Strafe III: Tagessatzhöhe beim Strafgefangenen, oder: Tagessatzhöhe beim Arbeitslosen

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Und dann zum Tagesschluss noch zwei AG-Entscheidungen zur Tagessatzhöhe.

Hier kommt zuerst der AG Amberg, Beschl. v. 20.06.2024 – 9 Cs 171 Js 12721/23 – zur Tagessatzhöhe bei einem Strafgefangenen:

„Im Hinblick auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten ist die Höhe des Tagessatzes mit 1,00 EUR festzusetzen. Der Angeklagte erhält lediglich Taschengeld in unter-schiedlicher Höhe, auf welches mangels Tätigkeit abzustellen ist. Im Februar 2024 erhielt er Taschengeld für Januar i.H.v. 41,99 EUR und im März 2024 (für Februar 2024) ein solches i.H.v. 43,02 EUR unter Berücksichtigung des Eigengeldes. Um die regelmäßig schlechte finanzielle Ausgangssituation von Strafgefangenen nach Strafhaftende nicht weiter zu verschlechtern und die Resozialisierungschancen nicht weiter zu reduzieren, sollte bei Strafgefangenen stets die Tagessatzanzahl gewählt werden, die am untersten Ende des unter Schuldgesichtspunkten noch Vertretbaren liegt. Die vom Angeklagten durch den unfreiwilligen Aufenthalt in der Justizvollzugs-anstalt ersparten Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung außer Ansatz (zum Ganzen MüKoStGB/Radtke, 4. Aufl. 2020, StGB § 40 Rn. 79). Das Gericht setzt damit die Tagessatzhöhe auf 1,00 EUR fest.“

Und als zweite Entscheidung der AG Pirna, Beschl. v. 17.07.2024 – 23 Cs 962 Js 64817/23 – zur Tagessatzhöhe bei einem Arbeitslosen. Das AG hat den Tagessatz auf 5,00 EUR/Tag festgesetzt:

„Bei der Festsetzung der Tagessatzhöhe ist das Gericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte derzeit in Tschechien Arbeitslosengeld in Höhe von monatlich umgerechnet ca. 175,–Euro erhält.“

Strafe II: Viele Vorstrafen und schneller Rückfall, oder: Keine Bewährung

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Und dann mal wieder etwas zur Bewährung, und zwar den BGH, Beschl. v. 23.05.2024 – 4 StR 42/24. Nichts Besonderes, aber immerhin 🙂 .

Das LG hat den Angeklagten wegen versuchter räuberischer Erpressung und „vorsätzlicher“ Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es nicht zur Bewährung ausgesetzt hat, und ihn im Übrigen freigesprochen. Die Revision des Angeklagten hatte einen Teilerfolg, soweit das LG den Angeklagten wegen Körperverletzung verurteilt hatte. Insoweit fehlte es an der Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses (§ 203 StPO). Die diesem Tatvorwurf zugrundeliegende Anklageschrift hatte das LG im Hauptverhandlungstermin zur Hauptverhandlung zugelassen, allerdings nur in der „Spruchbesetztung“. Infolgedessen war ist der Eröffnungsbeschluss nicht wirksam, was ein im Revisionsverfahren nicht behebbares Verfahrenshindernis zur Folge hatte.

Die erfolgte hatte die Neufassung des Schuld- und Strafausspruchs durch den BGH zur Folgem der zur Bewährungsentscheidungs ausführt:

„Die Entscheidung der Strafkammer über die (versagte) Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung kann hingegen bestehen bleiben. Dem steht nicht entgegen, dass das Landgericht zur Begründung der negativen Sozialprognose gemäß § 56 Abs. 1 StGB auch auf den Umstand abgehoben hat, dass der Angeklagte die – der Einstellung unterliegende – Körperverletzungstat im Rahmen einer Untersuchungshaft begangen hat. Es kann dahinstehen, ob diese Erwägung außer Betracht bleiben muss, nachdem der Senat auf Antrag des Generalbundesanwalts die Verurteilung wegen dieser Tat mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben hat, oder ob das an sich rechtsfehlerfrei festgestellte Körperverletzungsgeschehen hierdurch lediglich insoweit entfallen ist, als es Grundlage der Verurteilung wegen der Tat zu II.B der Urteilsgründe war, für die Aussetzungsentscheidung wegen der verbleibenden Einzelstrafe betreffend die andere prozessuale Tat (II.A der Urteilsgründe) jedoch weiter herangezogen werden kann. Denn der Senat schließt angesichts der weiteren vom Landgericht angeführten Prognosegesichtspunkte jedenfalls aus, dass es für die Entscheidung des Landgerichts, die Strafvollstreckung nicht zur Bewährung auszusetzen, tragend war und diese ohne die Berücksichtigung der Körperverletzungstat anders ausgefallen wäre. Die Strafkammer hat ihre Prognoseentscheidung maßgeblich auf die Vielzahl von Vorstrafen, die Hafterfahrung des Angeklagten sowie den Umstand gestützt, dass er die hier gegenständliche versuchte räuberische Erpressung weniger als ein Jahr nach seiner letzten Haftentlassung, ersichtlich unbeeindruckt von der Haft, beging.“

Strafe I: Die besonderen persönliche Merkmale, oder: Tatbestandsmerkmal „als Zeuge“

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Und dann auf zu Strafzumessungsentscheidungen bzw. Entscheidungen, die mit Strafe zu tun haben.

Ich stelle dazu zunächst den zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmten BGH, Beschl. v. 05.02.2024 – 3 StR 470/23 – vor. Es geht um das Tatbestandsmerkmal „als Zeuge“ in § 153 StGB.

Das LG hatte den Angeklagten im Juni wegen Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage in Tateinheit mit Strafvereitelung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Auf seine Revision hatte der BGH mit Beschluss vom 08.03.2022 (3 StR 398/21, NStZ-RR 2022, 133) das Urteil im Strafausspruch unter Aufrechterhaltung der zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des LG zurückverwiesen.

Im zweiten Rechtsgang hatte das Landgericht Aurich den Angeklagten mit Urteil vom 19.09.2022 auf Grundlage des rechtskräftigen Schuldspruchs zu derselben Freiheitsstrafe wie zuvor verurteilt. Auf seine Revision hatte der BGH mit Beschluss vom 11.01.2023 (3 StR 445/22, NStZ 2024, 154) das Urteil unter Aufrechterhaltung der Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine Strafkammer eines anderen LG zurückverwiesen.

Nunmehr hat dieses LG den Angeklagten im dritten Rechtsgang zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Hiergegen wendet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel war unbegründet:

„Die sachlichrechtliche Nachprüfung des Urteils hat zum noch allein in Rede stehenden Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Das Landgericht hat insbesondere rechtsfehlerfrei den sich aus den §§ 153, 26 StGB ergebenden Strafrahmen zu Grunde gelegt und keine Strafrahmenverschiebung gemäß § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB vorgenommen. Denn das die Strafbarkeit begründende und vom Angeklagten als Anstifter nicht verwirklichte Tatbestandsmerkmal „als Zeuge“ in § 153 StGB ist kein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1 StGB, sondern ein tatbezogenes persönliches Merkmal, auf welches die Norm keine Anwendung findet (vgl. ohne ausdrückliche Erörterung BGH, Urteile vom 18. März 1976 – 4 StR 77/76, BGHSt 27, 74, 76; vom 18. Oktober 1978 – 2 StR 368/78, BGHSt 28, 155, 156; vom 5. April 2007 – 4 StR 5/07, wistra 2007, 341, 342; Beschlüsse vom 11. Dezember 2013 – 2 StR 478/13, NJW 2014, 1403; vom 29. August 2017 – 4 StR 116/17, juris Rn. 7 f.).“

Das begründet der BGH umfangreich. Die Einzelheiten bitte im Volltext nachlesen.

Hier nur noch der Leitsatz des BGH; nämlich:

Das die Strafbarkeit begründende Tatbestandsmerkmal „als Zeuge“ in § 153 StGB ist kein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1 StGB, sondern ein tatbezogenes persönliches Merkmal, auf welches die Norm keine Anwendung findet.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Erstreckung erforderlich?

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Ich hatte am Freitag meine aus dem Rechtspflegerforum geklaute Frage: Ich habe da mal eine Frage: Erstreckung erforderlich? zur Diskussion gestellt. Da ich da aus Zeitgründen nicht mehr mitdiskutiere, kann ich keine eigene Antwort einstellen. Ich nehme aber die Antworten, die es dort im Forum gegeben hat:

Antwort 1:

„Die Frage ist umstritten, mE ist Erstreckung erforderlich, weil die Notwendigkeit der Verteidigung in jedem Verfahren gesondert geprüft werden muss. In OLG Celle, Beschl. v. 06.09.2019 – 2 Ws 253/19 ist der Streitstand sehr schön ausgeführt. Ggf musst Du Dich nach Euren örtlichen Gepflogenheiten richten.

Antwort 2:

„Vielen Dank für die Antwort.

Unsere Richterin war überfordert mit meiner Frage, aber unsere Revisorin konnte mir weiterhelfen. Hier wird der Meinung gefolgt, dass bei Beiordnung nach Verfahrensverbindung es keiner Erstreckung bedarf und der § 48 Abs. 6 S. 1 automatisch greift. War RA/Rin in den hinzuverbundenen Verfahren tätig, erhält sie dort bis zur Verbindung entstanden Gebühren aus der Staatskasse erstattet.

Anders im Fall wenn in einem Verfahren bereits eine Beirodnung erfolgt ist und anschließend weitere Verfahren hinzuverbunden werden. Hier bedarf es ausdrücklich einer Erstreckung.“

Antwort 3:

„@Antwort 1

Die Problematik der Notwendigkeit einer Erstreckung der Beiordnung stellt sich im vorliegenden Fall (#1) nicht, da zunächst eine Verbindung der Verfahren erfolgte und dann erst die Beiordnung im nunmehr einheitlichen Verfahren (vgl. z. B. Gerold/Schmidt/Burhoff, 26. Aufl. 2023, RVG § 48 Rn. 182 ff.; BeckOK RVG/K. Sommerfeldt/M. Sommerfeldt, 62. Ed. 1.12.2023, RVG § 48 Rn. 128 ff.)“

Antwort 4 (derselbe Antwortende wie bei Antwort 1):

„Ah, KostRÄG 2021 sei Dank. Dann dürfte sich der Streit für die Zukunft erledigt haben.“

Anmerkung von mir: Ja, der Streit hat sich erledigt, aber nicht erst seit Anfang 2024 – aus der Zeit stammt die Frage -, sondern bereits seit dem 01.01.2021 – da ist nämlich das KostRÄndG 2021 in Kraft getreten. 🙂 .

KCanG: Entziehung der FE wegen Cannabiskonsums?, oder: Folgen des KCanG für das Fahrererlaubnisrecht

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Im zweiten Posting habe ich dann hier den OVG Saarland, Beschl. v. 07.08.2024 – 1 B 80/24 – zur Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Cannabiskonsum nach neuem Recht. Ja, an sich ist das „Kessel Buntes“, aber wegen des Sachzusammenhangs dann heute hier

Folgender Sachverhalt: Gestritten wird im Verfahren wegen vorläufigen Rechtsschutzes um die Entziehung der Fahrerlaubnis. Der Antragsteller ist angestellter Fahrlehrer. Während einer praktischen Fahrstunde, die der Antragsteller einem Fahrschüler als Beifahrer erteilte, erfolgte eine Verkehrskontrolle. Ausweislich des Polizeiberichts gab der Antragsteller auf entsprechende Nachfrage an, Betäubungsmittel zu konsumieren. Es wurden verschiedene in einem Bericht aufgeführte Auffälligkeiten und Ausfallerscheinungen festgestellt; der Antragsteller händigte den Beamten eine Blechdose mit Konsumutensilien und ca. 0,7 g Marihuana aus, die er im Handschuhfach des Fahrzeugs deponiert hatte. Eine auf freiwilliger Basis um 11.30 Uhr durchgeführte Blutentnahme ergab 11 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC) im Blutserum, 5,6 ng/ml Hydroxy-Tetrahydrocannabinol (THC-OH) und ca. 200 ng/ml Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure (THC-COOH). Nach der Beurteilung des Instituts für Rechtsmedizin spricht das THC-Ergebnis dafür, dass der Antragsteller in einem sehr engen zeitlichen Zusammenhang mit der Blutentnahme Cannabis konsumiert hatte, und lag die festgestellte Konzentration von THC-Carbonsäure deutlich in dem Bereich, der üblicherweise bei regelmäßigem bzw. chronischem Konsum vorgefunden wird. Aus forensisch toxikologischer und rechtsmedizinischer Sicht sei von drogenbedingter Fahruntüchtigkeit zum Vorfallzeitpunkt auszugehen.

Mit Verfügung vom 04.03.2024 hat der Antragsgegner dem Antragsteller die Fahrerlaubnis wegen regelmäßigen Cannabiskonsums unter Anordnung der sofortigen Vollziehung entzogen. Hiergegen hat der Antragsteller Widerspruch erhoben, Den zugleich gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat das VG zurückgewiesen. Die Beschwerde beim OVG ist erfolglos geblieben.

Das OVG macht in seinem Beschluss allgemeine Ausführungen zu den Auswirkungen des KCanG auf die Praxis der Entziehung der Fahrerlaubnis, und zwar;

„Die zulässige Beschwerde gegen die erstinstanzliche Entscheidung ist unbegründet.

1. Der streitgegenständliche Sachverhalt zeichnet sich dadurch aus, dass die angegriffene Verfügung vom 4.3.2024 auf der Grundlage des bis zum 1.3.2024 geltenden (alten) Fahrerlaubnisrechts ergangen ist, der Widerspruch und der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz unter dem Datum 4.4.2024, also nach Inkrafttreten der teilweise, nämlich in Bezug auf den Umgang mit Cannabis, geänderten Fahrerlaubnisverordnung1 datieren und die Widerspruchsentscheidung – soweit ersichtlich – noch aussteht.

Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung durch den Senat ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung.2 Dies ist derzeit die behördliche Entziehungsverfügung, die Widerspruchsbehörde wird ihrer Entscheidung das am 1.4.2024 in Kraft getretene neue Recht zugrunde legen müssen. Nach § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat sie, da kein Fall des § 8 Abs. 2 AGVwGO SL (Beschränkung der Nachprüfung auf die Rechtmäßigkeit) vorliegt, die Recht- und Zweckmäßigkeit der Entziehungsverfügung zu überprüfen. Ihr steht, da sie insoweit an die Stelle der Ausgangsbehörde tritt, dieselbe Prüfungskompetenz (mit der damit einhergehenden Prüfungspflicht) wie der Ausgangsbehörde zu. Ausgehend von dem Zweck des Widerspruchsverfahrens, der Verwaltung eine Selbstkontrolle zu ermöglichen, hat die Widerspruchsbehörde den angefochtenen Verwaltungsakt, soweit – wie hier – gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einer uneingeschränkten Überprüfung zu unterziehen, welche mit der durch den Devolutiveffekt der Nichtabhilfeentscheidung nach § 72 VwGO begründeten umfassenden Sachentscheidungsbefugnis verbunden ist, den Ursprungsbescheid zu ändern, zu ergänzen, aufzuheben oder zu ersetzen. Ihre Entscheidung bildet den nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO für eine spätere verwaltungsgerichtliche Überprüfung im Hauptsacheverfahren maßgeblichen Abschluss des Verfahrens der Exekutive. Aus alldem ergibt sich zwingend, dass die Widerspruchsbehörde eigenständig zu prüfen hat, ob zum maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Entscheidung die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für die im angefochtenen Ausgangsbescheid ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen, und dass sie – bei bestehenden Unklarheiten – eine für die Entscheidung hierüber noch erforderliche Sachverhaltsaufklärung betreiben muss.3

Diese abschließende Entscheidung der Exekutive darüber, ob der verfahrensgegenständliche Sach- und Streitstand gemessen an dem seit dem 1.4.2024 geltenden Fahrerlaubnisrecht in Anwendung von § 13 a Nr. 1 oder Nr. 2 lit. a Alt. 2 FeV n.F. Veranlassung zur Anordnung der Beibringung eines ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens gibt, gegebenenfalls ob eine solche Anordnung ausnahmsweise – so der Antragsgegner – mangels Aussicht auf eine erfolgreiche Untersuchung unterbleiben kann, oder etwa ob – so das Verwaltungsgericht – gemäß § 11 Abs. 7 FeV die Nichteignung ohne vorherige Untersuchungsanordnung als feststehend anzusehen ist, steht vorliegend noch aus.

Der Antragsgegner hat sich im erstinstanzlichen und im Beschwerdeverfahren dahin positioniert, dass seine Verfügung mit anderer – an der neuen Konzeption der Fahrerlaubnisverordnung ausgerichteter – Begründung (Cannabismissbrauch) keinen Rechtmäßigkeitsbedenken unterliege. Er ist als Ausgangsbehörde gemäß § 72 VwGO zur Selbstkontrolle verpflichtet und von daher zu einer Nachbesserung der Begründung seiner Verfügung befugt4; nach Eintritt des Devolutiveffekts5 wird die Widerspruchsbehörde – das behördliche Verfahren abschließend – über das Vorliegen der Voraussetzungen der geänderten Vorgaben des Fahrerlaubnisrechts zu entscheiden haben.6

Da die Einführung neuen Rechts typischerweise mit Auslegungs- und Anwendungsproblemen einhergeht, erscheint an dieser Stelle ein Blick auf die Rechts-änderung und das neue Normgefüge angezeigt.

Nach alter Rechtslage war die Fahrerlaubnis bei regelmäßigem Cannabiskonsum zu entziehen und bei gelegentlichem Konsum war entscheidend, ob ein hinlängliches Trennungsvermögen besteht, was nach Maßgabe des § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV a.F. durch Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung abgeklärt werden konnte. Das neue Recht unterscheidet zwischen Cannabisabhängigkeit, Cannabismissbrauch und einem fahrerlaubnisrechtlich unbedenklichen Cannabiskonsum, der nach Vorstellung des Normgebers gelegentlich oder regelmäßig erfolgen kann. Der Normgeber hat damit Neuland betreten, was sich für die Fahrerlaubnisbehörden, die Gerichte und die Begutachtungsstellen durchaus als Herausforderung darstellt7, zumal eine Anpassung der Beurteilungsleitlinien an die neuen Vorgaben (noch) nicht erfolgt ist.8

Mit der Neuregelung hat der Normgeber seine bisherige Annahme, dass mit einem regelmäßigen Konsum im Regelfall mangelnde Kraftfahreignung einhergeht, aufgegeben. Der bisherigen Regelvermutung der Ungeeignetheit gemäß Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien ist damit jedenfalls in ihrer bisherigen Ausgestaltung die Grundlage entzogen. Zutreffend stellt das Verwaltungsgericht fest, dass aus der Gesetzesbegründung nicht hervorgeht, unter welchen Voraussetzungen der Betroffene nicht hinreichend sicher zwischen dem Führen eines Kraftfahrzeugs und einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Konsum trennt. Insoweit drängt sich auf, dass bei regelmäßigem Konsum nunmehr die Umstände des Einzelfalls von zentraler Bedeutung sind und anhand ihrer zu beurteilen ist, ob der Tatbestand des Missbrauchs bzw. der Abhängigkeit erfüllt ist oder ein fahrerlaubnisrechtlich unbedenkliches Konsumverhalten vorliegt. Das auf die alten Beurteilungsleitlinien gestützte Argument, bei regelmäßigem Cannabiskonsum liege im Regelfall Cannabismissbrauch vor, hat demgegenüber das Potential, den Willen des Normgebers zu konterkarieren.

Bei alldem ist zudem zu sehen, dass die Beibringung eines Gutachtens nach alter wie nach neuer Rechtslage nicht auferlegt werden durfte bzw. darf, wenn ohnehin bereits feststeht, dass Kraftfahrungeeignetheit gegeben ist, um den Betroffenen nicht zusätzlich in seinem Persönlichkeitsrecht zu belasten, es ihn aber andererseits in seinen Rechten verletzen würde, wenn die Fahrerlaubnis zu Unrecht entzogen wird, weil die Behörde ihre Überzeugung aufgrund unzutreffender Maßstäbe getroffen hat.

Hieraus ist zu schlussfolgern, dass die Überzeugung mangelnden Trennungsvermögens anhand objektiv nachvollziehbarer und wissenschaftlich gesicherter Kriterien gewonnen werden muss. Es bedarf handhabbarer Kriterien für die erforderliche Abschichtung und die Prognose künftig bestehenden oder fehlenden Trennungsvermögens; die Erarbeitung dieser Kriterien und Leitlinien setzt die Auswertung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und entsprechenden Sachverstand, insbesondere medizinisches und psychologisches Wissen, voraus und insoweit kommen die Behörden und Gerichte schwerlich als Vorreiter in Frage. Unter welchen Voraussetzungen die Fahrerlaubnisbehörde im Sinne des § 11 Abs. 7 FeV zu der Überzeugung gelangen kann, dass die Nichteignung ohne vorherige Begutachtung feststeht, kann nicht losgelöst von alldem beurteilt werden.“

Rest dann bitte ggf. selbst lesen. Ich habe zudem davon abgesehen, die in o.a. Auszug enthaltenen Fußnoten aufzulösen. Wer die Belegstellen braucht: Bitte im Volltext nachlesen.