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Anspruch auf Löschung an HIS-Datei gemeldete Daten?, oder: Nicht, wenn Reparaturmaßnahmen unklar sind

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Bei der zweiten vorpfingstlichen Entscheidung im Kessel-Buntes handelt es sich um das AG Düsseldorf, Urt. v. 07.03.2023 – 40 C 226/22.

In dem Urteil hat das AG die vom Kläger begehrte Löschung von Daten in der sog. HIS-Datei abgelehnt. Das Fahrzeug, um das es geht, war anlässlich eines Verkehrsunfalls am 29.07.2020 beschädigt worden. Die Beklagte hatte seinerzeit als eintrittspflichtige Haftpflichtversicherung den Schaden bearbeitet und reguliert. Nach der Abrechnung eines wirtschaftlichen Totalschadens auf fiktiver Basis durch den damaligen Eigentümer nach dem Verkehrsunfall vom 29.07.2020 gab die Beklagte am 18.08.2020 folgende Informationen weiter: „Hersteller:  MERCEDES-BENZ, Typ GI 350 CDI 4MATIC, Fahrzeugart PKW, Erstzulassung 01.06.2016″. Außerdem wurde gemeldet, dass der Meldegrund eines Totalschadens vorlag und das Datum des Schadens wurde mitgeteilt.

Der Vorbesitzer des Fahrzeugs ließ eine Reparatur durchführen. Dies teilte er der Beklagten mit.

Der Kläger, ein durch die IHK öffentlich bestellter und vereidigter KFZ-Sachverständiger, führte eine Besichtigung am 24.08.2021 selbst durch. Er erstellte daraufhin eine Reparaturbestätigung nebst Lichtbildnachweisen. Diese sandte er der Beklagten zu und bat um Löschung der personenbezogenen Daten. Dies lehnte die Beklagte, auch nach anwaltlicher Aufforderung ab.

Der Kläger hat behauptet, er sei seit 24.04.2021 Eigentümer des Fahrzeugs. Das Fahrzeug sei vollständig und fachgerecht repariert. Er verlangt die Löschung der Daten.

Das AG hat die Klage abgewiesen:

„Der Kläger hat keinen Anspruch auf Löschung der gemeldeten Daten nach Art. 17 Abs. 1 a) DSGVO.

Gern. Art. 17 Abs. 1 a) DSGVO sind personenbezogene Daten zu löschen, sobald diese nicht mehr für die Zwecke notwendig sind, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet worden sind.

Dies ist namentlich dort der Fall, wo ein der Datenerhebung bzw. -speicherung zu Grunde liegendes Prüfverfahren hinsichtlich der aufgenommenen Daten endgültig abgeschlossen worden ist (EuGH, NJW 2018, 767). Die Löschung als solche hat dabei der „Verantwortliche“ im Sinne des Art. 4 Nr. 7 DSGVO vorzunehmen, wobei allerdings im Falle der Veranlassung der (fortlaufenden) Speicherung bei einem Verantwortlichen durch einen Dritten, dieser Dritte zur Einwirkung auf den Verantwortlichen im Rahmen eines Unterlassungsanspruches verpflichtet ist.

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Nach Art. 17 Abs. la der DSGVO hat die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden, und der Verantwortliche ist verpflichtet, personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, sofern die Speicherung und Verarbeitung nicht mehr für die Zwecke, für die sie erhoben wurden notwendig sind.

Zwar dürfte es sich bei den gemeldeten Daten um personenbezogene Daten im Sinne der Verordnung handeln, da über eine einfache Abfrage zu der FIN ein Zusammenhang mit dem Kläger als Person hergestellt werden kann.

Es besteht hier jedoch kein Löschungsanspruch, weil hier keine schutzwürdigen Belange des Klägers beeinträchtigt werden (vergl. OLG Hamm Urt. v. 14.02.2018 11 U 126/17).

Ob das Fahrzeug vollständig und fachgerecht repariert wurde, ist streitig.

Auch eine Beweisaufnahme zu der Frage, ob das Fahrzeug fachgerecht und umfassend repariert wurde, brauchte das Gericht nicht durchzuführen. Zum einen würde es sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis handeln, da es an jeglichem Vortrag fehlt, welche konkreten Schäden vorhanden waren und welche Reparaturschritte erfolgt sein sollen.

Die von dem Kläger selbst ausgestellte Reparaturbescheinigung sowie eine Hauptuntersuchungsbescheinigung oder eine Garantie haben jedenfalls keinen Beweiswert für die Frage, ob tatsächliche eine umfassende Reparatur aller Schäden durchgeführt wurde. Es bleibt völlig unklar welche Schäden vorlagen und welche Reparaturmaßnahmen erfolgten.

Auch eine Güterabwägung nach Art. 6 der DSGVO ergibt, dass ein berechtigtes Interesse des Versicherers an den entsprechenden Daten besteht.

Auch bei einer fachgerechten und umfassenden Reparatur bleibt der Umstand erhalten, dass das Fahrzeug in der Vergangenheit einen wirtschaftlichen Totalschaden erlitten hatte, was im Verkaufsfall eine aufklärungspflichtige Information darstellt und in der Regel zu einem dauerhaft verbleibenden Minderwert des Fahrzeugs führt, insbesondere wenn keine konkreten Nachweise über eine Reparatur vorliegen. Um eine solche Bewertung vornehmen zu können, bleibt ein Interesse an der Speicherung der Daten in HIS vorhanden, unabhängig von der Qualität der durchgeführten Reparatur.

Zutreffend führt die Beklagtenseite aus, dass die Einmeldung auch deshalb gerechtfertigt ist, um die Höhe eines bei einem weiteren Verkehrsunfall entstandenen Schadens zutreffend beurteilen und die Abrechnung eines zu hohen Schadensersatzanspruchs zu Lasten der Versichertengemeinschaft verhindern zu können. Es geht also nicht nur um Fälle einer gezielten Täuschung, sondern es sind auch Konstellationen denkbar, bei denen der Anspruchssteller selber keine Kenntnis von einem Vorschaden hat oder den Umfang des Schadens bzw. die Qualität der durchgeführten Reparaturmaßnahmen selber nicht richtig beurteilt – auch in diesen Fällen muss zugunsten der Versichertengemeinschaft eine Prüfung ermöglicht werden, ob und in welchem Umfang ein neuer Schaden eingetreten ist und welche Reparaturkosten zu seiner Beseitigung erforderlich sind. Auch die Höhe eines Wiederbeschaffungswertes wird dadurch beeinflusst.

Demgegenüber ist die im Rahmen der Gesamtgüterabwägung die Beeinträchtigung des Klägers durch Speicherung der Daten als geringfügig einzustufen.“

Übergabe von 70.000 EUR bar, nachts an Tankstelle, oder: Kein Straßenverkauf im Gebrauchtwagenhandel

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Heute im „Kessel Buntes“ zwei Zivilurteile. Zunächst hier das OLG Oldenburg, Urt. v. 27.03.2023 – 9 U 52/22, das vor einigen Wochen ja schon durch die Blogs gezogen ist.

Bei dem Urteil handelt es sich um die „Lamborghini-Geschichte“, also den Kuaf bzw. gutgläubigen Erwerb eines Lamborghini.  Der wird vom Käufer mitten in der Nacht auf dem Parkplatz einer Tankstelle begutachtet und später in einem Schnellimbiss mit 70.000 EUR bar bezahlt hat. Geklagt wurde von einem in Spanien ansässigen Mann/Eigentümer, der seinen Pkw an eine Agentur vermietet hatte, die den Wagen wiederum weitervermietete. Nach der Mietzeit war das Fahrzeug nicht wieder zurückgegeben worden und war deshlab zur Fahndung ausgeschrieben worden. Das OLG Oldenburg hat den gutgläubigen Erwerb des „Käufers“ abgelehnt:

„Der Kläger hat sein Eigentum durch das streitgegenständliche Rechtsgeschäft nicht an den Beklagten verloren. Zwar hat am 16.8.2019 zwischen den – als Vertreter des EE auftretenden – Brüdern FF und dem Beklagten eine dingliche Einigung und Übergabe im Sinne von § 929 Satz 1 BGB stattgefunden. Weil das Fahrzeug weder dem EE noch den Brüdern FF gehörte und diese nicht verfügungsbefugt waren, handelten sie als Nichtberechtigte.

Gemäß § 932 BGB wird der Erwerber durch eine durch Einigung und Übergabe des unmittelbaren Besitzes erfolgte Veräußerung auch dann Eigentümer, wenn die Sache nicht dem Veräußerer gehört, es sei denn, dass er zum Zeitpunkt der Eigentumsübertragung nicht in gutem Glauben war. Nach § 932 Abs. 2 BGB ist der Erwerber nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder aufgrund grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört. Dass der Beklagte nicht in gutem Glauben war, muss der Kläger beweisen. Der Gesetzgeber hat die fehlende Gutgläubigkeit im Verkehrsinteresse bewusst als Ausschließungsgrund ausgestaltet. Derjenige, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft, muss die Erwerbsvoraussetzungen beweisen, nicht aber seine Gutgläubigkeit (BGH, Urteil vom 23.9.2022 – V ZR 148/21 – juris).

Der Beklagte hat vorliegend nicht gutgläubig Eigentum an dem Fahrzeug erworben. Zwar bestehen keine zureichenden Anhaltspunkte, dass dem Beklagten positiv bekannt war, dass der EE weder Eigentümer noch verfügungsbefugt war. Der Beklagte hat jedoch zur Überzeugung des Senats insoweit grob fahrlässig gehandelt.

Unter grober Fahrlässigkeit wird im allgemeinen ein Handeln verstanden, bei dem die im Rechtsverkehr erforderliche Sorgfalt den gesamten Umständen nach in ungewöhnlich großem Maße verletzt worden ist und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGHZ 77, 274, 278, BGH, NJW 2013, 1946 Rn 11). Im Rahmen des § 932 Abs. 2 BGB gibt es keine Entlastung wegen fehlender subjektiver Fahrlässigkeit, weil der Rechtsverkehr sich bei der Konkretisierung des guten Glaubens auf gleichmäßige Mindestanforderungen einstellen können muss. Es gilt daher ein streng objektiver Maßstab, so dass die persönlichen Maßstäbe des Erwerbers und seine Handelsgewohnheiten den Maßstab nicht mindern (BGH LM § 932 Nr. 12, 21). Der Beklagte kann sich mithin nicht darauf berufen, dass es sich aus seiner Sicht um einen üblichen Geschäftsvorgang gehandelt habe, den er bzw. Familienangehörige bereits wiederholt in ähnlicher Weise praktiziert hätten, der Kauf ihm persönlich unverdächtig vorkam und er gutgläubig gewesen sei.

Es gehört regelmäßig zu den objektiven Mindesterfordernissen gutgläubigen Erwerbs eines Kraftfahrzeugs, dass sich der Erwerber den Kraftfahrzeugbrief vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen (BGH, NJW 1996, 2226, 2227). Auch wenn der Veräußerer im Besitz des Fahrzeugs und des Briefes ist, kann der Erwerber gleichwohl bösgläubig sein, wenn besondere Umstände seinen Verdacht erregen mussten und er diese unbeachtet lässt. Eine allgemeine Nachforschungspflicht des Erwerbers besteht hingegen nicht (BGH, NJW 2013, 1946 Rn 13). Anhand der Eintragungen ist die Möglichkeit gegeben, bei dem eingetragenen Berechtigten die Übereignungsbefugnis des Fahrzeugbesitzers nachzuprüfen. Diese Prüfung hat der Erwerber jedenfalls vorzunehmen, um sich nicht dem Vorwurf grober Fahrlässigkeit auszusetzen. Kommt der Erwerber dieser Obliegenheit nach und wird ihm ein gefälschter Kraftfahrzeugbrief vorgelegt, treffen ihn, sofern er die Fälschung nicht erkennen musste und für ihn auch keine anderen Verdachtsmomente vorlagen, keine weiteren Nachforschungspflichten (BGH, NJW 2013, 1946 Rn. 14).

Nach den Feststellungen des Landgerichts sind dem Beklagten deutsche Originalzulassungsbescheinigungen I und II übergeben worden, die vom Kreis Ort7 ausgegeben worden sind. Soweit der Kläger erstmals im Berufungsverfahren konkret behauptet, dass diese ggf. als Fälschungen zu erkennen waren, ist er damit gem. § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen, weil nicht erkennbar ist, dass er ohne Nachlässigkeit daran gehindert gewesen wäre, bereits erstinstanzlich entsprechend vorzutragen und der Beklagte den Vortrag bestritten hat.

Allerdings konnte der Beklagte trotz der ihm vorgelegten Originalzulassungsbescheinigungen nicht davon ausgehen, dass die Fahrzeugbesitzer FF verfügungsbefugt waren. Denn nicht sie waren in den Zulassungsbescheinigungen ausgewiesen, sondern eine in Spanien wohnhafte Person namens EE. Unstreitig haben sich die Brüder als bloße Vermittler ausgegeben, und der Beklagte hat davon abgesehen, mit dem EE in persönlichen Kontakt zu treten. Der Beklagte hat auch darauf verzichtet, sich eine schriftliche Vollmacht des EE vorlegen zu lassen. Stattdessen hat er sich unter Vorlage einer Kopie der Vorderseite eines auf den Namen EE ausgestellten spanischen Personalausweises auf die mündliche Angabe der Brüder FF verlassen, bevollmächtigt zu sein. Dies reicht nicht aus, um eine Bevollmächtigung glaubhaft zu belegen. Dies gilt umso mehr, als die Schreibweise des Namens und der Adresse in den Zulassungsbescheinigungen von der vorgelegten Kopie des Personalausweises bzw. dem Kaufvertrag abweicht und zudem aus den Zulassungsbescheinigungen nicht eindeutig hervorging, ob es sich bei dem EE tatsächlich um denjenigen handelte, auf den das Fahrzeug zugelassen war, oder er ggf. nur Empfangsbevollmächtigter war (im Einzelnen s.u.).

Indem der Beklagte das Fahrzeug erworben hat, ohne nähere Nachforschungen zur Person des angeblichen Eigentümers sowie zur Bevollmächtigung der beiden Brüder anzustellen, hat er die ihm obliegenden Überprüfungspflichten im Zusammenhang mit der Vorlage der Zulassungsbescheinigungen nicht erfüllt. Besondere Vorsicht war hier auch vor dem Hintergrund angezeigt, dass es sich um ein Luxusfahrzeug handelt, das erst wenige Tage vor dem Verkauf aus dem EU-Ausland nach Deutschland eingeführt und hier mit Kurzzeitkennzeichen zugelassen worden war. Ungewöhnlich war zudem, dass die Brüder offenbar sofort zur Inzahlungnahme eines Fahrzeugs des Beklagten unter Anrechnung auf den Kaufpreis bereit waren, ohne zuvor mit dem vermeintlichen Eigentümer Rücksprache zu halten und ohne dass sich dieser das Fahrzeug ansieht oder sich zumindest Lichtbilder und Papiere des Fahrzeugs übersenden lässt. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Brüder ausweislich der TÜ-Mitschnitte (Bl. 7 I, Anlage K 12, Anlagenband, Anlage B 3, Bl. 122 I ff.) vor dem Verkauf angegeben haben, dass auf den EE alle Kaufverträge gemacht werden. Auch vor diesem Hintergrund hätte für den Beklagten Anlass zu weiteren Nachfragen bestanden, erscheint es doch ungewöhnlich, dass eine Privatperson regelmäßig Fahrzeuge verkauft, und die gewerblich im Autohandel tätigen Brüder ausschließlich für diese Privatperson handeln und daher alle Kaufverträge auf den EE ausstellen.

Nach alldem bestand für den Beklagten trotz Vorlage der Zulassungsbescheinigungen von vornherein Anlass, sowohl an der Eigentümerstellung des EE als auch an einer Bevollmächtigung der Brüder FF zu zweifeln. Auch von letzteren waren dem Beklagten mit Ausnahme einer Telefonnummer keinerlei persönliche Daten (vollständiger Name, Adresse etc.) bekannt.

Hinzu kommen weitere besondere Umstände des Verkaufs, die sich in vielfacher Hinsicht als auffällig darstellten. So handelte es sich um einen Straßenverkauf. Ein erstes Treffen hatte zunächst am 13.8.2019 in Ort3 auf dem Parkplatz einer Spielothek stattgefunden. Das Fahrzeug konnte nach Bekunden der Brüder zu diesem Zeitpunkt noch nicht übergeben werden, weil sie es angeblich zunächst noch für eine Hochzeitsfahrt eines Freundes benötigten. Es erscheint wenig nachvollziehbar, warum diese als Vermittler berechtigt gewesen sein sollten, das Fahrzeug zu privaten Zwecken zu nutzen.

Ungewöhnlich erscheinen zudem Zeit und Ort des Vertragsschlusses und der Übergabe. Nachdem die Brüder FF zunächst angeboten hatten, das Fahrzeug am 15.8.2019 an die Wohnanschrift des Beklagten zu bringen, einigte man sich später darauf, sich um 12 Uhr „in der Mitte“ auf dem Gelände einer Tankstelle in Ort4 zu treffen, wobei keiner der Beteiligten einen persönlichen Bezug zu der Örtlichkeit hatte. Später teilten die Brüder mit, erst gegen 19 Uhr am Treffpunkt zu sein. Nachdem der Beklagte am Treffpunkt eingetroffen war, teilten die Brüder im Laufe des Abends mit, im Stau zu stehen. Später gaben sie an, in eine Polizeikontrolle geraten zu sein. Dort habe es Verzögerungen gegeben, weil noch „eine Rechnung beim Amt“ offen gewesen sei. Sie trafen schließlich erst gegen 23 Uhr am Treffpunkt ein, woraufhin nach der Durchführung von Probefahrten erst um 1 Uhr des Folgetages der Kaufvertrag unterschrieben und das Fahrzeug auf dem Gelände einer Tankstelle an den Beklagten übergeben wurde.

Ein Straßenverkauf im Gebrauchtwagenhandel gebietet besondere Vorsicht, weil er erfahrungsgemäß das Risiko der Entdeckung eines gestohlenen Fahrzeugs mindert (BGH, NJW 1992, 310). Er führt nur dann nicht zu weitergehenden Nachforschungspflichten, wenn er sich für den Erwerber als nicht weiter auffällig darstellt (BGH, NJW 2013, 1946 Rn. 15). Vorliegend gab es indes, wie dargelegt, ganz erhebliche Auffälligkeiten.

Auffällig waren auch die offensichtlichen Übertragungsfehler in der Wiedergabe des Namens sowie der Wohnanschrift des angeblichen Verkäufers. Lautete dessen Name ausweislich der vorgelegten Kopie des Personalausweises „(…)“ (Anlage K 9, Anlagenband), wurde er in den Zulassungsbescheinigungen und dem Kaufvertrag als „(…)“ bezeichnet. Überdies ist die Wohnanschrift des Verkäufers in der Zulassungsbescheinigung II und in dem Kaufvertrag nicht identisch wiedergegeben. Heißt es in der Zulassungsbescheinigung II „(…)“, heißt es im Kaufvertrag „(…)“.

Aus der Zulassungsbescheinigung I geht zudem der EE nicht eindeutig als derjenige hervor, auf den das Fahrzeug zugelassen ist, folgt dem Namen doch der Zusatz „Empfangsbevollmächtigter“, wobei nicht hinreichend deutlich wird, ob sich dieser Zusatz auf den EE oder den GG bezieht, dessen Name erst in der nachfolgenden Rubrik „Vorname(n)“ genannt ist.

Der Beklagte hat zudem auf einen Abgleich der im Kaufvertrag angegebenen Adresse mit dem Personalausweis verzichtet, denn eine Kopie der Rückseite des Personalausweises war ihm nicht vorgelegt worden, so dass ihm eine Überprüfung der Wohnanschrift nicht möglich war.

Der Kaufvertrag ist zudem unvollständig ausgefüllt. Es fehlen Angaben zur Anzahl der übergebenen Schlüssel sowie dazu, ob Service- und Wartungsarbeiten lückenlos durchgeführt wurden und das Serviceheft vorliegt. Gerade bei Luxusfahrzeugen wird aber üblicherweise Wert auf eine lückenlose Dokumentation der durchgeführten Wartungen und Services gelegt. Auch wurden unstreitig die Servicehefte nicht an den Beklagten übergeben. Dass insbesondere Luxusfahrzeuge durch Vertragswerkstätten „scheckheftgepflegt“ sind, stellt einen bei Vertragsverhandlungen üblicherweise maßgeblichen Umstand dar.

Dem Beklagten wurde der DEKRA-Prüfbericht vom Tag der Zulassung mit der zutreffenden FIN (Anlage K 13, Anlagenband) vorgelegt, der als Empfänger allerdings weder den Veräußerer noch die Bevollmächtigten, sondern einen dritten Namen (JJ) ausweist.

Bei einer Gesamtbetrachtung der genannten Umstände ergaben sich im Zeitpunkt des Erwerbs für den Beklagten zahlreiche Auffälligkeiten, die darauf hindeuteten, dass es sich um ein illegal nach Deutschland eingeführtes Fahrzeug handelte und der im Kaufvertrag als Veräußerer benannte EE weder der Eigentümer noch zu einer Verfügung über das Fahrzeug befugt war. Diese Verdachtsmomente werden zur Überzeugung des Senats nicht dadurch entkräftet, dass das Fahrzeug im Internet bei mobile.de angeboten wurde, deutsche Zulassungsbescheinigungen I und II und ein DEKRA-Bericht existierten, der Beklagte die Brüder FF bereits aus einem Gebrauchtwagenverkauf seines Bruders kannte, ihm eine Kopie der Vorderseite des Personalausweises des angeblichen Eigentümers vorgelegt und ihm zudem nach eigenen Angaben zwei Schlüssel übergeben worden sind, mit denen er das Fahrzeug jedenfalls mechanisch öffnen konnte.

Es kann dahinstehen, ob dem Beklagten tatsächlich zwei Schlüssel für das Fahrzeug übergeben worden sind und ob und ggf. in welchem Umfang diese funktionsfähig waren. Ebenso kann offenbleiben, ob der Beklagte das Fahrzeug zu einem angemessenen Kaufpreis erworben hat und ob im Gegenzug der für das in Zahlung genommene Fahrzeug in Anrechnung gebrachte Betrag von 60.000,- € angemessen war. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, die von dem Beklagten erbrachte Gegenleistung dem Verkehrswert des streitgegenständlichen Fahrzeugs entsprochen haben sollte und der Beklagte kein durch eine Straftat erlangtes Fahrzeug erwerben wollte, waren die Begleitumstände des Erwerbs in ihrer Gesamtschau insgesamt so auffällig, dass der Beklagte weitere Nachforschungen zur Berechtigung des Veräußerers hätte anstellen müssen. Nur weil der Bruder des Beklagten bereits einmal ein Fahrzeug an die Brüder verkauft hatte, ohne dass es dabei zu Problemen gekommen ist, und die Familie schon mehrfach ohne Komplikationen Fahrzeuge aus dem Ausland erworben hatte, durfte der Beklagte nicht von der Unbedenklichkeit des streitgegenständlichen Kaufs ausgehen. Der Beklagte durfte sich angesichts der höchst ungewöhnlichen Begleitumstände des Erwerbs nicht allein auf einen Abgleich der Fahrgestellnummer mit den Zulassungspapieren und dem DEKRA-Prüfbericht beschränken. Indem er auf eine Überprüfung der Berechtigung des Verkäufers sowie der Bevollmächtigung der als Vermittler auftretenden Brüder verzichtet hat, hat er bewusst die Augen verschlossen und grundlegende Sorgfaltspflichten außer Acht gelassen, die in Anbetracht der auffälligen Gesamtumstände jedem unmittelbar hätten einleuchten müssen…..“

Auslagen für unterbevollmächtigten Terminsvertreter, oder: Erstattungsfähig, ja oder nein?

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Heute Freitag und damit „Gebührentag“. War aber ein wenig schwierig, passende Entscheidungen für die Berichterstattung zu finden. Mein Hilferuf vom vorigen Freitag hat leider keine Entscheidungen gebracht, so muss ich ein wenig improvisieren, da der Gebührenordner leer ist. Vorab aber nochmals die Bitte: Bitte Entscheidungen schicken……

Ich beginne die Berichterstattung „wegen der Entscheidungsflaute“ mit einer Entscheidung, die eine Problematik behandelt, zu der ich vor einiger Zeit schon eine Entscheidung eingestellt habe, und zwar den AG Frankfurt am Main, Beschl. v. 28.02.2023 – 30 C 731/22 (68). Heute stelle ich den AG Frankfurt am Main, Beschl. 06.03.2023 – 30 C 225/22 (32)  – vor. Gestritten wird auch in dem (Zivil)Verfahren um die Erstattung der Kosten eines Unterbevollmächtigten. Die Rechtspflegerin hatte die wieder nicht festgesetzt. Das sieht das AG dann erneut anders:

„Die Erinnerung des Erinnerungsführers ist zulässig, insbesondere innerhalb der Frist des § 11 Abs. 2 S. 1 RPflG eingelegt.

Sie ist darüber hinaus begründet. Die Vergütung des Terminvertreters ist Teil der notwendigen Kosten im Sinne des § 91 Abs. 1 S., Abs. 2 S. 1 ZPO.

Die streitigen Kosten sind als Auslagen nach Vorbemerkung 7 Abs. 1 S. 2 VV RVG in Verbindung mit den §§ 675, 670 BGB nach § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO erstattungsfähig. Es handelt sich um Auslagen, die der Klägervertreter den Umständen nach für erforderlich halten durfte.

Zu Auslagen, die der Rechtsanwalt für erforderlich halten darf, zählen alle notwendigen und nützlichen Auslagen, die der Rechtsanwalt zur Ausführung des Auftrags auf Wunsch oder im Interesse des Auftraggebers gemacht hat, soweit sie nicht zu den allgemeinen Geschäftskosten zählen (Gerold/Schmidt, RVG Kommentar, 25. Auflage, Vorbemerkung 7 Rz. 13). Dazu können nach Auffassung des Gerichts auch die Kosten für einen Unterbevollmächtigten gerechnet werden, jedenfalls dann, wenn dies im Vorfeld mit dem Mandanten abgestimmt ist und dieser dadurch der Delegation der eigentlich höchstpersönlich vorzunehmenden Terminvertretung zugestimmt hat (Gerold/Schmidt, RVG VV 3401 Rn. 137b; aA OLG Hamm, Beschluss vom 15.10.2019, Az. 25 W 242/19). So ist der Fall vorliegend aufgrund einer vorzunehmenden Gesamtschau zu würdigen: Unstreitigerweise erfolgte die Beauftragung des Terminvertreters aufgrund einer zuvor geschlossen Vereinbarung im Rahmen eines Gesamtauftragsverhältnisses. Die Kosten wurden an die Klägerin weitergegeben, wie aus der vorgelegten Kostenübernahmeerklärung, welche zu Nachweiszwecken angefertigt wurde, ersichtlich wird. Zweifel daran, dass eine entsprechende Vereinbarung vor der Beauftragung mündlich getroffen wurde, wie durch die Klägervertreter anwaltlich versichert, bestehen nicht. Es ist gerichtsbekannt, dass die Klägervertreter die Klägerin in zahlreichen Prozessen –allein vor dem hiesigen Amtsgericht– vertreten. Insofern erscheint eine entsprechende Grundvereinbarung der Beauftragung eines Terminvertreters nach den genannten Kriterien (insb. Wirtschaftlichkeit im Vergleich zur eigenen Anreise) auch glaubhaft. Die Kosten für den Unterbevollmächtigten lagen schon deshalb im Interesse des Auftraggebers, da sie nach dem insoweit plausiblen Vortrag des Klägervertreters unter den durch eine Anreise des Klägervertreters entstandenen Kosten lagen. Aus demselben Grund sind sie auch als nützlich anzusehen. Jedenfalls in der Gesamtschau mit dem Umstand, dass die Beauftragung nicht nur im Interesse, sondern zudem auch in ausdrücklicher Absprache mit der Klägerin erfolgte erscheint es sachgerecht, die Aufwendungen für erstattungsfähig zu erachten (Gerold/Schmidt, RVG VV 3401 Rn. 137b; insgesamt vgl. AG Frankfurt am Main, Beschluss vom 18.01.2022, Az. 32 C 681/21 (92) unter Bezugnahme auf AG Frankfurt am Main, Beschluss vom 1.2.2021, Az. 31 C 3881/18 (17)).“

Akteneinsicht I: Ermittlungsakten im Zivilverfahren, oder: Wann und wie sind sie beizuziehen?

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Und heute dann ein Tag mit Entscheidungen zu Akten und/oder Akteneinsicht.

Zunächst eine zivilrechtliche Entscheidung, nämlich das BGH, Urt. v. 16.03.2023 – III ZR 104/21. Folgender Sachverhalt: Der Kläger hatte einen Motorradunfall erlitten und lag im Krankenhaus. Er bat seine Freundin, die Beklagate, ihm Geld von seinem Konto abzuheben. Dazu gab er ihr seine Bankkarte und teilte ihr seine PIN mit. Die Beklagte hat dann 1.500 EUR abgehoben und diese dem Kläger übergeben. In den folgenden fünf Monaten erfolgten 49 weitere Abhebungen vom Konto des Klägers in Höhe von insgesamt rund 43.500 EUR.

Der Kläger erstattete Strafanzeige gegen die Beklagte. Im Ermittlungsverfahren holte die Staatsanwaltschaft Bankauskünfte ein und legte einen Sonderband „Bankauskunft“ an. Der Kläger hat Einsicht in diesen Band abgelehnt. Das Strafverfahren gegen die Beklagte ist nach 3 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden.

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Erstattung von insgesamt 46.500 EUR und die Feststellung, dass die Forderung auf vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung im Sinne des § 302 Nr. 1 InsO beruht. Der Kläger behauptet, die Beklagte habe an Geldautomaten von seinem Postbankkonto mit seiner Bankkarte und seiner PIN Beträge in der genannten Gesamthöhe unberechtigt abgehoben und behalten. Das LG hat die Klage abgewiesen, das OLG hat dem Kläger 12.000 EUR zugesprochen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Der Sondeband „Bankauskunft2 ist nicht (mehr) beigezogen worden.

Das rügt der BGH, der aufgehoben und zurückverwiesen hat:

„Diese Ausführungen halten revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Dass das Berufungsgericht den „Sonderband Bankauskunft“ bei der Staatsanwaltschaft Regensburg nicht beigezogen und verwertet hat, verletzt in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des Klägers aus Art. 103 Abs. 1 GG.

a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG als grundrechtsgleiches Recht soll sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt – auch bei Kenntnisnahme des Vorbringens durch den Tatrichter – dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (stRspr, zB Senat, Beschluss vom 7. Juni 2018 – III ZR 210/17, WM 2018, 1252 Rn. 4; BGH, Beschlüsse vom 2. November 2021 – IX ZR 39/20, NJW-RR 2022, 69 Rn. 5 und vom 11. Januar 2022 – VIII ZR 33/20, WM 2022, 347 Rn. 13 f; jew. mwN). Das ist hier der Fall.

b) Das Berufungsgericht hat es mit Recht als erheblich angesehen, ob und in welchem Umfang beziehungsweise wie oft die Beklagte unberechtigte Barabhebungen vom Postbankkonto des Klägers an Geldautomaten vornahm, wofür der Kläger die Darlegungs- und Beweislast zu tragen hat. Es hat jedoch den den formalen Anforderungen der §§ 430, 432 ZPO genügenden Beweisantrag des Klägers vom 26. Juni 2020 (GA 231), den „Sonderband Bankauskunft“ der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft beizuziehen, in dem sich Auszüge der Konten der Beklagten und ihres Sohnes für den Zeitraum von November 2014 bis Mai 2015 befinden, mit einer Begründung abgelehnt, die im Prozessrecht keine Stütze mehr findet.

aa) Gemäß § 432 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 474 Abs. 1, § 479 Abs. 4 Sätze 2 und 3 StPO steht einer Partei grundsätzlich die Möglichkeit zur Verfügung, in einem anhängigen Zivilprozess (Teile von) Ermittlungs- beziehungsweise Strafakten beiziehen zu lassen (vgl. BVerfG, [Kammer-]Beschluss vom 12. November 2021 – 1 BvR 576/19, juris Rn. 9). Die Beiziehung der Akten ist zulässig, wenn und soweit sich eine Partei unter Angabe der erheblichen Aktenteile auf diese Akten bezogen hat (vgl. BVerfG, NJW 2014, 1581 Rn. 22; BGH, Urteil vom 12. November 2003 – XII ZR 109/01, NJW 2004, 1324, 1325). § 474 Abs. 1 StPO legt die Gewährung von Akteneinsicht an Gerichte als Regelfall fest; nach dem Willen des Gesetzgebers (vgl. Regierungsentwurf des Strafverfahrensänderungsgesetzes 1999, BT-Drucks. 14/1484, S. 26) ist den Gerichten grundsätzlich Akteneinsicht zu gewähren (vgl. OLG Hamm, BB 2014, 526, 527 und 529). Grundrechte der anderen Partei oder Dritter, insbesondere deren Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, stehen der Aktenbeiziehung und der Einsichtnahme in die beigezogene Akte durch die Gerichte in aller Regel nicht entgegen. Diesen Grundrechten kann vielmehr dadurch Rechnung getragen werden, dass im konkreten Fall das Gericht nach Erhalt der angeforderten Ermittlungs- oder Strafakte unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen der anderen Partei und gegebenenfalls Dritter abwägt und so prüft, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Informationen aus ihr im Zivilverfahren verwertet werden können (vgl. BVerfG aaO Rn. 24 ff und 29); der Zugang zu den Informationen aus der beigezogenen Akte ist gegebenenfalls angemessen zu beschränken (vgl. BVerfG, NJW 2007, 1052).

bb) Ausgeschlossen ist ein Beweisantritt nach § 432 Abs. 1 ZPO nach Absatz 2 der Vorschrift, wenn der Beweisführer die Urkunde nach den gesetzlichen Vorschriften ohne Mitwirkung des Gerichts zu beschaffen imstande ist. Dieser Ausschlusstatbestand ist jedoch nicht erfüllt. Der Kläger hatte einen Antrag auf Einsichtnahme in den Sonderband „Bankauskunft“ der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Regensburg gestellt, der von dieser zurückgewiesen wurde. Hiergegen stellte der Kläger Antrag auf gerichtliche Entscheidung zum Amtsgericht Regensburg, den dieses mit der (Haupt-)Begründung zurückwies, die Einsicht in den Sonderband sei zur Durchsetzung der Interessen des Klägers nicht erforderlich.

Dahinstehen kann, ob sich auch aus Absatz 3 der Vorschrift ein Ausschlusstatbestand ergeben kann (dafür zB Feskorn in Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 432 Rn. 2; Huber in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., § 432 Rn. 4; Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 43. Aufl., § 432 Rn. 1; Krafka in BeckOK-ZPO [1. Dezember 2022], § 432 Rn. 3; Förster in Kern/Diehm, ZPO, 2. Aufl., § 432 Rn. 2; dagegen zB Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 432 Rn. 2; Preuß in Prütting/Gehrlein, ZPO, 14. Aufl., § 432 Rn. 2). Denn dass ein materiell-rechtlicher Vorlegungsanspruch „gegen die Behörde“ besteht, wie es nach § 432 Abs. 3 ZPO erforderlich ist (Förster aaO; Ahrens aaO), ist nicht auszumachen, und zudem hat der Kläger eine Verpflichtung zur Vorlegung nicht auf § 422 ZPO gestützt.

cc) Somit bestehen grundsätzlich keine Hindernisse für eine Aktenbeiziehung nach § 432 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 474 Abs. 1, § 479 Abs. 4 Sätze 2 und 3 StPO; der vorstehend unter Buchstaben aa beschriebene Anwendungsbereich dieser Vorschriften ist eröffnet. Dass die Voraussetzungen der §§ 422 f ZPO im Verhältnis zur Beklagten nicht vorliegen, ist ohne Belang.

Die demgegenüber vom Berufungsgericht – und soweit ersichtlich von niemandem sonst – vertretene Auffassung, die Vorschriften der §§ 422 f ZPO würden umgangen, wenn die Staatsanwaltschaft unabhängig von den Voraussetzungen dieser Bestimmungen zur Vorlage der in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen durch das Zivilgericht aufgefordert werden könnte, weswegen die beantragte Anforderung des „Sonderbandes Bankauskunft“ abzulehnen sei, findet im Prozessrecht keine Stütze. Die Beschränkung der Vorlagepflicht der nicht beweisbelasteten Partei auf die Fälle der §§ 422 f ZPO ist Folge der Beweisführungslast ihres Gegners. Wäre die diese Last nicht tragende Partei gezwungen, ohne die besonderen Voraussetzungen der §§ 422 f ZPO in ihrem Besitz befindliche Urkunden vorzulegen, würde die Beweisführungslast zu ihrem Nachteil verkehrt, denn es besteht der Grundsatz, dass keine Partei gehalten ist, dem beweis(führungs)belasteten Gegner für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt (vgl. BGH, Urteile vom 11. Juni 1990 – II ZR 159/89, VersR 1990, 1254, 1255 und vom 17. Oktober 1996 – IX ZR 293/95, NJW 1997, 128, 129; siehe auch Schreiber in MüKo-ZPO, 6. Aufl., § 422 Rn. 1). Diese Erwägung trifft jedoch nicht zu im Verhältnis zu Dritten, die sich im Besitz einer Urkunde befinden. Maßgeblich für die Vorlagepflicht Dritter gemäß § 429 Satz 1 Halbsatz 1, § 432 Abs. 3 ZPO ist deshalb allein, ob die beweisführungsbelastete Partei im Verhältnis zu ihnen einen Vorlegungsanspruch hat. Ob die Gegenpartei in Ermangelung der Voraussetzungen der §§ 422 f ZPO nicht zur Vorlage einer Urkunde verpflichtet ist, ist demgegenüber in Bezug auf Dritte nicht von Bedeutung.

c) Die (einschränkungslose) Ablehnung des Beweisantrags (GA 231) erweist sich auch nicht als richtig, weil ihm mangels durchgreifenden rechtlichen Interesses des Klägers keine Folge zu leisten wäre.

Da der Kläger vor Gericht zivilrechtliche Ansprüche gegen die Beklagte geltend macht, hat er grundsätzlich ein rechtliches Interesse an der Erlangung der mit der Aktenbeiziehung hierfür verfolgten Informationen (vgl. LG Kassel, NZV 2003, 437). Dem Grundrecht der Beklagten und ihres Sohnes auf informationelle Selbstbestimmung kann im konkreten Fall etwa dadurch Rechnung getragen werden, dass die Einsichtnahme des Klägers in den Sonderband der Ermittlungsakte nach Maßgabe der obigen Ausführungen zu Buchstaben b aa auf (etwaige) zwischen dem 15. November 2014 und dem 31. Mai 2015 vorgenommene Einzahlungen auf die im Beweisantrag (GA 231) genannten Konten beschränkt und die Ermittlungsakte nur in diesem Umfang im vorliegenden Zivilverfahren verwertet wird.

Das rechtliche Interesse des Klägers kann nicht damit in Abrede gestellt werden, dass bloße Ausforschung betrieben würde beziehungsweise eine von vornherein aussichtslose Klage vorläge (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2015 – KVR 55/14, NJW 2015, 3648 Rn. 32). Denn das Berufungsgericht hat es bereits nach dem seinerzeitigen Sach- und Streitstand schon „für nicht unwahrscheinlich“ gehalten, „dass die Beklagte in der Zeit vom 15.11.2014 bis 19.04.2015 mehr Barabhebungen vom Postbankkonto des Klägers vorgenommen hat, als sie im Zivilverfahren zugibt“.

beA II: Überprüfungspflicht beim beA-Versand, oder: Augen auf beim beA-Versand, besser zweimal

Und als zweite Entscheidung – war gestern schon mal versehentlich online gegangen – dann der BGH, Beschl. v. 21.03.2023 – VIII ZB 80/22 -, in dem der BGH noch einmal zur Überprüfungspflicht beim beA-Versand Stellung genommen hat.

Die Entscheidung hat folgenden Sachverhalt: Der Kläger nimmt den Beklagten nach Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs auf Räumung und Herausgabe in Anspruch. Das AG hat der hierauf gerichteten Klage stattgegeben. Gegen das Urteil hat der Beklagte fristgerecht Berufung eingelegt. Mit einem am 12.01.2022 mittels des beA eingereichten Schriftsatz vom 11.01.2022 hat er um Mitteilung gebeten, ob dem in der Berufungsschrift gestellten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben worden sei. Mit Verfügung vom 17.01.2022 hat das Berufungsgericht die Frist zur Berufungsbegründung antragsgemäß bis zum 02.03.2022 verlängert und dies den Prozessbevollmächtigten der Parteien mitgeteilt.

Am 25.02.2022 wurde dem Berufungsgericht per beA (erneut) der anwaltliche Schriftsatz des Beklagten vom 11.01.2022 (Dateiname „M_89_21_LG_Bln_SS_11_01_22.pdf.p7s“), dieses Mal nebst einer Ablichtung der Geburtsurkunde für die Tochter des Beklagten, übermittelt. Nachdem das Berufungsgericht am 23.03.2022 darauf hingewiesen hatte, dass bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eine Berufungsbegründung nicht eingegangen sei, hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten am 29.03.2022 per beA einen Schriftsatz vom 23.02.2022 mit der Berufungsbegründung eingereicht und zudem Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Das Berufungsgericht hat – nach vorherigem Hinweis – den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten, die keinen Erfolg hatte.

Und da der BGH hier seine Rechtsprechung zur Überprüfungspflicht (nur) fortschreibt, reicht m.E. der Leitsatz der Entscheidung, Rest dann bitte selbst lesen:

Die Kontrolle der ordnungsgemäßen Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes (hier: Berufungsbegründung) über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) erfordert auch die Prüfung anhand des zuvor sinnvoll vergebenen Dateinamens, ob sich die erhaltene automatisierte Eingangsbestätigung gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO auf die Datei mit dem Schriftsatz bezieht, dessen Übermittlung erfolgen sollte.

Nach wie vor gilt: Augen auf beim BeA-Versand. Besser zweimal als nur einmal hingeschaut.