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Wieder Unzulässigkeit der Fahrtenbuchauflage, oder: Was die Behörde zur Fahrerfeststellung alles tun muss

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Im „Kessel Buntes“ heute dann verkehrswaltungsrechtliche Entscheidungen. Hier zunächst das OVG Münster, Urt. v. 31.05.2023 – 8 A 2361/22 -, und zwar mal wieder zur Fahrtenbuchauflage.

Folgender Sachverhalt – in Kurzform: Am 25.12.2021 um 2.15 Uhr wurde mit einem Fahrzeug, dessen Halterin die Klägerin ist, eine Geschwindigkeitsüberschreitung begangen, und zwar Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerorts um 26 km/h, begangen. Auf dem von der Geschwindigkeitsüberwachungsanlage erstellten Tatfoto ist ein junger Mann am Steuer gut zu erkennen.

Mit Schreiben vom 05.01.2022 übersandte das Straßenverkehrsamt der Klägerin einen Zeugenfragebogen. Diesen beantwortete die Klägerin dahingehend, dass sie sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufe. Mit Schreiben vom 14.01.2022 übersandte das Straßenverkehrsamt  erneut einen Anhörungsbogen an die Klägerin unter Hinweis darauf, dass, sollte sie weiterhin keine Angaben zum Fahrer machen, die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage geprüft werde. Nach eigenen, vom Beklagten nicht bestrittenen Angaben berief sich die Klägerin wiederum auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht.

Es kommt dann zurAnordnung eines Fahrtenbuches und zur Klage. Das VG hat die Klage abgewiesen, obwohl sich das OVG schon vorher negativ zur Fahrtenbuchauflage geäußert hatte. Dagegen dann die Berufung, die Erfolg hatte.

Das OVG äußert sich noch einmal zu den Voraussetzungen einer Fahrtenbuchauflage, vor allem zur Frage der „Unmöglichkeit“ im Sinne des § 31a StVZO. Insoweit verweise ich auf dne verlinkten Volltext. Zur Sache führt es dann aus:

„2. Ausgehend hiervon war die Feststellung des Fahrzeugführers vorliegend nicht unmöglich.

a) Die Ermittlungsbemühungen der Bußgeldbehörde waren auch unter Berücksichtigung ihres Verfahrensermessens defizitär. Sie hat zwar die Klägerin als Fahrzeughalterin zeitnah angehört. Nachdem diese ihr Zeugnisverweigerungsrecht jedoch bereits auf das Schreiben vom 5. Januar 2022 ausgeübt hatte, hat die Behörde lediglich wiederholt schriftlich und sodann nochmals über den Außendienst des Beklagten versucht, die Klägerin dennoch zu einer Aussage zu bewegen. Letzteres erfolgte womöglich nur deshalb, weil die Bußgeldbehörde den Außendienst laut Verwaltungsvorgang fehlerhaft dahingehend informiert hatte, der an die Klägerin gerichtete Anhörungsbogen sei nicht in Rücklauf gekommen. Dessen ungeachtet mag es mit einer solchen Vorgehensweise in vielen Fällen sein Bewenden haben, wenn sich keine anderen Ermittlungsansätze aufdrängen. Ein solcher Ansatz lag hier aber vor.

Bemühungen, den Täter mithilfe des jedenfalls sehr deutlichen Fotos zu ermitteln, das auch einem fremden Dritten ermöglicht hätte, den verantwortlichen Fahrzeugführer sicher zu erkennen, hat die Bußgeldbehörde weder selbst noch durch den von ihr im Wege der Amtshilfe mit örtlichen Ermittlungen beauftragten Außendienst des Beklagten unternommen. Auch wenn der Zeuge T1. keine konkrete Erinnerung an seine damaligen Ermittlungen hatte und diese in seinem Bericht nicht näher dokumentiert sind, ist nach dessen Angaben in der mündlichen Verhandlung davon auszugehen, dass er das Foto wegen datenschutzrechtlicher Bedenken nicht etwaig angetroffenen Nachbarn vorgezeigt hat. Der Zeuge hat angegeben, das Tatfoto in derartigen Fällen üblicherweise nur dann vorgezeigt zu haben, wenn er geglaubt habe, den Fahrer vor sich zu haben. Der Zweck solcher Ermittlungen beschränkte sich daher darauf, entweder die Klägerin zu befragen, (zufällig) auf den Fahrer zu stoßen oder über Nachbarn nähere Informationen zu den Familienverhältnissen des Halters bzw. den unter seiner Anschrift wohnhaften Personen zu erlangen. Angesichts dessen kann dahinstehen, ob das Vorzeigen des Fotos im Wohnumfeld rechtlich bedenklich wäre, weil es stärker in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingreift als behördeninterne Ermittlungen.

Vgl. zu diesem Aspekt OVG NRW, Urteil vom 31. März 1995 – 25 A 2798/93 -, juris Rn. 21; OLG Koblenz, Beschluss vom 2. Oktober 2020 –3 OWi 6 SsBs 258/20 -, juris Rn. 13 m. w. N.; siehe auch den Vorschlag der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen für die Vorgehensweise bei der „Ermittlung von Fahrer*innen mittels Lichtbildabgleichs bei Ordnungswidrigkeiten“, https://www.ldi.nrw.de/datenschutz/sicherheitundjustiz/ordnungswidrigkeiten/ermittlungvonfahrerinnenmittels.

b) Die Nutzung des Tatfotos zu weiteren Ermittlungen hätte sich der Bußgeldbehörde im vorliegenden konkreten Einzelfall aufdrängen müssen. Angesichts der Qualität des Lichtbildes, des darauf erkennbaren Alters des Fahrers und der Umstände, dass der Verkehrsverstoß in der Nacht zum ersten Weihnachtsfeiertag begangen wurde, sowie, dass sich die Klägerin auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen hatte, erschien es als hinreichend wahrscheinlich, dass es sich bei dem Fahrer um einen Sohn der Klägerin handelte. Vor diesem Hintergrund hätte der Versuch sehr nahe gelegen – und wäre letztlich auch erfolgreich gewesen -, zunächst Anhaltspunkte über die Identität des Fahrers zu gewinnen. Konkret hätte die Bußgeldbehörde beispielsweise über eine rechtlich ohne weiteres und tatsächlich ohne nennenswerten Aufwand mögliche – und in Verfahren dieser Art regelmäßig übliche – Anfrage bei der zuständigen Meldebehörde ermitteln können, ob zum Zeitpunkt des Verkehrsverstoßes Familienangehörige, die nach Geschlecht und Alter als Fahrer in Betracht kommen, unter derselben Anschrift wie die Klägerin wohnhaft waren. Bei – hier anzunehmender – Verwertbarkeit des Abfrageergebnisses hätten sich weitere Ermittlungsschritte ergeben. Andernfalls wäre die Tätersuche (erst) an dieser Stelle letztlich erfolglos verlaufen.

aa) Die Datenabfrage wäre auf Grundlage von § 34 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 des Bundesmeldegesetzes (BMG) in der bis einschließlich zum 30. April 2022 gültigen Fassung, die im Zeitraum der Ermittlungsbemühungen der Bußgeldbehörde Anwendung fand, rechtlich möglich gewesen. Danach durfte die Meldebehörde einer anderen öffentlichen Stelle im Sinne von § 2 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes im Inland aus dem Melderegister näher bestimmte Daten übermitteln, soweit dies zur Erfüllung der in ihrer Zuständigkeit oder in der Zuständigkeit des Empfängers liegenden öffentlichen Aufgaben erforderlich ist. Die Anfrage musste sich dabei nicht auf eine bestimmte Person beziehen, sondern konnte auch hinsichtlich einer nicht namentlich bezeichneten Personengruppe erfolgen. Dies folgt daraus, dass § 34 Abs. 2 BMG a. F. für diesen Fall bestimmte, dass für die Zusammensetzung der Personengruppe nur die in § 34 Abs. 1 Satz 1 BMG a. F. genannten Daten zugrunde gelegt werden durften („Listenauskunft“).

Vgl. Sommer, in: Engelbrecht/Schwabenbauer, Bundesmeldegesetz, 2022, § 34 Rn. 13.

Das Straßenverkehrsamt des Kreises E. als hier ermittelnde Stelle hätte also in Erfahrung bringen können, welche männlichen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 BMG a. F.) Personen an der Meldeadresse der Klägerin seinerzeit oder früher ihre Haupt- oder Nebenwohnung (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BMG a. F.) hatten. Dass diese Informationen für die Erfüllung der dem Kreis E. hier übertragenen öffentlichen Aufgabe der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten (vgl. § 35 Abs. 1 OWiG) erforderlich war, ist nicht zweifelhaft und wird als solches von dem Beklagten auch nicht infrage gestellt. Soweit dessen Vertreter in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, eine Datenabfrage sei nur unter den verschärften Anforderungen des § 34 Abs. 3 BMG a. F. zulässig gewesen, kommt es hierauf nicht an, da die dort in Bezug genommenen weiteren als die in § 34 Abs. 1 Satz 1 BMG a. F. bezeichneten Daten nicht erforderlich gewesen wären. Der Senat bezweifelt aber auch nicht, dass diese Voraussetzungen ebenfalls erfüllt wären.

Ohne dass es hier entscheidend wäre, weist der Senat darauf hin, dass nach der aktuellen Fassung des Bundesmeldegesetzes (vgl. §§ 34 Abs. 1 Satz 1, 34a Abs. 3, 38 Abs. 2 BMG) der Kreis der abrufbaren Daten bei einer jetzt so genannten „freien“, also nicht namentlich definierten Suche im Vergleich zum Stand von vor Mai 2022 zwar kleiner ist.

Vgl. Sommer, in: Engelbrecht/Schwabenbauer, Bundesmeldegesetz, 2022, § 34a Rn. 9.

Auch nach diesen Vorgaben wäre aber die Ermittlung der am Wohnsitz der Klägerin gemeldeten männlichen Personen zulässig.

Durchgreifende datenschutzrechtliche Argumente, die schon der Einholung einer Auskunft aus dem Melderegister entgegenstehen könnten, hat der Beklagte nicht vorgebracht. Die von ihm in Zusammenhang mit den geltend gemachten datenschutzrechtlichen Bedenken angeführte Rechtsprechung des Amtsgerichts Landstuhl betrifft die Frage, ob eine Anforderung des Pass- bzw. Personalausweisfotos eines potentiell Betroffenen, bevor dieser erstmals mit dem Vorwurf durch die Bußgeldbehörde konfrontiert worden ist, mit den Vorgaben in § 22 Abs. 2 und 3 PaßG, § 24 Abs. 2 PAuswG zu vereinbaren ist.

Vgl. AG Landstuhl, Beschluss vom 26. Oktober 2015 – 2 OWi 4286 Js 7129/15 -, juris Rn. 3; siehe auch den Beschluss vom 8. Januar 2020 – 2 OWi 4211 Js 12883/19 -, juris Rn. 2.

Eine derartige Vorgehensweise verlangen die vorstehenden Grundsätze von der Bußgeldbehörde aber gerade nicht.

Im Übrigen entspricht die Meldeabfrage sogar dem – für den Senat nicht bindenden, vom Beklagten aber wiederholt angeführten – Vorschlag für die Vorgehensweise bei der „Ermittlung von Fahrer*innen mittels Lichtbildabgleichs bei Ordnungswidrigkeiten“ der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen.

https://www.ldi.nrw.de/datenschutz/sicherheitundjustiz/ordnungswidrigkeiten/ermittlungvonfahrerinnenmittels.

Dort heißt es: „Kommen Halter*innen nicht als Fahrer*innen in Betracht – z. B. aufgrund des Alters oder nach der Durchführung eines Lichtbildabgleichs – können die Behörden weitere Ermittlungen zur Identifizierung der Fahrer*innen durchführen. Sie können beispielsweise auf Basis des § 34 Abs. 2 Bundesmeldegesetz [a. F.] bei Einwohnermeldeämtern weitere im gleichen Haus lebende Angehörige erfragen, um anhand von Geschlecht und Alter die mutmaßlichen Fahrer*innen zu ermitteln.“

bb) Auch die Einwände des Beklagten gegen die Praktikabilität und Erfolgsaussichten weiterer Ermittlungsbemühungen greifen nicht durch.

Dies gilt zunächst für das Vorbringen, das Berufen auf ein Zeugnisverweigerungsrecht lasse noch nicht den Schluss zu, dass ein solches auch tatsächlich bestehe. Einen Erfahrungssatz des Inhalts, dass derjenige, der ein im Gesetz (§§ 52, 55 StPO) vorgesehenes Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht in Anspruch nimmt, hinsichtlich des Bestehens der Voraussetzungen täuscht, gibt es nicht. Im vorliegenden Fall fehlte es an jeglichem Anzeichen dafür, dass die Klägerin sich zu Unrecht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen haben könnte. Im Gegenteil entspricht es eher der Erfahrung, dass Fahrzeuge häufig im engeren Familienkreis verliehen werden.

Die Überlegung, der Kreis der in Betracht kommenden Familienangehörigen sei recht weit, führt ebenfalls nicht im Sinne des Beklagten weiter. Es wäre vorliegend nämlich nach den oben dargelegten Maßstäben nicht erforderlich gewesen, den in § 52 Abs. 1 StPO genannten Personenkreis vollständig zu ermitteln und zu überprüfen. Vielmehr wäre es lediglich darum gegangen, Ermittlungen im Hinblick auf die sich aufdrängende Möglichkeit vorzunehmen, dass es sich bei dem Fahrer um einen Sohn der Klägerin handeln könnte, und insbesondere nachzuprüfen, ob eine männliche Person entsprechenden Alters unter ihrer Anschrift gemeldet ist.

Zu keinem anderen Ergebnis führt die Argumentation des Beklagten, unter einer Meldeadresse könnten zahlreiche Treffer erfolgen, die altersmäßig in Frage kommende Personen, aber getrennte Haushalte oder Personen ohne verwandtschaftliche Beziehung beträfen; in einem aktuellen Beispielsfall wohnten z. B. nach dem Vortrag des Betroffenen in seinem Mehrfamilienhaus mehr als zehn Personen / Haushalte mit identischem Nachnamen. Derartige Fälle mögen vorkommen. Sie bilden freilich nicht den Regelfall und sind daher auch kein taugliches Argument dafür, in einer Melderegisterauskunft aus ex ante-Sicht von vornherein keinen erfolgversprechenden Ermittlungsansatz zu sehen. Dass Ermittlungsansätze sicher zum Erfolg führen, ist nach den oben dargelegten Maßstäben nicht erforderlich.

Letztlich geht eine Meldeabfrage mit lediglich geringem Aufwand einher, zumal sie in der Regel im Wege des automatisierten Datenabrufs erfolgt (vgl. § 38 BMG a. F., jetzt: §§ 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 34a BMG).

Auch hinsichtlich der allgemeinen Behördenpraxis ergeben sich in diesem Zusammenhang keine Umstände, die gegen eine Meldeabfrage sprechen könnten. Nach Aussage des Zeugen T1. bekomme man zwar manchmal keine Meldeauskunft. Das betreffe indes Fälle einer Auskunftssperre oder einer Überlastung der Meldeämter. Dass man ihm einen Datenzugang in der Vergangenheit jemals unter Gesichtspunkten des Datenschutzes verweigert hätte, ergibt sich daraus gerade nicht. Auch der Terminsvertreter des Beklagten hat Derartiges nicht konkret vorgetragen.

c) Das hier vorliegende behördliche Ermittlungsdefizit war für den ausgebliebenen Ermittlungserfolg ursächlich. Der Fahrer – N. T. – war unter der Anschrift der Klägerin, seiner Mutter, wohnhaft. Es lag zudem ein Tatfoto vor, das den Fahrer deutlich erkennen ließ. Bei dieser Sachlage spricht alles dafür, dass eine Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers möglich gewesen wäre, wenn die Bußgeldbehörde in einem ersten Schritt jedenfalls zunächst die unter der Anschrift der Klägerin wohnhaften Personen ermittelt hätte.

d) Da die Bußgeldbehörde schon keine Melderegisterabfrage durchgeführt hat, obwohl sich dies aufgedrängt hätte, kann dahinstehen, ob hinsichtlich einer sich anschließenden Beiziehung von Lichtbildern zwecks Abgleichs mit dem Tatfoto – von der sich schon nicht sicher sagen lässt, ob sie überhaupt noch erforderlich geworden wäre, weil die Bußgeldbehörde möglicherweise direkt an Herrn N. T. herangetreten wäre – die insofern von der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen unter

https://www.ldi.nrw.de/datenschutz/sicherheitundjustiz/ordnungswidrigkeiten/ermittlungvonfahrerinnenmittels

für erforderlich gehaltene Vorgehensweise von §§ 161 Abs. 1, 163b Abs. 1 Satz 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG und § 22 Abs. 2 PaßG sowie § 24 Abs. 2 PAuswG zwingend vorausgesetzt wird, was allerdings durchaus zweifelhaft erscheint.

Nach § 24 Abs. 2 Satz 1 PAuswG dürfen die Personalausweisbehörden anderen Behörden auf deren Ersuchen Daten aus dem Personalausweisregister übermitteln, wenn

  1. die ersuchende Behörde auf Grund von Gesetzen oder Rechtsverordnungen berechtigt ist, solche Daten zu erhalten,
  2. die ersuchende Behörde ohne Kenntnis der Daten nicht in der Lage wäre, eine ihr obliegende Aufgabe zu erfüllen, und
  3. die ersuchende Behörde die Daten bei dem Betroffenen nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand erheben kann oder wenn nach der Art der Aufgabe, zu deren Erfüllung die Daten erforderlich sind, von einer solchen Datenerhebung abgesehen werden muss.

Die zusätzliche Beachtung der im Bundesmeldegesetz enthaltenen Beschränkungen für Daten, die auch im Melderegister gespeichert sind, kommt hier nicht zur Anwendung, da Lichtbilder im Melderegister nicht gespeichert sind.

Vgl. Hornung in: Hornung/Möller, Passgesetz – Personalausweisgesetz, 2011, § 24 PAuswG Rn. 3 i. V. m. § 22 PaßG Rn. 10.

Nach § 25 Abs. 2 Satz 1 und 2 PAuswG dürfen die Ordnungsbehörden das Lichtbild zum Zweck der Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten im automatisierten Verfahren abrufen, wenn die Personalausweisbehörde auf andere Weise nicht erreichbar ist und ein weiteres Abwarten den Ermittlungszweck gefährden würde. Zuständig für den Abruf sind die Polizeivollzugsbehörden auf Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte, die durch Landesrecht bestimmt werden.

Vergleichbare Regelungen finden sich in §§ 22 f. PaßG.

Das Hauptbeispiel für die Übermittlung von Daten aus dem Pass- und Personalausweisregister ist die Lichtbildanforderung im Rahmen der Ermittlung bei Straßenverkehrsdelikten, wobei die Anforderung eines Passbildes insoweit eine Ermittlungstätigkeit im Rahmen der allgemeinen Befugnisnorm des gemäß § 46 Abs. 1 OWiG entsprechend im Ordnungswidrigkeitenverfahren anzuwendenden § 161 Abs. 1 StPO und somit – im Rahmen der Erforderlichkeit – grundsätzlich zulässig ist.

Vgl. Hornung in: Hornung/Möller, Passgesetz – Personalausweisgesetz, 2011, § 24 PAuswG Rn. 3 i. V. m. § 22 PaßG Rn. 7 und 11.

Die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen schließt ausweislich der Ausführungen auf ihrer Internetseite aus § 24 PAuswG, dass die Ermittlungsbehörde denjenigen, der als mutmaßlicher Fahrer in Betracht kommt, vor einem etwaigen Lichtbildabgleich mit entsprechender Belehrung anhören muss.

Vgl. hierzu einerseits Hornung in: Hornung/Möller, Passgesetz – Personalausweisgesetz, 2011, § 24 PAuswG Rn. 3 i. V. m. § 22 PaßG Rn. 9 und Rn. 11; siehe auch Gratz: Datenschutzverstöße bei Ermittlungen wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten, DAR 2021, 650; andererseits AG St. Ingbert, Urteil vom 16. Juni 2020 – 23 OWi 63 Js 2716/19 (65/20) u. a. -, juris Rn. 6 ff.; siehe auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Mai 2022 – IV-2 RBs 71/22, 2 RBs 71/22 -, juris Rn. 43.

Unklar bleibt jedoch, an welchem normativen Tatbestandsmerkmal sie diese Annahme festmacht. Dem Gesetzeswortlaut des § 24 PAuswG lässt sich nichts Entsprechendes entnehmen. Sie verweist im Übrigen auf den Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (heute: Ministerium des Innern des Landes Nordrhein Westfahlen) mit dem Titel „Verfolgung von Verkehrsverstößen durch die Polizei und Erhebung von Sicherheitsleistungen bei Ordnungswidrigkeiten und Straftaten – Verfolgung und Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten durch die Ordnungsbehörden“, 43.8 – 57.04.16, vom 2. November 2010. Dort heißt es unter Nr. 3.1.4.2: „Das Ersuchen an die Personalausweisbehörde um Übermittlung des Lichtbildes aus dem Personalausweisregister setzt voraus, dass der Betroffene zunächst erfolglos nach § 55 OWiG angehört und auf die Möglichkeit des Bildvergleiches hingewiesen worden ist; (…) Die obenstehende Regelung gilt für die Datenerhebung bei Tatverdächtigen entsprechend.“

Betroffener i. S. d. Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ist indes nur die Person, gegen die sich das Verfahren richtet.

Vgl. zu § 49 OWiG Hess. VGH, Urteil vom 28. Februar 2019 – 6 A 1805/16 -, juris Rn. 104; Bücherl, in: Graf, BeckOK OWiG, Stand: 1. April 2023, § 49 Rn. 2.

Zweck der Anhörung nach § 55 OWiG ist es – neben der Ermittlung des Sachverhalts und der Sicherung von Beweisen -, dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs zu entsprechen und dem Betroffenen Gelegenheit zu gegeben, sich zu der ihm zur Last gelegten Tat zu äußern, sich gegen den Verdacht einer Ordnungswidrigkeit zu verteidigen und ihn entlastende Tatsachen anzuführen.

Vgl. Lutz, in: Mitsch, Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl. 2018, § 55 Rn. 3 f.; Straßer, in: Graf, BeckOK OWiG, Stand: 1. April 2023, § 55 Rn. 1 ff.

Ausgehend hiervon muss es sich um eine der Tat verdächtige Person handeln, gegen die das Bußgeldverfahren geführt wird. Es kann aber nicht zugrunde gelegt werden, dass derjenige, dessen Lichtbild die Bußgeldbehörde anzufordern beabsichtigt, notwendigerweise tatverdächtig und somit Betroffener i. S. d. § 55 OWiG ist. Vielmehr bewegt sich die Bußgeldbehörde auf einer Vorstufe, die erst der Ermittlung dient, wer überhaupt als Tatverdächtiger in Betracht kommt. Ermittelt die Bußgeldbehörde beispielsweise über eine Meldeabfrage mehrere in Frage kommende Personen in einer ungefähr gleichen Altersguppe, z. B. mehrere Brüder, und will sie über den Lichtbildabgleich abklären, welcher von ihnen der auf dem Tatfoto erkennbaren Person gleicht, handelt es sich nicht bei sämtlichen Brüdern um Betroffene im vorgenannten Sinne, zumal schon denklogisch nur einer von ihnen gefahren sein kann. Die Beiziehung eines Lichtbildes erst gegenüber einer Person für zulässig zu halten, die als Betroffener eingestuft und angehört worden ist, ist ein Zirkelschluss. Denn wenn die Bußgeldbehörde nur Informationen über den Halter hat, der auf die Zeugenanhörung hin schweigt, aber keine Anhaltspunkte für den Fahrzeugführer, müsste sie „ins Blaue hinein“ Personen aus seinem Umfeld als Fahrer verdächtigen und als Betroffene anhören. Dies wäre sinnwidrig.

Vgl. AG St. Ingbert, Urteil vom 16. Juni 2020 – 23 OWi 63 Js 2716/19 (65/20) u. a. -, juris Rn. 6.

Im Übrigen kann sich gerade die von der Datenschutzbeauftragten befürwortete Vorgehensweise je nach

Fallkonstellation als datenschutzrechtlich bedenklich erweisen. Übersendete etwa im vorgenannten Fall die Bußgeldbehörde an sämtliche Brüder einen Anhörungsbogen, der gegebenenfalls sogar das Tatfoto enthält, wären sie damit alle über die eventuell durch einen von ihnen begangene Ordnungswidrigkeit informiert. Dagegen wäre ein Lichtbildabgleich ohne vorherige Anhörung und die anschließende Übersendung des Anhörungsbogens nur an die als mutmaßlicher Täter identifizierte Person ersichtlich der geringere Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dementsprechend sieht auch Nr. 3.1.4.2 des vorgenannten Runderlasses vor: „Die Befragung anderer Personen ist keine Datenerhebung beim Betroffenen im Sinne von § 24 Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 PAuswG. Sie ist daher erst dann zu erwägen, wenn ein Lichtbildabgleich [bezüglich des Betroffenen] erfolglos ist.“ Auch hiernach ist folglich der behördeninterne Lichtbildabgleich durchzuführen, bevor man mit dem Tatfoto an Dritte, also z. B. Familienangehörige, herantritt.

Ungeachtet dessen hat der Beklagte auch nicht dargelegt, dass selbst die Beachtung der durch die Datenschutzbeauftragte empfohlenen Vorgehensweise einen unzumutbaren Aufwand in dem Sinne nach sich zöge, dass mehr als das Versenden standardisierter Schriftsätze erforderlich würde. Zudem wäre im vorliegenden Fall auch nur eine Person, nämlich N. T. , anzuhören gewesen. Insofern gilt, ebenso wie schon in Bezug auf die Melderegisterabfrage, dass Unmöglichkeit nicht schon dann vorliegt, wenn die Behörde nur solchen Ermittlungsansätzen nachgegangen ist, die sicher zum Erfolg führen. Davon, dass es sich um kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen gehandelt hätte, wenn die Bußgeldbehörde den verantwortlichen Fahrzeugführer auf diese Weise zu ermitteln versucht hätte, kann jedenfalls keine Rede sein.“

Puh, da hat das OVG aber mal so richtig „zugeschlagen“, war aber offenbar mal nötig 🙂 .

Fahrtenbuch II: Unmöglichkeit der Täterermittlung, oder: Kein Ermittlungsdefizit der Behörde

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Und dann als zweite Entscheidung der OVG Münster, Beschl. v. 30.05.2023 – 8 A 464/23 -, auch zur Fahrtenbuchauflage, und zwar zur Unmöglichkeit der Täterermittlung.

Das VG hatte eine Klage des Betroffenen gegen eine Fahrtenbuchauflage abgewiesen. Dagegen dann der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung, der keinen Erfolg hatte:

„… Die Anordnung der Fahrtenbuchauflage findet ihre rechtliche Grundlage in § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Danach kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war.

Die Feststellung des Fahrzeugführers ist im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO unmöglich, wenn die Bußgeldbehörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage war, den Täter einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Dazu gehört grundsätzlich, dass der Fahrzeughalter möglichst umgehend – im Regelfall innerhalb von zwei Wochen, wobei es sich aber nicht um eine starre Grenze handelt – von dem mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß benachrichtigt wird, damit er die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten und der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann. Eine verspätete Anhörung schließt eine Fahrtenbuchauflage allerdings dann nicht aus, wenn feststeht, dass die Verzögerung für die unterbliebene Ermittlung des Täters nicht ursächlich gewesen ist.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 1987 – 7 B 139.87 -, juris Rn. 2; OVG NRW, Urteil vom 30. November 2005 – 8 A 280/05 -, juris Rn. 25.

Hiervon ausgehend darf der ausgebliebene Ermittlungserfolg jedenfalls nicht maßgeblich auf ein Ermittlungsdefizit der zuständigen Behörde zurückzuführen sein. Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage setzt insbesondere nicht voraus, dass die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrers auf einer fehlenden Mitwirkung des Fahrzeughalters beruht oder der Halter seine Mitwirkungsobliegenheiten schuldhaft nicht erfüllt hat oder die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers sonst zu vertreten hat.

Vgl. Schl.-H. OVG, Urteil vom 8. Dezember 2022 – 5 LB 17/22 -, juris Rn. 28.

Im Einklang mit diesen Maßstäben hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass das Ermittlungsverfahren im vorliegenden Fall „möglicherweise nicht optimal verlaufen“ sei; der vom Kläger bestrittene Zugang des nach Aktenlage zwei Wochen nach dem Verkehrsverstoß vom 6. Januar 2022 zur Post gegebenen Anhörungsschreibens lasse sich jedenfalls nicht feststellen. So sei der Kläger erst am 4. März 2022 durch einen Außendienstmitarbeiter des Beklagten – möglicherweise ohne Nennung des Datums und ohne Vorlage des Beweisfotos – darüber informiert worden, dass mit dem auf ihn zugelassenen Fahrzeug in E.  ein Rotlichtverstoß begangen worden sei. Ein behördliches Ermittlungsdefizit, das für die letztlich erfolglos gebliebenen Ermittlungsbemühungen ursächlich gewesen sei, hat das Verwaltungsgericht jedoch nicht erkannt. Hierzu hat es ausgeführt: Nach Befragung des Klägers stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser nicht bereit gewesen sei, an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes mitzuwirken, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre. Selbst wenn der als Zeuge vernommene damalige Außendienstmitarbeiter des Beklagten dem Kläger das Datum des Verkehrsverstoßes nicht genannt haben sollte, hätte es diesem oblegen, danach zu fragen, wenn er diese Information zur Eingrenzung des Täterkreises benötigt hätte. Auf die verspätete Information und den genauen Inhalt des Gesprächs mit dem Außendienstmitarbeiter des Beklagten komme es aber auch nicht an, weil der Kläger nach seinen eigenen Angaben im Klageverfahren ohnehin wusste, dass seine Tochter die verantwortliche Fahrzeugführerin war. Aus welchen Gründen der Kläger keine Angaben gemacht habe, insbesondere, ob ihm ein Aussageverweigerungsrecht zustehe und ob ihm bei seiner Entscheidung, an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes nicht im Rahmen des ihm Möglichen mitzuwirken, die Befugnis der Behörde zum Erlass einer Fahrtenbuchanordnung bewusst gewesen sei, sei unerheblich.

Das Antragsvorbringen begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit dieser Sachverhaltswürdigung.

Der Kläger macht geltend, das Verwaltungsgericht hätte in Anlehnung an den Beschluss des Senats vom 14. November 2013 – 8 A 1668/13 – (juris) maßgeblich auf die von der Behörde ergriffenen Maßnahmen zur Täterermittlung abstellen müssen. Diese seien unzureichend gewesen, weil der Zeuge den Kläger in dem Gespräch am 4. März 2022 nur unvollständig informiert habe und es nicht dem Kläger oblegen hätte, von sich aus nach dem Datum des Verkehrsverstoßes und dem Fahrerfoto zu fragen.

Diese Argumentation greift jedoch nicht durch. In der genannten Entscheidung hat der Senat ausgeführt, § 31a Abs. 1 S. 1 StVZO setze nicht voraus, dass Grund für die Nichtfeststellbarkeit des verantwortlichen Täters einer Verkehrsordnungswidrigkeit ein rechtswidriges (oder gar schuldhaftes) Verhalten des Halters sei; es genüge vielmehr, dass der begangene Verkehrsverstoß nicht aufklärbar gewesen sei, obwohl die Behörde alle nach den Umständen des Einzelfalles angemessenen und zumutbaren Maßnahmen zur Täterermittlung getroffen habe. Davon ist jedoch auch das Verwaltungsgericht ausgegangen. Ein Rechtsgrundsatz des Inhalts, dass ein behördliches Ermittlungsdefizit, das sich nicht ursächlich auf den letztlich ausgebliebenen Ermittlungserfolg ausgewirkt hat, der Annahme, dass die Feststellung des verantwortlichen Fahrzeugführers nicht möglich gewesen sei, entgegenstehe, ist der genannten Entscheidung jedoch nicht zu entnehmen und existiert auch nicht. Ausgehend von der im Zulassungsverfahren nicht mit beachtlichen Rügen angegriffenen und im Übrigen auch nachvollziehbar begründeten Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger zur Mitwirkung an der Aufklärung nicht bereit war, bedurfte er der ergänzenden Informationen über den Tag des Verkehrsverstoßes und der Vorlage des Fotos nicht. Er wusste nach eigenen Angaben ohnehin, dass seine Tochter den Rotlichtverstoß begangen hat. Das stellt die Antragsbegründung auch nicht in Frage.

Ergänzend ist anzumerken, dass – abgesehen von den vom Verwaltungsgericht gewürdigten Umständen – auch sonst keine Anhaltspunkte für ein relevantes Ermittlungsdefizit vorliegen. Da das Fahrzeug am Tattag von einer Frau geführt wurde, kam der Kläger selbst als Täter nicht in Betracht. Der Lichtbildabgleich mit dem Ausweisfoto der Ehefrau des Klägers ergab keine Übereinstimmung. Dass sich bei dieser Sachlage für die Behörde weitere erfolgversprechende Ermittlungsansätze ergeben hätten, macht der Kläger nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich…..“

Fahrtenbuch I: Unmöglichkeit der Fahrerfeststellung, oder: Wenn es ein gutes Lichtbild gibt

entnommen wikimedia.org
Urheber Dede2

Und heute dann der „Kessel Buntes“, und zwar mit zwei Entscheidungen zum Fahrtenbuch (§ 31a StVZO). Beide Entscheidungen kommen vom OVG Münster.

Zunächst stelle ich den OVG Münster, Beschl. v. 03.05.2023 – 8 B 185/23 – vor. Er nimmt npch einmal Stellung zu den Voraussetzungen der Fahrtenbuchauflage wegen Unmöglichkeit der Fahrerfeststellung. Es war ein Fahrtenbuch angeordnet worden. Dagegen die Klage. Der im Zusammenhang damit gestellte Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hatte Erfolg:

„Nach §31a Abs.1 Satz1 StVZO kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Dies ist dann der Fall, wenn die Bußgeldbehörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage war, den Täter einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Ob die Aufklärung angemessen war, richtet sich danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Zu den danach angemessenen Ermittlungsmaßnahmen gehört in erster Linie, dass der Halter möglichst umgehend -im Regelfall innerhalb von zwei Wochen- von dem mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß benachrichtigt wird, damit er die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten kann und der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann. Eine solche Benachrichtigung begründet für den Halter eine Obliegenheit, zur Aufklärung des mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoßes so weit mitzuwirken, wie es ihm möglich und zumutbar ist. Dazu gehört es insbesondere, dass er den bekannten oder auf einem vorgelegten Lichtbild erkannten Fahrer benennt oder zumindest den möglichen Täterkreis eingrenzt und die Täterfeststellung durch Nachfragen im Kreis der Nutzungsberechtigten fördert. Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit der Bußgeldbehörde können sich im Weiteren an den Erklärungen des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung an der Ermittlung der für den Verkehrsverstoß verantwortlichen Person ab und liegen der Bußgeldbehörde auch sonst keine konkreten Ermittlungsansätze vor, ist es dieser regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.Dezember 1982 -7C 3.80-, juris Rn.7; OVG NRW, Beschlüsse vom 7.Dezember 2021 -8B 1475/21- juris Rn.3, und vom 22.Juli 2020 -8B 892/20-, juris Rn.15.

Ausgehend hiervon bestehen vorliegend bei der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes einzig möglichen und gebotenen summarischen Prüfung durchgreifende Zweifel daran, dass die Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers im Sinne von §31a Abs.1 Satz1 StVZO unmöglich war. Es spricht vielmehr Überwiegendes dafür, dass der gegenüber Herrn O. ergangene Bußgeldbescheid vom 20.September 2022 hätte aufrechterhalten bleiben können.

Zwar ist die Feststellung des Fahrers auch dann unmöglich, wenn die Ermittlungen auf einen bestimmten Täter hindeuten und eine Person ernsthaft verdächtig ist, die Behörde jedoch keine ausreichende Überzeugung von der Täterschaft des Verdächtigen gewinnen konnte. Nichts anderes gilt, wenn zwar die Bußgeldbehörde einen Bußgeldbescheid erlassen hat, dann allerdings im Zwischenverfahren gemäß §69 Abs.2 OWiG das Verfahren einstellt, da letztlich doch keine ausreichende Überzeugung von der Täterschaft gewonnen werden konnte. Abzustellen ist dabei auf das im Ordnungswidrigkeitenverfahren erforderliche Maß der Überzeugung.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30.Juni 2020 -8A 1423/19-, juris Rn.30, und vom 15.Mai 2018 -8A 740/18-, juris Rn.39ff.; Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47.Aufl. 2023, StVZO, §31a Rn.25.

Ist die Feststellung des Fahrzeugführers unmöglich, kommt es weiter nicht darauf an, ob der Fahrzeughalter seine Mitwirkungspflicht erfüllt hat, indem er alle ihm möglichen Angaben gemacht hat, oder ob ihn ein Verschulden an der Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers trifft. Denn die Fahrtenbuchauflage hat eine präventive und keine strafende Funktion. Sie stellt eine der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs dienende Maßnahme der Gefahrenabwehr dar, mit der dafür Sorge getragen werden soll, dass künftige Feststellungen eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften ohne Schwierigkeiten möglich sind. Die Führung eines Fahrtenbuchs kann daher auch dann angeordnet werden, wenn der Fahrzeughalter an der Feststellung mitgewirkt hat, die gebotenen Ermittlungsbemühungen der Behörde jedoch gleichwohl erfolglos geblieben sind.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30.Juni 2020 -8A 1423/19-, juris Rn.27, und vom 25.Januar 2018 -8A 1587/16-, juris Rn.13.

Vorliegend hat indes die Bußgeldbehörde nach gegenwärtigem Sach- und Streitstand wohl nicht alle gebotenen und angemessenen Ermittlungsmaßnahmen ergriffen, nachdem die Antragstellerin unter dem 16.August 2022 mitgeteilt hatte, sie habe das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt Herrn C. O. , geb. am 00.Januar 0000 in Teheran, Anschrift: I. Straße 110, E. , überlassen, und entsprechend ein Bußgeldbescheid gegenüber Herrn O. ergangen war.

Zwar hat Herr O. über einen Rechtsanwalt Einspruch einlegen und ankündigen lassen, sich nicht zur Sache zu äußern. Die Bußgeldbehörde versuchte daraufhin vergeblich, über das Einwohnermeldeamt und die Ausländerbehörde ein Personalausweis-/Passfoto zwecks Lichtbildabgleichs anzufordern. Eine EMA-Abfrage blieb laut Vermerk vom 26.Oktober 2022 erfolglos. Dies war jedoch auf Vertauschung von Vor- und Zuname des Herrn O. zurückzuführen, die anhand der Namensangabe der Antragstellerin vom 16.August 2022 („C.O. “ – ohne Komma, wie es bei nach dem Formblatt eigentlich vorgesehener Erstnennung des Nachnamens zu erwarten gewesen wäre), vor allem aber wegen der zutreffenden Namensnennung durch dessen Rechtsanwalt für die Antragsgegnerin erkennbar bzw. vermeidbar gewesen wäre. Soweit die Antragsgegnerin sich darauf beruft, „aufgrund der nicht auf den ersten Blick völlig eindeutigen Namensbesonderheit“ -damit dürfte der Umstand gemeint sein, dass es sich um einen ausländischen Namen handelt- hätte es der Antragstellerin zumindest oblegen, eine besondere Sorgfalt bei der Übermittlung des Vor- und Nachnamens an den Tag zu legen, ist dem entgegenzuhalten, dass eine Sorgfaltspflicht zumindest ebenso auch auf Seiten der Bußgeldbehörde besteht. Da sich nach Zustellung des Bußgeldbescheids unter der von der Antragstellerin bezeichneten Adresse ein Verteidiger für den Betroffenen bestellt hat, hätte es nahe gelegen, anhand des Akteninhalts den Grund für die erfolglosen Abfragen zu hinterfragen. Dabei hätte auffallen müssen, dass der Verteidiger des Herrn O.den Namen seines Mandanten in den Schreiben vom 23.September 2022 und vom 4.Oktober 2022 maschinenschriftlich eindeutig mit „C.O. “ und nicht mit „C. , O. “ angegeben hat. Ein Vertauschen des Vor- und des Nachnamens erscheint in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden als eine sich auch ohne eigene iranische Sprachkenntnisse aufdrängende Fehlerursache. Eine EMA-Abfrage durch die Berichterstatterin bezüglich C.O. verlief dementsprechend erfolgreich. Die sehr gute Qualität des Tatfotos spricht dafür, dass die Antragsgegnerin sich auf diese Weise eine ausreichende Überzeugung von der Täterschaft des Herrn O. hätte bilden können.

Weiterhin hätte es sich aufgedrängt, die Antragstellerin zu befragen, ob sie Herrn O. anhand des Lichtbilds identifizieren könne. Dies wäre vor Ablauf der Verjährungsfrist gegenüber Herrn O.(vgl. §26 Abs.3 Satz1 StVG: Verlängerung auf sechs Monate nach Erlass eines Bußgeldbescheides) möglich und – wie ihrer im Anhörungsverfahren abgegebenen Stellungnahme vom 16.Dezember 2022 zu entnehmen ist – erfolgversprechend gewesen.“

Divers II: Erkennungsdienstliche Behandlung?, oder: Welche Stärke hat der Anfangsverdacht noch?

entnommen wikimedia.org
Urheber Fotografie: Frank C. Müller, Baden-Baden

Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, kommt aus dem verwaltungsrechtlichen Bereich, hat aber Bezüge zum Straf(verfahrens)recht. Der OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 27.2.2023 – OVG 1 M 21/22 – äußert sich zur Notwendigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81b Abs. 2 Alt. 2 StPO.

Geklagt wird gegen die Anordnung durch die Polizeibehörde. Der Kläger hatte PKH beantragt, die vom VG nicht bewilligt worden ist. Das OVG sieht das anders und bewilligt:

„Zunächst legt das Verwaltungsgericht für die Beurteilung der Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung einen zutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde, insbesondere dass – wie hier – in Fällen der Einstellung der Anlasstat nach § 170 Abs. 2 StPO Behörden und Gerichte unter Abwägung des Für und Wider sorgfältig begründen müssen, aus welchen Gründen sie dennoch eine erkennungsdienstliche Behandlung für notwendig halten (stRspr, vgl. zuletzt BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2018 – 6 C 39.16 – juris Rn. 21 bis 23).

Das Verwaltungsgericht hat die Notwendigkeit bejaht und sie damit begründet, dass gegen den (minderjährigen) Kläger „in den Jahren 2018 bis 2021 mehrere Ermittlungsverfahren geführt werden mussten. … dass diese Ermittlungsverfahren, darunter insbesondere das den Anlass der Anordnung darstellende Ermittlungsverfahren, wegen Sachbeschädigung an 43 Kraftfahrzeugen, überwiegend auf der Grundlage von § 170 Abs. 2 StPO, eingestellt worden sind und lediglich Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung von Polizeivollzugsbeamten zu einer Anklage vor dem Jugendrichter geführt“ hätten. Die Verfahrenseinstellung beruhe nicht auf der Feststellung, dass der Kläger die Straftaten nicht begangen habe, sondern allein darauf, dass sie dem Kläger nicht hätten nachgewiesen werden können. Dass er zur Begehung derartiger Straftaten bereit sei, zeige sich aber an den Angaben des Herrn pp.. Dieser habe erklärt, der Kläger habe, nachdem er sich durch einen Einbruchsdiebstahl in den Besitz einer Axt gebracht habe, vorgeschlagen, bei einem geparkten Golf die Scheibe „einzuhauen“. Nach Angaben des pp. habe der Kläger ihm gegenüber außerdem erwähnt, in einem BVG-Bus randaliert zu haben. Für die Notwendigkeit spreche schließlich, dass gegen den Kläger nach der Anlasstat ein (ohne Auflagen nach § 154 StPO eingestelltes) Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung eingeleitet worden sei und wegen der Beleidigung eines Polizeivollzugsbeamten Anklage vor dem Jugendrichter erhoben worden sei.

Die Beschwerde moniert zu Recht, dass das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Restverdachts und eine sich daraus ergebende Notwendigkeit zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen ungenügend geprüft habe, denn die bisher und im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife dem Erstgericht vorliegenden Informationen reichen nicht aus, um die Notwendigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung abschließend zu beurteilen.

Da die Anfertigung und Aufbewahrung von erkennungsdienstlichen Unterlagen einen gewichtigen Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Betroffenen und dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) darstellt, darf darin nur „soweit“ eingegriffen werden, wie dies zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich geboten und verhältnismäßig ist. Bei nicht volljährigen Betroffenen sind auch das jugendliche Alter und die möglichen negativen Wirkungen für die weitere Entwicklung des Jugendlichen oder Kindes besonders zu berücksichtigen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13. Januar 1999 – 5 B 2562/98 – juris Rn. 17 ff.; Senatsbeschluss vom 3. Dezember 2013 – OVG 1 S 234.13 -, S. 3, n.v.).

Nach diesem Maßstab ist es offen, ob die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers zu Recht angeordnet worden ist. Zwar weist das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hin, dass die Einstellung der Anlasstat nicht auf der Feststellung beruhe, dass der Kläger die ihm zur Last gelegten Straftaten nicht begangen habe. Die staatsanwaltschaftliche Einstellungsverfügung führt insoweit aus, der Beschuldigte habe von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht, Tatzeugen und auch sonstige zur Überführung geeignete Beweismittel seien nicht vorhanden, weshalb weitere Nachforschungen keinen Erfolg versprächen. Jedoch fehlt die Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht erst dann, wenn der Anfangsverdacht, der Anlass zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegeben hat, vollständig ausgeräumt ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. März 2019 – 6 B 163/18, 6 PKH 10/18 – juris Rn. 11). Vielmehr kommt es darauf an, ob sich aus dem (verbliebenen) Ergebnis des Ermittlungsverfahrens (noch) eine Notwendigkeit zur erkennungsdienstlichen Behandlung herleiten lässt.

Dies war zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife sowie nach den bisher vorliegenden Unterlagen zweifelhaft. Zwar sprechen der Seriencharakter, die Schadenshöhe und die Zerstörungsweise für eine gesteigerte Gewaltbereitschaft und erhöhte kriminelle Energie des Täters der Anlasstat. Jedoch gab es in dem Ermittlungsverfahren zu keiner Zeit Erkenntnisse darüber, dass der Kläger derartige Zerstörungshandlungen tatsächlich ausgeführt hat. Vielmehr konnte nur der Umstand ermittelt werden, dass der Kläger, der eine kurz zuvor aus einem Gewächshaus entwendete Axt mitführte, den pp. mit Blick auf einen parkenden Golf IV gefragt haben soll: „ey wollen wir die Scheibe einhauen“? Von dieser Idee lies der Kläger jedoch gleich ab, nachdem der pp. abgelehnt hatte. Die aus einer abgegebenen Erklärung geschlossene bloße „Bereitschaft“ zu einer solchen Zerstörungshandlung, wie sie das Verwaltungsgericht annimmt, genügt insofern nicht.

Der Verdacht der angezeigten 45 Sachbeschädigungen beruht damit im Ergebnis nur auf einer Vermutung, was die Staatsanwaltschaft Potsdam offenbar selbst so beurteilt hat. So wird in der vom Kläger erstinstanzlich eingereichten staatsanwaltschaftlichen Verfügung vom 21. Juli 2020 (vgl. S. 5 der Antragsbegründung vom 2. Dezember 2021) ausgeführt: „Bezüglich der angezeigten Sachbeschädigungen enthält der Bericht vom 08.07.2020 allenfalls Vermutungen, dass der Beschuldigte Täter der angezeigten Taten sein könnte. Die Vermutung wird darauf gestützt, dass er bereits einschlägig in Erscheinung getreten ist, sich in Tatortnähe aufhielt und am 26.05.2020 gegen 03.45 Uhr mit einer mitgeführten Axt, …, in jenem Gebiet in pp. angetroffen wurde, in dem zuvor Sachbeschädigungen begangen wurden. Konkrete Anhaltspunkte für eine Täterschaft liegen bislang nicht vor.“

Diese staatsanwaltschaftliche Bewertung hat das Verwaltungsgericht bei seiner Prognose der Erfolgsaussichten der Klage ebenso wenig berücksichtigt wie die Tatsache, dass der Beschuldigte am Ende seiner Vernehmung vom 27. Mai 2020 (S. 7) seine Aussage, der Kläger habe vor etwa zwei Jahren in einem BVG-Bus randaliert, korrigierte und stattdessen angab,, pp. sei das damals mit dem Bus gewesen, der Kläger habe den  pp.  bisher nur nicht verraten.

Soweit das Verwaltungsgericht für die Begründung der Notwendigkeit weiter ganz allgemein andere gegen den Kläger in den Jahren 2018 bis 2021 geführte Ermittlungsverfahren ergänzend heranzieht, hat es nicht berücksichtigt, dass hierzu keinerlei konkrete Erkenntnisse vorlagen. Die Existenz dieser Ermittlungsverfahren lässt sich dem Verwaltungsvorgang nur anhand von mehreren formularmäßigen Auskünften aus dem Zentralen Staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister (ZStV) „ZStV Detailansicht – Personenauskunft (Polizeirecht)“ entnehmen (Bl. 35 bis 48 des Verwaltungsvorgangs), die lediglich Stammdaten zur Person, Aktenzeichen der mitteilenden Behörde, Strafnorm und Tattag enthalten sowie ein Stichwort zum jeweiligen Verfahrensausgang (Einstellung nach § 170 Abs. 2 oder § 154 StPO oder Anklage vor dem Jugendrichter). Die Auskünfte belegen, dass von den insgesamt sieben Ermittlungsverfahren fünf nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurden. Ob in diesen Verfahren jeweils überhaupt Anhaltspunkte für einen verbliebenen Restverdacht bestehen, ist anhand der gegenwärtigen Aktenlage nicht zu beurteilen und bedarf ggf. näherer Aufklärung im Klageverfahren.

Lässt sich im Ergebnis bisher kein Restverdacht hinsichtlich der anlassgebenden Sachbeschädigung von 43 Kraftfahrzeugen und der anderen vier nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellten Verfahren feststellen, bleiben lediglich ein nach der Anlasstat gegen den Kläger eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung, dass ausweislich der ZStV-Auskunft ohne Auflagen nach § 154 StPO als unwesentliche Nebenstraftat eingestellt wurde, sowie die Beleidigung eines Polizeivollzugsbeamten, die zu einer Anklage vor dem Jugendrichter führte, übrig. Ungeachtet dessen, dass bislang auch hierfür keine Erkenntnisse über den jeweils konkreten Tatverlauf bzw. -vorwurf vorliegen, könnte es sich bei den Delikten möglicherweise um jugendtypische Verfehlungen aus dem Bagatellbereich handeln, hinsichtlich derer, angesichts des gegenüber Minderjährigen geltenden besonderen Verhältnismäßigkeitsmaßstabes, eine erkennungsdienstliche Behandlung außer Verhältnis stünde. Ob dies zutrifft, ist ggf. im Klageverfahren zu klären.“

Divers I: Fahrtenbuchanordnung und Messung, oder: Kein Zugang zu den Rohmessdaten beim BVerwG

Bild von Moritz Wolf auf Pixabay

Und heute dann ein Tag mit „diversen“ 🙂 Entscheidungen. „Divers“ deshlab, weil es quer durch den Garten geht.

Ich beginne mit dem BVerwG, Urt. v. 02.02.2023 – 3 C 14.21 -, von dem dann jetzt der Volltext zur Verfügung steht. Das urteil betrifft eine Fahrtbuchanordnung hat aber Berühungspunkte zum straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren unter dem Stichwort: Zugang zu Rohmessdaten.

Folgender Sachverhalt: Dem Kläger wurde mit Bescheid vom 11.10.2019 eine Fahrtenbuchauflage (§ 31a StVZO) erteilt. Zugrunde lag eine gemessene Geschwindigkeitsüberschreitung um 41 km/h bei erlaubten 80 km/h auf einer Bundesautobahn. Die Messung erfolgte mit dem Gerät Vitronic PoliScan FM 1.

Der Kläger legte Widerspruch ein und bezog sich zur Begründung auf das Urt. des VerfGH des Saarlandes v. 5.7.2019 – LV 7/17. Die Verwertung der Messdaten sei unzulässig, da die zur Überprüfung der Messung notwendigen Rohmessdaten nicht gespeichert worden seien.

Nach erfolglosem Widerspruch nebst Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wurde Klage erhoben. Das VG hat die Klage abgewiesen, da „als gesichert davon ausgegangen werden“ könne, dass das verwendete Messgerät die Rohmessdaten zuverlässig speichere und eine nachträgliche Überprüfung ermögliche. Der Kläger habe die Daten im Verwaltungsverfahren nicht angefordert; das gehe zu seinen Lasten. Auch verpflichte der Amtsermittlungsgrundsatz die Behörde nicht, das Ergebnis der Geschwindigkeitsmessung „ins Blaue hinein“ zu hinterfragen. Ermittlungen seien erst geboten, wenn der Fahrzeughalter Unstimmigkeiten der Messung aufzeige oder sie sich der Behörde aufdrängen müssten. Dazu müsse er substanziierte Angaben machen. Das sei hier mit dem pauschalen Verweis auf die Rspr. des VerfGH nicht geschehen.

Auch vor dem OVG hatte der Kläger keinen Erfolg. Die Behauptung des Klägers, das Messgerät habe die zur Überprüfung notwendigen Rohmessdaten nicht gespeichert, treffe nicht zu; das habe die Sachaufklärung im Berufungsverfahren ergeben. Der Kläger habe den Datenzugang erst beantragt, als die ihm gegenüber ergangene Anordnung bereits in der Hauptsache erledigt gewesen sei.

Die Revision gegen das Urteil des OVG hat das BVerwG zurückgewiesen. Hier die Leitsätze des BVerwG, die m.E., da die Thematik ziemlich „ausgekaut“ ist, reichen:

  1. Wird eine Fahrtenbuchanordnung auf die mit einem standardisierten Messverfahren ermittelte Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gestützt, muss das Ergebnis der Geschwindigkeitsmessung von Amts wegen nur überprüft werden, wenn der Adressat der Anordnung plausible Anhaltspunkte für einen Messfehler vorträgt oder sich solche Anhaltspunkte sonst ergeben.
  2. Wendet sich der Adressat einer Fahrtenbuchanordnung gegen die Verwertbarkeit der Geschwindigkeitsmessung mit einem standardisierten Messverfahren, kann er sich nicht mit Erfolg auf die Verweigerung des Zugangs zu bei der Bußgeldstelle gespeicherten Daten berufen, wenn er nicht seinerseits alles ihm Zumutbare unternommen hat, um den gewünschten Zugang von der Bußgeldstelle zu erhalten.