Die zweite Entscheidung stammt aus einem OWi-Verfahren. Es ist (fast) ein Klassiker. Es geht nämlich um die Frage, ob ein Mandant auf die Auskunft seines Verteidigers, ein Termin werde nicht stattfinden, vertrauen darf.
Gegen den Betroffenen war ein Bußgeldbescheid ergangen. Der Verteidiger legte dagegen form- und fristgerecht Einspruch ein. Das Amtsgericht bestimmte darauf am Termin zur Hauptverhandlung auf den 06.06.2024, wobei das persönliche Erscheinen der Betroffenen angeordnet wurde. Am 04.06.2024 beantragte der Verteidiger, den Hauptverhandlungstermin zu verlegen, da er wegen einer Lendenwirbelfraktur, die am 21. beziehungsweise am 24.05.2024 festgestellt worden sei, nicht reisefähig sei. Ab Mitte Juli d. J. könne er wieder Hauptverhandlungstermine wahrnehmen. Das AG forderte vom Verteidiger ein ärztliches Attest an (sic!).
Am 05. Juni 2024 lehnte das AG dann den Verlegungsantrag ab, da eine Arbeits- und/oder Reiseunfähigkeit (des Verteidigers) nicht ärztlich attestiert worden sei. Das AG verwarf in der Hauptverhandlung vom 06.06.2024 den Einspruch, da weder die Betroffene noch der Verteidiger erschienen waren.
Dagegen beantragte der Verteidiger die Zulassung der Rechtsbeschwerde und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das AG hat den Wiedereinsetzungsantrag verworfen.Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hatte beim LG Stuttgart mit dem LG Stuttgart, Beschl. v. 20.9.2024 – 17 Qs 46/24 – Erfolg:
„2. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.
a) Soweit der Verteidiger den Wiedereinsetzungsantrag mit seiner eigenen Erkrankung be-gründet, kommt es darauf nicht an. Bereits nach dem Gesetzeswortlaut (§ 74 Abs. 2 OWIG) ist allein maßgeblich, ob der Betroffene – nicht sein Verteidiger – genügend entschuldigt war. Eine Erkrankung des Verteidigers vermag einen solchen Entschuldigungsgrund mithin grundsätzlich nicht darzustellen. Ob das Amtsgericht dem Verlegungsantrag hätte stattgeben müssen beziehungsweise ob die Voraussetzungen für die Verwerfung des Einspruchs unter diesen Umständen vorgelegen haben, ist nicht Gegenstand dieses Rechtsmittels.
b) Der Wiedereinsetzungsantrag war jedoch begründet, weil der Verteidiger schlüssig dargelegt und durch seine anwaltliche Versicherung glaubhaftgemacht hat, dass er der Betroffenen – über ihren Ehemann – mitgeteilt habe, dass „der Termin deshalb [wegen seiner Verhinderung] nicht stattfinden könne“.
Die Auskunft eines Verteidigers an einen Betroffenen, der Termin könne nicht stattfinden, ist – soweit keine besonderen Umstände vorliegen – geeignet, bei dem Betroffenen ein Vertrauen auf die Richtigkeit dieser Auskunft zu begründen und schließt eine schuldhafte Säumnis im Termin aus (vgl. Senge in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Auflage, § 74 Rn. 33).
Anhaltspunkte, dass seitens der Betroffenen Zweifel an der Richtigkeit der Auskunft ihres Verteidigers angebracht waren (vgl. hierzu KG, Beschluss vom 9. Mai 2012 – 3 Ws 260/12, Beck LSK 2012, 360619), sind dabei nicht ersichtlich. Liegen – aus Laiensicht – keine Anhaltspunkte für die Unzuverlässigkeit oder einen Irrtum des Verteidigers vor, darf er den Worten seines Verteidigers vertrauen, ohne dies hinterfragen zu müssen.
Soweit das OLG Brandenburg (Beschluss vom 27. September 2022 – 1 OLG 53 Ss-Owi 378/22) im Falle einer falschen Anweisung durch den Verteidiger, einem Termin fernzubleiben, mangels Entscheidungskompetenz des Verteidigers keine entschuldigende Wirkung zumisst, kommt es hierauf im hiesigen Fall nicht an, da sich der Verteidiger keine solche Entscheidungskompetenz zugesprochen hat, sondern bei lebensnaher Betrachtung für einen Laien den Anschein erweckt hat, der Termin sei oder werde (sicher) durch das Gericht aufgehoben.
Soweit das Amtsgericht darauf abstellt, der Verteidiger habe nicht dargelegt, die Betroffene auf eine bereits erfolgte Terminsaufhebung hingewiesen zu haben, ist solcher Vortrag nicht zwingend notwendig. Tatsächlich impliziert die Aussage des Verteidigers „der Termin könne nicht stattfinden“, dass die Terminsaufhebung durch das Gericht unvermeidlich sei beziehungsweise sicher erfolgen werde.
Im übrigen sind die Anforderungen an ein Wiedereinsetzungsgesuch nicht zu überspannen, wenn es – wie hier – um einen erstmaligen Zugang zu Gericht geht.“