.2024 – 2 ORs 370 SRs 247/24, juris Rn. 8ff.; Fischer StGB 71. Aufl. § 2 Rn. 12 m.w.N.). Entsprechendes muss daher auch dann gelten, wenn noch überhaupt keine Rechtskraft eingetreten ist und durch die Entscheidung über das Verwerfungsurteil erst herbeigeführt werden soll (ebenso LR/Franke a.a.O.). Hinzu kommt, dass das Rechtsbeschwerdegericht den Bußgeldbescheid, aus dem sich der Tatvorwurf ergibt, als Verfahrensvoraussetzung auch nach Ergehen eines Verwerfungsurteils – jedenfalls auf die Sachrüge hin – ohnehin von Amts wegen zur Kenntnis nehmen muss.“

Diese in jeder Hinsicht zutreffenden rechtlichen Erwägungen macht sich der Senat nach eigener Sachprüfung zu eigen. Ein Bußgeldbescheid, dem eine Tat zugrunde liegt, die infolge Gesetzesänderung keine Ordnungswidrigkeit mehr darstellt und deshalb nicht mehr verfolgbar ist, kann nicht Verfahrensgrundlage sein, da der Richter sonst ein Gesetz anwenden müsste, zu dessen Existenzberechtigung bzw. Strenge der Gesetzgeber sich im Entscheidungszeitpunkt nicht mehr bekennt (Schönke/Schröder/Hecker StGB 30. Aufl. § 2 Rn. 14). Die Gesetzesänderung entfaltet dieselbe Wirkung wie ein Verfahrenshindernis.“

 

BtM/KCanG I: Einfuhr von Betäubungsmitteln, oder: Wer ist Mittäter der Einfuhr?

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Heute gibt es dann mal wieder ein paar Entscheidungen zum KCanG und, da das, was ich vorliegen habe, nicht für einen ganzen Tag reicht, etwas zu allgemeinen Fragen in Zusammenhang mit BtM. Und insoweit macht der BGH, Beschluss vom 15.01.2025 – 5 StR 338/24 – den Opener.

Das LG hat die Angeklagten u.a. jeweils wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Dagegen die Revisionen, mit denen die Verfahrens- und die Sachrüge erhoben wird. Wegen der Verfahrensrüge, die keinen Erfolg hatte, komme ich noch mal auf die Entscheidung zurück. Heute interessiert nur die Sachrüge.

Nach den Feststellungen überwachten und organisierten die vier Angeklagten in der Nacht vom 02. auf den 3.04,2023 die Bergung von 37 kg Kokain aus dem B.er Überseehafen. Die Betäubungsmittel waren dort in einem Kühlcontainer versteckt, der per Schiff aus Lateinamerika geliefert und am 28. März 2023 in Br. entladen worden war. In den Tagen bis zur Bergung befand er sich im besonders gesicherten Bereich des B. er Überseehafens. Der Container sollte zeitnah an den Empfänger der Legalware, ein Unternehmen in Polen, ausgeliefert werden.

Dabei sollten alle Angeklagten außerhalb des Hafengeländes agieren. Für die Aufgabe, in dieses einzudringen, das Kokain aus dem Container zu holen und aus dem Hafenbereich herauszuschaffen, waren drei junge Niederländer angeworben worden. Dem Angeklagten F.       S. kam es zu, die Tat aus der Entfernung zu leiten und zu koordinieren. Er stand dazu während der gesamten Tat in telefonischem Austausch einerseits mit den Hintermännern, die die Bergung beauftragt hatten, und andererseits mit den Mitangeklagten und den Niederländern, denen er Anweisungen erteilte. Die Angeklagten E. A. und R. S. kundschafteten eine geeignete Stelle für den Überstieg über den Zaun des Hafengeländes aus und stellten den Niederländern die notwendige Ausrüstung zur Bergung des Kokains zur Verfügung. Der Angeklagte R.A. hatte das Geschehen zu überwachen und sicherzustellen, dass das Kokain nicht von den Niederländern abtransportiert wird, sondern in die Verfügungsgewalt der Angeklagten gelangt.

Und das reicht dem BGH nicht für die mittäterschaftliche Einfuhr:

„b) Der Schuldspruch der Angeklagten wegen mittäterschaftlicher Einfuhr im Sinne der § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG, § 25 Abs. 2 StGB wird durch die Feststellungen nicht getragen.

Das Landgericht hat zwar im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass nach der mit dem Passieren der Grenze zum Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland eingetretenen Vollendung der Einfuhrtat (BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 3 StR 219/15, NStZ 2015, 588) noch eine sukzessive Beteiligung in Betracht kommt. Beendet ist die Einfuhr erst, wenn das eingeführte Rauschgift im Inland in Sicherheit gebracht und damit zur Ruhe gekommen ist (BGH, Beschlüsse vom 25. April 2024 – 5 StR 157/24; vom 31. Januar 2024 – 2 StR 221/23, NStZ 2024, 545; vom 26. Juli 2016 – 3 StR 195/16, NStZ-RR 2017, 84).

Für eine mittäterschaftliche Zurechnung müssen jedoch die Voraussetzungen täterschaftlichen Handelns nach dem allgemeinen Strafrecht vorliegen. Mittäter der Einfuhr kann zwar auch sein, wer das Rauschgift nicht selbst ins Inland verbringt; der Tatbeitrag des Mittäters muss dann aber einen Teil der Tätigkeit aller und dementsprechend das Handeln der anderen eine Ergänzung seines Tatbeitrages darstellen. Von besonderer Bedeutung sind dabei neben dem Grad des eigenen Interesses am Taterfolg der Einfluss bei der Vorbereitung der Tat und der Tatplanung, der Umfang der Tatbeteiligung und die Teilhabe an der Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch von dem Willen des Betreffenden abhängen. Entscheidender Bezugspunkt für die anzustellende wertende Gesamtbetrachtung ist hierbei stets der Einfuhrvorgang selbst (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 28. August 2024 – 5 StR 238/24 mwN zu gesondert Verfolgten Beteiligten des hiesigen Falls).

Diese Bedeutung des Einfuhrvorgangs hat das Landgericht zwar selbst erkannt. Ein den genannten Anforderungen genügender Einfluss der Angeklagten gerade hierauf ist den Feststellungen jedoch nicht zu entnehmen.“