Archiv der Kategorie: Verwaltungsrecht

Zustellung II: Wirksamkeit einer Ersatzzustellung, oder: Verkleben der Briefkastenklappe mit Silikon

entnommen wikimedia.org Urheber: Sarang

Der zweite Beschluss zur Zustellung stammt mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 10.10.2024 – 19 U 87/23 – aus dem Zivilrecht. Die Ausführungen des OLG passen aber auch für andere Verfahrensarten.

Das OLG führt zur Wirksamkeit einer Ersatzzustellung durch Einlegung in den Briefkasten in dem nach § 522 Abs. 2 ZPO ergangenen Beschluss aus:

2. Der Vollstreckungsbescheid ist im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten (§ 180 Satz 1 ZPO) wirksam zugestellt worden.

a) Nach den erstinstanzlich getroffenen Feststellungen, welche von der Berufung nicht in Zweifel gezogen werden, handelt es sich bei der Adresse M.-Str. 8 in O., unter welcher die Zustellung bewirkt wurde, nicht nur um den privaten Wohnsitz des Geschäftsführers der Beklagten, sondern auch um die – bei einer GmbH obligatorisch im Handelsregister einzutragende (vgl. BeckOGK/Bayer/J. Schmidt, 15.05.2024, GmbHG § 35 Rn. 186) – Geschäftsanschrift der Rechtsmittelführerin.

Wie sich aus § 35 Abs. 2 Satz 3 GmbHG ergibt, können an die Vertreter einer solchen Kapitalgesellschaft unter deren im Handelsregister eingetragenen Geschäftsanschrift Willenserklärungen abgegeben und Schriftstücke für die Gesellschaft zugestellt werden. Hierbei handelt es sich um eine unwiderlegliche gesetzliche Vermutung, dass die Vertreter der GmbH stets und jederzeit unter dieser Geschäftsadresse erreichbar sind (vgl. BeckOGK/Bayer/J. Schmidt, aaO, mwN).

Die abweichenden Ausführungen der Berufungsführerin sind ersichtlich von Rechtsirrtum beeinflusst. Entgegen deren Auffassung kommt es insbesondere nicht darauf an, dass kein besonderer mit dem Namen der Gesellschaft versehener Postbriefkasten angebracht war.

b) Dass der Vollstreckungsbescheid die Geschäftsadresse der Beklagten tatsächlich erreicht hat – darauf erstreckt sich die vorbezeichnete gesetzliche Vermutung nicht (vgl. BeckOGK/Bayer/J. Schmidt, aaO, § 35 Rn. 189 mwN) – wird auch vom Rechtsmittelführer nicht in Abrede gestellt; abgesehen davon wird dies durch den Inhalt der Zustellungsurkunde, der die Beweiskraft des § 418 ZPO zukommt, belegt.

c) Ferner muss von einer ordnungsgemäßen Ersatzzustellung des Vollstreckungsbescheids durch Einlegen in den – mit dem Nachnamen des Geschäftsführers der Beklagten beschrifteten – Briefkasten, der an der Geschäftsanschrift der Rechtsmittelführerin angebracht war, nach § 180 ZPO ausgegangen werden.

Zwar fehlt es an einem zur Wohnung oder zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten im Sinne der vorgenannten Bestimmung, wenn dieser überquillt, zugeklebt ist oder sich sonst in einem nicht ordnungsgemäßen Zustand befindet, aus dem erkennbar wird, dass er nicht benutzt wird (vgl. Zöller/Schultzky, ZPO, 35. Auflage 2024, § 180 Rn. 5 mwN). Eine derartige Feststellung lässt sich aber nicht treffen: Soweit die Beklagte geltend macht, ihr Geschäftsführer habe den Briefkasten mit Silikon verklebt (gehabt), steht dieser Darstellung gerade entgegen, dass ihrem eigenen Vorbringen zufolge gleichwohl das zugestellte Schriftstück in den Briefkasten hat eingelegt werden können.

Außerdem vermag sie keinen – nach § 418 Abs. 2 ZPO ihr obliegenden – Beweis dafür anzutreten, dass der Briefkasten zum Zeitpunkt der Zustellung unzugänglich oder zur sicheren Aufnahme von Schriftstücken ungeeignet gewesen wäre. Für die von der Berufung beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass der „extrem starke Verschluss … der Briefkastenklappe mit Silikon … nur mittels erheblichster Krafteinwirkung auf die Briefkasteneinwurfklappe“ habe überwunden werden können, bleibt kein Raum. Denn es fehlt an Anknüpfungstatsachen, welche den – angeblichen – Ausgangszustand, der auch nach Darstellung der Beklagten mittlerweile nicht mehr vorliegt, und die konkrete Ausführung der behaupteten Maßnahme belegen könnten.

3. Die Beklagte konnte auch nicht ohne Verschulden (§ 233 Satz 1 ZPO) annehmen, dass Zustellungen in den mit dem Namen ihres Geschäftsführers gekennzeichneten Postbriefkasten an ihrer Geschäftsanschrift nicht erfolgen werden. Dem Wiedereinsetzungsgesuch der Berufungsführerin kann – unabhängig von den zutreffenden Erwägungen, welche das Landgericht diesbezüglich angestellt hat – schon deshalb nicht entsprochen werden, weil ihre diesbezügliche Darstellung im Rahmen tatrichterlicher Würdigung nicht als wahrscheinlich im Sinne der §§ 294, 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO eingestuft werden kann, auch wenn die Beklagte eine entsprechende eidesstattliche Versicherung ihres Geschäftsführers vorgelegt hat. Insbesondere folgende Umstände wecken daran erhebliche Zweifel:

a) Gerade in Anbetracht der in der eidesstattlichen Versicherung ihres Geschäftsführers enthaltenen Angaben („Alle Briefe für die T. GmbH wurden und werden von den Postzustellern regelmäßig immer in das von T. GmbH angemietete Postfach Nummer 13 in O. eingelegt. Es hat sich auch eingespielt, daß private Post von A. W. in das Postfach Nummer 13 gelegt wurde und gelegt wird.“) leuchtet nicht ein, weshalb an dem – angeblich nicht mehr benötigten und daher gänzlich überflüssig gewordenen – Briefkasten, sieht man schon von einer Demontage desselben ab, im Zuge des behaupteten Verklebens der Einwurf-Klappe nicht auch das Namensschild entfernt worden war, was unter den behaupteten Umständen auf der Hand gelegen hätte und mit keinerlei Aufwand verbunden gewesen wäre.

b) Zu Recht hebt die Klägerin in ihrer Berufungsantwort hervor, hätte die Beklagte ein Postfach angemietet, wäre zu erwarten gewesen, dass sich wenigstens auf deren Homepage (www.pp.de) ein diesbezüglicher Hinweis finden lasse, was aber nicht der Fall ist.

4. Unabhängig davon wäre das Vorbringen der Berufungsführerin – auch wenn man ihm Glauben schenken würde – nicht geeignet, ihr Verschulden an der Versäumung der Einspruchsfrist entfallen zu lassen. Denn ihrem Geschäftsführer fällt, unterstellt man – was aus den oben aufgezeigten Gründen abzulehnen ist – ihr Vorbringen als wahr, insoweit zumindest eine Nachlässigkeit zur Last, die sie sich zurechnen lassen muss.

Dass der Briefkasten jedenfalls bis Mitte Dezember 2022 als Empfangsvorrichtung zumindest für private Post ihres Geschäftsführers genutzt worden war, steht außer Frage. Sollte dieser Mitte Dezember 2022 Bemühungen unternommen haben, die Einwurf-Klappe des Briefkastens mit Silikon zu verkleben, wäre er in Anbetracht dessen, dass das Namensschild nicht entfernt wurde – damit wurde Außenstehenden gegenüber zumindest der visuelle Anschein erzeugt, dass dieser, wie zuvor, weiterhin als Empfangsvorrichtung dienen sollte – gehalten gewesen, die Haltbarkeit und den Erfolg seiner diesbezüglichen Anstrengungen regelmäßig zu überprüfen, was die Beklagte aber selbst nicht einmal behauptet. Abgesehen davon, dass allein schon witterungsbedingte Einflüsse zu einer erheblichen Lockerung der behaupteten – von einem Fachmann nicht überprüften – Festigkeit der (ursprünglichen) Klebeverbindung beigetragen haben können, ist nicht auszuschließen, dass ein Zusteller unter Aufbietung einer gewissen Kraftentfaltung die Klappe öffnete, weil er eine bloße Schwergängigkeit derselben vermutete und für ihn – insbesondere wegen des angebrachten Namensschildes und in Ermangelung sonstiger Hinweise – auch nicht die unter diesen Umständen fernliegende Intention des Wohnungsinhabers erkennbar war, dass der Briefkasten auf diese Weise außer Betrieb gesetzt werden sollte.“

Versäumte Frist II: Schwierige Fristberechnung …, oder: … die darf man nicht dem Personal überlassen

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Die zweite Entscheidung kommt dann vom VGH Baden-Württemberg. Der hat im VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 21.11.2024 – 9 S 1510/23 – zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in den Fällen einer schwierigen Fristberechnung Stellung genommen.

Die Klägerin hatte im zugrunde liegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren beantragt, die Berufung gegen ein VG-Urteil zuzulassen. Der VGH hat den Antrag als unzulässig angesehen. Die Klägerin habe nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils des Verwaltungsgerichts die Gründe dargelegt, aus denen die Berufung zuzulassen ist (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO):

„2. Der Klägerin ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach § 60 Abs. 1 VwGO setzt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand voraus, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Ein Verschulden liegt vor, wenn diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen wird, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.12.2023 – 8 B 26.23 -, juris Rn. 6). Die Versäumung der Frist für die Zulassungsbegründung ist im vorliegenden Fall nicht unverschuldet gewesen.

a) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich (vgl. § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO). Das Verschulden von „Hilfspersonen“ des bevollmächtigten Rechtsanwalts muss sich ein Beteiligter mangels einer Zurechnungsnorm dagegen regelmäßig nicht zurechnen lassen. Allerdings kann den Rechtsanwalt ein eigenes Verschulden treffen, wenn die Organisation seines Büros mangelhaft ist oder die „Hilfspersonen“ nicht mit der erforderlichen Sorgfalt ausgewählt, überwacht oder angeleitet wurden (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.06.2023 – A 11 S 1695/22 -, juris Rn. 31; Beschluss vom 09.11.2020 – 12 S 1982/20 -, juris Rn. 5; Senatsbeschluss vom 04.10.2012 – 9 S 859/11 -, juris Rn. 8).

Die Wahrung der prozessualen Fristen gehört zu den wesentlichen Aufgaben eines Rechtsanwalts, denen er besondere Sorgfalt widmen muss. Allerdings darf er grundsätzlich die Berechnung und Notierung der üblichen Fristen in Rechtsmittelsachen, die in seiner Praxis häufig vorkommen und deren Berechnung keine Schwierigkeiten bereitet, gut ausgebildetem und sorgfältig beaufsichtigtem Büropersonal überlassen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23.06.2011 – 1 B 7.11 – juris Rn. 5, und vom 06.07.2007 – 8 B 51.07 -, juris Rn. 6; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.06.2023 – A 11 S 1695/22 -, juris Rn. 32, und Beschluss vom 09.11.2020 – 12 S 1982/20 -, juris Rn. 8; Senatsbeschluss vom 04.10.2012 – 9 S 859/11 -, juris Rn. 9).

Dies findet seine Grenze aber bei Fristen, deren Berechnung Schwierigkeiten oder Besonderheiten aufweist. Das gilt etwa für die Frist zur Begründung eines Zulassungsantrags im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof. So läuft nach § 124a Abs. 3 Satz 1 VwGO eine zweimonatige Begründungsfrist, wenn die Berufung bereits in dem erstinstanzlichen Urteil zugelassen worden ist. Bei einer Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht beträgt die Frist zur Begründung der Berufung nach § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO hingegen einen Monat nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses, der einen Antrag voraussetzt, dessen Stellung und Begründung wiederum gesonderten Fristen unterliegen (§ 124a Abs. 4 Satz 1 bzw. 4 VwGO). Die Berechnung und Überwachung dieser Fristen bedürfen besonderer Sorgfalt und dürfen daher von einem Rechtsanwalt grundsätzlich nicht vollständig seinem Büropersonal überlassen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 04.10.2012 – 9 S 859/11 -, juris Rn. 9, VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 02.08.2006 – 4 S 2288/05 -, juris Rn. 5, und vom 07.08.2003 – 11 S 1201/03 -, juris Rn. 7; OVG SH, Beschluss vom 03.07.2024 – 5 LB 2/24 -, juris Rn. 14; OVG NRW, Beschluss vom 15.12.2023 – 1 A 1840/23 -, juris Rn. 7; OVG Hbg., Beschluss vom 26.10.2022 – 6 Bf 137/22 -, juris Rn. 20; Nds. OVG, Beschluss vom 04.11.2008 – 4 LC 234/07 -, juris Rn. 6; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 28.01.2004 – 10 A 11759/03 -, juris Rn. 18; parallel zur Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG, mittlerweile AsylG: Senatsbeschluss vom 12.06.2007 – A 9 S 315/07 -, juris Rn. 5; vgl. auch Bier/Steinbeiß-Winkelmann in: Schoch/Schneider, 45. EL Januar 2024, VwGO § 60 Rn. 45). Ein Rechtsanwalt muss durch eine entsprechende Kanzleiorganisation gewährleisten, dass die Überwachung solcher Fristen, die nicht als Routineangelegenheiten behandelt werden dürfen, letztlich eigenverantwortlich ihm obliegt (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.12.2023 – 1 A 1840/23 -, juris Rn. 7 m. w. N.).

Nur wenn sich die Abwicklung solcher Verfahren nach den konkreten Verhältnissen in der Rechtsanwaltskanzlei als Routineangelegenheit darstellt, sind geringere Anforderungen zu stellen, allerdings nur in dem Sinne, dass der Rechtsanwalt die Frist nicht selbst berechnen muss, sondern sich auf eine Überprüfung beschränken kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 – 3 C 21.11 -, juris Rn. 23; Senatsbeschluss vom 04.10.2012 – 9 S 859/11 -, juris Rn. 9; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 05.03.1982 – 8 C 159.81 -, juris Rn. 3: „dem Büro geläufige Fristberechnung“; ebenso VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.06.2023 – A 11 S 1695/22 -, juris Rn. 33; OVG NRW, Beschluss vom 24.06.2011 – 1 A 1756/09 -, juris Rn. 56).

Die eine Wiedereinsetzung beantragenden Beteiligten müssen die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft machen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Erforderlich ist eine rechtzeitige, substantiierte und schlüssige Darstellung der für die Wiedereinsetzung wesentlichen Tatsachen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.02.2021 – 2 C 11.19 -, juris Rn. 7). Die „Beweislast“ für die Umstände, die dafür sprechen, dass die Fristversäumnis unverschuldet war, liegt bei den Betroffenen, die die Wiedereinsetzung begehren. Gelingt die Glaubhaftmachung nicht oder bleibt nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offen, dass die Fristversäumung von dem Beteiligten oder dem Prozessbevollmächtigten verschuldet war, so kann Wiedereinsetzung nicht gewährt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.09.2023 – 1 C 10.23 -, juris Rn. 12; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.12.2023 – 1 S 1173/23 -, juris Rn. 19).

b) Nach diesen Maßstäben macht die Klägerin keine Tatsachen glaubhaft, aus denen sich schlüssig ergibt, dass sie ohne Verschulden verhindert war, die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO einzuhalten.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, dessen Verschulden sie sich zurechnen lassen muss, erklärt mit Schriftsatz vom 03.11.2023 sinngemäß, er habe sich zwischen dem 21.08.2023 und dem 29.08.2023 im Urlaub befunden. Sein Praktikant M. R., seit Juli 2023 Diplomjurist und außerdem Referendar, habe am 21.08.2023 als Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung irrigerweise den 21.11.2023 eingetragen. Ihm, dem Prozessbevollmächtigten, sei der Fehler am 02.11.2023 zufällig aufgefallen. Die Führung des Fristenkalenders sowie die ordnungsgemäße Fristberechnung würden regelmäßig kontrolliert, dabei sei aber die Falschberechnung übersehen worden. Das Eintragen von Fristen sei eine „einfache technische Verrichtung“, die er seinem Praktikanten, der seit Beginn des Studiums in den Semesterferien in seiner Kanzlei mithelfe, überlassen dürfe. Habe er eine Weisung erteilt, könne er sich darauf verlassen, dass diese befolgt werde. Bei dem Praktikanten handele es sich um eine sorgsam ausgewählte Person, die ihre Zuverlässigkeit dadurch unter Beweis gestellt habe, dass sie seit mehreren Jahren „immer und wieder“ mitarbeite und mit „der Fristenproblematik vertraut“ sei. Ein Organisationsverschulden scheide aus, weil die Aufgabenbereiche und Zuständigkeiten klar abgestimmt worden seien. Dass sein Praktikant der allgemeinen Dienstanweisung hinsichtlich der korrekten Berechnung und Eintragung nicht entsprochen habe, sei ein einmaliges Versehen. Das Vorgetragene versichern der Bevollmächtigte der Klägerin wie auch sein Praktikant an Eides statt.

Unter Berücksichtigung des Vorbringens des Bevollmächtigten der Klägerin und der eidesstattlichen Versicherungen ist davon auszugehen, dass der Bevollmächtigte der Klägerin gegen die Pflicht zur eigenverantwortlichen Berechnung, Eintragung und Kontrolle der Berufungsbegründungsfrist verstoßen hat. Er legt nicht dar, dass sich die Abwicklung von Berufungszulassungsverfahren vor Oberverwaltungsgerichten in seiner Kanzlei als Routineangelegenheit darstellte bzw. es sich bei der Berechnung der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO wegen der Häufigkeit der zu bearbeitenden Berufungszulassungsverfahren um eine in der Rechtsanwaltskanzlei geläufige Fristberechnung handelte und er daher berechtigt gewesen wäre, sich auf eine (ggf. stichprobenartige) Überprüfung der Tätigkeit seines Praktikanten zurückzuziehen. Eine entsprechende schwerpunktmäßige Ausrichtung der Kanzlei ist auch sonst nicht erkennbar. Denn dem Briefkopf zufolge ist der Bevollmächtigte der Klägerin Fachanwalt für Steuerrecht mit den weiteren Schwerpunkten Bau- und Architektenrecht sowie Wirtschaftsrecht. Abgesehen davon legt er nicht dar, dass die Berechnung der Fristen nach § 124a VwGO oder auch nur der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO zur Routine seines Praktikanten gehörte. Das Vorbringen, sein Praktikant, der seit Juli 2023 Diplomjurist sei und seit Beginn dessen Studiums in den Semesterferien bzw. „immer und wieder“ in seiner Kanzlei mithelfe, sei sorgsam ausgewählt, mit „der Fristenproblematik vertraut“ und arbeite seit Jahren unbeanstandet, genügt hierfür ersichtlich nicht. Zwar kann sich ein Rechtsanwalt bei juristisch ausgebildeten Hilfskräften in der Regel noch mehr als beim Laienpersonal darauf verlassen, dass diese um die Bedeutung von Rechtsmittelfristen wissen und alle damit zusammenhängenden Tätigkeiten umsichtig und gewissenhaft ausführen, so dass die Anforderungen an die Überwachungspflichten geringer sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20.12.2005 – VI ZB 13/05 -, juris Rn. 6). Gleichwohl ist ein Wissen um die Bedeutung von Rechtsmittelfristen nicht gleichzusetzen mit einer Routine in der Berechnung der Fristen des § 124a VwGO. Die vom Praktikanten angeblich irrigerweise angenommene Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung von drei Monaten dürfte eher gegen dessen Routine beim Berechnen entsprechender Fristen sprechen. Vor dem Hintergrund des Ausgeführten wäre es die Obliegenheit des Bevollmächtigten gewesen, die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO selbst zu berechnen bzw. rechtzeitig die Fristberechnung zu kontrollieren. Die pauschale Behauptung, er kontrolliere die ordnungsgemäße Führung des Fristenkalenders sowie die ordnungsgemäße Fristenberechnung regelmäßig, habe aber die Falschberechnung übersehen, vermag ihn nicht zu exkulpieren.“

Wiedereinsetzung II: Wenn der Anwalt Zahnweh hat, oder: Warum nicht auch beim Gericht angerufen?

Bild von Sammy-Sander auf Pixabay

Und dann kommt hier der BGH, Beschl. v. V ZB 50/23. Der stammt, wie das Aktenzeichen zeigt, aus einem Zivilverfahren, die Ausführungen des BGH haben auch in anderen Verfahren Bedeutung.

In dem Verfahren ist Berufung gegen ein sog. zweites Versäumnisurteil eingelegt worden. Das OLG hat die Berufung gegen dieses Urteil als unzulässig angesehen, weil die Beklagten nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist schlüssig dargelegt hätten, dass sie den Termin ohne eigenes Verschulden versäumt hätten. Der BGH führt dazu – nach Darlegung der entsprechenden Grundsätze aus:

„2. Nach diesen Grundsätzen geht das Berufungsgericht ohne zulässigkeitsrelevante Rechtsfehler davon aus, dass die Säumnis der Beklagten auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruht, welches sie sich als eigenes Verschulden zurechnen lassen müssen (§ 85 Abs. 2 ZPO).

a) Für die Entscheidung kann unterstellt werden, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten am 10. Januar 2023 krankheitsbedingt nicht zu der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht anreisen konnte. Dieser Umstand genügt aber nicht für die Annahme, er habe den Termin unverschuldet versäumt.

b) ergibt sich bereits aus dem dargelegten Ablauf, dass es ihm nicht unmöglich oder unzumutbar gewesen ist, das Landgericht rechtzeitig telefonisch über seine krankheitsbedingte Verhandlungsunfähigkeit in Kenntnis zu setzen. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde überspannt das Berufungsgericht die Anforderungen an den auf § 514 Abs. 2 ZPO gestützten Parteivortrag nicht.

aa) Am Termintag um 8.00 Uhr war dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten klar, dass er aufgrund der Schmerzen einen Zahnarzt aufsuchen musste. Trotz starker Schmerzen hat er zu diesem Zeitpunkt noch an den Gerichtstermin gedacht. Dass er noch davon ausging, rechtzeitig um 11.30 Uhr das Landgericht erreichen und den Gerichtstermin wahrnehmen zu können, haben die Beklagten nicht vorgetragen. Angesichts der erforderlichen zahnärztlichen Behandlung, der Einnahme starker Schmerzmittel und der kalkulierten Fahrzeit von einer Stunde zwischen dem Kanzlei- und dem Gerichtsort durfte er auch nicht berechtigterweise darauf vertrauen, dass er bis zu der Terminstunde das Landgericht erreichen wird. Es hätte daher der gebotenen anwaltlichen Sorgfalt entsprochen, bereits in diesem Moment die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um die im konkret vorhersehbaren Fall einer Säumnis im Einspruchstermin drohenden schwerwiegenden Nachteile von den Beklagten abzuwenden. Hierzu wäre eine telefonische Kontaktaufnahme zu dem Landgericht erforderlich gewesen, um seine Verhandlungsunfähigkeit mitzuteilen.

bb) Ein solches Telefonat zu führen, war dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten – wie das Berufungsgericht zu Recht annimmt – trotz der vorgetragenen starken Schmerzen und der Einnahme von Schmerzmitteln zumutbar und keinesfalls überobligatorisch. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde verlangt das Berufungsgericht von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten auch unter Berücksichtigung der Intensität der Schmerzen keine überdurchschnittlichen, nicht zu erwartenden Anstrengungen zur Überwindung der Krankheitserscheinungen.

(1) Ein Rechtsanwalt muss zwar, wenn er – wie hier – unvorhergesehen erkrankt und kurzfristig und unvorhersehbar an der Wahrnehmung des Termins gehindert ist, nur das, aber auch alles unternehmen, was ihm dann möglich und zumutbar ist, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen (vgl. Senat, Beschluss vom 26. September 2013 – V ZB 94/13, NJW 2014, 228 Rn. 10 zu den vergleichbaren Vorkehrungen zur Fristwahrung bei unvorhergesehener Erkrankung).

11(2) Hiervon ausgehend nimmt das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei an, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nicht das ihm Zumutbare unternommen hat. Er hat sowohl seinen Kollegen angerufen als auch telefonisch ein Taxi bestellt. Dies belegt, dass ihm trotz der erheblichen Zahnschmerzen und der Einnahme von Schmerzmitteln ein Telefonat noch möglich und auch zumutbar war und er noch klare Gedanken fassen konnte. Soweit die Rechtsbeschwerde vorbringt, der Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe aufgrund extremer Schmerzen schon am Morgen des Termintages nicht mehr klar denken können und erst am Nachmittag sei ihm die Versäumung des Termins bewusst geworden, übersieht sie, dass er jedenfalls morgens um 8.00 Uhr an den Termin gedacht hat und in der Lage war, seinen Kollegen anzurufen. Die Beklagten haben nicht dargelegt, welchem Zweck der Anruf des Kollegen überhaupt diente. Eine stellvertretende Wahrnehmung des Gerichtstermins sollte durch ihn nach eigener Darstellung jedenfalls nicht erfolgen. Anwaltlicher Sorgfalt hätte es daher entsprochen, stattdessen sofort dem Landgericht telefonisch seine Verhinderung mitzuteilen. Für diesen Anruf war nicht mehr Kraft aufzubringen als für den Anruf bei seinem Kollegen.

c) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde schließlich geltend, das Berufungsgericht erwarte zu Unrecht nähere Angaben zum zeitlichen Verlauf, obwohl der Prozessbevollmächtigte der Beklagten darauf hingewiesen habe, dass er an die genauen Uhrzeiten keine Erinnerung habe. Zu Recht weist die Rechtsbeschwerdeerwiderung darauf hin, dass es dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten möglich gewesen wäre, im Nachhinein durch Durchsicht seiner Anrufliste und Rückfrage bei seinem Arzt oder dem Taxiunternehmen den genauen Geschehensablauf zu rekonstruieren und auf dieser Grundlage vorzutragen, ab wann es ihm frühestens möglich gewesen wäre, das Landgericht von seiner krankheitsbedingten Verhinderung zu unterrichten.“

Wie gesagt: Das gilt nicht nur in Zivilverfahren, sondern wird man sicherlich auch im Straf- und/oder Bußgeldverfahren anwenden können, und zwar auch auf Angeklagte/Betroffene. Die werden in vergleichbaren Situationen auch anrufen und Bescheid sagen müssen, wenn man, wie hier, auch anderweitig informieren kann und versucht, Dinge zu organisieren.

Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung, oder: Neuer Verkehrsverstoß – Fahrerlaubnis auf Probe

Bild von Markus Spiske auf Pixabay

Im zweiten Posting geht es dann auch noch einmal um die Entziehung der Fahrerlaubnis, aber es handelte sich um einen Fahrerlaubnis auf Probe. Dazu das OVG Münster im OVG Münster, Beschl. v. 30.10.2024 – 16 B 998/23:

„Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet.

Das fristgerecht eingegangene Beschwerdevorbringen erschüttert nicht die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Voraussetzungen für die auf § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis der Antragstellerin seien im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der angegriffenen Verfügung erfüllt gewesen.

Es ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht angenommen hat, die Rechtsauffassung der Antragstellerin, dass Verkehrsverstöße unabhängig vom Ablauf der in § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVG genannten Zweimonatsfrist während der Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung grundsätzlich nicht als Grundlage für die Entziehung einer Fahrerlaubnis auf Probe herangezogen werden dürften, finde im Gesetz keine Stütze. Für die von der Antragstellerin vertretene Auffassung geben der Wortlaut und die Konzeption der Vorschrift nichts her. Mit der der Entziehung vorangehenden Verwarnung nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVG wird dem Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe lediglich nahegelegt, innerhalb von zwei Monaten an einer verkehrspsychologischen Beratung teilzunehmen. Der Wortlaut von § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG nimmt ausdrücklich Bezug auf diese Zweimonatsfrist und nicht auf die Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung. Weder die Teilnahme noch die Nichtteilnahme an einer solchen Beratung haben nach dem Gesetzeswortlaut fahrerlaubnisrechtliche Konsequenzen. Deswegen kommt es nicht darauf an, ob eine verkehrspsychologische Beratung innerhalb von zwei Monaten abgeschlossen wird. Begeht der Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe nach Ablauf des Zeitraums von zwei Monaten eine weitere schwerwiegende Zuwiderhandlung oder zwei weitere weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen, ist die Fahrerlaubnis vielmehr unabhängig davon zu entziehen, ob und ggf. wann der Betroffene an einer verkehrspsychologischen Beratung teilgenommen hat.
Vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 2a StVG Rn. 38, 46; Trésoret, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand: 15. November 2023, § 2a StVG Rn. 234, 249, 257.

Zuwiderhandlungen, die von einem Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe vor Ablauf der Zweimonatsfrist begangen werden, sind im Hinblick auf § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG dagegen unbeachtlich.
Vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 2a StVG Rn. 46; Trésoret, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand: 15. November 2023, § 2a StVG Rn. 249, 268.

Würde der Ansicht der Antragstellerin gefolgt, dass eine erst nach Ablauf der zwei Monate in Anspruch genommene oder beendete verkehrspsychologische Beratung dazu führt, dass auch ein nach dieser Frist, aber noch während des Zeitraums der Beratung begangener Verkehrsverstoß für die Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG irrelevant ist, hätten es Betroffene in der Hand, die Zweimonatsfrist zu verlängern und in dieser Zeit Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr zu begehen, ohne eine Entziehung nach der o. g. Vorschrift fürchten zu müssen. Dies widerspräche den gesetzlichen Vorgaben. Soweit die Antragstellerin auf ihre Ansicht stützende Ausführungen auf einer Internetseite verweist, finden diese keinen Anknüpfungspunkt im Gesetz und sind schon deshalb nicht geeignet, von der Auffassung der Antragstellerin zu überzeugen.

Vor diesem Hintergrund spielt es keine Rolle, dass die Antragstellerin die Beratung, wie sie vorträgt, deshalb nicht innerhalb von zwei Monaten beginnen konnte, weil die Frist in die Vorweihnachtszeit fiel, sie erst das Geld für die Beratung aufbringen musste und der Berater zunächst keine Zeit hatte.

Der Hinweis der Antragstellerin, ihr könne nicht vorgeworfen werden, die Zweimonatsfrist nicht bereits im Vorfeld beim Antragsgegner verlängert zu haben, führt nicht zum Erfolg der Beschwerde. Der Antragsgegner hat den Entzug der Fahrerlaubnis auf Probe nicht auf einen solchen Vorwurf gestützt. Im Übrigen legt das Fehlen einer Verlängerungsmöglichkeit dieser gesetzlichen Frist in § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG es nicht nahe, dass sie verlängerbar sein könnte,
vgl. dazu Knop, in: Münchener Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, 2016, § 2a StVG Rn. 31, m. w. N.,
zumal die Nichtteilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung keine rechtlichen Folgen hat. Der von der Antragstellerin angeführte § 224 ZPO betrifft nicht die Frist in § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG; die Verlängerungsmöglichkeit in § 31 Abs. 7 VwVfG NRW gilt nur für behördlich gesetzte, nicht für gesetzliche Fristen.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Mai 2006 – 13 B 533/06 -, juris, Rn. 4 ff.

Soweit die Antragstellerin ausführt, sie würde trotz der Teilnahme an der Beratung „exakt so gestellt, wie jemand, der auf die Beratung verzichtet hat“, so trifft dies zu und entspricht der gesetzgeberischen Konzeption des § 2a Abs. 2 StVG.

Der Vortrag der Antragstellerin, es führe zu keinem unerträglichen Zustand, wenn ihr vor einem „endgültigen Beschluss des Gerichts“ die Fahrerlaubnis belassen würde, versteht der Senat dahin, dass ihrer Ansicht nach die allgemeine Interessenabwägung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu ihren Gunsten ausfallen müsse. Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde jedoch nicht zum Erfolg. Denn der Gesetzgeber hat mit dem gesetzlichen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 2a Abs. 6 StVG) einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet und es bedarf deshalb besonderer Umstände, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen. Solche Umstände hat die Antragstellerin mit ihrer Behauptung, sie sei kein „Verkehrsrowdy“, und mit ihrem Hinweis auf die Gründe ihrer Verkehrsverstöße nicht dargelegt. Denn es entspricht gerade dem Ziel des § 2a StVG, frühzeitig auf Fahranfänger einzuwirken. Es stellt nach der Wertung des Gesetz- und Verordnungsgebers mithin keinen atypischen Umstand dar, dass bereits die von der Antragstellerin als Inhaberin einer Fahrerlaubnis auf Probe begangenen Verkehrszuwiderhandlungen die in § 2a Abs. 2 StVG vorgesehenen Folgen zusammen mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Klage nach § 2a Abs. 6 VwGO nach sich ziehen. Die geschilderten Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Ausübung ihres Berufs als hauptsächlich in Nachtschichten arbeitende Intensivbeatmungspflegerin gehören zu den typischen Folgen einer sofort vollziehbaren Fahrerlaubnisentziehung, die als solche schon in der gesetzgeberischen Grundentscheidung Berücksichtigung gefunden haben. Sie können daher ebenfalls kein Überwiegen des Interesses der Antragstellerin begründen, vorläufig von der sofortigen Vollziehung der Entziehungsverfügung verschont zu bleiben.

Soweit die Antragstellerin darüber hinaus auf den gesamten Sachvortrag in der ersten Instanz Bezug nimmt, fehlt es an einer gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO erforderlichen Auseinandersetzung mit der später ergangenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Der sich danach ergebende Streitwert von 5.000,- Euro ist nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 sowie § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).“

Neues zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach StVG, oder: Pedelec, Entzugsbehandlung, Schlafapnoe

Bild von Wilfried Pohnke auf Pixabay

Und im „Kessel-Buntes“ heute dann verwaltungsrechtliche Entscheidungen aus dem Verkehrsrecht.

Hier kommen zunächst einige Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG, und zwar:

Die Fahrerlaubnisbehörde hat anzuordnen, dass ein Fahrerlaubnisinhaber ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, wenn er ein Fahrzeug im Straßenverkehr mit die einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt hat. Dies gilt nicht nur für eine Fahrt mit einem Kraftfahrzeug, sondern auch für eine Fahrt mit einem nicht motorisierten Fahrzeug, also auch bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad und auch für ein Pedelec, weil dieses einem Fahrrad rechtlich gleichgestellt ist.

Ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom, das auch ohne Behandlung keine übermäßige Tagesmüdigkeit zur Folge hat, begründet keinen Eignungsmangel nach Nr. 11.2.3 der Anlage 4 zur FeV und kann keine Kontrollauflage rechtfertigen.

1. Es entspricht gesicherten Erkenntnissen der Alkoholforschung, dass Betroffene mit Blutalkoholkonzentrationen ab 1,6 Promille über deutlich abweichende Trinkgewohnheiten und eine ungewöhnliche Trinkfestigkeit verfügen.

2. Neben stationären Therapien kommen auch ambulante Maßnahmen von 24 Wochen, ganztägige ambulante Maßnahmen in Tageskliniken an Werktagen über einen Zeitraum von acht bis sechzehn Wochen und stationär-ambulante Kombinationstherapien in Betracht als Entzugsbehandlung in Betracht, nicht aber die stationäre Entgiftung und Nachsorgekontakte, die sporadisch stattfinden und der Rückfallprophylaxe dienen.