Archiv der Kategorie: Verwaltungsrecht

Verdacht auf Besitz von KiPo-Material beim Lehrer, oder: Suspendierung vom Dienst auch nach Einstellung

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Und heute dann – im Kessel Buntes – zwei verwaltungsgerichtliche Entscheidungen. Die Themen liegen etwas abseits der Themen, die ich sonst vorstelle.

Zunächst weise ich hier den VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 19.10.2022 – 1 L 1301/22 – hin, der sich mit den Folgen für einen Lehrer bei Verdacht auf Besitz kinder- und jugendpornografischen Materials befasst. Der betroffene Lehrer ist Beamter auf Lebenszeit. Nachdem bekannt geworden war, dass gegen ihn ein Strafverfahren u.a. anderem wegen des Besitzes kinder- beziehungsweise jugendpornografischen Materials geführt und gegen Zahlung eines Geldbetrages eingestellt worden war, ist ihm von seinem Dienstherrn verboten worden, vorerst weiter zu unterrichten. Dagegen wendet sich der Lehrer mit seiner Klage und seinem Eilantrag, mit dem er u.a. geltend macht, das auf seinem Computer befindliche pornografische Material habe nicht er, sondern möglicherweise ein Familienmitglied heruntergeladen. Er selbst habe hiervon keine Kenntnisse gehabt.

Das VG hat den Antrag zurückgewiesen, und führt u.a. aus:

„Danach begegnet die Verfügung vom 20. Juni 2022 weder in formeller (aa.) noch in materieller (bb.) Hinsicht durchgreifenden Bedenken.

aa) ….

bb) Das Verbot des Führens der Dienstgeschäfte ist auch materiell rechtmäßig. Es liegen die Tatbestandsvoraussetzungen der Rechtsgrundlagen vor und es wurde eine rechtsfehlerfreie Rechtsfolge gewählt.

Nach § 39 Satz 1 BeamtStG kann aus zwingenden dienstlichen Gründen die Führung der Dienstgeschäfte verboten werden. Solche Gründe liegen hier vor.

Bei dem Begriff der zwingenden dienstlichen Gründe handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Zwingende dienstliche Gründe sind gegeben, wenn bei einer weiteren Ausübung des Dienstes durch den Beamten auf seinem bisherigen Dienstposten der Dienstbetrieb erheblich beeinträchtigt würde oder andere gewichtige dienstliche Nachteile ernsthaft zu besorgen wären. Die zu befürchtenden Nachteile müssen so gewichtig sein, dass dem Dienstherrn die Führung der Dienstgeschäfte durch den Beamten bis zur abschließenden Klärung und Entscheidung nicht zugemutet werden kann.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. November 1998 – 1 WB 36.98 -, juris, Rn. 5; OVG NRW, Beschlüsse vom 25. März 2021 – 6 B 2055/20 -, juris, Rn. 19, vom 30. Juli 2015 – 6 A 1454/13 -, juris Rn. 7 ff., und vom 17. Juni 2013 – 6 A 2586/12 -, juris, Rn. 11 ff.

Das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte gemäß § 39 Satz 1 BeamtStG dient der dienstrechtlichen Gefahrenabwehr und trägt nur vorläufigen Charakter. Mit dem Verbot sollen durch eine rasche Entscheidung des Dienstherrn gravierende Nachteile durch die aktuelle Dienstausübung des Beamten für den Dienstherrn vermieden werden. Maßgebend ist die Prognose, dass die Aufgabenerfüllung der Verwaltung durch die vorerst weitere Amtsführung des Beamten objektiv gefährdet ist. Demnach ist nicht erforderlich, dass bereits Klarheit über den Grund der Beeinträchtigung der dienstlichen Belange oder die weitere Verwendung und Behandlung des Beamten besteht, sondern es genügt insoweit der auf hinreichenden Anhaltspunkten beruhende Verdacht einer Gefahrenlage.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 25. März 2021 – 6 B 2055/20 -, juris, Rn. 20, vom 30. Juli 2015 – 6 A 1454/13 -, juris, Rn. 13 ff., und vom 17. Juni 2013 – 6 A 2586/12 -, juris, Rn. 13.

Die endgültige Aufklärung des gesamten Sachverhaltes ist folglich den in § 39 Satz 2 BeamtStG aufgeführten weiteren Verfahren vorbehalten. Gerade deshalb ist für das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte weder eine erschöpfende Aufklärung bzw. ein „Beweis“ erforderlich, noch dass Beeinträchtigungen des Dienstbetriebs bereits eingetreten sind oder das Verhalten des Beamten sich letztlich als strafrechtlich relevant erweist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 2004 – 2 C 21.03 -, juris, Rn. 10; OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Juli 2015 – 6 A 1454/13 -, juris, Rn. 13 ff., und vom 17. Juni 2013 – 6 A 2586/12 -, juris, Rn. 13; VG Minden, Beschluss vom 29. Januar 2018 – 4 L 1288/18 -, juris, Rn. 9.

Auf dieser Grundlage sind zwingende dienstliche Gründe für das hier ausgesprochene Verbot der Führung der Dienstgeschäfte zu bejahen. Die hierfür erforderliche, dem Antragsgegner unzumutbare Gefahrenlage für den Dienstbetrieb ergibt sich aus der Art der vorgeworfenen Straftaten im Bereich des Sexualstrafrechts im Kontext des Besitzes kinder- bzw. jugendpornographischer Erzeugnisse, mit der die Ausübung des Lehrberufs in keiner Weise vereinbar ist. Denn würde der Antragsgegner den Antragsteller trotz dieses Verdachts weiter als Lehrer einsetzen, könnte in der Öffentlichkeit nicht nur der Eindruck entstehen, dass der Antragsgegner etwaig begangene Rechtsbrüche dulde, sondern auch der erforderliche ungestörte Lehrbetrieb würde aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nur in geringem Maße gestört werden, insbesondere da zahlreiche Eltern nicht bereit wären, ihre Kinder Lehrern anzuvertrauen, gegen die der Verdacht von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gerade von Kindern und Jugendlichen im Raum steht. Ein solcher Umstand ist mit der Wahrung des Ansehens der Lehrerschaft nicht vereinbar.

Vgl. zu einem vergleichbaren Fall OVG NRW, Beschluss vom 30. Oktober 2001 – 6 B 1335/01 -, juris, Rn. 12.

Dabei durfte der Antragsgegner auch von einem hinreichenden Verdacht von den benannten Straftaten ausgehen. Soweit der Antragsteller vorträgt, der ihm gemachte Schuldvorwurf sei unzutreffend, dringt er damit nicht durch. Denn das Institut des Verbots des Führens der Dienstgeschäfte ist nach besagtem Maßstab eine Form der Gefahrenabwehr und dient ausschließlich dem Zweck, Gefahren für den Dienstbetrieb abzuwenden. Gerade deshalb muss im Falle des Verdachts einer Straftat der Tatvorwurf nicht bewiesen oder ausermittelt sein, weil aus benannten Gründen auch der Verdacht alleine eine hinreichende Gefahr für den Dienstbetrieb darzustellen vermag. Im Übrigen ist es vornehmlich die Aufgabe des Verbots der Ausübung der Dienstgeschäfte, die Möglichkeit zu eröffnen, den Sachverhalt umfassend aufzuklären und im Rahmen dessen auch etwaige Unstimmigkeiten aufzulösen.

Dabei liegen auch genügend Verdachtsmomente dafür vor, dass der Antragsteller die Straftaten begangen hat. Dies zeigt sich bereits an der Eröffnung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft F. (Az. ).

Vgl. zu diesem Argument VG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Mai 2016 – 13 L 832/16 -, juris, Rn. 46.

Dass das Verfahren gegen Auflage (Zahlung von 8.000,- Euro) gemäß § 153a Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt worden ist, ändert daran nichts. Nicht nur, dass eine solche Verfahrenseinstellung jedenfalls nach der gesetzlichen Regelung ohnehin nur in Betracht kommt, wenn von der Schuld des Angeklagten auszugehen ist (vgl. § 153a Abs. 1 Satz 1 StPO: „…die Schwere der Schuld nicht entgegensteht“), wurde durch den Abschluss des Strafverfahrens in keiner Weise ersichtlich, dass der Antragsteller die Straftaten nicht begangen hat. Auch der – soweit ersichtlich erstmals im hiesigen Gerichtsverfahren erfolgte – Vortrag des Antragstellers, er habe von den kinder- bzw. jugendpornographischen Erzeugnissen keine Kenntnis gehabt, aber sein Vater habe seinen Computer nutzen können, ändert freilich nichts daran, dass der Verdacht gegen ihn weiter bestehen bleibt, zumal der Antragsteller insoweit lediglich eine theoretische Möglichkeit, aber keinen eindeutigen Entlastungsumstand vorträgt, der die Vorwürfe gegen ihn ohne nähere Prüfung als haltlos erscheinen lässt.

Auch im Hinblick auf die getroffene Rechtsfolge vermag das Gericht keine Rechtsfehler zu erkennen. Auf der Rechtsfolgenseite räumt die Vorschrift des § 39 Satz 1 BeamtStG der Behörde Ermessen („kann“) ein, das gemäß § 114 Satz 1 VwGO gerichtlich nur eingeschränkt, namentlich auf die Überschreitung gesetzlicher Ermessensgrenzen sowie auf die Beachtung des Zwecks der Ermessensnorm, überprüfbar ist.

Allerdings wird, sofern – wie hier – die Tatbestandsvoraussetzungen der zwingenden dienstlichen Gründe für das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte erfüllt sind, Ermessen in aller Regel nicht mehr hinsichtlich der Anordnung der Maßnahme als solcher, sondern im Wesentlichen nur noch dahin eröffnet sein, ob es eine andere Möglichkeit gibt, den betreffenden Beamten amtsangemessen zu beschäftigen, gegebenenfalls auch zu Dauer und Umfang des Verbots.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Mai 2017 – 6 B 265/17 -, juris, Rn. 7, und vom 17. Juni 2013 – 6 A 2586/12 -, juris, Rn. 14; VG Düsseldorf, Beschluss vom 3. Januar 2018 – 2 L 3301/17 -, juris, Rn. 14.

Demnach sind keine Ermessensfehler ersichtlich. Unter Verweis auf die bereits im Zusammenhang mit der Unbeachtlichkeit der unterlassenen Anhörung erfolgten Ausführungen sind hinreichende Alternativen zu der konkret ausgestalteten Maßnahme vorliegend nicht ersichtlich. Von daher liegt auch keine Ermessensüberschreitung vor, weil der Antragsgegner die gesetzliche Grenze des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes missachtet hätte. Gegenstand dieser Prüfung ist, ob sich das Verbot mit dem damit verbundenen Eingriff in das Recht des Beamten auf amtsangemessene Beschäftigung im Verhältnis zum erstrebten Zweck, nämlich der Abwehr von Gefahren für den Dienstbetrieb, als angemessen erweist.

Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 19. Dezember 2014- 2 K 6786/14 -, juris, Rn. 32.

Die Verbotsverfügung erweist sich nicht als unverhältnismäßig. ….“

 

Entziehung der Fahrerlaubnis nach „verweigerter“ MPU, oder: Verzicht auf die FE in der Probezeit

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Und im zweiten Posting kommt dann hier der OVG Münster, Beschl. v. 31.08.2022 – 16 B 1583/21 – zur Entziehung der Fahrerlaubnis wegen nicht „befolgter“ Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung nach einem Verzicht auf die Fahrerlaubnis in der Probezeit.

Dazu folgende Leitsätze des OVG:

    1. Die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG ist nur dann möglich, wenn dem Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe die Fahrerlaubnis zuvor entzogen worden ist. Auf Fälle eines vorherigen Verzichts der Fahrerlaubnis ist die Vorschrift weder im Wege einer erweiternden Auslegung noch im Wege der Analogie anwendbar.
    2. Ist in einer Gutachtenanordnung eine Rechtsgrundlage ausdrücklich genannt, ist für die Rechtmäßigkeit der Anordnung allein maßgeblich, ob die Voraussetzungen der genannten Rechtsgrundlage vorliegen.

Zweimal BayVGH zur Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: Diabeteserkrankung oder Drogenkonsum

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Im „Kessel Buntes“ am Samstag zwei Postings mit verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis.

Hier zunächst zwei Entscheidungen des BayVGH, und zwar.

Bei medikamentöser Therapie eines Diabetes mellitus mit hohem Hypoglykämierisiko (z.B. Insulin) ist die Fahreignung nach den strengeren Anforderungen an das Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 zu bejahen bei guter Stoffwechselführung ohne schwere Unterzuckerung über drei Monate und ungestörter Hypoglykämiewahrnehmung. Schwere Unterzuckerung (Hypoglykämie) bedeutet dabei nach den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung die Notwendigkeit von Hilfe durch eine andere Person.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist bereits dann gerechtfertigt, wenn einmalig sogenannte harte Drogen (hier: Amphetamin) im Körper des Fahrerlaubnisinhabers und damit deren Einnahme nachgewiesen worden sind oder der Fahrerlaubnisinhaber die Einnahme solcher Substanzen eingeräumt hat.

Fahrtenbuch II: Unrichtige Angaben zum Fahrer, oder: Untauglicher Rettungsversuch

entnommen wikidmedia.org
Fotograf Faßbender, Julia

Und dann hier die zweite Entscheidung zum Fahrtenbuch, und zwar das VG Lüneburg, Urt. v. 17.10.2022 – 1 A 139/21 -, das zu einer Fahrtenbuchanordnung Stellung nimmt, wenn unrichtige Angaben zum Fahrer gemacht werden.

Gegen den Kläger ist die Führung eines Fahrtenbuches für die Dauer von 6 Monaten angeordnet worden, Zugrunde lag eine mit dem Fahrzeug des Klägers innerhalb geschlossener Ortschaft begangene Geschwindigkeitsüberschreitung um 27 km/h. Daraufhin wurde ein Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet und der Kläger wurde als ermittelter Halter mit Schreiben vom 21.10.2019 als Beschuldigter angehört; der Anhörung beigefügt war ein Frontfoto des Fahrers. Hierauf teilte der Kläger am 28.10.2019 mit, nicht er sei am Tattag gefahren, sondern ein Herr H. I., wohnhaft in der J. in K.. Daraufhin wurde das gegen den Kläger eingeleitete Ordnungswidrigkeitenverfahren eingestellt und ein Verfahren gegen den vom Kläger benannten Fahrer eingeleitet. In der Folge ging bei der Bußgeldstelle nach Aktenlage unter dem 30.10.2019 die Antwort eines Herrn H. I. ein, in welcher diesen den Verstoß zugab. Die Bußgeldbehörde der Freien und Hansestadt Bremen erließ in der Folge am 4.11.2019 einen Bußgeldbescheid gegen Herrn H. I.. Nachdem dieser das festgesetzte Bußgeld trotz Mahnung nicht beglichen hatte, leitete die Bußgeldbehörde Ermittlungsmaßnahmen ein. Im Rahmen der Ermittlungen wurde festgestellt, dass Herr H. I. an der vermeintlichen Wohnanschrift nicht wohnhaft war; eine Überprüfung beim Einwohnermeldeamt ergab zudem, dass dieser nicht mehr in L. gemeldet sei. Weitere Ermittlungen, u.a. der Polizei L., ergaben, dass es sich bei dem vom Kläger benannten Fahrer um eine Tarnpersonalie unter einer Tarnanschrift gehandelt hatte. Nach Angaben der Polizei L. war die Person laut Einwohnermeldeamtsauskunft nie in L. verzeichnet, auch in anderen Systemen ist die Person nicht bekannt. Daraufhin wurde das Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen Herrn H. I. eingestellt und die Akten wurden an den Beklagten zwecks Prüfung einer Fahrtenbuchanordnung abgegeben.

Die ist dann getroffen worden. Hiergegen richtet sich die Klage, die keinen Erfolg hatte. Ich weise hier nur auf die Ausführungen des VG zu den unrichtigen Fahrerangaben hin:

„Die Feststellung des Fahrzeugführers nach der Geschwindigkeitsüberschreitung vom E. war unmöglich im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO.

Die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften ist nicht möglich, wenn die zuständige Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen traf. Es kommt mithin darauf an, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen veranlasst, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob die Fahrerfeststellung unmöglich war, ist der Eintritt der Verfolgungsverjährung der Ordnungswidrigkeit. Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit der Behörde können sich an dem Verhalten und den Erklärungen des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (vgl. dazu u.a. BVerwG, Urt. v. 17.12.1982 – 7 C 3.80 -, juris Rn. 7, Beschl. v. 21.10.1987 – 7 B 162.87 -, juris Rn. 5; Nds. OVG, Beschl. v. 14.1.2019 – 12 ME 170/18 -, juris Rn. 17, Beschl. v. 1.2.2013 – 12 LA 122/12 -, juris Rn. 7, Beschl. v. 7.6.2010 – 12 ME 44/10 -, juris Rn. 5). An einer hinreichenden Mitwirkung des Fahrzeughalters daran, den Fahrzeugführer zu bezeichnen, fehlt es regelmäßig bereits dann, wenn der Fahrzeughalter den Anhörungsbogen der Bußgeldstelle nicht zurücksendet oder keine weiteren Angaben zum Personenkreis der Fahrzeugbenutzer macht. Die Bußgeldbehörde kann daher in aller Regel davon ausgehen, dass weitere Ermittlungen zeitaufwendig wären und kaum Aussicht auf Erfolg bieten würden, und mit dieser Begründung auf weitere Ermittlungsversuche verzichten. Ihr werden weitere Ermittlungsversuche, die über die Anhörung des Fahrzeughalters hinausgehen, grundsätzlich nicht zugemutet (Kammerurt. v. 21.8.2019 – 1 A 181/18 -, juris Rn. 17 f.; Nds. OVG, Beschl. v. 1.2.2013 – 12 LA 122/12 -, juris Rn. 7, Beschl. v. 7.6.2010 – 12 ME 44/10 -, juris Rn. 8, Beschl. v. 6.4.2010 – 12 ME 47/10 -, juris Rn. 5, jeweils m.w.N.). Weitere Ermittlungen zum Fahrzeugführer sind in diesen Fällen nur ausnahmsweise erforderlich, nämlich dann, wenn sich im Einzelfall besondere Anzeichen ergeben haben, die auf die Person des Fahrers hindeuten. Zur Anwendung bestimmter Ermittlungsmethoden ist die Behörde allerdings keinesfalls verpflichtet (vgl. VGH BW, Beschl. v. 29.1.2008 – 10 S 129/08 -, juris Rn. 4; Nds. OVG, Beschl. v. 31.10.2006 – 12 LA 463/05 -, juris Rn. 4).

Nach Maßgabe dessen war es der Verfolgungsbehörde i.S.d. § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO unmöglich, den Fahrzeugführer festzustellen. Sie traf alle nach den Umständen des Einzelfalles angemessenen und zumutbaren Ermittlungsmaßnahmen. Sie übersandte dem Kläger unter dem 21. Oktober 2019 einen Anhörungsbogen. Soweit der Kläger den Zugang des Anhörungsbogens bestreitet, ist dies als Schutzbehauptung zu werten, denn er selbst hat auf den Anhörungsbogen reagiert und als Fahrer einen Herrn H. I. benannt (vgl. Beiakte Bl. 17). Der Kläger hat hierdurch indes nicht hinreichend an der Feststellung des verantwortlichen Fahrers mitgewirkt, denn er hat augenscheinlich unrichtige Angaben zum Fahrer gemacht. Die Ermittlungen der Bußgeldstelle der Freien und Hansestadt B-Stadt sowie der Polizei L. haben nach Aktenlage ergeben, dass der vom Kläger benannte Fahrer nicht existiert. Bei dem vom Kläger benannten Fahrer handelt es sich nach den Ermittlungen der Behörden um eine Tarnpersonalie; auch bei der vom Kläger angegebenen Anschrift handelt es sich um eine Tarnanschrift. Es liegt auf der Hand und bedarf keiner eingehenden Erörterung, dass ein Fahrzeughalter seinen Mitwirkungspflichten bei der Fahrerermittlung nach einem begangenen Verkehrsverstoß nicht genügt, wenn er falsche Angaben tätig oder gar eine Person als Fahrer angibt, die nicht existent ist (vgl. hierzu u.a. auch OVG Berl.-Bbg., Beschl. v. 28.7.2011 – OVG 1 N 58.11 – juris; OVG NRW, Beschl. v. 11.10.2007 – 8 B 1042/07 -, juris). Aus diesem Grund bestand kein Anlass der Behörde, weitere Ermittlungsmaßnahmen zur Fahrerfeststellung zu veranlassen.

……“

Den Rest aus der „schulmäßig“ begründeten Entscheidung bitte selbst lesen.

Fahrtenbuch I: (Schlechte) Qualität des Fahrerfotos, oder: Mitwirkung des Halters an der Fahrerermittlung

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Heute stelle ich im „Kessel Buntes“ dann mal wieder zwei Entscheidungen zum Fahrtenbuch (§ 31a StVZO) vor. Ich beginne mit dem OVG Saarland, Beschl. v. 24.08.2022 – 1 B 67/22 – mit folgendem Sachverhalt:

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO. Das VG hat den Antrag der Antragstellerin auf einstweiligen Rechtsschutz gegen einen Bescheid der Verwaltungsbehörde, mit dem ihr unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgegeben wordne ist, für ihr Fahrzeug für 18 Monate ein Fahrtenbuch zu führen, zurückgewiesen. Zugrunde lag der Anordnung eine Geschwindigkeitsüberschreitung mit dem Pkw der Antragstellerin. Die Antragstellerin hat dann zwar den ihr übersandten Anhörungsbogen  beantwortet, jedoch nicht angegeben, wer das Fahrzeug geführt hat. Sie hat dazu nur ausgeführt, der PKW stehe „regelmäßig ihrem Ehemann zur Verfügung“. Ihr im Bußgeldverfahren als Betroffener angehörter Ehemann berief sich auf sein Schweigerecht und hat unter Verweis auf die schlechte Qualität des anlässlich der Geschwindigkeitsübertretung angefertigten Fahrerfotos angeregt, das Verfahren einzustellen. Der Ermittlungsdienst der Verwaltungsbehörde hat die Wohnanschrift der Antragstellerin in der Folge mehrfach angefahren. Bei einer Gelegenheit dieser Besuche wurde der Ehemann angetroffen. Er hat angegeben, er wisse nicht, wer das Fahrzeug zur Tatzeit geführt habe; es werde auch in der Firma der Antragstellerin eingesetzt; auf dem Messbild erkenne er niemanden. Die Antragstellerin hatte auf Vorlage des Messbildes erklärt, den Fahrer nicht identifizieren zu können.

Das VG hat den Antrag zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde, der eine eidesstattliche Versicherung des Ehemanns beigefügt wurde, er habe das Fahrzeug geführt, hat das OVG zurückgewiesen.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

  1. Die Feststellung des Fahrzeugführers ist auch dann „nicht möglich“ im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO, wenn die Ermittlungen zwar auf einen bestimmten Täter hindeuten, die Bußgeldbehörde jedoch bei objektiver Würdigung der Umstände des Einzelfalls keine ausreichende Überzeugung von der Täterschaft des Verdächtigen gewinnen konnte.
  2. Mit Blick auf die von der Fahrzeughalterin zu fordernde Mitwirkung bei der Ermittlung des verantwortlichen Fahrers kommt dem Einwand, die schlechte Qualität des Messfotos mache es ihr unmöglich, die Person des Fahrers zu identifizieren, regelmäßig keine rechtliche Relevanz zu.